Am 15. Oktober fand in den Räumen der TU Dresden das erste Medienseminar der Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen statt.
Im Folgenden finden Sie eine kurze Zusammenfassungen und Interviews zu den Panels und er Podiumsdiskussion
1. Panel mit Georg Maas "Wie das Internet unser Leben und die Medien verändert hat"
2. Panel mit Constanze Kurz zu "Netzneutralität"
3. Panel mit Andreas Schneider zum "Datenschutz und Selbstdatenschutz"
und MdEP Dr. Cornelia Ernst zum "Datenschutz in der EU"
4. Panel mit Anne Roth und Peter Stawowy "Zwei Konzepte von Gegenöffentlichkeit"
5. Panel "Was tun... ...Privat?"
1. Panel mit Georg Maas "Wie das Internet unser Leben und die Medien verändert hat"
„Nicht was mir machen, sondern wie wir es machen hat sich verändert!“
Wie sieht es aus, unser Leben mit dem Internet? Georg Maas, Hauptabteilungsleiter für Neue Medien beim MDR, hat sich zum Auftakt des Medienseminars „Mein Profil gehört mir“ zu dieser Frage Gedanken gemacht. Er beschreibt das Leben mit dem Internet aus der Alltagssicht eines Journalisten, der in einem Mediensystem beschäftigt ist, in dem das Netz zwar da, aber noch längst nicht überall angekommen ist.
Wie hat das Internet unser Leben verändert?
Rund 78% aller Deutschen ab 14 Jahren geben an, zumindest gelegentlich das Internet zu nutzen. Das sind über 50 Millionen Menschen deren Leben vom Netz berührt wird. Der Computer mit seiner Verlängerung ins WorldWideWeb ist heute Fernseher, Musikplayer, Zeitung und Kontaktglied zu anderen Menschen in einem. Das bringt zunächst einmal eine Vielzahl von Vorteile mit sich. Die Arbeit mit dem Computer ist effektiv, flexibel und mobil. Und für die Medienlandschaft besonders Interessant: kein anderes Medium kann mit dem Aktualitätsgrad des Internet mithalten. Aber jede Sache hat zwei Seiten und so führt Maas auch ebenso viele Nachteile ins Feld. Die Frage nach der Datensicherheit und des Wahrheitsgehalts digitaler Inhalte, genauso wie die Gefahr durch neue Formen der Kriminalität, denen das Internet als Ausgangspunkt dient.
Wie lebt es sich mit dem Internet?
Ganz gut – wenn man sich an die Spielregeln hält. Zwei Menschen, denen das Netz zum Verhängnis geworden ist, stehen beispielhaft dafür, wie das Internet das eigene Leben beeinflussen kann. Das ist zum einen Roland Weise. Der ehemalige Media-Saturn-Chef verpasste die Anpassung des Konzerns an das digitale Zeitalter. In dem er das Online-Geschäft außen vor ließ, wurde er bald vom Elektronikunternehmen außen vor gelassen. Ebenfalls seinen Job los ist Karl-Theodor zu Guttenberg. Einst als Aufsteiger der Politik gefeiert, war sein Fall umso tiefer, als er des Plagiats bei seinerDoktorarbeit überführt wurde. Guttenberg unterschätzte die Bemühungen des GuttenPlag Wiki, Transparenz in die sogenannte ‘Plagiatsaffäre‘ zu bringen und hielt zu lang an seiner falschen Wahrheit fest. Das kostete ihn zum Schluss den Posten als Minister.
Wie kann man mit dem Internet die Gesellschaft verändern?
Petitionen können online unterschrieben werden, facebook verbindet etwa 800 Millionen Menschen weltweit und der arabische Frühling organisiert sich über das Internet. Ausdruck dafür, dass das Internet die Gesellschaft verändert hat? Georg Maas glaubt das nicht. „Das Internet ist eher die Ausdrucksform einer bereits veränderten Gesellschaft.“
Ist das Internet ein achter Kontinent?
