
Vom 12. bis 15. Juni 2025 fand die Bildungsreise „Eisenhüttenstadt. Vergangenheit und Gegenwart einer sozialistischen Planstadt“ statt. Angeboten und organisiert wurde die Reise durch die Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen und die Rosa-Luxemburg-Stiftung Brandenburg. Ein kurzer Rückblick zur Reise.
Auf dem III. Parteitag der SED im Jahr 1950 wurde der Bau des Eisenhüttenkombinat Ost (EKO) und einer dazugehörigen sozialistischen Wohnstadt beschlossen. Die Stadt wurde dabei als erste sozialistische Stadt der DDR konzipiert, das Leitbild des „neuen Menschen“ sollte hier besonders zum Tragen kommen. Dies schlug sich auch deutlich in der Architektur der Stadt nieder, welche Wohnqualität mit Kunst und politischem Anspruch verbindet.
Der erste Hochofen des Stahlwerks nahm 1951 seinen Betrieb auf. Die aus dem Boden gestampfte Stadt verzehnfachte ihre Einwohner*innen innerhalb weniger Jahre (1953: 2.400, 1960: 24.371). Mit dem Ausbau des Stahlwerks stieg die Einwohner*innenzahl auf über 53.000 im Jahr 1988 an, seitdem hat sich die Bevölkerung halbiert.
Das inhaltliche Programm startete am Freitag mit einer Besichtigung des Werksgeländes von ArcelorMittal (ehemals Eisenhüttenkombinat Ost). Drei ehemalige Beschäftige berichteten über die Entwicklung des Werks und die Arbeitsbedingungen vor Ort. Besonders deutlich wurde die Wichtigkeit der gewerkschaftlichen Organisierung (95% IG Metall) und die damit einhergehenden guten Arbeitsbedingungen (u.a. Wahlmodell zwischen 35- und 32-Stunden-Woche). Aber auch die Unsicherheit, besonders in den 1990er Jahren, wurde thematisiert und diskutiert. Beeindruckend war der Weg durch das Warmwalzwerk, in welchem aus Brammen (Stahlblöcke) Stahlbänder geformt werden. Trotz großem Abstand war die Hitze in der Halle deutlich zu spüren, ebenso der Lärm der Maschinen deutlich zu hören. Die Produktion läuft mittlerweile fast gänzlich automatisiert. Im Werk arbeiten heute ca. 2.500 Menschen, weitere 2.500 in der unmittelbaren Zulieferindustrie und verbundenen Gewerken. 1990 waren es noch insgesamt 12.000 Beschäftigte. Nichtsdestotrotz ist das Werk von ArcelorMittal nach wie vor der wichtigste Arbeitgeber vor Ort.
Im Anschluss führte der Architekt, Künstler und Autor Martin Maleschka durch die Stadt. Die anschauliche Einführung dazu fand im Rathaus statt. Hier ist ein großes Stadtmodell ausgestellt, welches einen guten Blick auf die verschiedenen Wohnkomplexe und ihre Errichtung ermöglicht. Ebenso beinhaltet das Rathaus, ehemals „Haus der Parteien und Massenorganisationen“, ein beeindruckendes Wandmosaik, welches die verschiedenen Aspekte des Lebens in Eisenhüttenstadt abbildet. Beim langen Stadtrundgang fokussierte Martin auf die Entwicklung und Architektur in Eisenhüttenstadt. Er zeichnete den Weg von schnöden Mietskasernen zu „Arbeiterpalästen“ nach. Durch die Halbierung der Einwohner*innenzahl von Eisenhüttenstadt seit 1990 zeigt sich auch der Leerstand in der Stadt deutlich. Einige Wohnblöcke sind bereits abgerissen, andere verschlossen. Ein Symbol für Leerstand, aber auch Potenzial der Stadt, ist das Hotel Lunik. Das 1963 eröffnete und 2000 geschlossene Hotel war über Eisenhüttenstadt hinaus bekannt. Nach einigen Jahren in Privatbesitz und zunehmendem Verfall hat die Stadt das Hotel erneut erworben und zumindest grundlegende Sicherungsmaßnahmen ergriffen. Im Erdgeschoss finden verschiedene Zwischennutzungen statt, zum Zeitpunkt unseres Besuchs Theateraufführungen. Ein Blick in das Erdgeschoss des Hotels lässt den alten Glanz und die Eleganz nur erahnen. Zum Abschluss der Stadtführung besuchten wir den Platz der Jugend und einen ehemaligen Club, welcher im Rahmen eines Festivals 2023 wiederbelebt wurde. Insgesamt wurde sichtbar, dass in der Stadt zwar Potenzial und viele Möglichkeiten liegen, es aber mehr Menschen und Engagement bräuchte.
