Analyse | Parteien / Wahlanalysen - Rosalux International - Osteuropa Polen rückt nach rechts

Über die Folgen des Wahlsiegs von Karol Nawrocki. Von Gavin Rae

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Gavin Rae,

Karol Nawrocki am Abend der Stichwahl (1.6.2025). Der parteilose Kandidat trat für die nationalistisch-konservative Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) an und siegte im zweiten Wahlgang. IMAGO / newspix

Mit der Wahl des von der national-konservativen Partei Prawo i Sprawiedliwość (Recht und Gerechtigkeit, PiS) unterstützten Kandidaten, Karol Nawrocki, zum Präsidenten rückt die polnische Politik weiter nach rechts. Bei der Stichwahl mit einer Rekordwahlbeteiligung von 72 Prozent erhielt Nawrocki 50,8 Prozent der Stimmen und schlug damit knapp seinen Rivalen Rafał Trzaskowski von der liberal-konservativen Koalicja Obywatelska (Bürgerkoalition, KO), der 49,1 Prozent erhielt. 

Gavin Rae ist Professor für Soziologie an der Koźmiński-Universität in Warschau. Er leitet den linken Think-Tank «Naprzód» (Vorwärts).

Dieses Ergebnis leitet eine neue Phase politischer Unsicherheit in Polen ein. Ministerpräsident Donald Tusk (KO) kündigte einen Tag nach der Wahl eine Vertrauensabstimmung im Parlament an, um die Autorität seiner Regierung wiederherzustellen. Die Wahl Nawrockis wird die Position der Regierung schwächen und erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass die PiS die nächste Parlamentswahl 2027 gewinnen und möglicherweise eine Koalitionsregierung mit der rechtsextremen Konfederacja (Konföderation) bilden wird.

Rechtsextremer Königsmacher

Nach der ersten Runde der Präsidentschaftswahl erwies sich der Kandidat der Konfederacja, Sławomir Mentzen, als Königsmacher. Gemeinsam mit dem noch extremeren Kandidaten Grzegorz Braun hatte die extreme Rechte in der ersten Runde der Präsidentschaftswahl rund 20 Prozent der Stimmen errungen. Im Vorfeld der Stichwahl traf sich Mentzen mit beiden Kandidaten, wobei Nawrocki all seinen Forderungen vorbehaltlos zustimmte, was darauf hindeutet, dass zwischen ihnen kaum programmatische oder ideologische Unterschiede bestehen. Trzaskowski hingegen stimmte nur einigen von Mentzens Forderungen zu, ließ jedoch im Anschluss an das Treffen Fotos veröffentlichen, die die beiden beim gemeinsamen Biertrinken in einer Kneipe neben Außenminister Radosław Sikorski (KO) zeigen.

Trzaskowskis Versuch, Mentzen-Wähler für sich zu gewinnen, war allerdings nicht erfolgreich. Überdies vermochte er die Koalition, die die KO zusammen mit dem konservativen Trzecia Droga (Dritter Weg) und dem Mitte-Links-Bündnis Lewica (Linke) 2023 an die Macht gebracht hatte, nicht zusammenzuhalten. Gleichwohl sollte man nicht vergessen, dass die PiS bei dieser Parlamentswahl mehr Stimmen erhalten hatte als die Bürgerkoalition. Nawrockis Sieg bestätigt nun erneut, dass die PiS im Land eine größere Unterstützung erfährt als die KO. 

Wie in vielen anderen Ländern mobilisierte die Verachtung des Gegners durch den liberalen Mainstream vor allem dessen Wählerschaft. Nawrocki konnte die Wut derer ausnutzen, die sich zunehmend vom Wirtschaftswachstum des Landes ausgeschlossen fühlen.

Der Sieg der von der KO geführten Koalitionsregierung wurde seinerzeit von einer Welle des Optimismus ihrer Unterstützer*innen getragen. Dieser Teil der Gesellschaft hoffte auf einen grundlegenden Bruch mit der achtjährigen PiS-Herrschaft. In weniger als zwei Jahren ist die Regierung jedoch äußerst unpopulär geworden: 44 Prozent der Gesellschaft bewerten sie negativ, nur 32 Prozent positiv. Obwohl Polen ein relativ starkes Wirtschaftswachstum aufweist, profitieren große Teile der Gesellschaft nicht von diesem Erfolg. Darüber hinaus hat die Regierung – teilweise aufgrund der Vetodrohungen von Präsident Andrzej Duda (PiS) – bei Themen wie der Reform des extrem restriktiven Abtreibungsrechts, der Einführung gleichgeschlechtlicher eingetragener Partnerschaften und der Wiederherstellung der Rechtsstaatlichkeit keine nennenswerten Fortschritte erzielt. Diese Bilanz der Koalitionsregierung behinderte Trzaskowskis Wahlkampf und ließ das ohnehin bereits lockere, sehr heterogene politische Regierungsbündnis weiter auseinanderfallen.

