
Im Mai 2025 schaute die Welt mit großer Sorge auf Indien und Pakistan, die sich einen kurzen, aber heftigen Luftkrieg samt grenzüberschreitendem Bodenbeschuss lieferten. Ausgelöst wurde der Schlagabtausch durch einen Terrorangriff auf Tourist*innen am 22. April 2025 in der Gegend um Pahalgam im indischen Teil von Jammu und Kaschmir, einem gebirgigen Gebiet reich an Wäldern, Bergwiesen und Flüssen. Dabei wurden 28 Männer ermordet, darunter 26 Hindus, ein Christ und ein muslimischer Fremdenführer aus der Region, der bei dem Versuch starb, einen der Angreifer zu überwältigen. Unter den Toten war auch ein Tourist aus Nepal.
Radha Kumar arbeitete im Auftrag der indischen Regierung als Vermittlerin für Jammu und Kaschmir und ist Autorin des Buches Paradise at War. A Political History of Jammu and Kashmir, aus dem das historische Material in diesem Artikel größtenteils stammt.
Laut ersten Ermittlungen der indischen Behörden, die sich auf zeugenbasierte Fahndungsbeschreibungen bekannter Terroristen stützen, standen zwei Pakistani und zwei Kaschmiri hinter dem Angriff. Die Angreifer flohen in den 40 Kilometer langen Waldgürtel, der die Baisaran-Wiese umgibt, und sind trotz intensiver militärischer Suchaktionen weiterhin flüchtig. Eine kaum bekannte Gruppe namens «The Resistance Front» (Die Widerstandsfront) hatte sich auf der Plattform X zunächst zum Anschlag bekannt, ruderte allerdings später mit der Behauptung zurück, ihr Konto sei gehackt worden.
Nach Angaben des South Asia Terrorism Portal gründete sich die Resistance Front 2019 als «Online-Formation» und stellt einen von mehreren bewaffneten Armen der in Pakistan ansässigen Laschkar-e-Taiba (Armee der Reinen, LeT) dar, die von den Vereinten Nationen als Terrororganisation eingestuft wird. Ihr Anführer Hafiz Saeed wurde zwar zu einer Haftstrafe verurteilt, lebt jedoch seit zwei Jahren in der pakistanischen Provinz Punjab unter Hausarrest. Zur Führungsriege der Resistance Front gehören mit Sajid Jatt, Sajjad Gul und Salim Rehmani mehrere bekannte LeT-Kader. Seit Ende 2019 wird die Resistance Front mit 25 gezielten Tötungen in Verbindung gebracht, die Soldat*innen, kaschmirische Pandits (hinduistische Brahman*innen), Ladenbesitzer*innen, Abgeordnete und Lehrer*innen ins Visier nahmen. Gemäß dem indischen Gesetz zur Verhinderung ungesetzlicher Aktivitäten wurde die Gruppe 2022 verboten und ihr Anführer Gul als Terrorist eingestuft.
Obwohl erste Hinweise eine Verbindung zur LeT nahelegten, wies die pakistanische Regierung unter Ministerpräsident Shehbaz Sharif jegliche Verwicklung der Gruppe in den Anschlag umgehend zurück und stellte den Wohnsitz ihres Anführers sogar unter Polizeischutz. Indien wiederum brach zunächst sämtliche diplomatischen Beziehungen zu Pakistan ab, entzog pakistanischen Staatsangehörigen ihre Visa und setzte den Indus-Wasservertrag aus, ein 65 Jahre altes Abkommen zur Wassernutzung, das von der Weltbank mitgetragen wird. Pakistan revanchierte sich mit der Ausweisung mehrerer Diplomat*innen und der Annullierung bereits ausgestellter Visa für indische Staatsangehörige.
In den Augen vieler indischer Kommentator*innen, Nachrichtensprecher*innen und Social-Media-Nutzer*innen fiel die Reaktion ihrer Regierung zu milde aus. Die Regierung von Ministerpräsident Narendra Modi leistete den fortwährenden Forderungen nach einer militärischen Antwort Folge und ordnete am 7. Mai gezielte Luftangriffe auf neun mutmaßliche Terrorbasen in dem von Pakistan kontrollierten Teil Kaschmirs und der pakistanischen Provinz Punjab an. Pakistan konterte mit Drohnenangriffen und Raketenbeschuss.