Nein. Das Internet hat unser Leben in vielerlei Hinsicht verändert. Gleichzeitig ist die Netzwelt eine, die ihren eigenen Gesetzen unterliegt. Die Frage nach dem achten Kontinent ist jedoch die Falsche. „Es ist ein Phänomen, dass immer wenn etwas komplett Neues in der Welt auftaucht, die Menschen versuchen, es mit Begriffen aus der alten Welt zu belegen.“ Das Internet kann einem in seiner Bedeutung durchaus als eigenständiger Kontinent erscheinen. Jedoch ist es viel weitreichender und beweglicher, als das es durch die starre Bezeichnung ‘Kontinent‘ je vollständig erfasst werden könnte.
2. Panel mit Constanze Kurz zu "Netzneutralität"
„Unsere Chancen haben wir erst einmal versäumt“
Constanze Kurz, Sprecherin des Chaos Computer Clubs, über Netzneutralität und die Anforderungen an die Politik
Frau Kurz, was bedeutet Netzneutralität und welche Bedeutung hat sie für das Internet, wie wir es heute kennen?
Im Wesentlichen meint Netzneutralität, dass Datenpakete gleichbehandelt und diskriminierungsfrei durch die Netze geleitet werden, ohne, dass sie künstlich verlangsamt oder blockiert werden. Das schließt auch aus, dass von den Providern selbst angebotene Datenpakete priorisiert werden. Die Bedeutung der Netzneutralität ist auf verschiedenen Ebenen zu finden. Zum einen durch die Bedeutung der Presse- und Informationsfreiheit, die sie für unsere verfassungsgeschützten Werte wichtig macht. Zum anderen die Bedeutung im wirtschaftlichen Bereich. Insbesondere Neugründungen oder kleinere Firmen brauchen natürlich einen fairen Zugang zum Netz, wenn sie neue Geschäftsmodelle aufbauen wollen.
Wer profitiert von fehlender Netzneutralität?
Die großen Akteure, die die Netzneutralität von verschiedenen Seiten angreifen, sind natürlich diejenigen, die selbst daran verdienen. Vor allen die Provider, die selbst Inhalte-Anbieter sind, weil sie natürlich gerne ihre Inhalte in ihren eigenen Netzen priorisieren wollen. Und dann natürlich die großen Player, die eine solche Marktmacht haben, die es ihnen überhaupt erst erlaubt, Verträge so zu gestalten, dass Inhalte verlangsamt oder bevorzugt werden können. Darüber hinaus gibt es aber auch durchaus Interessen des Staates. Schließlich ist gerade im Festnetzbereich der größte Anbieter, die Telekom, immer noch in Staatsbesitz. Insofern sind die Interessen da schon sehr vielfältig.
Was sind denn die Folgen fehlender Netzneutralität für kleinere Unternehmen, aber auch für den Endverbraucher?
Der Endverbraucher ist am Ende sowieso der gelackmeierte. Er hat in diesem Spiel die kleinste Lobby, da es nun mal keine Wirtschaftslobby gibt, die sich für die Interessen der Gesellschaft stark macht. Außerdem gibt es in vielen Bereichen hier in Deutschland auch keinen funktionierenden Markt. Das heißt, er kann nicht immer auswählen und sich ergo nicht den Provider suchen, bei dem er ein netzneutrales Internet bekommt, ohne einen in irgendeiner Art technisch oder rechtlich diskriminierten Zugang. Letztlich ist hier die Politik gefordert. Besonders im Festnetzbereich, in dem immer noch kein wirklicher Wettbewerb existiert, sondern immer noch die Telekom dominiert. Aber auch im Bereich der Mobilfunkmärkte, in dem schließlich drei der vier großen Mobilfunkprovider Internettelefonie, wie etwa Skype, blockieren. Die Provider führen hier oft ihr Netzwerkmanagement, das sie durchführen müssen, um die sinnvolle Weiterleitung der Datenpakete zu garantieren, ins Feld. Sie argumentieren auch mit der Gefahr von Engpässen, die allerdings schlecht belegbar sind. Das heißt wir brauchen erst einmal verlässliches Zahlenmaterial, um dort weiter argumentieren zu können. Die Ausrede, dass es hier in Deutschland kein Problem gäbe mit den Eingriffen in die Netzneutralität, halte ich für falsch. Das sieht man ganz eindeutig an den Skype-Fällen. Und die Bundesnetzagentur die den Markt regulieren soll, ist aus meiner Sicht hier handlungsunfähig - offenbar auch nicht gewillt - und hat selbst keine Zahlen oder Messdaten vorliegen, um die Debatte zu substantiieren.
