
Die politische Ideologie des Afrikanischen Nationalkongresses (ANC) war früher und ist auch noch heute von Klasseninteressen geleitet. Sie folgt also letztlich den Interessen jener Schicht, der die meisten ANC-Mitglieder (und dessen Bündnispartner) angehören wollen, nämlich der kapitalistischen Klasse. Das Streben nach einem solchen Aufstieg ist von einem Nationalismus geprägt, der die politische Begründung für eine zwar von der Rassentrennung befreite, aber gleichzeitig (nur zugunsten einiger weniger) rekapitalisierte Gesellschaft liefert – also genau die Art von Gesellschaft, die der ANC im Post-Apartheid-Südafrika aufzubauen beabsichtigte.
Dale T. McKinley ist unabhängiger Autor, Forscher, Dozent und langjähriger politischer Aktivist. Zurzeit ist er Referent für Forschung und Bildung bei der International Labour Research and Information Group (ILRIG) in Johannesburg.
Der Befreiungsgedanke war dabei auf die ohnehin dominierenden politischen und wirtschaftlichen Mächte (Staat und Kapital) ausgerichtet, die der nur prekären Macht der Bevölkerungsmehrheit (Arbeiter*innen und Arme) entgegenstanden.
In diesem Kontext wurde der Zugang zur und die Kontrolle der Staatsmacht (durch die politische Partei) zum bevorzugten Mittel und Garanten für eine neue, nicht länger rassistisch geprägte Klassenbildung und Kapitalakkumulation – und auf diese Weise auch zum wichtigsten Instrument als politischer Hüter der neuen Nation.
Dies ist der Hintergrund, vor dem die Entwicklung Südafrikas seit dem Ende der Apartheid 1994 sowie die anschließende Vereinnahmung der südafrikanischen Regierungsinstitutionen durch die wirtschaftlichen und politischen Eliten einzuordnen ist.
Das korporatistische Modell in Südafrika war schon immer ein Synonym für Korruption. Angesichts der Tatsache, dass das Kapital nach dem Ende der Apartheid quasi einen Freibrief erhielt, sowie aufgrund der Akzeptanz und Billigung seiner anhaltenden Dominanz im Bereich der Wirtschaft und der im ANC vorherrschenden Anpassungs- und Eingliederungspolitik fand das korporatistische Modell im ANC einen wohlgesinnten kooperativen Partner. Infolgedessen ist es zu einem doppelköpfigen Parasiten geworden, der sich im Herzen der politischen Ökonomie Südafrikas festgesetzt hat. Wie jeder Parasit, der sich von seinem Wirt ernährt, zieht er andere Parasiten an, und wenn er nicht entfernt wird, vermehrt er sich und überwältigt den Wirt. In diesem Fall ist der Wirt der südafrikanische Post-Apartheid-Staat.
Der kürzeste Weg zur Befreiung
Um die organisatorischen, ideologischen und strategischen Pfeiler der politischen Ökonomie des Post-Apartheid-Südafrikas – und damit auch die Grundlage für die Entwicklung des Staates und der Verfassung – vollständig zu verstehen, muss man zu den Anfängen zurückgehen: zur Gründung des ANC. Wie bereits ausführlich berichtet wurde, stammte die Mehrheit der Gründungsmitglieder des ANC – neben den traditionellen Chiefs – aus dem entstehenden Schwarzen Kleinbürgertum, dessen wirtschaftliche Interessen unmittelbar mit der Verfügbarkeit und Nutzung von Land verbunden waren. Der Hauptgrund für die Gründung des ANC war die Schaffung eines politischen und organisatorischen Instruments, das dem Angriff auf die Klasseninteressen seiner Mitglieder und vor allem auf das, was diese als allgemeines Wohlergehen der Schwarzen Bevölkerung ansahen, entgegenwirken konnte.
Die meisten der neuen Führungspersonen brachten nicht nur ihre eigene Klassenpolitik mit, sondern auch den massiven Einfluss einer calvinistischen Erziehung mitsamt dem dazugehörigen Moralkodex. Dies führte zu einer Politik der Eingliederung, bei der es in erster Linie darum ging, die «zivilisierten» Brit*innen mit verfassungsrechtlichen Mitteln davon zu überzeugen, dass die gebildeten, wohlhabenden und somit «zivilisierten» Afrikaner*innen in den Mainstream der südafrikanischen Gesellschaft aufgenommen werden könnten. Die ANC-Führung befürwortete die Anwendung dessen, was sie als «Gerechtigkeit und Fairness» im britischen Sinn ansah. Die Afrikaner*innen als «loyale britische Untertanen» wüssten dies sehr zu schätzen.
Mit anderen Worten: Die Führung des frühen ANC wollte, dass ein bestimmter Teil der Schwarzen Bevölkerung ein integraler Bestandteil des kapitalistischen Systems wird. Dies war der Grundstein für das, was viel später, nach der Übernahme der Staatsmacht durch den ANC in den 1990er Jahren, zu seiner Politik des Black Economic Empowerment, der wirtschaftlichen Ermächtigung der Schwarzen Bevölkerung, werden sollte.