Der Luftkrieg endete formell am 12. Mai mit einem vorläufigen Waffenstillstand. Pakistanischer Beschuss entlang der sogenannten Line of Control (der einst von der UNO ausgehandelten Waffenstillstandslinie) in Jammu und Kaschmir forderte 31 zivile Todesopfer auf indischer Seite. Den indischen Luftangriffen auf Pakistan erlagen ähnlich viele Zivilist*innen. Nach Angaben der indischen Armee wurden dabei 70 Terroristen getötet, die sich in den Zielgebieten aufgehalten hätten – wobei auch die Familien einiger von ihnen ums Leben kamen. In Indien sorgten die weit verbreiteten Bilder von der anschließenden öffentlichen Trauerfeier für Empörung, bei der Hafiz Abdur Rauf – ein führendes Mitglied der von der UNO sanktionierten islamistischen Falah-e-Insaniat Foundation – im Beisein pakistanischer Offiziere als Redner auftrat.
Auch wenn der fragile Waffenstillstand derzeit noch zu halten scheint, stehen einige drängende Fragen im Raum: Warum kam es zu dem Anschlag, und – viel wichtiger – was ist in den kommenden Wochen und Monaten zu erwarten? Was kann die internationale Gemeinschaft tun – sofern sie überhaupt etwas tun kann –, um die Kriegsgefahr zu verringern?
Was waren die Motive des Anschlags?
In ihrer ursprünglichen Erklärung präsentierte die Resistance Front ihren Angriff als Vergeltungsmaßnahme für die Entscheidung der Modi-Regierung vom August 2019, die in Artikel 370 der indischen Verfassung verankerte Autonomie von Jammu und Kaschmir aufzuheben. Dadurch wurde auch eine Regelung außer Kraft gesetzt, die Auswärtigen den Landkauf in der Region untersagte. Gleichzeitig verlor das Gebiet seinen Status als vollwertiger Bundesstaat. Dieser wurde in zwei miteinander verbundene Territorien aufgeteilt, die seither nicht mehr von einer gewählten Regierung, sondern von einem zentral eingesetzten Vizegouverneur verwaltet werden.
Inzwischen hatte die Modi-Regierung auf Anordnung des Obersten Gerichtshofs allerdings im Oktober 2024 Wahlen abgehalten. Jammu und Kaschmir verfügten also wieder über eine gewählte Regierung – wenngleich diese weiterhin dem Vizegouverneur untergeordnet war –, und es bestand große Hoffnung, dass die vollständige Wiederherstellung des alten territorialen Status bald folgen würde. Mit anderen Worten: Ein Prozess der Wiedergutmachung war bereits im Gange.
Unmittelbar vor den jüngsten Ereignissen sahen Jammu und Kaschmir einer vielversprechenden Tourismussaison entgegen. Die Branche sorgt für etwa 16 Prozent der regionalen Wirtschaftsleistung. Der Anschlag führte in diesem Sektor jedoch zu drastischen Einbrüchen und dürfte mit hoher Wahrscheinlichkeit auch die Wiederherstellung des Bundesstaats auf unbestimmte Zeit verzögern. Schwerer wiegt jedoch, dass sich der Fokus der indischen Regierung hinsichtlich der Region im Zuge des Anschlags von möglichen Friedensinitiativen zur Terrorbekämpfung verschoben hat, die so gut wie immer mit Verletzungen von Menschen- und Bürgerrechten einhergeht.