Wie kann man den Stand der Bundesrepublik zum Thema Netzneutralität zusammenfassen?
Man kann sagen, dass vieles noch ungeregelt ist und dass vor allen die Chance nicht genutzt wurde, die Netzneutralität im neuen Telemediengesetz, das derzeit vom Gesetzgeber überarbeite wird, klar festzuschreiben. Das ist versäumt worden. Aus meiner Sicht ganz klar auf wirtschaftlichen Druck, der Verbände, die die großen Provider vertreten. Da ist man auf EU-Ebene schon weiter. Da wird in Brüssel zumindest schon mal betont, dass Netzneutralität sehr wichtig sei und das auch im gesellschaftlichen Bereich, weil das Netz eben in unser aller Leben wichtiger geworden ist. Es gibt auch einige Länder, wie etwa die USA, die aus meiner Sicht Deutschland beim Thema Netzneutralität schon einen Schritt voraus sind. Da wünschte man sich hier schon mehr Handeln, doch aus meiner Sicht sind die Chancen vorerst vertan. In Deutschland wird es jetzt besonders wichtig sein, dass man die Öffentlichkeit für das Problem sensibilisiert.
Sie sind Sachverständige in der Enquete Kommission Internet und digitale Gesellschaft, die am 17. Oktober das nächste Mal tagt. Dieses Mal steht das Thema Netzneutralität wieder auf der Tagesordnung. Wie wird man sich kommenden Montag Ihrer Meinung nach einigen?
In der Enquete Kommission ist noch relativ viel offen. Beschlossen ist laut Tagesordnung, dass wir am Montag über die Netzneutralität abschließend befinden. Die Projektgruppe selbst hatte ja schon vor einer ganzen Weile ihre Arbeit beendet. Nun soll eigentlich nur noch der Abschlussbericht in den Bericht der Enquete Kommission. Ob das auch so kommt, kann man nie sagen. Das letzte Mal ist das Thema ja quasi von der Tagesordnung gestrichen worden. Insgesamt kann man sagen, dass dieser Abschlussbericht der Arbeitsgruppe zur Netzneutralität natürlich ein Konsensbericht ist. In manchen Punkten hätte ich deutlich radikaler argumentiert, wenn ich den Bericht hätte allein schreiben können.*
Was hätte es denn, im internationalen Vergleich gesehen, für eine Bedeutung, wenn Deutschland die Netzneutralität nicht garantieren würde?
Aus meiner Sicht ist Deutschland in vielen Dingen natürlich immer ein Vorbild. Das sieht man auch in anderen Bereichen, dass von außerhalb auf die Rechtslage hier genau geschaut wird. Ich glaube, dass hier ein regulierendes Eingreifen des Staates eigentlich von Nöten wäre. Besonders, wenn man sich den speziellen Telefonmarkt hier ansieht und die teilweise, aus Sicht des Marktes, sehr schlechte oligopolistische oder monopolistische Situation auf den Märkten. Da sieht man eine Auswirkung eines neoliberalen Gedankenguts, welches auch das Internet nur unter kommerziellen Gesichtspunkten betrachtet und noch nicht begriffen hat, welche immense Bedeutung das Netz für uns alle hat.
Frau Kurz, vielen Dank für das Interview.
* Die Enquete Kommission sprach sich am 17.10. für die Netzneutralität aus. Allerdings konnte man sich nicht darüber einigen, ob diese im Gesetz festzuschreiben sei, oder ob der Markt sich selbst regulieren könne. Ebenfalls uneinig war man darüber, ob die Einführung verschiedener Dienstklassen bereits eine Verletzung der Netzneutralität darstelle. Die Sachverständigen und Politiker gingen in einer Patt-Situation auseinander und beide Sichtweisen wurden schließlich in den Abschlussbericht aufgenommen.
