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Den Aufschwung der Rechtsaußen-Partei «Reform UK» analysiert James Poulter

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James Poulter,

Nigel Farage auf einer Pressekonferenz in Westminster am 27. Mai 2025.
Nigel Farage auf einer Pressekonferenz in Westminster am 27. Mai 2025. Foto: IMAGO / News Licensing

Bei den Kommmunalwahlen im Vereinigten Königreich von Anfang Mai hat die rechtspopulistische Partei Reform UK nicht nur die meisten Stimmen gewonnen, sondern auch die Kontrolle über zehn Stadträte übernommen, Hunderte von Stadtratssitzen erobert, zwei hochrangige Bürgermeisterämter errungen und sogar eine Nachwahl zum Unterhaus knapp für sich entschieden. Unter der Führung von Nigel Farage, dem ehemaligen Frontmann der United Kingdom Independence Party (UKIP), erhält die Partei in Umfragen derzeit 32 Prozent der Wählerstimmen und damit zehn Prozent mehr als die regierende Labour-Partei.

James Poulter ist ein britischer Investigativjournalist mit über 20 Jahren Erfahrung in der Beobachtung der extremen Rechten.

Woher kommt diese neu gewonnene Popularität? Der Wahlkampf von Reform UK konzentrierte sich auf rechtspopulistische Themen wie die drastische Verringerung der Einwanderung, die Ablehnung der kostenintensiven «Null-Emissions»-Klimapolitik, Steuersenkungen und die Kritik an einem abgehobenen politischen Establishment. Diese Themen kommen bei den Wähler*innen gut an. Der Frust über die hohe Zuwanderung und den eigenen sinkenden Lebensstandard ist groß. Viele haben den Eindruck, dass die Konservativen und nun auch Labour es nicht geschafft haben, für bessere öffentliche Dienstleistungen und wirtschaftliche Entwicklung zu sorgen. 

Die Anti-Establishment-Rhetorik von Reform UK nutzt die wachsende Enttäuschung der Wähler*innen über das Zweiparteiensystem, die zum großen Teil durch den andauernden Anstieg der Lebenshaltungskosten entsteht. In gewisser Weise scheint sie die Energie der damaligen Brexit-Stimmung in neuer Form wiederzubeleben. Das nimmt nicht wunder, ist doch die Basis der Reformpartei eng mit jener ihrer euroskeptischen Vorgänger – der UKIP und der Brexit-Partei – verbunden.

Reform-Wähler*innen sind in der Regel über 45 Jahre alt, überproportional männlich und fast durchweg für den Brexit. Eine große Mehrheit von ihnen unterstützte 2019 die Konservative Partei unter Boris Johnson.

Geografisch betrachtet, konzentriert sich die Stärke der Partei auf die Midlands (Mittelengland), Städte im Norden und kleinere Grafschaften im Süden Englands. Im weltoffenen London oder in Schottland bleibt die Unterstützung gering. Bei den letzten Kommunalwahlen konnte die Partei sowohl desillusionierte Tory-Wähler*innen in den traditionell konservativen Grafschaften als auch Arbeiter*innen in den postindustriellen Labour-Kerngebieten für sich gewinnen und Dutzende amtierende Ratsmitglieder der beiden großen Parteien ablösen.

Kommentator*innen vermuten, dass der Aufstieg von Reform UK Ausdruck einer weit verbreiteten politischen Unzufriedenheit ist. «Der Erfolg von Reform UK [...] spiegelt zweifellos die Stimmung einer Wählerschaft wider, die weiterhin wenig Vertrauen in die Konservativen besitzt und sich nunmehr auch von Labours Regierungspolitik enttäuscht zeigt. Besonders beliebt ist sie jedoch offensichtlich in jenem Teil Großbritanniens, der vor einem Jahrzehnt mit seinem Votum für den Brexit die politischen Verhältnisse auf den Kopf stellte und dies nun erneut getan hat», so der Meinungsforscher Sir John Curtice. Da die beiden großen Parteien gleichermaßen unbeliebt seien, markiere der Aufstieg von Reform UK ein Phänomen, «das in der britischen Politik nahezu beispiellos ist», sagt Tony Travers, Professor für Politikwissenschaft an der London School of Economics.