Genau darauf dürften die Angreifer es abgesehen haben. Ihre gezielte Auswahl nicht-muslimischer Opfer verweist auf ihr übergeordnetes Ziel, die gesellschaftliche Spaltung zwischen Hindus und Muslim*innen in Indien weiter zu vertiefen. Die täglichen Presseauftritte des Staatssekretärs im indischen Außenministerium Vikram Misri, bei denen er von der muslimischen Offizierin Sofiya Qureshi und der hinduistischen Staffelkommandantin Vyomika Singh flankiert wurde, sollten bewusst ein Zeichen für Einigkeit in Vielfalt setzen. Diese Geste konnte zwar die erhitzten Gemüter in der weiteren indischen Öffentlichkeit beruhigen, doch bleibt abzuwarten, ob und in welchem Ausmaß sie auch vor Ort eine Wirkung zu entfalten vermochte.
In einer Ansprache an die Nation lobte Ministerpräsident Modi die Geschlossenheit, mit der das Land auf die Ereignisse reagiert habe. Allerdings attackierten nationalistische Mobs in Teilen Indiens kaschmirische Studierende und Händler*innen. In den sozialen Medien kursieren Hassbotschaften und Falschmeldungen, darunter die Behauptung, die kaschmirischen Fremdenführer – die so viele Tourist*innen und insbesondere die Verletzten in Sicherheit brachten – seien nur am Tatort geblieben, um der Tötung von Hindus beizuwohnen. Solche Anschuldigungen wären beinahe lachhaft, wenn sie nicht derart abstoßend wären.
Misri wiederum, der selbst aus einer kaschmirischen Pandit-Familie stammt, sah sich in den sozialen Medien scharfen Anfeindungen ausgesetzt. Auch Sofiya Qureshi geriet ins Visier: Kunwar Vijay Shah, Mitglied im Bundeskabinett und Vorsitzender der Modi-Partei BJP im Bundesstaat Madhya Pradesh, bezeichnete sie öffentlich als «Terroristenschwester». Shah wurde zwar inzwischen vom Obersten Gerichtshof zu einer öffentlichen Entschuldigung aufgefordert, musste jedoch nicht zurücktreten.
Die Angriffe auf Kaschmiri sind seither zurückgegangen, unter anderem weil der Regierungschef von Jammu und Kaschmir, Omar Abdullah, mehrere Minister*innen in andere Bundesstaaten entsandte, um zur Besonnenheit aufzurufen. Ganz zum Erliegen gekommen ist die Gewalt jedoch nicht, und auch die Hassnachrichten in den sozialen Medien zirkulieren weiter – ohne jedes Bewusstsein dafür, dass dies den Terrorist*innen womöglich in die Hände spielt. Unterdessen wurde Ali Khan Mahmudabad, Professor an der renommierten Ashoka-Universität, aufgrund seiner kritischen Äußerungen über das schlechte öffentliche Bild, das die indischen Luftangriffe abgaben, zunächst verhaftet und eine Woche später gegen Zahlung einer Kaution freigelassen.
Ein Scharmützel, das sich seit 78 Jahren angebahnt hat
Wie es weitergeht, hängt maßgeblich vom Verhalten der pakistanischen Sharif-Regierung ab, und mehr noch davon, welche Rolle die internationale Gemeinschaft einnehmen wird. Offiziell will Pakistan weitgehend an seiner gegenwärtigen Politik festhalten – einschließlich der Protektion bewaffneter antiindischer Gruppen –, solange die Kaschmir-Frage ungelöst bleibt.
Der Konflikt um Kaschmir geht auf die Teilung Indiens im Jahr 1947 zurück. Damals fielen pakistanische Freischärler mit der Rechtfertigung in den Fürstenstaat ein, dessen mehrheitlich muslimische Bevölkerung müsse Teil Pakistans werden. Der damalige Maharadscha von Kaschmir schloss sich daraufhin Indien an, und indische sowie kaschmirische Truppen schlugen die Invasoren in einem sechs Monate währenden Krieg gemeinsam zurück. Schließlich brachte Indiens Ministerpräsident Jawaharlal Nehru die Angelegenheit vor die Vereinten Nationen. Der Krieg endete mit der Aufteilung des Staates entlang der von der UNO ausgehandelten Line of Control. Eine Reihe unverbindlicher UN-Resolutionen forderte anschließend, dass die kaschmirische Bevölkerung nach einem Rückzug der pakistanischen Streitkräfte in einem Referendum über ihre Zugehörigkeit zu Indien oder Pakistan entscheiden solle. Da Pakistan sich allerdings weigerte, sich aus den von ihm kontrollierten Gebieten – einem Teil von Jammu und Kaschmir sowie ganz Gilgit-Baltistan – zurückzuziehen, liefen diese Resolutionen ins Leere.