Dennoch schien diese Politik für die Hauptstrategie des ANC zur Befreiung Südafrikas lange Zeit nicht im Mittelpunkt zu stehen. Stattdessen verfolgte die ANC-Führung eine makronationalistische Politik, die ein Bewusstsein der (vorwiegend «rassisch» verstandenen) kollektiven und klassenlosen «Eigenverantwortung» für den sich formierenden Kampf gegen die rassistische Struktur der südafrikanischen Gesellschaft vermittelte. So wurde das Konzept der politischen Freiheit für alle Schwarzen Südafrikaner*innen von Anfang an mit einer nationalistischen Politik verbunden, die das kapitalistische Klassensystem billigte. Damit wurde parallel auch die spezifische (und alles beherrschende) Notwendigkeit einer wirtschaftlichen Ermächtigung jener Klasse von Schwarzen akzeptiert, die sich den weißen Kapitalist*innen anschließen – und sie möglicherweise schließlich ersetzen – könnten, sozusagen als Wegbereiter*innen einer umfassenderen «wirtschaftlichen Ermächtigung» der Schwarzen Mehrheit (das heißt der Arbeiter*innen und der Armen).
Nur wenige Aussagen beschreiben diesen Ansatz besser als die Äußerung des ANC-Präsidenten Alfred Bitini Xuma aus dem Jahr 1945: «... es ist für uns nicht so bedeutend, ob der Kapitalismus zerschlagen wird oder nicht. Viel wichtiger ist, dass wir, solange der Kapitalismus existiert, zwangsläufig kämpfen müssen, um unseren vollen Anteil zu bekommen und vom System zu profitieren.»
Dieses konzeptionelle Verständnis und der praktische Kurs etablierten sich in der Folge als dominante Ausdrucksform des gesamten Befreiungskampfes, die wiederum auf das Programm der Südafrikanischen Kommunistischen Partei (South African Communist Party, SACP) von 1962, «Der Weg zur südafrikanischen Freiheit», zurückgeht und dann in dem Dokument «Strategie und Taktik» des ANC von 1969 kodifiziert wurde. Hier wurde der Theorie der « Sonderform des Kolonialismus» die «neue» Grundlage für das Streben nach «Empowerment» der Schwarzen gegenübergestellt. Das Kernargument war, dass die Apartheid aus der Ära des Monopolkapitalismus stammte und dass Südafrika «eine Kombination der schlimmsten Merkmale von Imperialismus und Kolonialismus innerhalb der Grenzen eines einzigen Staates» darstellte, in dem das Schwarze Südafrika eine Kolonie des weißen Südafrikas sei. Da es in der afrikanischen Bevölkerung «derzeit keine akuten oder antagonistischen Klassenunterschiede» gebe (was eine einheitliche Identifizierung aller Schwarzen als geschlossene und unterdrückte «Klasse» bedeutete), sei es nur logisch, dass die unmittelbare Aufgabe darin bestehe, für die nationale Befreiung der «Kolonisierten» zu kämpfen.
Diese Aufgabe würde wiederum in Form einer «Nationalen Demokratischen Revolution» erfüllt werden, die von einer klassenübergreifenden Befreiungsbewegung (dem ANC) angeführt werde, in der jedoch die Arbeiterklasse (unter Führung der SACP) die führende revolutionäre Kraft darstellen solle. Da nicht alle Klassen ein objektives Interesse an der grundlegenden Umgestaltung des Post-Apartheid-Südafrikas in eine nichtkapitalistische Gesellschaft hatten, würde die führende Rolle der Arbeiterklasse sicherstellen, dass der Befreiungskampf sich in Richtung Sozialismus entwickeln könne. Dieser Kampf hatte also zwei Etappen: eine erste für einen nationalen demokratischen Staat (nicht rassistisch, nicht sexistisch usw.) und eine zweite für eine nichtkapitalistische Gesellschaft, die vage als sozialistisch definiert wurde.
Das «Ergebnis» dieser historischen Entwicklungen war, dass, als in den 1980er Jahren ein harter und anhaltender Kampf der Massen gegen das Apartheidsystem ausbrach, der Weg des ANC an die Macht innerhalb eines hoffnungslos widersprüchlichen Paradigmas stattfand, von dem wiederum die nationale Befreiung selbst analytisch und praktisch abgegrenzt war. Mit anderen Worten: Die politische Seite (der Kampf für Demokratie) war von der wirtschaftlichen Seite (dem Kampf um soziale und materielle Macht) abgekoppelt worden.
So würde die Idee der «Ermächtigung» der Schwarzen Bevölkerung notwendigerweise als Teil eines vom Rassismus befreiten, «entrassifizierten» Kapitalismus praktisch umgesetzt werden, dessen logisches Ziel die Ermächtigung einer aufstrebenden Schwarzen Kapitalistenklasse als Mittel zur Überwindung der rassistischen Unterdrückung ist. Diese «Ermächtigung» würde zur Schwarzen Mehrheit durchsickern, die dann irgendwann in ferner Zukunft das Kommando über die ANC-Allianz übernehmen und gemeinsam mit den neu «ermächtigten» Schwarzen Kapitalist*innen das kapitalistische System stürzen würde.
