Analyse | Kapitalismusanalyse - Wirtschafts- / Sozialpolitik - Rosalux International - Globalisierung - Europa - Demokratischer Sozialismus Alternativen zum Zollstreit

Die EU verhandelt mit der US-Regierung über eine Einigung, aber gefordert ist ein progressiver Neuansatz, meint Theresa Kofler

Information

Autorin

Theresa Kofler,

 Ein Gruppenfoto der Regierungschefs beim G7-Gipfel in Kananaskis, Kanada, 16.06.2025.
Ein Gruppenfoto der Regierungschefs beim G7-Gipfel in Kananaskis, Kanada, 16.06.2025. Foto: IMAGO / Frank Ossenbrink

Donald Trumps Zollpolitik rüttelt an den Grundfesten der neoliberalen Globalisierung. Und genau das ist seine Absicht: Denn aus der Sicht des US-Präsidenten waren die USA ein (relativer) Verlierer der Globalisierung der letzten 30 Jahre. Mit seiner Zollpolitik will Trump die USA wieder zum unangefochtenen globalen Hegemon machen.

Theresa Kofler ist Koordinatorin der Plattform Anders Handeln, einem breiten Bündnis von zivilgesellschaftlichen Organisationen und Gewerkschaften, das sich für eine andere Handelspolitik einsetzt.

Ein genauer Blick auf Trumps Problemanalyse hilft dabei, die Frage zu beantworten, ob dieses Vorhaben von Erfolg gekrönt sein könnte. Selbst neoklassische Ökonom*innen gestehen ein, dass die neoliberale Form der Globalisierung Gewinner und Verlierer innerhalb eines Wirtschaftsraumes zur Folge hatte. In den USA zählen vor allem die klassischen Industriearbeiter*innen zu den Verlierern. Ihre Arbeit wird nunmehr zu viel geringeren Löhnen und schlechteren Arbeitsbedingungen im globalen Süden verrichtet. Gleichzeitig profitieren die Kapital-, Tech- und Finanzkonzerne, die durch ihre technologische Sonderstellung an Macht gewonnen haben.

Im Verlauf der Produktionsverlagerung wuchs die soziale Ungleichheit und Unzufriedenheit in den USA, was sich Trump politisch zunutze machte. Der größte Dorn im Auge des Präsidenten dürften jene Länder sein, die ihr Bruttoinlandsprodukt (BIP) im Zuge der Globalisierung nach oben schrauben – und den Abstand zu den USA verringern – konnten, allen voran China, aber auch weitere sogenannte Schwellenländer. Durch die Stärke der Anderen verloren die USA in der globalisierten Welt, relativ betrachtet, an ökonomischem und politischem Gewicht. (Dass es Trump weniger um die internen Ungleichheiten geht, zeigt sich auch daran, dass er kaum industriepolitische Maßnahmen ergreift, um abgewanderte Produktion wieder zurückzuholen bzw. neue Kapazitäten aufzubauen, wie es Joe Biden noch mit dem Inflation Reduction Act versucht hatte.)

Insbesondere die zu Konkurrenten aufgestiegenen Länder will Trump jetzt durch Zollerhöhungen an den Verhandlungstisch zwingen. Soweit wir derzeit beurteilen können, funktioniert diese Strategie. Was jedoch genau verhandelt wird, ist großenteils unklar. Fest steht indes, dass es nicht nur um Zölle, sondern auch um ökonomische und (geo-)politische Beziehungen und die Stellung der USA im Allgemeinen geht. 

USA-EU: Ein angespanntes Verhältnis

Die aktuellen Beziehungen zwischen den USA und der EU sind auch vom Scheitern des Transatlantischen Freihandelsabkommens (TTIP) geprägt, das 2016 angesichts des großen zivilgesellschaftlichen Drucks zurückgezogen wurde. Doch trotz dieses Scheiterns ist offensichtlich, dass es Trump nicht primär um vermeintlich exorbitante Zölle geht, die die EU auf US-Waren erhebt. Denn bereits vor seinen abrupten Zollerhöhungen bzw. -drohungen lagen diese lediglich zwischen ein und drei Prozent. Deshalb wählte der US-Präsident das Handelsungleichgewicht zwischen der EU und den USA als Ausgangspunkt. Der Haken hieran ist, dass dieses Ungleichgewicht zwar im Güteraustausch besteht; zugleich aber erzielen die USA bei Dienstleistungen einen hohen Überschuss. Das bedeutet, dass die EU insgesamt zwar einen leichten Handelsbilanzüberschuss verzeichnet; dieser ist jedoch weit weniger gravierend, als der Fokus der US-Regierung auf den Güterhandel glauben macht.

Umbruchsituationen bieten immer auch Optionen für linke Bewegungen. Diese könnten an ihre erfolgreichen Kämpfe gegen neoliberale Handelspolitik anschließen und in den heiß umkämpften Feldern eine progressive Kehrtwende einklagen.

