Hintergrund | Krieg / Frieden - Militarisierung Die Kultur der Militarisierung

Das Militärische hält Einzug in den Alltag – aber die Deutschen wollen nicht kriegstüchtig werden

Information

Autor

Ingar Solty,

Bundeswehr-Parcours auf der Fitness- und Gesundheitsmesse FIBO in Köln (2024). Foto: IMAGO / Panama Pictures

Eine Liebesbeziehung verband mich in den ersten fünf Jahren des 21. Jahrhunderts mit den USA. Es war die Zeit von Afghanistan- und Irakkrieg. Durch den Bruder meiner Partnerin lernte ich die besondere militaristische Kultur der USA aus der Nähe kennen. Er war Kampfpilot und auf der USS Constellation am Irakkrieg beteiligt. Dies war das 21. Jahrhundert, aber ich fühlte mich an «Der Untertan» von Heinrich Mann und an Gemälde von George Grosz und Otto Dix erinnert. Eine Kultur, in der man T-Shirts der Top Gun-Kampfpilotenschule trägt und aus Kaffeetassen mit Ronald Reagan-Sätzen wie «Freedom is defended by the shield of readiness» trank, schien mir unwirklich. Ironisch hängten wir in unserer WG das Poster eines Rüstungskonzerns auf, das einen Flugzeugträger darstellt, darunter die Botschaft: «90,000 tons of diplomacy». In Deutschland sei diese kriegsverherrlichende Kultur für ewig und drei Tage vorbei, dachte ich. Ich habe mich geirrt. Die «Zeitenwende» belehrt uns eines Besseren.

In Deutschlands außenpolitischem Establishment hat sich seit 1999, seit dem NATO-Krieg im Kosovo mit deutscher Beteiligung, ein Konsens herausgebildet, dass das Land es sich nicht leisten könne, ein zwar wirtschaftlicher Riese, aber außenpolitischer Zwerg zu sein. Die bisher praktizierte «Politik der militärischen Zurückhaltung» habe ausgedient. 

Dieser Konsens war immer US-amerikanisch bestimmt, umso mehr, seit Präsident Barack Obama 2011 den «Schwenk nach Asien» erklärte und die USA immer vehementer Aufrüstungsmaßnahmen forderten, die sich am Zweiprozentziel der NATO orientieren sollten. Zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts – nicht des Staatshaushalts, wohlgemerkt! Die europäischen NATO-Staaten sollten den USA den Rücken gegen China stärken, dessen weltwirtschaftlichen Aufstieg die Vereinigten Staaten zur Sicherung ihrer ökonomischen Vorherrschaft erklärtermaßen verhindern wollen. Auf dem NATO-Gipfel in Vilnius wurde 2014 vereinbart, dass kein Mitglied mehr als 50 Prozent der NATO-Militärausgaben schultern solle. Seit der Jahrtausendwende bauten Deutschland und die europäischen NATO-Staaten ihre Armeen zu Interventionskräften um mit dem Ziel, global kriegsfähig zu sein. Dieser Prozess lief weitgehend ohne Steigerung der Militärausgaben ab. Seit 2013 wird auch quantitativ aufgerüstet.

Die Aufrüstung war in diesem Sinne nie reaktiv und defensiv, nie bloße Antwort auf eine Bedrohung von außen, etwa durch Russland, sondern immer proaktiv und offensiv. Darum lohnt in Zukunft auch das genaue Studium der konkreten Waffensysteme, die nun angeschafft werden, und die Frage: Dienen diese Waffen der vom Grundgesetz vorgegebenen Landesverteidigung?

Am 24. Februar 2022 marschierte Russland völkerrechtswidrig in der Ukraine ein. Drei Tage später erklärte der deutsche Bundeskanzler im Bundestag die «Zeitenwende». Sie erscheint damit als Reaktion auf die Ereignisse. Faktisch aber war sie schon beschlossene Sache lange bevor es im Dezember 2021 seitens der CIA die ersten Warnungen vor einer drohenden russischen Invasion gab. Denn sie steht im Wesentlichen – bis hinein in anzuschaffende Waffengattungen – im Koalitionsvertrag der «Ampel»-Parteien SPD, Grüne und FDP, der schon im November 2021 abgeschlossen und der Öffentlichkeit vorgestellt war.