Dies bedeutete vor allem, dass der Weg zur Macht die Form einer korporatistischen Strategie annahm, bei der der demokratische Wille der Bevölkerung an die Stelle der Interessen der Elite treten sollte. Im Falle von Südafrikas Befreiungskampf beschrieb die ANC-Führung ihre eigene Strategie, die auf ihrer Interpretation der «objektiven Realitäten» und des «Gleichgewichts der Kräfte» basierte, als den einzig möglichen Weg. Dies wurde dann schnell in den «Willen des Volkes» übersetzt, ein rhetorischer Taschenspielertrick, der die historische Praxis der Stellvertreterpolitik der ANC-Führung bekräftigte.
Diese Strategie privilegiert letztlich die bestehende und die aufstrebende Elite – also diejenigen, die bereits über politische und wirtschaftliche Macht verfügen, sowie jene, die die Mittel haben, sich diese zu verschaffen – gegenüber der Mehrheit der Menschen mit eingeschränkter Macht. Das wiederum führt dazu, dass die Bedürfnisse, Interessen und Kämpfe dieser Mehrheit, der Arbeiter*innen und der Armen, lediglich als Ad-hoc-Anforderungen betrachtet werden, um auf einen viel wichtigeren und instrumentelleren Zugang zu und Gebrauch von institutioneller politischer Macht (über den Staat) und das damit verbundene Kapital zuzugreifen. Dies wurde und wird immer noch als der «Normalzustand» dargestellt, da die Elite das politische und wirtschaftliche Terrain, auf dem sich dieser Befreiungskampf entfaltet, beherrscht und kontrolliert.
Unter diesem Aspekt ist es viel einfacher zu verstehen, warum der entrassifizierte Kapitalismus als Weg des ANC praktisch nur zwei Dinge zur Folge haben konnte: erstens den Aufstieg des ANC zur politischen Macht durch die «Vereinnahmung» des Staates im Rahmen repräsentativer demokratischer Wahlen, welche die notwendige Zustimmung für eine Entwicklung lieferten, deren übergeordnetes Ziel bereits festgelegt war; und zweitens die Schaffung einer neuen Klasse Schwarzer Kapitalist*innen und politischer Unternehmer*innen sowie deren Eingliederung in das bestehende Wirtschaftssystem, vor allem mit Hilfe des Staates und des Privatsektors.
Besiegelung des Deals
Die am 2. Februar 1990 erfolgende Ankündigung des damaligen, noch in der Apartheid amtierenden Präsidenten Frederik Willem de Klerk, Mandela freizulassen, das Verbot des ANC, der SACP und des Pan Africanist Congress (PAC) sowie einer Reihe weiterer verbündeter Organisationen aufzuheben und Verhandlungen über ein Ende der Apartheidherrschaft einzuleiten, war vor allem eine öffentliche Bestätigung der tatsächlichen Vereinnahmung eines von langer Hand geplanten politischen Prozesses zur Abschaffung der Apartheid in Südafrika durch das Unternehmenskapital. Schließlich haben die Hauptinteressen des Kapitals trotz aller ideologischen, politischen und militärischen Kämpfe, die in den vorangegangenen Jahrzehnten ausgetragen wurden, den Krieg gewonnen.
Der entscheidende Wendepunkt in diesem langjährigen Krieg war Ende 1985 eingetreten, als der für sein autoritäres Vorgehen bekannte Machthaber des Regimes, Pieter Willem Botha, sich ins Lager der Apartheid zurückzog. In seiner «Rubikon-Rede», die er 1985 auf dem Kongress der Nationalen Partei (NP) hielt, erklärte Botha dem Land und der Welt, er sei «nicht bereit, die weißen Südafrikaner [...] auf einen Weg der Abdankung und des Selbstmords zu führen», und warnte die Kritiker*innen des Apartheidstaates davor, «uns zu weit zu treiben».
Dies erwies sich als der letzte Strohhalm für die Vertreter*innen des Kapitals, die umgehend beschlossen, die Initiative zu ergreifen. Wenige Tage nach der Ankündigung mehrerer internationaler Finanzinstitutionen, ein Moratorium für die Kreditvergabe an das Apartheidregime einzuführen, flog eine Delegation des Who’s who des südafrikanischen Kapitals (Anglo American, Premier Group, Barlow Rand, Sanlam und Barclays) zur ANC-Führung nach Lusaka. Auf die Frage, worum es bei den Gesprächen gehen würde, nahm der CEO von Anglo American, Gavin Relly, kein Blatt vor den Mund:
Ich finde es schlüssig, dass Geschäftsleute herausfinden wollen, ob es eine gemeinsame Basis gibt, [...] dass eine Gesellschaft des freien Unternehmertums nachweislich besser für die Schaffung von Wohlstand ist als eine Art marxistischer Sozialismus. Ich hätte es für selbstverständlich gehalten, [...] dass niemand eine Rolle in einem Land spielen will, in dem die Wirtschaft [...] entweder durch eine Art marxistischen Ansatz zur Schaffung von Wohlstand oder durch eine [...] Revolution zerstört wurde.