3. Panel mit Andreas Schneider zu "Datenschutz und Selbstdatenschutz"
Datenschutz und Selbstdatenschutz– Spielregeln für den zweiten Lebensraum
Ein Spiel für über 50 Millionen deutsche Online-Nutzer
Dauer: ab dem ersten upload ca. bis zum Lebensende und darüber hinaus
Alter: eventuelle Altersbeschränkungen unterliegen dem Jugendschutz
Die Spielidee
In seinem Grundsatzurteil zur Online-Durchsuchung vom Februar 2008 erkannte das Bundesverfassungsgericht das besondere „Schutzbedürfnis eines informationstechnischen Systems“ an. Die Bedeutung dieser Systeme, zu denen Computer und deren Verlängerung ins Internet zählen, erschließt sich aus der Menschenwürde. Aber auch aus der veränderten Lebenswirklichkeit vieler Bürger, für die der zweite Lebensraum einen großen Stellenwert bei der Persönlichkeitsentfaltung einnimmt. Dieses Persönlichkeitsrecht gilt es also auch im Netz zu schützen. Allerdings nicht allein vor Eingriffen des Staates. Auch die Wirtschaft hat ein eigennütziges Interesse daran, nicht oder nur schlecht geschützte, persönliche Daten weiterzuverarbeiten und zu Werbezwecken zu (miss)brauchen.
Fast jeder Mensch hinterlässt jeden Tag Datenspuren - wenn er das Telefon einschaltet, sich in sozialen Netzwerken einloggt oder eine Wegbeschreibung bei Google-maps anfordert. Ziel dieses Spiels ist es, den bewussten Umgang mit den eigenen Daten im Netz anzuregen und diese auf möglichst effiziente Weise vor unerwünschten Zugriffen Dritter zu schützen.
Vor jedem Spiel
Schritt eins laut Andreas Schneider, dem Pressesprecher des sächsischen Datenschutzbeauftragten, ist immer das Hinterfragen. Bei welchen sozialen Netzwerken bin ich angemeldet? Welche sind wirklich wichtig für mein soziales Leben und welche sind für mich entbehrlich? Egal ob facebook, myspace oder twitter – ein Nutzer sollte immer mit den allgemeinen Geschäftsbedingungen einer Plattform, bei der er angemeldet ist, vertraut sein. Auch die Frage danach, wie es der Anbieter mit dem Datenschutz hält, sollte im Vorfeld geklärt werden und kann unangenehme Überraschungen vermeiden. Den wichtigsten Merksatz im Selbstdatenschutz-Spiel sollte man sich jedoch am Besten von Anfang an groß neben den Spielplan schreiben: Das Internet vergisst nie.
Und so wird gespielt
1) Regeln für den aktiven Selbstdatenschutz
Zunächst sollte man im Netz darauf achten, möglichst anonym unterwegs zu sein. Das geht etwa durch die Verwendung von Pseudonymen. Wichtig ist: nicht für jedes Netzwerk den selben Decknamen verwenden! Auch mehrere E-Mail-Adressen unter wechselnden Namen sind erlaubt, um ein wenig Verwirrung zu stiften. Echte Kontaktdaten sollte man im Netz möglichst nicht hinterlegen und wenn, dann am Besten nicht für jeden sichtbar. Generell sollte man den Personenkreis, der auf das eigene Profil zugreifen kann, beschränken. Wer persönliches ins Internet stellt, sollte auch stets auf die Privatsphäre Anderer achten – also keine Fotos von Personen hochladen, die das eventuell nicht möchten. Um die eigenen Spuren zu verwischen, eignet sich das sichere surfen über HTTPS-Seiten. Der einfache Zusatz des Buchstaben ‘s‘ in der üblichen "http://xyz.de-Formel", macht die übertragenen Daten abhörsicher. Um auch seinen Computer technisch optimal zu schützen, gehört neben der Antiviren-Software auch eine Anti-Spionage-Software dazu. Ein Gang in das PC-Fachgeschäft des Vertrauens, kann da einen Überblick über die günstigsten Angebote verschaffen.