Vor der «Zeitenwende», die, zumindest ihrer Darstellung nach ja eine grundsatzpolitische 180 Grad-Kehrtwende, ohne breite öffentliche Diskussion in Parlament, Parteien, Hochschulen, Gewerkschaften, Sozialverbänden, Industrieverbänden und öffentlich-rechtlichen und privaten Medien vom engsten Regierungskreis beschlossen wurde, gab es die «Zäsur» von Ende 2013/2014. Hier diente die völkerrechtlich dubiose Volksabstimmung auf der Krim-Halbinsel, bei der sich am 18. März 2014 95 Prozent der Bevölkerung für den Anschluss an das russische Staatsgebiet aussprachen, als Rechtfertigung für die «reaktiven» Maßnahmen. Doch auch damals war dies nicht der Auslöser, sondern günstiger Anlass, die eigene offensive Aufrüstung als defensiv darzustellen. Auch damals wurde die Aufrüstung vor dem Euromaidan in Kiew und dem anschließenden Bürgerkrieg in der Ukraine beschlossen, von der im Herbst 2013 gebildeten Bundesregierung.

Militarisierung als Elitenprojekt

Das politische Vorgehen, offensive und proaktive Aufrüstung als defensiv und reaktiv darzustellen, gehört zum Geschäft. Nach Anna Morelli ist das erste Prinzip der Kriegspropaganda, welches selbst auf Adolf Hitler zutrifft, die Beteuerung, dass man selbst friedliebend sei und die eigene Aufrüstung ja gar nicht will. «Da Krieg und seine grauenhaften Begleiterscheinungen nur selten populär sind», schreibt Morelli, «können Regierungen gar nicht umhin, sich vorab als Friedensfürsten darzustellen.» Als etwa die französische Regierung 1914 mobil machte, habe «sie denn auch sofort» erklärt, «dass eine Mobilmachung ja noch kein Krieg sei, sondern im Gegenteil das beste Mittel zur Aufrechterhaltung des Friedens».[1]

Die Produktion von Ideologie zur Rechtfertigung militärischer Aggression ist das eigentliche Element der Propaganda. Nirgendwo sieht man sie so sehr am Werk. Schließlich muss sie begründen, warum das bürgerliche Individuum lebenslänglich ins Gefängnis wandert oder sogar hingerichtet wird, wenn es einen einzelnen Menschen tötet, es aber im Kriegsfall nicht nur erlaubt ist, sondern sogar erwünscht, dass Bauern und Arbeiter des einen Landes Bauern und Arbeiter eines anderen Landes hassen, verstümmeln und töten. «Der systematische Einsatz der ganzen Bandbreite moderner Medien, mit denen [im Ersten Weltkrieg] die Bevölkerungen zu fanatischer Zustimmung» und zum «Massenenthusiasmus hinsichtlich der Aussicht auf eine globale Schlacht aufgestachelt» worden seien, verkörpere eine «außerordentliche staatliche Leistung», schreibt Mark Crispin Miller in der Einleitung zum 1928 publizierten Werk «Propaganda» von Edward Bernays. In diesem begründete der Neffe von Sigmund Freud alles Denken über die Nutzbarmachung des (psychoanalytischen) Wissens über die menschliche Psyche zur Beeinflussung von Bewusstsein – vom Krieg bis zur Werbebranche. Im Sinne der «Propaganda» nannte Bernays sein Tun später in «Public Relations» um.[2]

Kriegspropaganda hat indes auch Grenzen. Sie bleibt hochgradig widersprüchlich, durchschaubar und nutzt sich vor allem im Laufe von Kriegen rasch ab. Sie ist umso nötiger gegenüber Bevölkerungen, in denen die Erinnerung an den Krieg noch lebendig ist. 

Dies gilt in besonderer Weise für Deutschland. Schon im Mai 1919 beobachtete Kurt Tucholsky, den die Erfahrung des Weltkriegs zum radikalen Antimilitaristen gemacht hatte, in «Das Heil von außen» die Wiederkehr des Militarismus und er prophezeite: «Und haben wir den Krieg verloren:/ die Herren, silberig besternt,/ verschließen ihre langen Ohren –/ sie haben nichts dazugelernt./ Und nur ein Friede kann uns retten,/ ein Friede, der dies Heer zerbricht,/ zerbricht die alten Eisenketten –/ der Feind befreit uns von den Kletten./ Die Deutschen selber tun es nicht.»