In den folgenden Jahren führten Indien und Pakistan zwei weitere Kriege, die jeweils mit einer Rückkehr zum Status quo ante endeten, obwohl Indien beide Male militärisch die Oberhand behalten hatte. 1972 einigten sich die Kontrahenten im Shimla-Abkommen darauf, ihren Konflikt künftig bilateral und auf friedlichem Wege zu lösen. Die anschließenden Friedensverhandlungen zielten in erster Linie darauf ab, die faktische Teilung Kaschmirs rechtlich zu formalisieren. Doch die Gespräche scheiterten immer wieder. Schließlich verwarf Pakistan diesen Ansatz 1980 endgültig und begann stattdessen, bewaffnete Gruppen für den Kampf im indisch kontrollierten Teil Kaschmirs zu rekrutieren, auszurüsten und auszubilden.
Mit den Protesten gegen mutmaßlich manipulierte Regionalwahlen in Jammu und Kaschmir bot sich 1987 eine Gelegenheit: Es brach ein von Pakistan aktiv unterstützter bewaffneter Aufstand aus, der nahezu ein Jahrzehnt andauerte. Auch in den darauffolgenden Jahren kam es immer wieder zu grenzüberschreitenden bewaffneten Angriffen, bei denen insgesamt über 80.000 Menschen ums Leben kamen. Mehrere Gesprächsrunden zwischen bewaffneten kaschmirischen Gruppierungen – darunter die Jammu-und-Kaschmir-Befreiungsfront und die Hizbul Mudschaheddin – und der indischen Regierung wurden wiederholt abrupt durch Anschläge in Jammu, Kaschmir oder anderen Teilen Indiens beendet.
Im Jahr 1999 initiierte der damalige indische Ministerpräsident Atal Bihari Vajpayee einen breit angelegten Friedensprozess, der sowohl Verhandlungen zwischen Indien und Pakistan als auch Gespräche der indischen Regierung mit Vertreter*innen der kaschmirischen Unabhängigkeitsbewegung umfasste, etwa der Allparteien-Hurriyat-Konferenz. Begleitend dazu wurde der Austausch zivilgesellschaftlicher Akteur*innen aus Indien, Pakistan und dem geteilten Jammu und Kaschmir gefördert. Vajpayees Amtsnachfolger Manmohan Singh weitete die friedenspolitischen Bemühungen in seiner Regierungszeit zwischen 2004 und 2014 weiter aus.
Insbesondere die beiden zuletzt genannten Initiativen waren enorm erfolgreich. So appellierten führende Repräsentant*innen der Unabhängigkeitsbewegung wie Abdul Ghani Lone 2000 an bewaffnete Gruppen aus Pakistan, die Waffen niederzulegen und sich an Friedensverhandlungen zu beteiligen. Lones mutiger Vorstoß kostete ihn zwar das Leben, war jedoch bedeutsam, weil er für Kaschmiri, die den bewaffneten Kampf hinter sich lassen wollten, einen politischen Raum öffnete. Auch die Allparteien-Hurriyat-Konferenz, die sich zu diesem Zeitpunkt bereits in geheimen Gesprächen mit einem Gesandten des indischen Ministerpräsidenten Vajpayee befand, begann in den Friedensgesprächen mit verschiedenen pakistanischen Regierungen – unter Ministerpräsident Nawaz Sharif, dem Präsidenten und Generalstabschef Pervez Muscharraf und anderen – zunehmend eine vermittelnde Rolle einzunehmen. Parallel dazu formierten sich in Indien und Pakistan breite zivilgesellschaftliche Bewegungen zur Unterstützung des Friedensprozesses.