Am Samstag startete das inhaltliche Programm mit dem Besuch des Museums Utopie und Alltag. Das Museum ist im Gebäude einer ehemaligen Kinderkrippe untergebracht. Der Treppenaufgang mit einem Handlauf für Erwachsene und einem für Kinder sowie dem aufwändigen Fensterbild von Walter Womacka ist noch original erhalten. Der Bestand des Museums beherbergt insgesamt 170.000 Objekte zur Alltagskultur der DDR. Über sich selbst schreibt das Museum: „Das Museum Utopie und Alltag zeigt Alltagskultur, Kunst und Architektur im Spannungsfeld von Anspruch und Wirklichkeit, von sozialistischem Gesellschaftsentwurf und realem Alltag. Das Versprechen einer besseren Gesellschaft stand in der DDR im Kontrast zur Lebenswirklichkeit vieler Menschen. Das Ideal wurde als Staatsutopie ideologisch vereinnahmt und diskreditiert. Das Museum Utopie und Alltag widmet sich diesem Widerspruch“. Die Dauerausstellung zeigt anhand verschiedener Themenkomplexe das Leben und den Alltag in der DDR sowie die Entwicklung von Eisenhüttenstadt. Zahlreiche Exponate und deren Erläuterung boten einen tiefen Einblick. Eben diese Erläuterung geriet an einigen Stellen allerdings etwas zu kurz. Neben der Dauerausstellung ist aktuell die Ausstellung „Fremde Freunde. Völkerfreundschaft zwischen Ideal und Wirklichkeit“ zu sehen. Die Ausstellung blickt anhand ausgewählter Exponate (importierte Genussmittel, Kinderbücher, Lehrmittel, Gemälde und Kunst) auf das Spannungsverhältnis zwischen der Praxis der internationalen Solidarität und dem Fortwirken rassistischer und kolonialer Stereotype. Die Ausstellung war ansprechend aufbereitet und versuchte, wenn möglich, mit rassistischen Bildern zu brechen und zur kritischen Auseinandersetzung anzuregen.
Am Nachmittag stand ein Treffen mit linken Akteur*innen in Eisenhüttenstadt an. Vier Personen, welche u.a. in der Partei Die Linke vor Ort aktiv sind, führten in die Erfolge, Herausforderungen und Schwierigkeiten für linke Politik gestern und heute in Eisenhüttenstadt ein. Anhand der Wahlergebnisse lässt sich in den letzten Jahren eine Rechtsverschiebung sehen. Bei der Kommunalwahl 2024 wurde die AfD stärkste Kraft (32,7%), gefolgt von SPD (19,5%), Bürgervereinigung „Fürstenberg (Oder)“ (13,9%), CDU (13,4%), Linke (9,5%) sowie Bündnis 90/Die Grünen, FPD sowie weiteren Kleinstparteien und Einzelvorschlägen. Doch auch neben den Ergebnissen von parlamentarischen Wahlen ist linke Politik vor Ort nicht einfach gestaltbar: eine anhaltende Schrumpfung der Stadt, eine allgemeine gesellschaftliche Rechtsverschiebung und Finanznot machen die Ausgangslage schwierig. Nichtsdestotrotz gibt es vor Ort zahlreiche engagierte Menschen, welche sich auf verschiedenen Wegen für die Stadt einsetzen. Noch gibt es keine gemeinsame Vision oder Utopie wie ein Eisenhüttenstadt der Zukunft aussehen könnte. Das ist für die Genoss*innen vor Ort aber kein Grund zum Verzweifeln, sondern vielmehr Ansporn sich zu engagieren und nicht locker zu lassen.
Die geschilderten Programmpunkte wurden ergänzt durch Austausch- und Reflexionsrunden zwischen den Teilnehmenden der Bildungsreise. Gemeinsame Abendessen bestärkten den Zusammenhalt der Gruppe.
Autor: Steven Hummel