Nach den Gesprächen waren sich Relly und die anderen Unternehmensvertreter*innen einig, nun mit dem ANC zusammenzuarbeiten, um auf diese Weise sicherzustellen, dass, wie es ein anderer Vertreter von Anglo American einige Monate später formulierte, «das Kind des freien Unternehmertums nicht mit dem Badewasser der Apartheid ausgeschüttet wird». In einem Radiobeitrag der South African Broadcasting Corporation (SABC) sagte Relly, er sei aus den Gesprächen mit dem klaren Eindruck herausgegangen, dass der ANC nicht «zu sehr darauf erpicht» sei, als «marxistisch» angesehen zu werden, und dass man dort «die Notwendigkeit des freien Unternehmertums» gut verstanden habe.
Im Endeffekt stellte sich heraus, dass sich «auf den letzten Metern» des Befreiungskampfes beide Parteien – das Unternehmerlager und der ANC – immer mehr annäherten, auch wenn einige Mitglieder der ANC-Führung tatsächlich ein nicht-kapitalistisches Post-Apartheid-Südafrika anstrebten. Die strategische Logik des national-demokratischen Konzepts des ANC für den Befreiungskampf, verbunden mit einer aus wirtschaftlicher Sicht vagen Freiheitscharta, deckte sich mit jener Vorstellung, die beim Kapital vorherrschte: Südafrika sollte politisch eine Demokratie und wirtschaftlich eine Autokratie sein.
Es dauerte fast vier Jahre, bis das Apartheid-Regime endlich offiziell einlenkte. Das Übergangsprogramm, das de Klerk im Februar 1990 vorschlug, entsprach voll und ganz dem, was das Unternehmenskapital 1986 festgelegt hatte. Neben der Freilassung der meisten «politischen Gefangenen» und der Aufhebung des Verbots der politischen Parteien des Befreiungskampfes waren die wichtigsten «Ziele» der zukünftigen Agenda des Regimes, de Klerk zufolge: «eine demokratische Verfassung, ein allgemeines Wahlrecht, eine unabhängige Justiz, der Schutz der Rechte von Minderheiten und Einzelpersonen, Religionsfreiheit und eine gesunde Wirtschaft, die auf bewährten wirtschaftlichen Prinzipien und privatem Unternehmertum [sprich: Kapitalismus] beruht».
Ob die ANC-Führung – ganz zu schweigen von den einfachen Mitgliedern, der Basis der Unterstützer*innen und vor allem der Schwarzen Mehrheit des Landes – mit dem Programm einverstanden war oder nicht, sei dahingestellt. In erster Linie blieb ihnen angesichts des beispiellosen Drucks, der aus einer Kombination verschiedener Faktoren resultierte, kaum eine andere Wahl. Zu diesen Faktoren zählten der sich immer schwieriger gestaltende internationale Kontext, die mit der anhaltenden Unterdrückung durch den Apartheidstaat einhergehenden Einschränkungen und das ideologische Vakuum, das aus dem spektakulären Zusammenbruch des stalinistisch inspirierten «Sozialismus» in der UdSSR und Osteuropa resultierte. Vor allem aber zementierte die kumulative Wirkung der eigenen Strategie und Taktik des ANC den korporatistischen Weg zur Macht.
Welche Art von Demokratie?
Ein wesentlicher Aspekt des zwischen ANC und Apartheidregime ausgehandelten Kompromisses war die Annahme eines föderalen Regierungssystems. Anstelle eines einzigen, einheitlichen Staates sollte Südafrika nun in Provinzen aufgeteilt werden, die neben der bestehenden nationalen Regierung über eine Reihe von eigenen Befugnissen und Funktionen verfügen sollten. Darüber hinaus erhielten auch die lokalen Regierungsstrukturen zusätzliche Befugnisse und Verantwortlichkeiten. Die Zustimmung des ANC zu einer fünfjährigen «Regierung der Nationalen Einheit» (GNU), die der Apartheid-freundlichen National Party und der Inkatha Freedom Party den Status einer «Mitregierung» garantierte, sowie die wirtschaftlichen Kompromisse, denen der ANC zustimmte, trugen insgesamt zu einem hohen Maß an Kontinuität innerhalb des südafrikanischen Regierungsmodells bei. Das Haus Südafrika wurde, abgesehen von einigen Änderungen und Ergänzungen vor der Übergabe, im Ist-Zustand übernommen – ohne Gewährleistung oder Garantie.
In der Praxis bedeutete dies, dass der neue, vom ANC regierte Staat nur wenig «Spielraum» hatte, um unmittelbare strukturelle und personelle Veränderungen – im und durch den Staat – in jenen Bereichen zu bewirken, die einen solchen Wandel am dringendsten benötigten. Diese Situation wurde seither meist als «Zeichen der Zeit» und/oder als Ergebnis notwendiger Kompromisse angesichts des bestehenden «Gleichgewichts der Kräfte» interpretiert. Und dennoch bleibt festzuhalten, dass diese Verhältnisse in völligem Widerspruch zum Versprechen des ANC standen, den Staat, sobald man an der Macht sein würde, für das zu nutzen, was man bis dahin nicht tun konnte. Dem neuen Staat blieb nur eine realistische Option: Er musste die Stühle für Governance und Politik auf die Veranda schieben, um neuen «Raum im Haus» zu schaffen und die verschiedenen, in der Verfassung verankerten Rechte zu verwirklichen. Selbst in dieser Hinsicht entsprach der Anschein selten der Realität.
