
Der Mittlere Osten erlebt eine dramatische Zuspitzung der Lage. Was lange Zeit als verdeckter Konflikt mit geheimdienstlichen Operationen, Cyberangriffen und Stellvertreterkriegen geführt wurde, hat sich zu einem offenen Krieg zwischen Israel und dem Iran ausgeweitet. Die gegenseitigen Angriffe, die seit dem israelischen Erstschlag vom 13. Juni 2025 eskalieren, sind – anders als früher – keine bloßen Abschreckungsmanöver mehr. Damit steht die Weltgemeinschaft, die dieses Szenario jahrelang zu vermeiden suchte, vor einer neuen Realität.
Eskalation mit Ansage
Dabei greift Israel den Iran mit Kampfflugzeugen und Drohnen an. Berichten zufolge wurden, vor allem in Teheran, auch Autobomben gezündet und Brandanschläge verübt. Der erste, seit Jahren vorbereitete Schlag Israels war eindrucksvoll inszeniert. Der israelische Geheimdienst soll verdeckte Drohnenbasen im Iran selbst errichtet und das iranische Flugabwehrsystem stundenlang lahmgelegt haben, wodurch in der ersten Nacht praktisch keine Gegenwehr erfolgte.
Hamid Mohseni ist im Iran geboren und in Deutschland aufgewachsen. Er verfolgt die Entwicklungen im Iran und beteiligt sich an linken Solidaritätsinitiativen.
Der Angriff zielte auf das iranische Atomprogramm und tötete bis zu 20 hochrangige Mitglieder der Revolutionsgarden sowie führende Atomwissenschaftler. Getroffen wurden auch die Atomanlagen Natanz und Fordow. Bei der Bombardierung ziviler Infrastruktur starben in der ersten Nacht bereits 78 Menschen, über 300 wurden verletzt. Mittlerweile sind rund 225 Menschen ums Leben gekommen und Tausende verletzt worden.
Neben den Atomanlagen richten sich die Angriffe gegen die militärische Infrastruktur (vor allem die Raketenstationen), Häfen, Flughäfen sowie Öl- und Gasanlagen. Doch immer wieder erreichen uns auch Bilder von bombardierten Wohngegenden. Die Schockstrategie Israels trifft den Iran an mehreren Fronten, mit Auswirkungen auf das gesamte Land.
Als Reaktion auf die israelischen Angriffe soll das iranische Regime bereits die aus freiwilligen Regimeunterstützern bestehenden Basidsch-Milizen an wichtigen Checkpoints platziert haben. Vor allem aber hat Teheran seinerseits mehrere Wellen von Drohnen und ballistischen Raketen auf Israel gefeuert, die vor allem militärische und politische Infrastruktur, darunter das Verteidigungsministerium, ins Visier nahmen. Obwohl etwa 90 Prozent der Raketen abgefangen wurden, scheint die neuere Raketen-Generation erheblichen Schaden anzurichten. Auch in Israel wurden Zivilist*innen getroffen; 25 Menschen kamen ums Leben, zahlreiche weitere wurden verletzt.
Grundsätzlich sind Angriffe von außen Gift für den revolutionären Prozess im Land, da sie Proteste und Bewegungen demobilisieren.
Die Stimmung in der iranischen Bevölkerung ist widersprüchlich. Der revolutionäre Prozess der letzten Jahre hat einen tiefen Graben zwischen dem Großteil der Bevölkerung und den Machthabern offengelegt. Dies führt dazu, dass manche Iraner*innen sich in ihrer Verzweiflung eine Intervention von außen erhoffen. Diese Stimmen sind auch jetzt präsent; anfänglich gab es sogar Freudensbekundungen über die Angriffe und den Tod der Führung der Revolutionsgarden. Doch je länger der Krieg andauert und je mehr zivile Opfer er fordert, desto leiser werden diese Stimmen – und desto lauter werden jene, die sagen: Jetzt brauchen wir erst recht eine Atombombe, um weitere Angriffe künftig abschrecken zu können. Diese Logik vertreten auch die Machthaber.