Sofern es keinen unerwarteten politischen Rückschlag gibt, scheint Reform UK auf dem besten Weg zu sein, die nächste britische Regierung zu bilden. Sollte es dazu kommen, wäre dies die am weitesten rechts stehende Regierungspartei Großbritanniens seit Jahrzehnten, die sich offen mit dem Trumpismus verbünden und eine nationalistischen Agenda verfolgen würde, die im krassen Gegensatz zu den etablierten demokratischen Werten steht. Eine solche Regierung würde wahrscheinlich eine harte Anti-Migrations-Politik einführen, die Bürgerrechte aushöhlen und öffentliche Dienstleistungen aggressiv privatisieren – eine Politik, die die britische Gesellschaft grundlegend verändern und den über Generationen erkämpften sozialen Fortschritt rückgängig machen könnte.

Populismus mit dem Silberlöffel

Der Parteivorsitzende, Nigel Farage, ist ein britischer Rechtsaußen-Politiker und prominenter politischer Kommentator, der zu einiger Medienberühmtheit gelangte. Obwohl er ein Anti-Establishment-Image pflegt, ist Farage ein an Privatschulen ausgebildeter Millionär, der zuvor als Rohstoffhändler an der Londoner Metallbörse arbeitete. Nach sieben gescheiterten Anläufen wurde er schließlich bei der britischen Parlamentswahl 2024 ins Unterhaus gewählt; zuvor war er bereits von 1999 bis zum Brexit im Jahr 2020 Mitglied des Europäischen Parlaments. Obwohl er sich als Gegner dieser Institution inszeniert, bezieht er aus dieser Zeit eine großzügige Rente. 

Farage wurde reich geboren. Sein Vater, ein Börsenmakler, verließ die Familie, als Nigel Farage fünf Jahre alt war. Dieser wurde am renommierten Dulwich College im Süden Londons ausgebildet. Während seiner Schulzeit sah Farage sich mit dem Vorwurf konfrontiert, er vertrete faschistische Ansichten. Lehrer*innen warnten davor, den Teenager zu einem der Schülersprecher zu machen, weil sie befürchteten, dass er «rassistische» und «neofaschistische» Ansichten vertrete, wie aus einem Schreiben hervorgeht, das Channel 4 News vorliegt. Berichten zufolge warf ihm die Lehrerschaft beleidigendes Verhalten und das Singen von Liedern der Hitlerjugend vor.

Als er mit 18 Jahren die Schule verließ, begann Farage als Händler in der Stadt zu arbeiten, anstatt zu studieren. Er war ein thatcheristischer Unruhestifter, trat aber aus der Konservativen Partei aus, nachdem das Vereinigte Königreich 1992 den Vertrag von Maastricht unterzeichnet hatte. Im Jahr 1993 schloss er sich der neu gegründeten UKIP an, um sich für den Austritt Großbritanniens aus der EU einzusetzen, und kandidierte 1994 erstmals erfolglos für das britische Parlament.

Laut Briefen, die der Guardian in einem Archiv fand, bat Farage im selben Jahr den für seine 1968 gehaltene Rede «Flüsse aus Blut» berüchtigten Enoch Powell, die UKIP zu unterstützen. Die UKIP lud Powell später noch zweimal ein, für sie als Kandidat anzutreten. Farage bezeichnete Powell als politischen Helden und sagte, dass er zwar bei der «Rassenintegration» falsch gelegen habe, der «zentrale Kern» seiner Ansichten zur Einwanderung jedoch «wahr» sei. Ein Berater der UKIP behauptete, Farage habe Powell nur wegen seiner Euroskepsis angesprochen, nicht wegen seiner Ansichten zur Rassenideologie.

Farages Hin und Her in Bezug auf sein parteipolitisches Engagement ermöglichte letztlich die Gründung von Reform UK.

