Blog | Ghodsees Utopie einer sozialen Gerechtigkeit

Buchrezension von Laura Kischkel | @buchlieberhaberin


»Warum Frauen im Sozialismus besseren Sex haben. Und andere Argumente für ökonomische Unabhängigkeit«

Kristen R. Ghodsee (2019)

Übersetzt von Ursel Schäfer und Richard Barth

277 Seiten, Suhrkamp Verlag


Kristen R. Ghodsees Buch »Warum Frauen im Sozialismus besseren Sex haben« ist heute nicht weniger relevant als zum Zeitpunkt der Veröffentlichung im Jahr 2019. Im Gegenteil - gerade in Zeiten, in denen soziale Rechte gefährdet sind und geschlechtliche Gerechtigkeit weiter auf sich warten lässt, gewinnt dieses Buch an Bedeutung.

Ghodsee argumentiert, dass der Kapitalismus strukturell benachteiligt – und zwar die Mehrheit der Menschen, insbesondere aber Frauen (im Verlauf des Buches erweitert sie ihre Perspektive und bezieht auch race und Klasse in ihre Analyse ein). Aus einer intersektionalen feministischen Sichtweise heraus macht sie deutlich, dass das Patriarchat zu überwinden nicht genügt – auch der Kapitalismus müsse in Frage gestellt werden.

Ghodsee will jedoch keine nostalgische Rückkehr zu den sozialistischen Systemen des 20. Jahrhunderts. Sie kritisiert deren autoritäre Züge offen und differenziert. Doch sie glaubt daran, dass wir aus den sozialen Fortschritten dieser Gesellschaften, insbesondere in Bezug auf Gleichstellung, soziale Absicherung und ökonomische Teilhabe, lernen können, um die Gegenwart zu verändern. Dafür will sie den »Sozialismus« wieder positiv konnotieren.

Die Autorin beschreibt ihr Buch selbst als Einstiegslektüre. Entsprechend bleibt sie an vielen Stellen bewusst an der Oberfläche, will Denkanstöße geben und zur weiteren Auseinandersetzung einladen. Dabei arbeitet sie mit einer breiten theoretischen Basis und verwebt die Ideen von Sozialist*innen wie August Bebel, Lily Braun, Alexandra Kollontai, Clara Zetkin oder Rosa Luxemburg in ihren Text. Ergänzt wird dies durch persönliche Erzählungen, theoretische Überlegungen und empirische Quellen. Zusätzlich durch ihren Humor ergibt sich eine bunte Mischung, die das Buch abwechslungsreich und unterhaltsam gestaltet. 

Im Zentrum steht der Vergleich aktueller ökonomischer Verhältnisse mit jenen in ehemals sozialistischen Ländern wie Rumänien, Bulgarien oder auch der DDR. Der Titel des Buches mag auf den ersten Blick provokant wirken, doch tatsächlich geht es Ghodsee um mehr als Sexualität, es geht um Emanzipation.

Während in Westdeutschland viele Frauen nach dem Krieg in die Hausfrauenrolle gedrängt wurden, wurden Frauen in der DDR fest in den Arbeitsmarkt integriert. Das geschah nicht primär aus Gleichstellungsgründen, sondern schlichtweg weil ihre Arbeitskraft gebraucht wurde. Dennoch führte dies zu staatlichen Maßnahmen wie flächendeckender Kinderbetreuung oder Mutterschutz. Laut einer von Ghodsee zitierten Studie trugen diese Bedingungen zu einer höheren sexuellen Zufriedenheit von Frauen in der DDR bei – nicht zuletzt auch  aufgrund ihrer ökonomischen Unabhängigkeit vom Ehepartner.

Ghodsee macht deutlich, wie eng Fragen zu Ökonomie und Geschlechterverhältnissen miteinander verwoben sind. Sie fordert eine Verbesserung der sozialen Gesetzgebung – nicht nur für ihr Heimatland, die USA, sondern auch für Deutschland, wo sie selbst lange lebte und forschte (unter anderem in Rostock).

Das Buch romantisiert den Sozialismus keineswegs, sondern argumentiert differenziert und historisch reflektiert. Eine kleine Schwäche zeigt sich jedoch darin, dass Ghodsee zwar zu Beginn erwähnt, dass sowohl Kapitalismus als auch Patriarchat für eine Gleichstellung weichen müssten. Im Verlauf vergisst sie jedoch, dass Sozialismus nicht sofort und automatisch völlige Gleichstellung bedeutet. Ein Aspekt, der in den Hintergrund gerät.

Insgesamt ist dieses inzwischen sechs Jahre alte Buch ein, unterhaltsamer und zugänglicher Einstieg für alle, die sich mit den Zusammenhängen von Sozialismus und Feminismus beschäftigen möchten. Wer auf der Suche nach guter Einstiegsliteratur zu diesem Thema ist und Interesse an dem guten Leben für alle hat, wird hier fündig.