Die soziale Spaltung

Trzaskowskis Wahlkampf konzentrierte sich vor allem auf die Defizite seines Rivalen Nawrocki. Dazu gehörten Vorwürfe und Enthüllungen: Nawrocki habe sich in der Vergangenheit an organisierten Fußball-Hooligan-Kämpfen beteiligt, unethisch eine Wohnung von einem älteren Herrn ergaunert, Verbindungen zu kriminellen und rechtsextremen Banden gepflegt und während seiner Tätigkeit als Türsteher in einem Hotel Prostituierte für Gäste organisiert. Man hoffte, dies würde ausreichen, um die Wähler*innen von einer Stimmabgabe für Nawrocki abzuschrecken und sie stattdessen für den zwar seriösen, aber farblosen Trzaskowski zu gewinnen.

Bei dieser Wahl handelte es sich jedoch nicht um einen Persönlichkeitswettbewerb. Wie in vielen anderen Ländern mobilisierte die Verachtung des Gegners durch den liberalen Mainstream vor allem dessen Wählerschaft. Nawrocki konnte die Wut derer ausnutzen, die sich zunehmend vom Wirtschaftswachstum des Landes ausgeschlossen fühlen. Seine Wähler*innen scherten sich nicht um die Verleumdungen durch Angehörige einer Regierung, der sie nicht vertrauten.

Eine Analyse der Wahlergebnisse verdeutlicht die sozialen Unterschiede, die den Ausgang der Wahl bestimmt haben. Trzaskowski erhielt 73 Prozent der Stimmen der Hochschulabsolvent*innen, während Nawrocki 63 Prozent der Wähler*innen mit Grundbildung für sich gewinnen konnte. 79 Prozent der Landwirt*innen, 68 Prozent der Arbeiter*innen und 65 Prozent der Arbeitslosen unterstützten Nawrocki, aber 65 Prozent der leitenden Angestellten und Manager*innen sowie 57 Prozent der Selbstständigen wählten Trzaskowski. Nawrocki erhielt 64 Prozent der Stimmen der ländlichen Bevölkerung, Trzaskowski 66 Prozent der Stimmen in den Großstädten. 54 Prozent der Frauen stimmten für Trzaskowski, aber 54,3 Prozent der Männer wählten Nawrocki. 

Interessanterweise gab es mit Blick auf das Alter nur geringfügige Unterschiede bei der Stimmabgabe. Dies lag teilweise daran, dass Nawrocki die meisten jener jüngeren Wähler*innen gewinnen konnte, die im ersten Wahlgang noch Mentzen unterstützt hatten. 

Rechter Strategiewechsel

Trotz der politischen Spaltungen in Polen sind sich die beiden großen politischen Blöcke, PiS und KO, in vielen Fragen einig. Sowohl Trzaskowski als auch Nawrocki äußern sich feindselig gegenüber Migrant*innen und Geflüchteten, befürworten Steuersenkungen und plädieren für die Beibehaltung oder sogar Erhöhung der polnischen Militärausgaben, die derzeit fast 5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts ausmachen. Die Taktik der KO, die Politik der extremen Rechten in Fragen wie der Migrationspolitik zu kopieren, hat indessen nicht geholfen, sondern vielmehr dazu geführt, dass die Menschen für das Original anstatt für die Kopie stimmten. Grundsätzlich haben Maßnahmen wie die Abschaffung des Asylrechts die migrationsfeindliche Stimmung in Polen zuletzt weiter angeheizt und damit den Boden für den Aufstieg der extremen Rechten bereitet.

Nawrockis Wahlkampf verdeutlichte, wie sich die Strategie der PiS verändert hat. Während ihrer beiden Amtszeiten (2005 bis 2007 sowie 2015 bis 2023) kombinierte PiS katholischen Konservatismus mit Elementen umverteilender Sozialpolitik: Die PiS-Regierungen führten ein neues universelles Kindergeld ein, erhöhten den Mindestlohn deutlich, senkten das Renteneintrittsalter und verboten weitgehend die Öffnung von Geschäften an Sonntagen. Es war das erste Mal seit über zwei Jahrzehnten, dass eine Regierung Maßnahmen zur Eindämmung des neoliberalen Sozialabbaus ergriff.

Angesichts der Dominanz der beiden konkurrierenden rechten Blöcke steckt die polnische Linke weiterhin fest. Es ist wahrscheinlich, dass die Unterstützung für Lewica sinken und der Rückhalt für Tusks Regierung insgesamt weiter schwinden wird. 