Berichten zufolge traf Farage 1997 zwei Mitglieder der faschistischen British National Party (BNP). Es gab ein Mittagessen mit dem BNP-Führungskader Mark Deavin, kurz nachdem die UKIP diesen wegen Unterwanderung der Partei ausgeschlossen hatte. Ein Foto des Treffens zeigt Farage mit Deavin und Tony Lecomber, einem BNP-Mitglied, das in den 1980er Jahren wegen eines Sprengstoffanschlags und eines Messerangriffs auf einen jüdischen Lehrer zu Haftstrafen verurteilt worden war. Damals behauptete Farage, sich nicht mehr an ein Treffen mit Lecomber erinnern zu können, und erklärte, das Foto sei möglicherweise «gefälscht». Dem Guardian sagte er: «Ich habe Herrn Deavin auf seine Bitte hin kurz getroffen [...]. Ich kann mich nicht daran erinnern, Herrn Lecomber jemals in meinem Leben getroffen oder mit ihm gesprochen zu haben.» Der Guardian berichtete auch darüber, dass UKIP-Mitglieder mit Unverständnis reagierten, wenn Farage nach Ausschusssitzungen in der Kneipe rassistische Schimpfwörter gebrauchte.

Farages europäische Karriere begann ungefähr zur gleichen Zeit, als er 1999 als UKIP-Abgeordneter für den Südosten Englands ins Europäische Parlament gewählt wurde. Im Jahr 2006 wurde er zum ersten Mal UKIP-Vorsitzender und war anschließend regelmäßiger Gast im Fernsehen. Farage war 38 Mal in der BBC-Flaggschiff-Sendung Question Time zu Gast und trat mehrfach in der Satire-Sendung Have I Got News For You auf.

Die Politik, die Farage vertritt, ähnelt der seines engen Freundes, des US-Präsidenten, Immobilienmaklers und Reality-TV-Stars Donald Trump. Die beiden sind gegen Einwanderung, gegen Klimaschutz, für fossile Brennstoffe und für Steuersenkungen zur Senkung der öffentlichen Ausgaben. Beide Männer wurden während der Thatcher-Reagan-Ära in den 1980er Jahren reich und haben ihre politischen Projekte bis zu einem gewissen Grad bis heute fortgesetzt. Trump und Farage sind beide im Reality-TV aufgetreten, Farage als Kandidat bei ITVs I'm A Celebrity... Get Me Out Of Here! und Trump als Moderator der Reality-TV-Show The ApprenticeSie scheinen absichtlich die Grenzen zwischen Demagogie, Berühmtheit und Geschäft zu verwischen, um ihren Reichtum durch politische Macht zu vermehren.

Farage, der Wendehals 

Diese frühe Vermischung von Politik und Prominenz verhalf der UKIP bei den Europawahlen 2009 zu einem Durchbruch, bei dem die Partei fast 2,5 Millionen Stimmen erhielt (16 Prozent) und damit mehr als die Labour-Partei (15,2 Prozent). Nach der Wahl trat Farage als UKIP-Vorsitzender zurück, um bei der Unterhauswahl 2010 zu kandidieren, wie er gegenüber der Times erklärte: «Die internen Kämpfe haben so viel Zeit in Anspruch genommen». Am Wahltag wurde er bei einem Flugzeugabsturz verletzt, während er mit einem UKIP-Wahlkampfbanner flog. Den Ermittler*innen zufolge verhedderte sich das Transparent im Höhenleitwerk des Flugzeugs, das daraufhin in einen Sturzflug geriet. Der Pilot wurde später verurteilt, weil er damit gedroht hatte, sowohl Farage als auch einen Flugunfallermittler zu töten. Im November 2010 kehrte Farage dann als UKIP-Vorsitzender zurück, nachdem er die Wahl zum Parteivorsitzenden gewonnen hatte.

Farages Hin und Her in Bezug auf sein parteipolitisches Engagement ermöglichte letztlich die Gründung von Reform UK. Nachdem er eine führende Rolle beim Brexit-Referendum 2016 gespielt hatte, trat er 2018 live im Radio aus der UKIP aus und beendete damit seine 25-jährige Mitgliedschaft. Grund dafür war die Einstellung des antimuslimischen Hasspredigers Stephen Yaxley-Lennon (auch bekannt unter dem Namen Tommy Robinson) als Berater durch den Parteivorsitzenden Gerard Batten. Als ehemaliges BNP-Mitglied und früherer Anführer der English Defence League war Yaxley-Lennon unter Farage von einer Mitgliedschaft in der Partei ausgeschlossen worden. Farage sagte, Batten sei «besessen von der Frage des Islam», und warnte, die UKIP werde zu einer Partei, die «einen religiösen Kreuzzug» führe. Farage blieb Abgeordneter im Europäischen Parlament, während die UKIP eine Phase des Niedergangs erlebte. Die Anhänger*innen von Yaxley-Lennon haben inzwischen die volle Kontrolle über die zunehmend irrelevante Partei übernommen.