Am wenigsten umstritten war die Aufgabe, die überwiegend weißen Fach- und Führungskräfte sowie die Bürokratie auf allen drei Regierungsebenen des Staates zu ersetzen. Es überrascht daher nicht, dass diese Aufgabe sofort in Angriff genommen wurde, wenn auch – aufgrund des Abkommens zur Regierung der Nationalen Einheit – nur schrittweise. Entscheidend ist jedoch, dass sich in den politisch und wirtschaftlich wichtigsten Bereichen des Staates – wie etwa Staatsfinanzen, Sicherheit und Verteidigung sowie staatliche Unternehmen und Gerichte – praktisch kaum etwas änderte, wodurch Politiker*innen, Bürokrat*innen, Beamt*innen, Richter*innen, Spion*innen und Soldat*innen aus der Apartheid-Ära zu den wichtigsten «Wegbereitern» oder «Lehrern» für die meisten der neu ernannten Staatsbediensteten werden konnten. Mit anderen Worten wurde in der Gründungsphase des neuen Südafrikas die frühere Regierungskultur (abgesehen von ihren tief verwurzelten rassistischen Grundzügen), die von Geheimnistuerei, internen Hierarchien, Technokratie, Klassenvorurteilen, einer fehlenden Reaktionsfähigkeit und einem Top-Down-Ansatz geprägt war, weitgehend fortgesetzt.
Im Mittelpunkt der Neugestaltung stand die Ausarbeitung und Verabschiedung neuer Gesetze auf allen staatlichen Ebenen, um den verschiedenen Bestandteilen der Verfassung und insbesondere deren Herzstück, der Bill of Rights, Wirkung zu verleihen. Eine solche Gesetzgebung war absolut notwendig, und zweifellos haben viele der an der Ausarbeitung Beteiligten in bester Absicht gehandelt. Die neue Gesetzgebung ging einher mit der Einrichtung zahlreicher neuer Provinz- und Kommunalverwaltungen, Abteilungen, Vertretungsorgane (Provinzparlamente und Gemeinderäte) sowie öffentlicher Dienstleistungseinrichtungen wie etwa der örtlichen Wasserwerke.
Parallel dazu wurden auf nationaler Ebene neue Abteilungen geschaffen und bestehende erweitert. Eingerichtet wurden Entwicklungsagenturen und Institutionen nach Kapitel 9 der südafrikanischen Verfassung, etwa die Menschenrechtskommission und das Amt einer Ombudsperson (Public Protector). Im Großen und Ganzen war dies alles sehr vernünftig und in vielen Fällen notwendig, um dem erweiterten Regierungsauftrag gerecht zu werden, eine Art unabhängige Aufsicht über den Staat einzurichten und die Erbringung grundlegender Dienstleistungen für zuvor nicht versorgte Gemeinden zu ermöglichen.
Abgesehen vom kurzfristigen und auf Öffentlichkeitsarbeit ausgerichteten Programm «Batho Pele» (aus dem südafrikanischen Sotho übersetzt: Menschen stehen im Mittelpunkt), fehlte es jedoch an einer parallelen Anstrengung, die Governance-Kultur im Dienstleistungssektor zu verändern und Wege für eine direktere demokratische Beteiligung und Kontrolle durch jene zu schaffen, die «regiert» werden und «Dienstleistungen erhalten». Infolgedessen blieb die einzigartige Gelegenheit ungenutzt, ein neues Regierungsmodell und ein damit verbundenes Ethos des öffentlichen Dienstes zu etablieren, was den demokratischen Prozess hätte vertiefen können. Stattdessen kam es zu parteiübergreifenden politischen Streitereien und Klientelismus, der sich um persönliche, parteipolitische und Klasseninteressen drehte. Dieser Trend wurde durch die Entscheidungen des ANC zur Vergütung hochrangiger Politiker*innen und Bürokrat*innen auf allen Ebenen des Staates noch verschärft; die Gewährung exorbitanter Gehälter und unzähliger Vergünstigungen im öffentlichen Dienst wurde als vernünftig hingestellt, verteidigt und sogar gefeiert.
Die ANC-Führung arbeitete von Beginn ihrer Machtübernahme an darauf hin, sich bewusst von der Klasse der «normalen» Bevölkerung Südafrikas scharf abzugrenzen. Anders ausgedrückt: Der ANC und der südafrikanische Staat waren rasch vereinnahmt, und zwar nicht in erster Linie zum Wohle der Regierten, sondern zugunsten einer neuen Elite. Dies wiederum bereitete den Boden dafür, dass die Ausübung politischer Ämter (sei es in der Partei oder im Staatsdienst) als sicherer Weg zu Reichtum im öffentlichen Sektor gelten konnte.
Welche Art der Vereinnahmung?
In der gesamten Geschichte des Kapitals stand Korruption im Mittelpunkt eines unersättlichen Strebens nach Profit und nach neuen und kreativen Wegen zur weiteren Ausbeutung von Mensch und Natur. Ein Schlüsselinstrument dabei ist die ideologische und finanzielle «Vereinnahmung» der herrschenden politischen Parteien und damit der institutionellen Aufgabe und der politischen Ausrichtung eines bestimmten Nationalstaates. Die zentralen Akteure dieser Korruption auf individueller oder parteipolitischer Ebene waren führende Politiker*innen und Beamt*innen. Wie oben dargelegt, waren also die Beziehungen zwischen dem ANC und dem Unternehmenskapital von Anfang an von der Vereinnahmung des Staates geprägt.