2) Regeln für den passiven Selbstdatenschutz
Wem das alles nicht reicht, dem kann auch ans Herz gelegt werden,sich selbst in seinem Online-Verhalten einzuschränken. Nach dem Motto: Wer nicht im Netz surft, der kann auch nicht von Haien gebissen werden. Allerdings ist diese Spielregel für die meisten Menschen schwer umzusetzen, da das Internet mittlerweile zu unserem Lebensstandard gehört und sich viele Sachen einfach online abspielen. Wer sich allerdings darauf einlassen möchte/ kann, der kann in Zukunft öfter genießen nicht immer erreichbar sein zu müssen, indem er einfach mal sein Handy zu Hause lässt. Oder die monatlichen Überweisungen einfach ganz klassisch 'offline' am Bankschalter erledigt.
Alternative Spielweise
Das Datenschutz-Spiel kann aber auch ganz anders gespielt werden – nämlich gar nicht. Post-Privacy nennt sich die Utopie, die von einer diskriminierungsfreien Gesellschaft träumt, in der Privatsphäre schlicht nicht mehr gebraucht wird. Die Bewegung, die sich selbst die „datenschutzkritische Spackeria“ nennt, begründet ihren Unwillen zum Schutz persönlicher Daten auch damit, dass es schlichtweg nicht mehr möglich sei den Datenfluss zu kontrollieren, geschweige denn aufzuhalten.
3. Panel mit MdEP Dr. Cornelia Ernst zu "Datenschutz in der EU"
Datenschutz in der EU – Krankheitsbild: Schizophrenie
„Deutschland ist eine Datenschutzszene“, resümiert die energische Cornelia Ernst, Abgeordnete für die Partei DIE LINKE im Europaparlament, bereits zu Beginn ihres Vortrags. Der Frau, deren Haar in den Parteifarben schimmert und die selbst im Sitzen etwas standhaftes hat, glaubt man gern, wenn sie im lockeren Plauderton ergänzt „doch das Thema interessiert in vielen anderen EU-Staaten keinen Hund“. Doch Deutschland hat in seiner Vorbildfunktion Wirkung in den EU-Raum hinein und so ist es um den gemeinsamen Datenschutz theoretisch gar nicht so schlecht bestellt. Die europäische Datenschutzrichtlinie befindet Ernst jedenfalls in allen Punkten für gut. Alles in Ordnung also. Oder doch nicht? Denn als Prüfstein für die Position der EU zum Thema zeigt sich immer wieder das Schreckgespenst „Terrorismus“, das seit dem 11. September 2001 auch durch Europa spukt. Unter dem Vorwand der Terrorismusbekämpfung werden die Bürger und Bürgerinnen seither in ihrem Recht auf Datenschutz immer wieder beschnitten. Ob durch das SWIFT-Abkommen, welches den Betroffenen das Auskunftsrecht verwehrt, an Flughäfen eingesetzte Köperscanner, die in die Intimsphäre des Einzelnen eindringen oder durch das EU-Projekt INDECT, mit dem an einem Orwellschen Überwachungsinstrument gearbeitet wird. Parlamentarierin Ernst, die sich über die genannten Fälle in heiße Empörung geredet hat, sieht in diesen unterschiedlichsten Rechte-Untergrabungen drei Dinge gemein. In jedem der Beispiele werden Daten verdachtsunabhängig erfasst und ohne, dass der Betroffene darauf Einfluss nehmen könnte. Noch bitterer im Nachgeschmack ist allerdings der Fakt, dass es für keines der Instrumente bisher einen Beweis für dessen positiven Nutzen gibt. „Die Europäische Union ist zwar beispielgebend in Freiheits- und Grundrechten, hebelt jedoch diese Rechte auch selbst wieder aus. Das hat schon etwas schizophrenes.“ Das Kernproblem sei, dass das staatliche Schutzbedürfnis entgegen die universellen Freiheitsrechte gestellt würde. Statt vs. Bürger also? Die linke, grüne und liberale Vertretung im EU-Parlament will dagegen angehen. Erstes Ziel ist dabei die einheitliche Durchsetzung der Datenschutzrichtlinie in allen europäischen Staaten, da hier die Niveaus immer noch sehr unterschiedlich sind. Auch müssten die Prinzipien der Transparenz, des Rechtsschutzes und schließlich das Recht auf informationelle Selbstbestimmung durchgesetzt werden. Cornelia Ernst möchte man diese Aufgaben sehr gern anvertrauen. Man stellt sich vor, wie sie als Datenschutz-Woman einmal über Europa fliegt und jedem Land mit zu niedrigen Standards einmal auf den Regierungstisch klopft. Dass das im parlamentarischen Alltag so nicht funktioniert, weiß man. Dass die EU wohl sobald von Projekten wie INDECT nicht ablassen wird, leider auch.