Als aufgrund der Brexit-Verzögerung Neuwahlen drohten, gründete Farage im April 2019 die Brexit-Partei, um politisch relevant zu bleiben und seinen Sitz im Europäischen Parlament zu sichern. Farage erklärte, die Partei sei «zutiefst intolerant gegenüber jeglicher Intoleranz», und prahlte damit, dass sie bereits 750.000 Pfund St. an Kleinspenden gesammelt habe. Er distanzierte sich von der Umarmung der UKIP durch die Rechtsextremen, setzte aber weiterhin auf eine migrantenfeindliche Rhetorik und Kulturkampfpolitik. Batten tat die neue Partei unterdessen als «Vehikel» für Farages Wiederwahl ab.

Als Großbritannien die EU verließ, endete auch Farage Zeit im Europäischen Parlament. Anschließend änderte die Brexit-Partei ihren Namen zu Reform UK. Farage erklärte, er werde sich 2021 aus der Parteipolitik zurückziehen, und wechselte als Moderator für die Hauptsendezeit zum Sender GB News. Dieser startete im selben Jahr mit dem Versprechen, ein meinungsstarkes, anti-«wokes» Programm zu senden. Unterstützt von Pro-Brexit-Geldgebern, stellte der Sender ehemalige Mitglieder der Brexit-Partei ein und machte sich Themen des Kulturkampfes zu Eigen.

Im Vorfeld der britischen Parlamentswahl 2024 beteuerte Farage, dass er nicht erneut antreten werde. Einen Monat vor der Abstimmung kündigte er jedoch an, dass er für Reform UK kandidieren und den Parteivorsitz übernehmen werde. Nun, da er wieder in der Politik ist, könnte er auch der nächste britische Premierminister werden.

Flirt mit der extremen Rechten

Der Wandel in der britischen Politik wurde durch die Ereignisse jenseits des Atlantiks vorangetrieben. Farages Freundschaft mit Trump schien auch die Tür zu öffnen für die Finanzierung durch den reichsten Mann der Welt, den Milliardär Elon Musk. Doch trotz diverser Treffen mit Farage und dem milliardenschweren Schatzmeister der Partei zog Musk seine Unterstützung schließlich zurück und forderte Reform UK auf, Farage zu ersetzen, nachdem dieser sich von Yaxley-Lennon distanziert hatte.

Musk erklärte, Farage habe «nicht das Zeug dazu», und lobte die Online-Posts des damaligen Reform-Abgeordneten Rupert Lowe mit den Worten, diese seien «sehr sinnvoll». Zuvor hatte Musk fälschlicherweise behauptet, Yaxley-Lennon sei inhaftiert worden, «weil er die Wahrheit gesagt hat». Farage stellte daraufhin klar, dass Yaxley-Lennon wegen Missachtung des Gerichts inhaftiert worden sei, nicht – wie von Musk behauptet – wegen seiner Äußerungen über sogenannte Grooming Gangs. Nachdem er zuvor erklärt hatte, Reform UK befinde sich in Finanzierungsgesprächen mit Musk, erklärte Farage nun: «Elon ist ein bemerkenswerter Mensch, aber in diesem Punkt bin ich leider anderer Meinung [...]. Ich verkaufe niemals meine Prinzipien.»

Die Inhaftierung Yaxley-Lennons wurde zum Streitpunkt innerhalb der Partei. Howard Cox, der frühere Reform-Bürgermeisterkandidat für London, hat deswegen als einer der wenigen Mächtigen die Partei verlassen. Als der stellvertretende Vorsitzende Richard Tice die Partei von Yaxley-Lennon-Anhänger*innen distanzierte, hatte Cox ihm beigepflichtet und gesagt, er sei «einer von ihnen». Später enthüllte er, dass ihm wegen seiner Äußerungen «mit Ausschluss gedroht» worden sei und er deshalb die Partei verlassen habe. Der im Juli 2024 als stellvertretender Parteivorsitzender abgesetzte Ben Habib hatte ebenfalls die Anhänger*innen von Yaxley-Lennon verteidigt und sie «Reform-Wähler und unsere Freunde » genannt.