Eines der eklatantesten Beispiele für diese Vereinnahmung ist wohl das im Rohstoffhandel und Bergwerksbetrieb tätige Unternehmen Glencore. Während der gesamten Apartheid-Ära, vor allem aber in den 1970er und 1980er Jahren, waren das Apartheid-Regime und seine Vertreter*innen «in systemische Wirtschaftskriminalität verwickelt, um Sanktionen zu umgehen, sich im Ausland Vorteile zu erkaufen und ihre Schmutzkampagnen im eigenen Land zu finanzieren». Dies schuf parallele «kriminelle Netzwerke zwischen dem Staat und dem Privatsektor», die wiederum einer kleinen Gruppe von Personen reichlich Gelegenheit boten, «unter dem Deckmantel der Geheimhaltung riesige Geldbeträge zu stehlen und ins Ausland zu schaffen».
Glencore wurde 1974 vom Ölhändler Marc Rich gegründet. Nach seiner Flucht aus den USA im Jahr 1983, wo er wegen Steuerhinterziehung und illegaler Geschäftspraktiken angeklagt wurde, ließ sich Rich in der Schweiz nieder und wurde bald unentbehrlich für das globale kriminelle Netzwerk des Apartheid-Regimes, das Öl gegen Bargeld verkaufte. Kurz vor seinem Tod im Jahr 2013 gab Rich zu, dass seine Beziehung zum Apartheidstaat sein «wichtigstes und profitabelstes» Geschäft und der Erfolg von Glencore damit größtenteils auf Bestechung zurückzuführen gewesen sei.
Das Ende der Apartheid bedeutete jedoch nicht das Ende der Beziehungen von Glencore zu Südafrika. Über verschiedene Tochter- und Partnerunternehmen, insbesondere die Bergbauunternehmen Trafigura und Xtstrata, entwickelte sich Glencore zu einem wichtigen Akteur, der massiv in den Abbau riesiger Mengen an mineralischen Ressourcen des Landes und den damit verbundenen Handel investierte. Die kriminelle Vergangenheit des Gründers und die wichtige Rolle des Unternehmens bei der Aufrechterhaltung der Apartheidmaschinerie schienen dabei kein Hinderungsgrund zu sein. Als der Bergbausektor zum Herzstück des Black-Economic-Empowerment-Programms (BEE) des ANC wurde, verdichtete sich auch das Beziehungsnetz zwischen Glencore – nun unter Leitung von Richs Schützling, dem in Südafrika geborenen Ivan Glasenberg – und den führenden ANC-Persönlichkeiten weiter. Als Glencore 2012 Südafrikas größtes im Kohlebergbau tätiges Unternehmen Optimum Coal aufkaufte, wurde kein Geringerer als Cyril Ramaphosa, wichtigster Mann des BEE-Programms und ANC-Chef, zum Vorsitzenden ernannt.
Ende 2015 verkaufte Glencore dann Optimum an Tegeta Exploration & Resources, ein Konzern, der von der berüchtigten Gupta-Familie gegründet wurde, deren enge Verbindungen und dubiose Geschäfte mit dem in Ungnade gefallenen ehemaligen ANC-Vorsitzenden und Staatspräsidenten Jacob Zuma und dessen Familie seit Jahren im Mittelpunkt des politischen Diskurses in Südafrika stehen. Es nimmt daher nicht wunder, dass Zumas Gefolgsmann und Minister für Bodenschätze, Mosebenzi Zwane, zu einem Treffen mit Glencore-CEO Glasenberg in die Schweiz geflogen war. Gerade einmal drei Wochen vor dem Verkauf ging die Hälfte der Tegeta-Aktien auf ein Unternehmen über, das Zumas Sohn Duduzane Zuma gehört.
Ein von Korruption durchzogenes System
Stellt man also diese Zusammenhänge her, wird die Kontinuität der vor und nach 1994 vorherrschenden Korruption immer deutlicher. Das Kollektiv für investigativen Journalismus Open Secrets fasst es so zusammen: «Das enorme Ausmaß an Wirtschaftskriminalität, das unsere Demokratie heute plagt, ist zu einem nicht geringen Teil darauf zurückzuführen, dass wir die kriminellen Netzwerke, die unter der Apartheid gediehen, nicht zerschlagen haben.» Deshalb sind die einseitige Verabschiedung der Strategie für Wachstum, Beschäftigung und Umverteilung (Growth, Employment and Redistribution – GEAR) durch den ANC und die daraus resultierende, energisch verfolgte unternehmensfreundliche Politik so zentral für das Verständnis der fortgesetzten Staatsvereinnahmung in Südafrika.
GEAR ebnete den Weg für eine breite Palette an öffentlichen und privaten geschäftlichen Transaktionen zwischen dem ANC, dem Staat, den «Geberländern» sowie involvierten Politiker*innen, Beamt*innen und Vertreter*innen des Kapitals, von denen alle gleichermaßen profitierten. In diesem Arrangement sind sowohl die Interessen von Unternehmen und Gruppen als auch einzelne Klasseninteressen an ausländische und inländische Investitionen durch das Kapital gekoppelt. Dies ermöglicht es dem ANC und seiner Führung nicht nur, die gemeinsamen Interessen und die damit verbundene Korruption zu verschleiern, sondern auch die Ausweitung der Klientelnetzwerke voranzutreiben, die sowohl für den ANC selbst als auch für die Regierungsführung in Südafrika nach 1994 so zentral geworden sind.