Das Problem der EU: Zwanzig Prozent ihres Güterexports gehen in die USA. Damit sind die USA der größte Handelspartner, die angedrohten Zölle würden Exporte im Wert von 549 Milliarden Euro betreffen. Doch auch die im Raum stehenden möglichen Zugeständnisse im Zollstreit – EU-Handelskommissar Maros Šefčovič sprach vom zusätzlichen Ankauf von Flüssiggas (LNG) und Sojabohnen in Höhe von 50 Milliarden Euro – dürften für die EU sehr teuer werden.

Was genau verhandelt wird, bleibt der Öffentlichkeit vorbehalten, doch aus den spärlich verfügbaren Informationen lässt sich extrahieren, worauf die US-Regierung in den Verhandlungen abzielt. Erstens will man die eigenen Exporte erhöhen; hierbei geht es primär um Energie, Waffen und Agrarprodukte. Zweitens soll der EU-Markt für US-Produkte zugänglicher werden; dazu müsste die EU ihre Umwelt-, Klima- und Gesundheitsstandards senken, die eine Einfuhr bestimmter Produkte in die EU erschweren oder untersagen – das berüchtigte «Chlorhühnchen» aus TTIP-Zeiten lässt grüßen. Drittens schließlich möchte die US-Regierung die Auto- und Maschinenproduktion im Land stärken; zu diesem Zweck sollen europäische Konzerne ihre Produktionskapazitäten in den USA erweitern.

Die Strategie der EU

Die EU gibt sich derzeit nach außen betont entspannt und verzichtet, anders als beispielsweise die chinesische Regierung, weitgehend auf Gesten des Widerstands. Sie fokussiert sich vielmehr auf Angebote ans Weiße Haus: Neben dem erwähnten Angebot eines Handelspakets im Höhe von 50 Milliarden Euro fielen die angekündigten Gegenzölle geringer aus als erwartet. Außerdem war zuletzt auch von wirtschaftlicher Unterstützung in der Auseinandersetzung mit China die Rede. Wie diese allerdings aussehen soll, bleibt unklar.

Gleichzeitig verfolgt die EU eine Strategie, die darauf ausgerichtet ist, die Handelsbeziehungen zu anderen Partnerländern zu stärken. Die Liste der Handelsabkommen, die Brüssel in den nächsten Monaten abschließen möchte, ist lang: das Mercosur-Abkommen mit Brasilien, Argentinien, Paraguay und Uruguay sowie Handelsabkommen mit Mexiko, Indien, Indonesien, den Philippinen und weiteren Ländern. Hinzu kommen Rohstoffpartnerschaften und -abkommen, mit denen die EU ihre geopolitischen Interessen absichern will. All diesen Abkommen ist gemein, dass sie noch schneller, undemokratischer und intransparenter über die Bühne gebracht werden sollen, als das in der Vergangenheit bereits der Fall war. 

Das Grundproblem liegt jedoch noch tiefer. Denn die EU-Entscheidungsträger*innen klammern sich blind ihre alten – und längst gescheiterten – neoliberalen Versprechen und Politiken. Keiner der (halb öffentlich diskutierten) Vorschläge aus Brüssel würde tatsächlich dazu beitragen, die wirtschaftliche und politische Resilienz der EU zu erhöhen. 

Man könnte die Sturheit der EU für konsequent halten. In Wirklichkeit aber haben die Ereignisse seit Trumps erstem «kleinen» Handelskrieg 2018 – die Corona-Pandemie, der Ukrainekrieg, die Klimakrise und jetzt auch Trumps «Liberation Day» – der ganzen Welt demonstriert, wie verletzlich das globale neoliberale Handelssystem der letzten 30 Jahre ist.

Eine resiliente Antwort könnte darin liegen, die europäische Wirtschaft unabhängiger, ökologischer, sozialer und bedürfnisorientierter zu machen, während gleichzeitig internationale Handelsabkommen auf Augenhöhe verhandelt und abgeschlossen werden.

Widerstand gegen die neue Handels-Weltordnung

Umbruchsituationen bieten immer auch Optionen für linke Bewegungen. Diese könnten an ihre erfolgreichen Kämpfe gegen neoliberale Handelspolitik anschließen und in den heiß umkämpften Feldern eine progressive Kehrtwende einklagen. Dafür ist es allerdings unabdingbar, sich den Protagonist*innen des Nationalismus und Protektionismus entgegenzustellen – in den USA, aber auch in der EU. Stattdessen müssen faire (Handels-) Abkommen und auf Ausgleich bedachte internationale Institutionen ebenso eingefordert werden, wie eine Regionalisierung und Bedürfnisorientierung der europäischen Wirtschaft.

Darüber hinaus stellt sich die Frage des Aufbaus von Gegenmacht. Vor 25 Jahren machte die globalisierungskritische Bewegung die Institutionen der neoliberalen Globalisierung – Welthandelsorganisation (WTO), Internationaler Währungsfonds (IWF), G7 und G20 – zum Kristallisations- und Interventionspunkt für Akteure in aller Welt. WTO und IWF, NAFTA und FTAA, TTIP und TPP: Das waren einst Akronyme, die nerdig und unsexy klangen, bis Aktivist*innen erklärten, was sich hinter ihnen verbirgt, nämlich ein durch Handelsabkommen ermöglichter Ausverkauf von Mensch und Natur zugunsten von Konzernprofiten. Damit demonstrierte die Bewegung, dass Handelspolitik durchaus Interventionspunkte bietet, die sich für eine internationalistische Praxis eignen. Was allerdings auch in der kurzen Hochphase der Bewegung zu kurz kam, war ein flächendeckender Aufbau transnationaler Beziehungen und Organisierungsanstrengungen.