Diese von Musk verschärfte Spaltung erreichte ihren Höhepunkt mit dem Ausschluss von Rupert Lowe, einem der damals vier Abgeordneten von Reform UK. Lowe ist Millionär und ehemaliger Fußballclubbesitzer, der in die Politik ging und als Abgeordneter der Brexit-Partei an der Seite von Farage ins Parlament gewählt wurde. Lowe ist auch intensiver Nutzer von Musks Social-Media-Plattform X, auf der er rechtsextreme Reden hält und zu Massenabschiebungen aufruft. Dies führte dazu, dass seine Popularität innerhalb von Reform UK zunahm. Mit Musks Unterstützung wurde er zum internen Rivalen von Farage.

Farage ist bekannt dafür, aufstrebende Rivalen schnell zu entfernen. Dies wurde auch Lowe zum Verhängnis. Farages Stärke im Wahlkampf ist der Personenkult. Die interne Spaltung der Partei lässt sich auf Farages zentralisierte Führung, eine chaotische Organisationsstruktur und das Fehlen einer Basis bzw. einer funktionierenden Parteiinfrastruktur zurückführen. Trotz ihrer wachsenden Attraktivität bei den Wähler*innen ist es der Partei wiederholt nicht gelungen, Dissens zu unterdrücken, eine kollektive Führung aufzubauen oder eine geschlossene Front zu präsentieren. Diese Schwächen drohen, ihre Ambitionen zunichtezumachen.

Nur einen Tag, nachdem Lowe in einem Interview Farage angegriffen und die Partei als «vom Messias geführte Protestbewegung» bezeichnet hatte, verlor er seinen Posten als whip (eine Art Parlamentarischer Geschäftsführer). Die Partei reagierte, indem sie Lowe beschuldigte, Mitarbeiter*innen zu schikanieren und die Parteivorsitzende, Zia Yusuf, zu bedrohen. Die Staatsanwaltschaft bestätigte später, dass sie keine Anklage wegen der angeblichen Drohungen erheben würde; Lowe selbst bestritt jegliches Fehlverhalten und behauptete, er sei das Ziel einer politischen Hexenjagd. Dennoch zeigte sich erneut, wie straff Farage die Partei kontrolliert und wie anfällig diese ist für interne Kämpfe – insbesondere, wenn potenzielle Rivalen auftauchen.

Gleichzeitig zieht die Partei auch das Interesse jener britischen Rechtsextremen auf sich, die Farage eigentlich ablehnt. So forderte Mark Collett, ein ehemaliger BNP-Jugendfunktionär und derzeitiger Anführer der faschistischen Gruppe Patriotic Alternative, seine Anhänger*innen auf, Reform UK nicht als Konkurrenten, sondern als Vehikel zur Durchsetzung der eigenen Ziele zu betrachten. Collett verlangte von ihnen, nicht mehr gegen Reform UK zu kandidieren, da «jede ethno-nationalistische Partei, die gegen Reform antritt, gedemütigt» werde, weil beide von der Wählerschaft als «einwanderungsfeindlich» angesehen würden, während nur Reform über hinreichend Glaubwürdigkeit und Ressourcen verfüge, um erfolgreich zu sein. Stattdessen schlägt er vor, dass diejenigen, «die noch nicht bekannt sind und ein sauberes öffentliches Image haben», Reform UK beitreten und «helfen sollen, die Partei von innen heraus zu lenken», während andere daran arbeiten, eine nationalistische Gemeinschaft außerhalb des Wahlsystems aufzubauen, um «für die Bürgerrechte der indigenen Bevölkerung der britischen Inseln einzutreten».

Ein Sprecher der antifaschistischen Forschungsgruppe Red Flare sagte: «Mark Collett und seine Anhänger*innen sind fanatische Neonazis, die ihre Bewunderung für Hitler zum Ausdruck gebracht, das Dritte Reich verherrlicht und wiederholt den Holocaust geleugnet und gefeiert haben. Mitglieder der Patriotic Alternative wurden bereits wegen Terrorismus und Hassreden festgenommen. Diese fanatischen Hitler-Sympathisanten, die offen ihre Unterstützung für eine politische Partei mit fünf Abgeordneten zum Ausdruck bringen, sollten die Alarmglocken bei den Millionen von Menschen in Großbritannien läuten lassen, die faschistische und rassistische Politik ablehnen.»