Der große Durchbruch erfolgte in den Jahren 2006 und 2007, als die von Singh und Muscharraf ernannten Sondergesandten Satish Lamba und Tariq Aziz in einem diplomatischen Seitenkanal den Entwurf für eine Rahmenvereinbarung ausarbeiteten. Mit dieser bekannten sich beide Seiten zum Ziel der Abrüstung, Demobilisierung und Reintegration der in Pakistan ansässigen Gruppen, gefolgt von einem schrittweisen Truppenabbau auf beiden Seiten der Line of Control sowie entlang der internationalen Grenze. Beiden Teilen von Jammu und Kaschmir sollte Autonomie gewährt werden. Des Weiteren einigte man sich auf Verfahren zur gemeinsamen Erschließung von Ressourcen und Überwachung der Umsetzung der Vereinbarung. Begleitet wurde dieser Prozess von vertrauensbildenden Maßnahmen, etwa dem Handel und Reiseverkehr über die Line of Control hinweg.
Doch im Juli 2007 kam es zu einem Aufstand islamistischer Geistlicher gegen Muscharraf und der Belagerung der Roten Moschee in Islamabad, unweit des Armeehauptquartiers in Rawalpindi. Muscharraf bat um eine Verhandlungspause, der Singh zustimmte. Nach den Wahlen von 2008 übernahm Asif Ali Zardari in Pakistan die Regierungsmacht und trieb vor allem den Ausbau der wirtschaftlichen Beziehungen zwischen beiden Staaten voran, um ein geeignetes Klima für ein künftiges Kaschmir-Abkommen zu schaffen.
Die Terroranschläge in Mumbai im November 2008 machten diese Perspektive allerdings wieder zunichte. Zwar hatten Vajpayee und Singh während ihrer Amtszeiten die Verhandlungen mit Pakistan trotz mehrerer Anschläge fortgesetzt, doch war Mumbai der erste große Terroranschlag, der über fünf lange Tage live im indischen Fernsehen übertragen wurde. Das Ereignis markierte in vielerlei Hinsicht einen Wendepunkt: Keine indische Regierung würde fortan auf entschlossene Gegenmaßnahmen nach größeren Terroranschlägen verzichten können, und Friedensgespräche mit Pakistan können nur noch unter der Bedingung stattfinden, dass die Beendigung des grenzüberschreitenden Terrorismus dabei angegangen wird.
Die Singh-Regierung reagierte auf den Anschlag von Mumbai mit rechtsstaatlichen Mitteln. Sie legte Beweise vor, drängte auf eine gemeinsame Untersuchung und Strafverfolgung und wandte sich an die Financial Action Task Force (FATF), um Sanktionen gegen Pakistan aufgrund der Unterstützung bewaffneter antiindischer Formationen zu erwirken. Die Bemühungen trugen insofern Früchte, als mit LeT und Jaish-e-Mohammed zwei Gruppen auf die internationale Terrorliste gesetzt wurden, die von Pakistan aus operieren. Darüber hinaus setzte die FATF Pakistan auf ihre Graue Liste, was es dem Land erheblich schwerer macht, Investitionen und internationale Hilfsleistungen zu erhalten. Doch auch die Reaktionen innerhalb Pakistans zeigen die Brisanz der Lage: Der erste Sonderermittler der pakistanischen Justiz zum Anschlag in Mumbai wurde 2013 ermordet, seinem Nachfolger der Personenschutz entzogen. Die Verantwortlichen für den Angriff wurden in Pakistan bis heute nicht vor Gericht gestellt, und sämtliche Versuche, die Friedensgespräche wiederzubeleben, verliefen seither im Sande.
Als Modi 2014 Ministerpräsident wurde, ließ sein überraschender Besuch bei seinem pakistanischen Amtskollegen Sharif kurzzeitig Hoffnung auf eine Wiederaufnahme des Friedensprozesses aufkeimen. Sharif ernannte zwar den gemäßigten General Qamar Javed Bajwa zum Armeechef, der einen informellen Waffenstillstand entlang der Line of Control aushandelte und versuchte, die Armeeführung für einen wirtschaftsfreundlichen Kurs gegenüber Indien zu gewinnen, wurde jedoch vom Militär entmachtet und ins Exil nach London gezwungen. In der Folge schlitterte Pakistan in eine politische und ökonomische Krise, die nach wie vor anhält. Sharifs Nachfolger, Imran Khan, verlängerte 2019 zwar Bajwas Amtszeit als Armeechef, weshalb der Waffenstillstand zunächst Bestand hatte. Doch auch Khan wurde schließlich vom Militär entmachtet und befindet sich inzwischen in Haft.