Bei der Präsidentschaftswahl betonte Nawrocki jedoch weder die soziale Bilanz der PiS, noch wandte er sich gegen die neoliberale Wirtschaftspolitik der KO. Stattdessen befürwortete er Steuersenkungen und sogar die Einführung einer Verfassungsgarantie, Erbschaften von der Besteuerung auszunehmen. Darüber hinaus waren seine «sozialen» Versprechen offen rassistisch und richteten sich gegen Migrant*innen. So versprach Nawrocki beispielsweise, dass «polnische Bürger bei Arztbesuchen und in Kliniken Vorrang haben müssen. Polnische Kinder müssen in Schulen und Kindergärten Vorrang haben. Wir müssen ein Verbot von Zuzahlungen zu ukrainischen und anderen Renten einführen, und Sozialleistungen werden in erster Linie den Polen zugutekommen.»

Die PiS wird bei der nächsten Parlamentswahl voraussichtlich an Nawrockis Strategie anknüpfen. Sie dürfte versuchen, die Unterstützung jüngerer – vor allem männlicher – Wähler zu gewinnen, die sich von der Konfederacja und anderen rechtsextremen Kräften angesprochen fühlen. Der Schwerpunkt wird weniger auf sozialem Zusammenhalt und konservativen Werten liegen, als auf der Betonung gesellschaftlicher Hierarchien, inklusive Feindseligkeit gegenüber Außenseitern und jenen, die nicht als «echte Polen» gelten.

Ein Sieg des Trumpismus

Die Präsidentschaftswahl fand vor dem Hintergrund der sich infolge der erneuten Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten verändernden internationalen Beziehungen statt. Beide Kandidaten haben ähnliche Ansichten zum Krieg in der Ukraine, sind dezidiert proamerikanisch und befürworten massive Investitionen in das polnische Militär. Allerdings haben sich die KO-geführte Regierung und Trzaskowski auch für eine stärkere Annäherung Polens an andere europäische Staaten wie Deutschland und Frankreich ausgesprochen und unterstützen die Pläne zur Aufrüstung der EU. Dagegen haben sich die PiS und Nawrocki enger mit der Trump-Regierung verbündet. Nur fünf Tage vor der zweiten Runde der Präsidentschaftswahl hielt die Conservative Political Action Conference deshalb ihr erstes Treffen in Polen ab. Bei dieser Veranstaltung bekundete Kristi Noem, die Heimatschutzministerin der USA, ihre Unterstützung für Nawrocki: «Wenn Sie einen Politiker wählen, der mit Präsident Donald J. Trump zusammenarbeitet, wird das polnische Volk einen starken Verbündeten haben, der dafür sorgen wird, dass Sie Feinde abwehren können, die Ihre Werte nicht teilen.»

Nawrockis Wahl stellt deshalb auch einen Sieg des Trumpismus in der Region dar. Nawrocki stimmte Mentzens Forderungen zu, keine polnischen Truppen in die Ukraine zu schicken und jeden Versuch des Landes, der NATO beizutreten, mit einem Veto zu blockieren (Trzaskowski unterstützte lediglich die erste Forderung). Dies spiegelt die veränderte Außenpolitik der neuen US-Regierung sowie die wachsende Angst der polnischen Gesellschaft wider, in einen größeren Konflikt um die Ukraine hineingezogen zu werden. Nawrocki befürwortet zudem, dass Polen seine Militärausgaben weiter erhöht, ganz im Einklang mit Trumps Strategie, die europäischen NATO-Länder zu zwingen, ihre militärischen Kapazitäten auszubauen.

Und die Perspektive der Linken?

Angesichts der Dominanz der beiden konkurrierenden rechten Blöcke steckt die polnische Linke weiterhin fest. Die sozialdemokratische Lewica bleibt der kleinere Partner in einer Dreiparteienkoalition. Nach der Wahl Nawrockis besteht noch weniger Hoffnung, dass diese Regierung die von der Linken propagierten Forderungen, wie beispielsweise eine Reform des Abtreibungsrechts, umsetzen wird. Unter diesen Bedingungen scheint es wahrscheinlich, dass die Unterstützung für Lewica sinken und der Rückhalt für Tusks Regierung insgesamt weiter schwinden wird. 

Dagegen gelang es der nicht an der Regierung beteiligten linken Partei Razem (Zusammen), sich bei diesen Wahlen eine stärkere unabhängige Position und mehr Unterstützung bei den Wähler*innen zu sichern. Die Frage ist, ob sie die Lücke füllen kann, die durch die sinkende Unterstützung für die Regierung und Lewica entstanden ist. Wird sie auch diejenigen Wähler*innen gewinnen können, die eine soziale Alternative suchen, weil die PiS in der Wirtschafts- und Sozialpolitik weiter nach rechts rückt? Kann sie die Stärke finden, den vorherrschenden politischen Konsens herauszufordern, der Militärausgaben den Vorrang vor Investitionen in Bereiche wie Energiewende, Wohnungsbau und Gesundheitswesen einräumt? An der Beantwortung dieser Fragen dürfte sich das Schicksal der polnischen Linken entscheiden.