Auf der Welle surfen

Der kometenhafte Aufstieg von Reform UK ist keineswegs nur eine britische Geschichte. Er spiegelt einen größeren politischen Trend wider: den weltweiten Zusammenbruch von Parteien der Mitte, das Wachstum reaktionärer Anti-Establishment-Bewegungen und die Normalisierung rechtsextremer Politik. Ähnlich wie Trump in den USA, Marine Le Pen in Frankreich oder Javier Milei in Argentinien bedient sich Farage einer Mischung aus Prominenz, Nationalismus und Kulturkampfpopulismus, um über die Klassengrenzen hinweg Zustimmung zu finden und die etablierte politische Ordnung zu stören.

Die derzeitigen Umfragewerte der Partei, die durchweg über 30 Prozent liegen, nähren – in Verbindung mit Farages hohem persönlichen Bekanntheitsgrad – Spekulationen, er könne Premierminister werden. Dazu müsste die Unterstützung jedoch für weitere vier Jahre stabil bleiben. Angesichts der Unbeständigkeit der britischen Politik ist dies alles andere als ausgemacht. Die Partei wird in den Regionen, die sie jetzt kontrolliert, auf dem Prüfstand stehen und ihre Bilanz in den Kommunalverwaltungen verteidigen müssen. Ihr internes Chaos, ihre schwache Organisation und Abhängigkeit von Farage sind nach wie vor erhebliche Schwachstellen.

Fest steht jedoch, dass Reform UK den Zusammenbruch des britischen Zweiparteiensystems beschleunigt hat, wobei die Konservative Partei die größten Verluste verzeichnete. Bei den letzten Kommunalwahlen verloren die Konservativen alle 18 Gemeinderäte, in denen sie über die Mehrheit verfügt hatten; Reform UK gewann acht davon. Im Dezember behauptete die Partei, dass sie mehr Mitglieder habe, als die 131.000 Mitglieder zählenden Konservativen. Neue Umfragen zeigen, dass die Wähler*innen Reform UK – und nicht die Conservative Party – als wichtigste Oppositionspartei sehen. Sie glauben zudem, dass Farage größere Chancen besitzt, Premierminister zu werden, als die neue Vorsitzende der Konservativen, Kemi Badenoch.

Farages Partei hat bereits ein großes Ziel erreicht: Sie hat die britische Politik nach ihren eigenen Vorstellungen umgestaltet und die politische Mitte weiter nach rechts verschoben.

Dan Evans, ein Schriftsteller und Soziologe aus Südwales und Autor von A Nation of Shopkeepers: The Unstoppable Rise of the Petty Bourgeoisie (Der unaufhaltsame Aufstieg des Kleinbürgertums), meint: 

«Reform UK ist, wie die meisten modernen rechtspopulistischen Bewegungen, ein klassenübergreifender Zusammenschluss, der Unterstützung aus dem gesamten sozialen Spektrum – von der Arbeiterklasse bis hin zur wohlhabenden Mittelschicht – gewinnt. Ich glaube jedoch, dass ihre wichtigste Unterstützergruppe und ihr ideologischer Schwerpunkt in der unteren Mittelschicht liegen. Diese ist meist gegen das Establishment und gegen zu viel staatliche Einmischung; sie konzentriert sich weitgehend auf den Produzentrismus, der die Weltanschauung dieser Gruppe direkt anspricht [indem er vorgibt, die arbeitende Mittelschicht vor Faulenzern und Eliten zu schützen – d. Red.]. In diesem Sinne sind Reform UK und Nigel Farage direkte Nachkommen des Thatcherismus.»