1944/45 musste dieses Heil tatsächlich von außen kommen. Aber nach zwei von Deutschland begonnenen und verlorenen Weltkriege, von denen der letzte das Land in Schutt und Asche legte, war die Offenheit für das Militärische unter den Deutschen in Ost und auch in West lange getrübt. Die deutschen Innenstädte, so hässlich wie sie wiederaufgebaut wurden, sind bis heute traurige Zeugen des Krieges und zugleich auch der Befreiung Europas und auch Deutschlands vom Faschismus, für die die Völker der Sowjetunion und die Soldaten der Roten Armee das allergrößte Opfer brachten.

Seither wurde bei Fragen von Aufrüstung und Krieg immer wieder ein Elite-Masse-Bruch sichtbar. Die Friedensbewegungen – gegen die Remilitarisierung, die «Kampf-dem-Atomtod»-Bewegung, die Bewegung gegen den NATO-Doppelbeschluss – gehörten in Westdeutschland zu den größten sozialen Bewegungen der Nachkriegszeit. Nach dem Ende des Kalten Krieges trafen zwei Konsense aufeinander: Dem «Jetzt wieder» des außenpolitischen Establishments stand das «Nie wieder» der breiten Bevölkerung entgegen. «Mehr Verantwortung» im Sinne von Kriegseinsätzen der Bundeswehr in Übersee wurden von den Eliten eingefordert und von großen Mehrheiten der Bevölkerungen abgelehnt. 

Neue «Helden» sind schwer zu finden

Der schroffe Kontrast zwischen veröffentlichter Meinung und Bevölkerungsmeinung brachte 2014 während des Euromaidan und der damals propagierten Aufrüstung die ZEIT-Redaktion dazu, sich in Meinungsartikeln offen zu fragen, warum die Bevölkerung der transatlantizistischen Blattlinie der Redaktion nicht zu folgen bereit sei: Habe man etwa in der Vergangenheit zu kritisch über die USA, über die Kriegslügen, die zum Irakkrieg führten, die Millionen Tote im «War on Terror», die Folterungen in Abu Ghraib, die US-Foltergefängnisse von Guantanamo bis Osteuropa, den NSA-Abhörskandal usw. berichtet?

Das Bild der eigenen Bevölkerung unter den außenpolitischen Eliten ist ergo das vom eigenen Volk, das man zum Jagen tragen muss. Der frühere Bundespräsident Joachim Gauck, einer der vehementesten Antreiber des Militarismus, prägte dafür das Wort «glückssüchtig». Der Historiker Egon Flaig sah jüngst eine «kulturelle Umprogrammierung» der Deutschen vonnöten.

Nach einer Umfrage von infratest-dimap im Juni 2025 im Auftrag des ARD-Deutschlandtrends halten 50 Prozent der Deutschen das «Fünf-Prozent-Ziel der NATO», das sich mittlerweile als selbstverständlich eingeschlichen hat, für «angemessen». Nur noch 35 Prozent sagen, diese Hochrüstung «geht zu weit», 7 Prozent sagen sogar, sie «geht nicht weit genug». Dabei ist vielen der Befragten offenbar nicht klar, dass 5 Prozent des BIP in etwa die Hälfte des gesamten Bundeshaushalts ausmachen. 

Die «Zeitenwende» endet aber nicht bei der Erhöhung der Militärausgaben. «Kriegstüchtigkeit» hat eine Außen- und eine Innendimension. Auch wenn im Krieg zunehmend Roboter zum Einsatz kommen: Die angeschafften Waffen bedienen sich nicht von selbst. Sie erfordern Menschen, die sie einsetzen – und Menschen, die ihren Einsatz als legitim erachten und auch bereit sind, die ökonomischen, sozialen, politischen und menschlichen Kosten der Kriegführung zu tragen. Kurz: Es bedarf einer inneren Zeitenwende, die die gesamte Kultur ändert und die Gesellschaft durchstaatlicht.