4. Panel mit Anne Roth und Peter Stawowy "Zwei Konzepte von Gegenöffentlichkeit"
Anne Roth und annalist@noblogs.org
„Ich telefoniere ab und zu mit dem BKA. Bzw. eigentlich telefoniere ich immer mit dem BKA, weil immer, wenn ich telefoniere, das BKA zuhört.“
Dieser Satz machte Anne Roth vor ziemlich genau vier Jahren zur Gegenöffentlichkeit. Und warum? Weil sie ihn erstens schrieb und zweitens veröffentlichte. Seit Oktober 2007 existiert ihr eigenes Blog nun bereits. Das war zwei Monate nachdem ihr Freund Andrej Holm morgens um sieben in der gemeinsamen Wohnung als angeblicher Terrorist verhaftet wurde, während die beiden Kinder in den Nebenzimmern noch schliefen. Wie sich herausstellte, wurde die Familie zu diesem Zeitpunkt bereits seit einem Jahr vom BKA überwacht. Ganz legal mit Kameras, Wanzen und anderer Abhörtechnik. Als Holm einen Monat später aus der U-Haft entlassen wird, beschließt die eher besonnene Roth, die Flucht nach vorn anzutreten. Sie veröffentlicht ihre Erfahrungen mit der Überwachung in einem eigenen Web-Tagebuch und beschreibt, für jeden zugänglich, wie es sich anfühlt, wenn sich das eigene Telefon nicht so verhält wie das anderer Leute. Über das Blog erhielt sie so nicht nur die Möglichkeit sich Gehör zu verschaffen, sondern auch die moralische Unterstützung von verschiedensten Seiten, die ihr in dieser Zeit halfen. Gegen Andrej Holm kam es nie zur Anklage und das Verfahren wurde im Juli 2010 eingestellt. Was geblieben ist, ist das Wissen darüber, wie leicht man in den Fokus der Staatsmaschinerie geraten kann und – das Blog. Anne Roth, eine Frau die ihr langes Haar in einem angenehmen Naturton trägt, nutzt es auch heute noch als Plattform, um über Terrorismus- und Extremismus-Debatten, Medien und Netzpolitik zu publizieren. Sie ist ein Beispiel von vielen, wie Gegenöffentlichkeit funktionieren kann – auch wenn man hofft, dass das Hör- und Lesebedürfnis des BKA inzwischen nur noch rein privater Natur ist.
Peter Stawowy und flurfunk-dresden.de
Erfolgreiche Blogger sind dieser Tage kaum noch die Kellerkinder mit Brille und einem Faible für Thematiken, mit denen der größte Teil der Bevölkerung nicht so ganz warm wird, wie sie es vielleicht vor ein paar Jahren waren. Bei Peter Stawowy ist das anders, auf ihn trifft das alles zu. Nur, der Erfolg gibt ihm Recht. Der gebürtige Rheinländer, der seit 8 Jahren in Dresden als Medienschaffender aktiv ist, machte sich 2008 selbständig und mischt seit dem aus seinem Kellerbüro 200 Meter Luftlinie von der Elbe entfernt in der sächsischen Medienlandschaft mit. Sein Steckenpferd –wie sollte es anders sein – sind die Medien selbst. Das Bloggen darüber fing er eher aus Interesse daran nebenher an. Seitdem hat sich social media zu einer Art Hobby für ihn entwickelt, dass allerdings auch die eigene Karriere befördert. Als ‘social media-Experte‘ ist er gern gesehener Referent und Berater, für die Privatwirtschaft aber auch für die Politik. Als Dozent für Online-Journalismus bringt er Studenten der Technischen Universität Dresden bei, die Vorteile dieses Mediums für sich zu nutzen. Nebenbei hat er mit seinem Blog sein eigenes Medium geschaffen, in das inzwischen wohl auch schon der ein oder andere Mitarbeiter größerer sächsischer Medieninstitutionen einen Blick geworfen hat. Seitdem bewegt sich der hochgewachsene Mann, der wohl auch schon Brille getragen hat, bevor endlose Arbeitstage am Rechner hinzustießen, souverän über das Parkett der sächsischen Medienlandschaft. Ihm als Vollblut-Netzwerker kommen da die Strukturen des vielbeschworenen Web2.0 bei seiner Arbeit zu Gute. Auch wenn er zugibt, dass er sich erst daran hatte gewöhnen müssen, dass seine Arbeit als Journalist durch die Kommentarfunktion auf einmal streitbar wurde. Zu den populärsten Themen gehört die Hintergrundberichterstattung über Medien wahrscheinlich nach wie vor nicht, doch Peter Stawowy weiß, seine Nische hier gekonnt auszufüllen.