Pakistan wird derzeit von einer schwachen Koalitionsregierung unter Shehbaz Sharif geführt, die allem Anschein nach noch stärker unter dem Einfluss des Militärs steht als ihre Vorgängerinnen. Legt man seine Rede vom 17. April 2025 zugrunde, so scheint der derzeitige Armeechef Asif Munir für eine Rückkehr zu einer kompromisslosen Doktrin zu stehen, die erstmals 1958 mit General Mohamed Ayub Khans Militärputsch Oberwasser erhielt und von General Zia-ul-Haq weiter verschärft wurde. Dieser zufolge stehen sich Inder*innen und Pakistani als religiöse und ethnische Erzfeind*innen gegenüber. Armeechef Munir, ein aktueller Vertreter dieser harten Linie, wurde erst kürzlich zum Feldmarschall befördert.
Unterdessen entsenden sowohl Indien als auch Pakistan parlamentarische Delegationen in internationale Hauptstädte: Indien, um für Unterstützung im Kampf gegen den Terrorismus zu werben; Pakistan, um Indien der Förderung des antipakistanischen Terrorismus zu bezichtigen, wie er beispielsweise durch eine Zugentführung der Belutschistan-Befreiungsfront im März 2025 zum Ausdruck komme. Doch während in Pakistan antiindische Gruppen aktiv sind, beheimatet Indien keine bewaffneten Gruppen der belutschischen Unabhängigkeitsbewegung.
Internationaler Druck ist entscheidend
Was also können andere Länder für den Frieden tun? Zunächst einmal können jene Staaten, die Einfluss auf beide Parteien haben – insbesondere die USA und europäische Staaten –, Pakistan über die UNO und die FATF zu Reformen drängen, die die Unterstützung terroristischer Gruppen unterbinden. Auch der Internationale Währungsfonds könnte dazu angehalten werden, sicherzustellen, dass kein Teil seiner Kredite an bewaffnete Gruppen oder deren Ideologen umgeleitet wird.
Es ist fraglich, ob das ausreichen wird, um die Modi-Regierung zu Friedensgesprächen mit Pakistan zu bewegen. Die pakistanische Armee ist zwar Teil des Problems, zeigt allerdings bisher wenig Bereitschaft, Teil der Lösung zu sein. Wie mir Satish Lamba, seinerzeit als indischer Gesandter tätig, mitteilte, war die pakistanische Armeeführung hinsichtlich der Singh-Muscharraf-Initiative tief gespalten. Laut pakistanischen Analyst*innen hat die Modi-Regierung während der Amtszeit von General Bajwa als Armeechef eine Gelegenheit verpasst, obwohl auch er mit dem gleichen Gegenwind hätte rechnen müssen, wie Muscharraf vor ihm. Modi pflegt seinerseits ein sorgfältig aufgebautes Image als starker Mann. Seine aufgehetzten Anhänger*innen würden Friedensgespräche als Zeichen der Schwäche auslegen, es sei denn, es gäbe ein glaubwürdiges Vorgehen gegen antiindische Gruppen in Pakistan, die die Modi-Regierung für eine Rechtfertigung von Verhandlungen nutzen könnte.
Dennoch wäre es naiv, mehr als Gespräche zu vertrauensbildenden Maßnahmen zu erwarten. Diese sollten jedoch nicht unterschätzt, sondern als wichtige kurz- oder mittelfristige Schritte betrachtet werden. Für Jammu und Kaschmir wären ein langfristiger Waffenstillstand und eine gemeinsame Überwachung der Sicherheit entlang der Line of Control und der internationalen Grenze eine große Erleichterung. Auf beiden Seiten der Linie müssen zerstörte Wohnhäuser und andere Gebäude wiederaufgebaut werden. Im indischen Teil Kaschmirs muss die Tourismusbranche sich wieder erholen. Und nicht zuletzt gilt es, die Wiederherstellung des Bundesstaates erneut auf die Tagesordnung zu setzen.