«Das hier ist keine Übung», titelte Ende März 2025 die ZEIT und ihr langjähriger Feuilletonchef Jens Jessen (69 Jahre alt) pochte darauf, dass der «politische Imperativ (…), Deutschland müsse wieder ‚kriegsfähig‘ werden», nicht allein durch «Milliardenschulden für die Rüstung» zu haben sei, sondern dass es «für die Wehrfähigkeit noch etwas anderes als Geld und Waffen braucht. Es braucht die Wertschätzung der Soldaten (…), Anerkennung und Sympathie – vielleicht sogar Bewunderung.» Das möge "für manche Ohren obszön klingen", man müsse es aber «einmal so zuspitzen, damit der emotionale und moralische Preis sichtbar wird, den die militärische Ertüchtigung verlangt (...): die höchste denkbare Wertschätzung, die von einer Gemeinschaft für den aufgebracht werden kann, der sich für sie opfert.» Dafür habe es in Deutschlands Vergangenheit «einmal den Begriff des Helden» gegeben. Der sei, zeigt sich Jessen zerknirscht, «in den Weltkriegen des letzten Jahrhunderts allerdings gründlich ruiniert» worden. Aber vielleicht, so der liberale Feuilletonist weiter, «muss man dem Wort die historische Propagandamaske doch einmal herunterziehen und zugeben, dass ein Held nicht notwendig jemand ist, der sich zu bösen Zwecken missbrauchen lässt. Könnte er nicht auch unser Leben und unsere Freiheit verteidigen? So übertrieben wäre die Forderung nach Bewunderung nicht». Es bedürfe, befand jüngst, Sönke Neitzel, ebenfalls ein Dauergast in den öffentlich-rechtlichen Medien, im taz-Interview eines «demokratischen Kriegers».

Diesbezüglich aber gibt es für die Propagandisten der Kriegstüchtigkeit noch viel zu tun. Die Bereitschaft, sich mit Haut und Haar dem Krieg zu widmen, ist in Deutschland nach wie vor gering. Dies zeigt die immense Kluft zwischen der Zustimmung zur Aufrüstung und der Bereitschaft, den deutschen Staat auch persönlich mit der Waffe zu verteidigen.

History is a bitch! 50 Jahre neoliberale Politik der Herrschenden haben die westlichen kapitalistischen Gesellschaften vorerst kriegsuntüchtig gemacht. Man kann eben den eigenen Untertanen nicht ein halbes Jahrhundert das Leben als «homo oeconomicus» und die Margaret Thatcher-Ideologie «Es gibt keine Gesellschaft, es gibt nur Individuen und Familien» eintrichtern und heute von den neoliberalen Ich-AGs erwarten, dass sie jetzt diese kapitalistische Gesellschaft verteidigen. Die List der Vernunft könnte sein: Das neoliberale Subjekt von heute ist der Kriegsdienstverweigerer von morgen und der Deserteur von übermorgen. 

In diesem Sinne sind die Deutschen bis heute kriegsuntüchtig. In keiner Partei gibt es eine Mehrheit der Anhänger, die bereit wären, «Deutschland», also das bestehende Herrschaftssystem, auch persönlich zu verteidigen. Besonders markant ist dieser Gegensatz bei den Anhängern von Bündnis 90/Die Grünen: Sie weisen mit Abstand die höchsten Zustimmungswerte für die Hochrüstung auf, aber die geringste Bereitschaft, auch selbst in den Krieg zu ziehen. 

Entsprechend mangelt es der Bundeswehr an Rekruten. In der zweiten Hälfte der 2000er Jahre lamentierte man darüber, dass die Bundeswehr eine «Unterschichtenarmee» sei. So wie in den USA herrschte auch in Deutschland ein «economic draft», eine ökonomische Wehrpflicht» vor: Die Bundeswehr ist voll von Arbeiterkindern, weil die Verpflichtung bei der Armee für viele von ihnen der scheinbar einzige Weg des sozialen Aufstiegs ist. «Arbeitslos oder Afghanistan» titelte entsprechend einmal die ZEIT, als sie beobachtete, dass zwar keine Generäle aus Ostdeutschland, dafür aber in etwa die Hälfte aller Rekruten und sogar fast zwei Drittel aller Soldaten im Afghanistankrieg aus den «neuen Bundesländern» stammten.

Nachdem 2011 die Wehrpflicht aus Kostengründen und im Sinne eines Berufsheers für mobile Kriegseinsätze in Übersee abgeschafft worden war, suchte der deutsche Staat den Rekrutenmangel durch EU-Ausländer zu beheben: Bei 50 bis 60 Prozent Jugendarbeitslosigkeit von Spanien bis Griechenland sollte da doch was zu holen sein! Aber die Rekruten ließen auf sich warten und die Erwerbsarbeit nahm unter jungen Südeuropäern wieder zu. 