Unabhängig davon, ob Handelspolitik neoliberal oder protektionistisch gestaltet wird – solange ein gutes Leben für alle nicht die Priorität ist, müssen wir Alternativen einfordern, aber diese auch selbst entwickeln und unsere Netzwerke stärken.

In einem Vierteljahrhundert Globalisierungskritik hat allerdings auch die Gegenseite dazugelernt. Entscheidungsorte und -momente wurden geändert und verschleiert, Machtzentren haben sich verschoben. Manche Institutionen verloren Einfluss, während einige Länder und Konzerne massiv an Macht zugewannen. Auch deshalb sind Proteste gegen Gipfeltreffen und neue Handelsabkommen zuletzt vergleichsweise klein ausgefallen. Hier sind wir alle gefragt: Wo liegen heute die Orte und Momente der Entscheidung? Wer sind die entscheidenden Akteure? Wie können innovative Protestformen aussehen? Welche Verbündeten werden dafür benötigt? Und wie können wir anschaulich erklären, was das alles mit der Zerstörung unserer Lebensgrundlagen zu tun hat?

Unsere Alternativen

Gleichzeitig sollten wir Trumps Politik genauer in Augenschein nehmen, zumal es dabei um hochumkämpfte Themen geht: Energie, Automobilproduktion, Landwirtschaft, Rüstungsindustrie und BigTech. Wie stehen wir zu diesen Themen? 

Glücklicherweise liegen dank der Klimagerechtigkeitsbewegung für die Branchen Energie und (Auto-)Mobilität bereits Kontakte und Konzepte vor; hier gilt es, dranzubleiben und die eigenen Forderungen weiterzuentwickeln. Besonderes Augenmerk sollte dabei auf die bereits existierenden internationalen Verknüpfungen gelegt werden, beispielsweise anhand der Erfahrungen rund um die Europäische Gaskonferenz, die Kampagne SOS Amazônia und die Kämpfe gegen die Ostafrikanische Rohöl-Pipeline (EACOP).

Auch beim Thema Landwirtschaft und Ernährungssouveränität muss das Rad nicht neu erfunden werden. In diesem Feld existieren bereits historisch gewachsene Verknüpfungen zwischen kleinbäuerlichen Bewegungen wie der Via Campesina und der brasilianischen Bewegung der Landlosen (MST) mit internationalen handelspolitischen Netzwerken. Im Rahmen der Nyélélin-Bewegung hat sich in den letzten Jahren rund um das Thema Ernährungssouveränität eine breite Basisarbeit entwickelt, die wichtige Anknüpfungspunkte für den Widerstand bietet, etwa gegen gentechnisch veränderte Organismen (GMOs), Agrarimporte oder Angriffe auf Biodiversität und Naturschutz.

Mit Blick auf die (Auf-)Rüstungspolitik stellt sich die Lage etwas komplizierter dar. Doch auch hier gibt es Anknüpfungspunkte, auch wenn es sich mitunter so anfühlt, als würden Diskussionen in diesem Feld lediglich Streit provozieren. Der Irrtum liegt jedoch darin, zu glauben, das sei in früheren Friedensbewegungen anders gewesen. Was wir wiederfinden müssen, ist das Vertrauen, dass Frieden eine Idee ist, die sowohl unsere Kämpfe verbinden als auch Massen begeistern kann.

Die geringste Erfahrung hat die Bewegung im Umgang mit BigTech. Doch auch hier beginnen wir nicht von Null. So gibt es aus der Perspektive der Arbeitnehmer*innen Erfahrungen mit Widerstand gegen Amazon und Apple; Exit Twitter/X und Proteste gegen Tesla nehmen Fahrt auf; es gibt auch konkrete Alternativen und Organisierung rund um Datenschutz oder Obsoleszenz. Was hier noch fehlt, sind handfeste Vorschläge zur Vergesellschaftung und Demokratisierung.

Der Ausgang des Zollstreits ist derzeit offen. Dabei gibt es verschiedene Faktoren, die den weiteren Verlauf der Verhandlungen beeinflussen (können), etwa innenpolitische Entwicklungen in den USA – von Forderungen der Wall Street bis zu erzürnten Trump-Wähler*innen – oder das Verhalten Chinas und anderer BRICS-Staaten.

Für die europäische Linke gilt es, das Ziel nicht aus den Augen zu verlieren. Unabhängig davon, ob Handelspolitik neoliberal oder protektionistisch gestaltet wird – solange ein gutes Leben für alle nicht die Priorität ist, müssen wir Alternativen einfordern, aber diese auch selbst entwickeln und unsere Netzwerke stärken. Vieles spricht dafür, den Fokus auf die hochumkämpften Themenfelder zu legen. Das Gute dabei ist: Der Anfang ist bereits gemacht.