Mit Blick auf die von Pakistan kontrollierten Gebiete des ehemaligen Fürstenstaates gehen die Probleme noch tiefer. Die Führungspersönlichkeiten aus Politik und Zivilgesellschaft, mit denen ich in diesen Regionen einschließlich Gilgit-Baltistans gesprochen habe, betonten nachdrücklich, dass ihre demokratischen Rechte nur im Rahmen einer Einigung mit Indien verwirklicht werden könnten, die den gesamten ehemaligen Fürstenstaat umfasst. Ein Ende der Feindseligkeiten und die Einführung vertrauensbildender Maßnahmen würden auch sie sehr entlasten, selbst wenn ihre Rechte in einem solchen Szenario weiterhin eingeschränkt blieben.
Unterdessen fordern friedenspolitische Gruppen aus der Zivilgesellschaft gemeinsame und transparente Nachforschungen, um die Täter des Anschlags in Pahalgam zu identifizieren, festzunehmen und strafrechtlich zu verfolgen. Indiens letzter Versuch, eine gemeinsame Untersuchung in die Wege zu leiten, hinterließ zwar einen bitteren Nachgeschmack, doch wenn die Bemühungen um internationale Unterstützung bei der Bekämpfung von Terrorgruppen, die von Pakistan aus operieren, erfolgreich sein sollen, wird irgendeine Form der Untersuchung unerlässlich sein. Nach den Anschlägen in Mumbai spielten die pakistanische Zivilgesellschaft und insbesondere die Medien eine wichtige Rolle bei der Suche nach den Schuldigen. Nicht so dieses Mal – möglicherweise, weil die antipakistanische Schmährhetorik der BJP bei der Bevölkerung des Nachbarlandes tiefe Ablehnung auslöst. Vor diesem Hintergrund ist der Wiederaufbau des zivilgesellschaftlichen Dialogs – auch in Drittländern – von entscheidender Bedeutung.
Besondere Beachtung sollte dabei die Botschaft finden, die aus Jammu und Kaschmir zu hören war. Dort erhob sich nach dem Anschlag in Pahalgam eine spontane Welle der Trauer und Verurteilung der Tat. «Nicht in meinem Namen» war auf Plakaten bei den Mahnwachen zu lesen, die die Behauptung der Resistance Front zurückwiesen, für die pakistanische und kaschmirische Bevölkerung zu sprechen. Es steht außer Frage, dass sowohl Indien als auch Pakistan den Menschen in Jammu und Kaschmir auf unterschiedliche Weise und in unterschiedlichem Ausmaß Unrecht getan haben. Dieses Unrecht wird aber nicht durch gewalttätige Radikale und ihre Politik des Hasses behoben werden. Internationale Entscheidungsträger*innen und Medien täten gut daran, die Kaschmirfrage klar von der Frage des Terrorismus zu unterscheiden.
Während der blutigsten Monate nach der Teilung des Fürstenstaats sagte Mahatma Gandhi, er sehe «einen Hoffnungsschimmer» in Kaschmirs Weigerung, sich von der Gewalt mitreißen zu lassen. Die heutige Reaktion der Kaschmiri auf den Angriff von Pahalgam bietet einen ähnlichen Hoffnungsschimmer – zu hoffen bleibt, dass Indien in Jammu und Kaschmir die Menschen- und Bürgerrechte wiederherstellt und Pakistan die grenzüberschreitenden bewaffneten Gruppen bekämpft und seinerseits beginnt, sich der Frage der Menschen- und Bürgerrechte in den von ihm kontrollierten Teilen des ehemaligen Fürstenstaates anzunehmen.
Übersetzung von Carlotta Freigang und Maximilian Hauer für Gegensatz Translation Collective