Die Begleitmusik der Aufrüstung

Umso stärker wird zur Erfüllung des Soldatensolls nun die Bevölkerung ideologisch bearbeitet. Tagaus, tagein laufen im Fernsehen und auf Youtube Sendungen über Freiwillige, aber trotz Dauerbeschallung sträuben die Massen sich bislang. De facto ist die Zahl derer, die versuchen, als Bundeswehrsoldaten im Nachhinein den Kriegsdienst zu verweigern, höher als die Zahl der Freiwilligen. Die Gruppe von Prominenten, die nachträglich ihre Kriegsdienstverweigerung zurückgezogen haben – von Robert Habeck bis zu «Campino» – tut dies selbstverständlich nur rhetorisch. Der Krieg ist nicht für die Roberts, Thorstens, Michaels und Andreasse gemacht, sondern für die Finns, Maximilians und Leons.

Weil dem aber so ist, fällt die innere Zeitenwende und die Kultur der Militarisierung umso heftiger aus. Zu den früher stark umstrittenen öffentlichen Gelöbnissen und den schon seit Mitte der 2010er Jahre forcierten Bundeswehr-Werbeaktionen auf Youtube, Straßenbahnen, Bushaltestellen, die den Kriegsdienst als Egoshooter, großes Abenteuer, Weltrettung, Kameradschaft und Kfz-Werkstatt mit Superkarren darstellen, kommen heute Soldatendenkmäler und ein Veteranentag. An den Schulen tritt die Bundeswehr als Karriereförderer auf. Es sollen an Schulen wieder Wehrübungen stattfinden. Dabei ist die «hidden agenda» gar nicht «hidden»: Das Ziel ist nicht die Vorbereitung auf einen tatsächlichen Krieg, sondern die Verbreitung einer Kultur der Angst und zugleich, so die damalige Bundesbildungsministerin Stark-Watzinger, die Verbesserung des Images der Bundeswehr in der Bevölkerung. Vor allem jungen Menschen soll die Bundeswehr als ganz normaler Arbeitgeber erscheinen. 

Besonders stark wird der Alltag militarisiert: Pizzerien erhalten kostenlose Pizzakartons, Bäckereien kostenlose Backwarentüten und Supermärkte kostenlose Warentrenner, können also Kosten sparen, wenn sie dafür dann die Kultur des Militarismus frei Haus in die Privathaushalte tragen. Bundeswehrsoldaten dürfen, wenn sie uniformiert auftreten, also das Militärische zurück ins öffentliche Bewusstsein tragen, kostenlos mit der Deutschen Bahn fahren. Die Bundeswehr tritt bei öffentlichen Festveranstaltungen wie dem «Hessentag» auf, Vierjährige dürfen begeistert durchs Zielfernrohr eines Panzers blicken und Achtjährige Kriegswaffen in die Hand nehmen. Auch wird an den Universitäten die Zivilklausel aufgehoben, um die ehemaligen Institutionen des kritischen Denkens in Aufrüstungsapparate zu verwandeln. 

Ob all diese Maßnahmen aber die Grenzen der Militarisierung tatsächlich dauerhaft aufheben können? Dies ist zumindest zum jetzigen Zeitpunkt fraglich. 

Ja selbst bei der abstrakt bleibenden Bereitschaft zur Hochrüstung, die sich auch aus einem irrationalen Bedrohungsgefühl und einem neuen liberalen Revanchismus angesichts der europäischen Niederlage im Ukrainekrieg speist, ist nicht sicher, dass sich die Mehrheiten nicht wieder umkehren (lassen). Die Aufrüstung, deren Begleitmusik die Durchstaatlichung der Gesellschaft und Militarisierung der Kultur ist, stößt an die Grenzen der Verteilungspolitik. Das deutsche Exportmodell ist in einer tiefen Krise, die Sozialpartnerschaft wird aktuell von oben aufgekündigt und die Zinsen für die Aufrüstung müssen aus einem laufenden Bundeshaushalt bestritten werden, der erhebliche Sozialkürzungen vorsieht. Die soziale Frage, der Mietenwahnsinn, die Infrastrukturkrise und die Klimakrise sind nicht von einem Tag auf den anderen verschwunden – sie fordern Tribut. Am Ende läuft es auf eine Entscheidung hinaus: Schnellfeuerwaffen oder Schulen, Drohnen oder Daseinsfürsorge, Kampfflugzeuge oder Kitaplätze, Kampfpanzer oder Klimaschutz.
 


[1] Anne Morelli, Die Prinzipien der Kriegspropaganda, 4. Aufl., Springe 2022, S.11.

[2] Edward Bernays, Propaganda, New York 2005, S.11.