5. Panel: "Was tun... ...Privat?"
Was ist im Netz tabu? Welche Informationen würden Sie nicht über sich preisgeben wollen?
Andreas Schneider: Ich persönlich bin in keinem sozialen Netzwerk angemeldet. Aber ich bin natürlich in einer Partei, über deren Parteiseite man mich finden kann. Trotzdem gibt es auch da keine persönlichen Informationen über mich. Ich habe in der Richtung kein Bedürfnis mich zu repräsentieren und das nicht nur, weil ich für den sächsischen Datenschutz arbeite. Freunde habe ich auch, obwohl ich nicht in sozialen Netzwerken angemeldet bin.
Peter Stawowy: Ich habe auch noch Freunde, obwohl ich in sozialen Netzwerken angemeldet bin. Mein Motto ist: alles was ich in sozialen Netzwerken publiziere, dürfte über mich auch in der Bild-Zeitung stehen. Ich will nicht, dass dort drin steht was ich wähle, wie ich zur Religion stehe und natürlich keine Details über meine Kinder.
...Gesellschaftlich?
Wie positioniert sich ein Medienanbieter in einer Zeit, in der private Unternehmen durch Unterhaltungsangebote versuchen an persönliche Daten zu gelangen, um dann gezielt Werbung zu betreiben? Könnten sich die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanbieter nicht zusammenschließen und eine datensparsame Plattform etablieren, die auch versucht Netzneutralität durchzusetzen? So dass die Entscheidung, ob man datenschutzfreundliche Technik nutzen möchte oder nicht wieder beim Konsumenten liegt?
Georg Maas: Die Sache ist, dass wir das bereits tun. Ich würde sagen unsere Plattformen sind datensparsam. Aber ich habe den Eindruck, dass interessiert überhaupt keinen. Die Datenschutzbedingungen von Google+ etwa sagen eindeutig, dass alles was eingestellt wird, nicht mehr dem gehört, der es hochgeladen hat. Dennoch sind es mittlerweile schon wieder 25 Millionen Menschen, die diese Plattform nutzen. Im Gegensatz dazu sind datenschutzfreundliche Anbieter wie etwa Diaspora noch gar nicht bekannt. Der MDR hat sich beispielsweise zu Netzneutralität bekannt. Auch die Daten der Nutzer, die sich in unseren Foren anmelden, werden nicht weitergegeben. Das dass die meisten Nutzer irgendwie positiv honorieren würden, dass sehe ich zur Zeit nicht.
Wie datenschutzfreundlich muss ein Anbieter überhaupt sein?
Peter Stawowy: Die ganze Datenschutzdebatte ist mir deutlich zu negativ belegt. Die vielen positiven Seiten sozialer Netzwerke werden da oft außen vor gelassen. Ich glaube, dass das, was die Datenschutzbeauftragten gerade machen können, bloßes reagieren ist. Ich denke außerdem, dass wir über einen anderen Begriff der Privatheit nachdenken müssen. Wer sich etwa bei facebook anmeldet, muss wissen, dass er die Kontrolle über seine Daten abgibt. Dafür brauchen wir eine Sensibilisierung. Wir befinden uns auch erst am Anfang der Entwicklung. Wenn ich in Zukunft ein T-Shirt bei Amazon bestelle, dann wird da statt einem Etikett ein RFID-Chip eingenäht sein. Wenn ich dann ein Kaufhaus betrete, wird auf einem Bildschirm zu lesen sein: „Guten Tag Herr Stawowy! Die Kleidung der Marke xyz befindet sich im 2ten Stock.“ Das wird kommen und es wird die Menschen begeistern. Es wird unglaublich viele Menschen geben, die genau das unglaublich großartig finden. Egal wie viel man mit datenschutzrechtlichen Bedenken argumentiert. Es gib Leute in Spanien, die sich haben RFID-Chips unter die Haut implantieren lassen, nur damit sie beim Betreten einer Disko ‘piep‘ macht und sie vom System erkannt werden. Wir erleben hier, dass wir eine ganz andere Situation für Datenschutz und Privatheit bekommen.