Es gibt keinen deutlicheren Beweis für diesen Zustand als jenen, den Zuma selbst 2015 bei einem Galadinner für die kapitalistischen Kumpan*innen des ANC, auch bekannt als Progressives Wirtschaftsforum (PBF), lieferte:
Ich sage den Geschäftsleuten immer, dass es klug ist, in den ANC zu investieren. Wenn Sie nicht in den ANC investieren, gefährdet das Ihr Unternehmen. Der TG [ANC-Generalschatzmeister] ist ein netter und gut aussehender junger Mann. Wenn er anklopft, sollten Sie ihn hereinlassen. Wenn er sagt, dass wir etwas brauchen, wird er nur um eine Sache bitten. Wenn er sagt, unterstützen Sie den ANC, stellen Sie einfach einen Blankoscheck über eine sechsstellige Summe aus [...]. Diese Organisation macht keinen Profit, aber wir schaffen ein günstiges Umfeld für diejenigen, die Profit machen. Wer einmal Gewinne gemacht hat, weiß, was zu tun ist.
Diese korrupte organisatorische und politische Kultur hat sich ausgehend von den oberen Rängen des ANC, des Staates und der kapitalistischen Welt, mit der viele Führungspersonen des ANC verflochten sind, auf die unteren Strukturen des ANC und seine Bündnispartner ausgeweitet. Im Laufe der Zeit hat dies dazu geführt, dass immer mehr Menschen in diese Matrix hineingezogen wurden. Sie nehmen Führungspositionen nicht aus politischer und/oder ideologischer Überzeugung ein, sondern um nach Macht und materiellem Vorteil zu streben.
Das verfassungsrechtliche Endspiel
Dieser Hintergrund sollte bei der Bewertung des Inhalts und Charakters der gefeierten südafrikanischen Verfassung sowie der Schwierigkeit, viele ihrer Versprechen umzusetzen, und der verschiedenen gegen sie gerichteten Angriffe berücksichtigt werden.
Trotz der tief verwurzelten und systemischen sozialen, wirtschaftlichen und politischen Krisen, die heute in Südafrika so deutlich sichtbar sind, gibt es mehrere positive Aspekte des verfassungsrechtlichen Rahmens des Landes, auch wenn sie in der Praxis nicht vollständig umgesetzt werden. Einige der erwähnenswerten sind:
- Ein institutionalisiertes demokratisches System, das auf nicht-rassistischen Idealen und einer Verfassung basiert, die die wichtigsten bürgerlichen, politischen und sozioökonomischen Rechte festschreibt.
- Das Recht auf Staatsbürgerschaft ungeachtet der Hautfarbe, ethnischen Zugehörigkeit oder des geografischen Standorts, verbunden mit dem Recht zu wählen, politische Parteien zu gründen und an Wahlen teilzunehmen.
- Schutz vor Diskriminierung, unter anderem aufgrund von Abstammung, Geschlecht, ethnischer oder sozialer Herkunft, sexueller Orientierung, Alter, Gewissensgründen, Glauben und Kultur.
- Weitere bürgerliche und politische Rechte, darunter das Recht auf Versammlung, Zugang zu Informationen, freie Meinungsäußerung, Religion, Sprache, Freizügigkeit und Privatsphäre.
- Eine Reihe von einklagbaren sozioökonomischen Rechten, einschließlich des Zugangs zu Wohnraum, Wasser, Nahrung, Gesundheitsversorgung, sozialer Sicherheit und Bildung sowie das Recht auf eine sichere und gesunde Umwelt.
Dabei gibt es jedoch einen Haken: Die Wahrnehmung der verschiedenen in der Verfassung verankerten Rechte ist direkt an die politische und wirtschaftliche Stellung, an Macht und Reichtum gebunden. Wenn berechtigte Erwartungen der Bevölkerungsmehrheit, also der Arbeiter*innen und Armen, bezüglich praktischer Unterstützung und effektiver Hilfen permanent enttäuscht werden, dann muss der eigentliche Wert der Verfassung, ihrer umfassenden Rechte und aller damit verbundenen Rechtsvorschriften und Maßnahmen, die diesen Rechten rechtliche und praktische Wirkung verleihen sollen, ernsthaft infrage gestellt werden.
Um noch einmal auf die oben erwähnte Metapher des Hauses zurückzukommen: Zwar hat es in der Zeit nach der Apartheid am Haus – damit ist Südafrika gemeint – einige Verbesserungen im Innenbereich und äußere Anbauten gegeben, aber das Haus selbst ruht nicht nur auf einem morschen Fundament, sondern die meisten Verbesserungen und Anbauten sind auch nicht für die Mehrheit der Bewohner*innen des Hauses ausgelegt und wurden weitgehend ohne deren Beteiligung durchgeführt. Diese bewusst konstruierte, kombinierte und ungleichmäßige Entwicklung zeichnet die Verfassungsarchitektur des Post-Apartheid-Südafrikas aus.