Evans hebt hervor, dass die Anziehungskraft der Partei nicht nur in kulturellen Missständen, sondern auch im wirtschaftlichen Niedergang der unteren Mittelschicht begründet liegt. Diese Gruppe wird oft als «eingezwängte Mitte» bezeichnet: selbstständige Handwerker*innen, Kleinunternehmer*innen und mittlere Angestellte, deren Lebensunterhalt durch stagnierende Löhne, steigende Kosten und schwindende Sicherheit ausgehöhlt wurde. Diese Frustration, argumentiert Evans, bilde einen fruchtbaren Nährboden für eine populistische Anti-Establishment-Botschaft. Evans fügt hinzu, es sei «wichtig festzustellen, dass die eingezwängte Mitte […] eine Folge des Zusammenbruchs der Mittelschicht ist. Deren Angehörige sind anscheinend stärker von der Austeritätspolitik betroffen als jede andere Gruppe. Hier wird an sehr reale wirtschaftliche Ängste appelliert.» Dieses Gefühl der Ungerechtigkeit und Enttäuschung trägt dazu bei, dass Reform UK eine Basis unter denjenigen aufbauen konnte, die sich abgehängt fühlen.

Im bisherigen Teil ihrer aktuellen Amtszeit kombinierte die Labour-Partei moderate soziale Investitionen mit einem Sparkurs, der Teile ihrer traditionellen Basis verunsichert hat. Die Partei hat die Steuern für Arbeitgeber*innen erhöht und sich zugleich an strenge, selbst auferlegte Haushaltsregeln gehalten – aber prominente Kürzungen wie die Bedürftigkeitsprüfung beim Heizkostenzuschuss und die Einführung einer Erbschaftsteuer auf Familienbetriebe haben Rentner*innen und kleine Landbesitzer*innen verprellt. Dadurch konnte Reform UK sowohl in der Arbeiterklasse als auch bei unzufriedenen Tory-Wähler*innen Stimmen gewinnen. Im Mai, als die Labour-Partei die Kontrolle über Stadträte in ganz England an Reform UK verlor, stellte sich diese als Verteidigerin älterer Menschen und ländlicher Gemeinden gegen technokratische Gleichgültigkeit dar.

Angesichts des Wachstums von Reform UK zeigen sich antirassistische Aktivist*innen besorgt, dass andere Parteien deren rassistische Politik übernehmen, um Reform-Wähler*innen zurückzugewinnen. Kojo Kyerewaa von Black Lives Matter UK argumentiert, dass Farages politisches Projekt die großen britischen Parteien konsequent zu einer härteren Migrationspolitik getrieben hat: 

«Reform UK ist die jüngste Neuauflage von Farages rechtsextremer politischer Karriere. Von der UKIP im Jahr 2006 bis zu Reform UK im Jahr 2025 haben Farage und seine politischen Verbündeten sowohl die Labour-Partei als auch die Konservativen immer wieder dazu gedrängt, die staatliche Gewalt gegenüber Migrant*innen zu verstärken. Seit Reform UK vier Millionen Stimmen erhielt, immerhin fast halb so viel wie Labour, hat die Labour-Partei unter der Führung von Keir Starmer nicht nur die Anti-Migrations- und Pro-Abschiebungsrhetorik verstärkt; sie hat zudem Abschiebeflüge live übertragen, Rekorde aufgestellt für die höchste Anzahl von Kindern und Erwachsenen, die in einem Zeitraum von zwölf Monaten abgeschoben wurden, und versprochen, die Wartezeit für die Erlangung der britischen Staatsbürgerschaft für legal Eingewanderte von fünf auf zehn Jahre zu erhöhen. Bei den Nachwahlen in Runcorn setzte sich der Labour-Kandidat, der von Reform knapp geschlagen wurde, für die Schließung des Hotels ein, in dem Asylbewerber*innen im Wahlkreis untergebracht wurden. Reform UK hat Gewalt gegen Migrant*innen und andere Minderheiten auf der Straße und im Parlament normalisiert und gefördert. Die Partei könnte durchaus ein Koalitionspartner für die nächste Regierung werden.»

Farages Partei hat bereits ein großes Ziel erreicht: Sie hat die britische Politik nach ihren eigenen Vorstellungen umgestaltet und die politische Mitte weiter nach rechts verschoben. Ihr Einfluss wird nicht nur in parlamentarischen Sitzen gemessen, sondern auch in der Macht des Agenda-Settings, die sie bereits ausübt. 

Unabhängig davon, ob sie 2029 tatsächlich gewinnt, hat sich Reform UK bereits jetzt als gefährliche, destabilisierende Kraft in der britischen Demokratie etabliert – eine Kraft, die Teil eines viel größeren, zutiefst beunruhigenden internationalen Trends ist.

Übersetzung von Dorit Riethmüller.