Wie der Erste Golfkrieg zeigte, erhöht eine Bedrohung von außen im Iran nicht nur die Angst, sondern auch die Loyalität zum eigenen Staat. Iranische Exilkanäle – insbesondere jene aus dem Lager der konservativen bis rechtsextremen Monarchist*innen, die in den USA und Israel ihre größten Unterstützer*innen finden und behaupten, dass «die Iraner» sich über diesen Krieg freuten – schüren Hoffnungen auf breiten Widerstand im Land als Folge der Angriffe. Aber sie betreiben überwiegend Propaganda und sprechen vorrangig für sich selbst.
Grundsätzlich sind Angriffe von außen Gift für den revolutionären Prozess im Land, da sie Proteste und Bewegungen demobilisieren – wie zuletzt etwa eine große Streikbewegung von Fernfahrer*innen im Iran, die enorme Solidarität erfuhr. Historisch gesehen finden im Schatten solcher Konflikte oft auch die größten Hinrichtungswellen statt.
Gescheiterte Verhandlungen
Drei Tage nach dem ersten israelischen Angriff sollte die sechste Verhandlungsrunde zwischen den USA und dem Iran über das iranische Atomprogramm stattfinden. Obwohl die Verhandlungen zäh waren, betonten beide Seiten immer wieder die Möglichkeit einer Einigung.
Der Iran ging geschwächt in diese Verhandlungen. Zum einen befinden sich die Menschen im Land aufgrund der jahrelangen Wirtschaftskrise in Existenznot, wofür sie das Regime verantwortlich machen. Zum anderen ist die vom Iran geführte «Achse des Widerstands» – vor allem das Assad-Regime, die libanesische Hisbollah, die palästinensische Hamas und die jemenitischen Huthi-Milizen – zuletzt durch israelische Angriffe massiv geschwächt und teilweise sogar besiegt worden. Vor diesem Hintergrund versuchte der Iran, die USA dazu zu bewegen, «nur» über die Atomfrage und die Urananreicherung zu verhandeln, nicht jedoch über das Raketenprogramm und die Unterstützung der «Achse des Widerstands», wie es Israel und Teile der US-Regierung wünschten.
Einen Tag vor dem israelischen Angriff gab die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) zum ersten Mal in den letzten 20 Jahren bekannt, dass der Iran gegen die gemeinsamen Vereinbarungen zur Urananreicherung verstoße.
Trump zeigte sich zuletzt unschlüssig bzw. schwankend. Nach außen hin versuchte er, Israel von einem Militärschlag abzuhalten, und betonte – noch während des laufenden Krieges – die Notwendigkeit von Verhandlungen. Im Nachhinein gab Trump jedoch zu, über die Angriffe vorab informiert worden zu sein.
Es ist weithin bekannt, dass die USA Israel nicht nur militärisch, insbesondere mit dem Iron Dome, massiv unterstützen, sondern auch mit geheimdienstlichen Informationen versorgen. Zudem gab Israel an, die Militäroperation seit Jahren geplant zu haben, was sich im Ausmaß der ersten Angriffswelle widerspiegelte. Der Iran hingegen scheint von den Luftangriffen tatsächlich überrascht worden zu sein; offenbar hatte das Regime auf die Verhandlungen gesetzt. Diese sind nun vorerst vom Tisch.
Eine Reihe von Ereignissen hatte die Situation zuletzt zugespitzt. Einen Tag vor dem israelischen Angriff gab die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) zum ersten Mal in den letzten 20 Jahren bekannt, dass der Iran gegen die gemeinsamen Vereinbarungen zur Urananreicherung verstoße.