Seit 1994 beobachten wir, wie sich politische und wirtschaftliche Eliten aussuchen, welche Aspekte der konstitutionellen Demokratie nur für sie gelten und welche Teile des demokratischen Prozesses sie dem Rest der Gesellschaft zugestehen wollen. So wurde etwa die eigentliche partizipatorische Demokratie so gut wie ausgehebelt und politisch manipuliert. In der Folge haben der ANC und der Staat selbst an politischer Autorität und Unterstützung in der Bevölkerung verloren. Zudem ist die Wahlbeteiligung auf einen historischen Tiefstand gesunken. Eine verstärkte Informationskontrolle, fehlende Regulierung, eine nahezu unverhohlene Verachtung der demokratischen Kontrolle und die einheitliche Anwendung der Rechtsvorschriften sowie eine zunehmende Versicherheitlichung von Staat und Gesellschaft definieren das heutige Südafrika.
Noch grundlegender ist die südafrikanische Politik durch die Arroganz der Elite und ihren Anspruch auf Herrschaft und Machterhalt um jeden Preis gekennzeichnet. Daher war absehbar, dass es zu opportunistischen und heuchlerischen Angriffen auf die Verfassung kommen würde – auch wenn legitime und notwendige Kritikpunkte sowie gute Argumente für sinnvolle, fortschrittliche Verfassungsänderungen darunter sind, insbesondere in Bezug auf Eigentumsverhältnisse und sozioökonomische Rechte. Solche Angriffe häuften sich vor allem in den letzten Jahren. In den meisten Fällen gehen sie auf die engstirnig nationalistische, ethnisch geprägte, sozial konservative und autoritäre Politik von Ex-Präsident Jacob Zuma und in jüngerer Zeit auf die von ihm gegründete Partei Umkhonto we Sizwe (MK) zurück. Im Manifest der MK heißt es, dass sie, sollte sie an die Macht kommen, «die Verfassung von 1996 abschaffen und durch ein parlamentarisches System ersetzen» werde.
Es handelt sich dabei nicht um eine spezifische «verfassungsfeindliche Ideologie», sondern um eine eigennützige, demagogische politische Inszenierung, die sich die berechtigte Skepsis der Mehrheit gegenüber der Verfassung zunutze machen will. Mit dem Manifest soll der Anschein erweckt werden, dass die Verfassung einer umverteilenden Sozial- und Wirtschaftspolitik im Weg steht und für die Aushöhlung des Staates verantwortlich ist.
Diese Argumentation lässt sich am besten durch die Äußerungen des ehemaligen hochrangigen ANC-Politikers Ngoako Ramatlhodi aus dem Jahr 2011 veranschaulichen. Er erklärte, der ANC sei vor allem deshalb nicht in der Lage gewesen, einen radikalen Wandel herbeizuführen, weil er eine Verfassung akzeptiert habe, die «erhebliche Macht von der Legislative und der Exekutive auf die Judikative, die Institutionen nach Kapitel 9 und zivilgesellschaftliche Organisationen» verlagerte, was zur «Aushöhlung des Staates» geführt habe.
Tatsächlich zielen die Angriffe darauf ab, politische Unterstützung zu gewinnen in der Hoffnung, dass sie sich in politische Macht umwandeln wird. In der Tat stehen diese Angriffe im Einklang mit der historischen und aktuellen Politik der Eingliederung und des Wachstums, die die Eckpfeiler der Vereinnahmung des Post-Apartheid-Staates ausmachen. Darüber hinaus stellen sie jedoch eine südafrikanische Version einer viel umfassenderen, globalen Entwicklung einer zunehmend rechten, autoritären und faschistischen Politik dar, die darauf abzielt, die «Demokratie» zu delegitimieren. Unter dem Deckmantel des «Volkes» wird sowohl die staatliche als auch die private politische und wirtschaftliche Macht in noch größerem Umfang konzentriert, zentralisiert und kontrolliert.
Dreißig Jahre Vereinnahmung des Staates in Kombination mit der jüngsten Herausbildung einer schädlichen und oft gewalttätigen Form antidemokratischer Politik und antidemokratischen Verhaltens stellt heute die größte Herausforderung für Südafrika dar. Neben der grundlegenden Notwendigkeit, die Verfassung gegen Angriffe von außen zu verteidigen, wird es an den fast 65 Millionen Einwohner*innen des Landes und insbesondere an der aus Arbeiter*innen bestehenden Mehrheit liegen, ihre hart erkämpften Rechte zu schützen und die demokratischen Institutionen und Praktiken in den nächsten Jahren zu stärken. Dies wiederum wird darüber entscheiden, ob dieses schöne, aber geschundene Land die entwicklungspolitische und demokratische Wende schaffen kann oder ob es zu einem weiteren gescheiterten Staat wird, der von und für Eliten geführt wird.
Dieser Artikel basiert auf einem Vortrag, den der Autor im Rahmen der vom Johannesburger Büro der Rosa-Luxemburg-Stiftung veranstalteten Reihe Democracy Dialogue gehalten hat.
Deutsche Übersetzung von Cornelia Gritzner & Sabine Voß für Gegensatz Translation Collective.