Einige Tage zuvor hatte das iranische Geheimdienstministerium, eigenen Angaben zufolge, Tausende Dokumente über das israelische Atomprogramm und die Mitwirkung der USA an diesem abgefangen und teils veröffentlicht. Angeblich sollen Beweise vorliegen, dass die IAEA sich von Israel beeinflussen lasse, was die Neutralität der Behörde in Frage stellen würde.
Hinzu kommt, dass die 60-Tage-Frist, die der US-Präsident dem Iran für den Abschluss der Verhandlungen gesetzt hatte, kurz vor dem israelischen Angriff abgelaufen war. Die Nachrichtenagentur Reuters berichtete unter Berufung auf hochrangige israelische Quellen, dass Netanjahu den Angriffsbefehl kurz nach einem Telefonat mit Trump erteilt habe. Ob Trump die von ihm gestellte Frist tatsächlich ernst genommen und möglicherweise nach deren Ablauf Israel grünes Licht für einen Angriff gegeben hat, ist unklar.
Israels Motive für den Angriff
Der inzwischen 75-jährige Benjamin Netanjahu sah sich vor dem 7. Oktober 2023 mit massiver innenpolitischer Kritik konfrontiert; vielen galt er bereits als politisch am Ende. Die Bevölkerung war seiner in weiten Teilen rechtsextremen Regierung überdrüssig.
Für Netanjahu erwies sich das Massaker der Hamas vom 7. Oktober 2023 retrospektiv als ein «Geschenk». Denn nun konnte der israelische Ministerpräsident tun, was in einer innenpolitisch aussichtslosen Situation bereits oft geholfen hat: einen Krieg zu beginnen und immer weiter zu eskalieren. Dieser Krieg hält ihn politisch am Leben. Sein erklärtes Ziel war zunächst die Hamas im Gazastreifen, doch es ging ihm von Anfang an um die gesamte «Achse des Widerstands» mit Iran als Endgegner.
Seitdem hat Israel die Hamas und die Hisbollah nahezu ausgeschaltet und auch im Bürgerkrieg in Syrien, der zum Sturz Assads führte, eine wichtige Rolle gespielt. Das bereitete den Boden für die jetzt erfolgten Angriffe auf die Islamische Republik Iran (IRI), den größten Konkurrenten und Erzfeind in der Region.
Nun können die Hardliner in Israel ihre eigenen Ziele vorantreiben: die Zerschlagung des iranischen Atomprojekts, die Beendigung des Raketenprogramms und das endgültige Ende der «Achse des Widerstands».
Netanjahu behauptet seit über 15 Jahren – ohne Beweise anzuführen –, dass der Iran kurz vor dem Bau einer Atombombe stehe. Auch jetzt führt er dies als Begründung dafür an, dass Israel aus Notwehr handle. Weil er aber keine Belege mitliefert, sind der Erstschlag vom 13. Juni und der daraus resultierende Krieg völkerrechtswidrig. Überdies war Netanjahu bereits ein erklärter Gegner des 2015 geschlossenen Atomabkommens mit dem Iran (aus dem die USA unter Trump drei Jahren später wieder austraten). Vor diesem Hintergrund lehnte er auch einen neuen Deal mit dem Iran ab. Diese Möglichkeit hat er nun torpediert – und mit den Luftangriffen dafür gesorgt, dass sich auch innerhalb der US-Regierung die Gegner*innen eines neuerlichen Abkommens durchsetzten. Nun können die Hardliner ihre eigenen Ziele vorantreiben: die Zerschlagung des iranischen Atomprojekts, die Beendigung des Raketenprogramms und das endgültige Ende der «Achse des Widerstands». Damit wäre das gesamte außenpolitische Geschäftsmodell der IRI beendet.
Reuters berichtete unter Berufung auf zwei US-Quellen, Trump habe Israel davon abgehalten, Revolutionsführer Ali Khamenei bei der ersten Angriffswelle zu töten. Aber der von Netanjahu angestrebte Regimewechsel im Iran könnte auch durch eine umfassende Bombardierung und Zerstörung des Landes vorangetrieben werden, sofern zugleich bewaffnete Rebellengruppen in den Randgebieten (Kurdistan, Belutschistan, Aserbaidschan usw.) gefördert werden, um auf diese Weise einen Bürgerkrieg zu entfachen. Dafür gibt es aktuell aber noch keine konkreten Hinweise.
Trumps Dilemma
Für Donald Trump, der Politik in Wild-West-Manier betreibt, widersprechen sich Krieg und Verhandlungen keineswegs. In einer bemerkenswerten rhetorischen Jonglage ruft er einerseits immer wieder zu Verhandlungen auf, schließt aber andererseits nicht aus, dass die USA selbst in den Krieg eingreifen könnten. Ein solcher Schritt würde für die IRI militärisch wohl das Ende, für Trump jedoch auch eine Abkehr von seiner angekündigten Politik bedeuten. Denn er hat immer wieder versprochen, dass er die USA aus Kriegen heraushalten und die Konflikte in Gaza, der Ukraine und im Iran über Verhandlungen beenden wolle, um sich der Eindämmung der aufstrebenden Großmacht China zuwenden zu können.
Aufgrund des israelischen Angriffs auf den Iran werden die USA nun wieder in den Konflikt hineingezogen. Dies führt auch zu Kritik innerhalb des MAGA-Lagers, wie beispielsweise durch den einflussreichen Journalisten Tucker Carlson und Trumps früheren Chefstrategen Steve Bannon, die ebendies verhindern wollen und auch Israels Vorgehen in Gaza kritisierten.
Aufgrund des israelischen Angriffs auf den Iran werden die USA nun wieder in den Konflikt hineingezogen.
Die US-Regierung steht deshalb vor einem Dilemma: Entweder vergrault sie Netanjahu, indem sie es tatsächlich zeitnah schafft, den Krieg zu beenden und den Iran zu einem Deal zu bewegen, der eine streng überwachte zivile Atomnutzung einräumt – was derzeit unwahrscheinlich erscheint, nach einem Ende der Kampfhandlungen aber möglich bleibt. Oder sie verfolgt eine andere Möglichkeit, der Israel wohl zustimmen würde, nämlich den Iran zu einem deutlich härteren Abkommen zu zwingen: kein Atomprogramm, Abrüstung und/oder Abbruch der Beziehungen zur «Achse des Widerstands». Dieses Szenario ist wahrscheinlich, je länger der Krieg andauert und der Iran militärisch nicht mithalten kann. Das Problem hieran ist wiederum, dass die Islamische Republik – wo nun ebenfalls die Hardliner politisch Oberwasser bekommen – dem kaum zustimmen wird, weil das faktisch ihr eigenes Ende bedeuten würde.
Eine Art Zwischenlösung könnte sein, dass die internationale Gemeinschaft beide Seiten an einen Tisch bringt und einen Kompromiss ausarbeitet. Die Türkei bietet sich bereits als Vermittler an, aus Russland und China kommen ähnliche Signale. Wie dieser Kompromiss allerdings inhaltlich aussehen soll, ist derzeit völlig unklar; er wäre in jedem Fall ein diplomatischer Drahtseilakt.
Sollten diese Szenarien nicht zustande kommen oder scheitern, könnte der Iran nach einem längeren Bombardement in einen Bürgerkrieg gestürzt werden, bei dem die USA aus geopolitischen Gründen nicht bloß zuschauen könnten. Sie würden damit also tiefer in die Konflikte der Region hineingezogen. Hinzu kommt: Ein solcher Bürgerkrieg könnte sich über Jahre, vielleicht gar Jahrzehnte hinziehen; denn die Mullahs und ihre Revolutionsgarden haben unmissverständlich klargemacht, dass sie nicht einfach das Feld räumen, sondern bis zur letzten Patrone kämpfen werden.