Ich habe keine Lösung dafür. Aber immer gleich nach gesetzlicher Regelung zu rufen, erscheint mir der falsche Weg. Neulich hat ein Freund von mir zur Entwicklung von facebook und Google+ getwittert: „Die ganze Welt schreit „cool, wie funktioniert das?“ Nur in Deutschland schreit man „shit, wie bekomme ich das wieder weg?“
Anne Roth: Das stimmt: Die Datenschutzdebatte ist eine relativ pessimistische, aber das macht sie noch lange nicht falsch. Die deutsche Datenschutzbewegung ist Vorbild für Aktivisten in vielen verschiedenen Ländern auf der ganzen Welt. Aber natürlich werden wir uns damit abfinden müssen, dass die Datenschutzbeauftragten allein unsere Privatsphäre nicht mehr retten können. Schon bei Einführung der EC- oder der Telefonkarte erinnere ich mich an die Debatte: „das ist aber nicht gut für den Datenschutz vs. das ist aber so praktisch“. Natürlich geht die Mehrheit den bequemen Weg. Wir werden auch größtenteils wenig Einfluss darauf haben, da es sich bei den Anbietern um private Unternehmen handelt, die staatlich schwer kontrollierbar sind. Ich halte es dennoch für sinnvoll, bestimmte Regeln einzuführen. Wenn es diese dann nur in Deutschland gibt, dann gibt es sie eben nur in Deutschland. Aber das ist zumindest schon mal ein Anfang. Das Problem, das wir hier haben, differenziert sich ja auch in verschiedene Richtungen auf. Das Eine sind die Datenschutzprobleme, die wir auf den großen kommerziellen Plattformen haben. Das Andere sind die datenschutzrechtlichen Probleme zum Beispiel mit polizeilichen Datenbanken. Darauf muss es unterschiedliche Reaktionen geben.
...Parlamentarisch?
Warum wird die sächsische Regierung, als Reaktion auf die hier stattfindenden Datenschutzverletzungen, nicht zur Ordnung gerufen? Kann der Landtag der Regierung da keine Weisung geben?
Julia Bonk: Die Mehrheit des Parlaments kann das bestimmt. Die Mehrheit hat sich aber dafür entschieden, ihre Regierung zu stützen und nicht ausreichend Kritik an Ihr zu üben. Aber wie wir sehen, haben die Behörden, die mit den Grundrechten agieren, anscheinend nicht die Grundrechtssensibilität, die dafür notwendig wäre. Das betrifft etwa die Versammlungs- oder die Meinungsfreiheit. Den Behörden müssen Grenzen auferlegt und die Behördenpraxis generell umgestellt werden.
Stärkung des Datenschutzes heißt außerdem auch Stärkung der Unabhängigkeit des Datenschutzbeauftragten. Die derzeitige deutsche Verwaltungspraxis, dass Datenschutzbeauftragte weiter in Regierungsprozesse eingebunden sind, entspricht nicht der Auffassung von Unabhängigkeit, die übrigens auch vom Bundesgerichtshof geteilt wird. Ebenfalls müssen die Möglichkeiten zum Verbandsklagerecht ausgebaut werden, da der einzelne Betroffene vielleicht nicht immer die Streitigkeit gerichtlich führen möchte oder kann.
Besonders vor dem Hintergrund der digitalisierten Datenverarbeitung sind diese Maßnahmen nötig. Die Verwaltungen sammeln immer mehr Daten elektronisch. So können im Zuge der Verwaltungsmodernisierung sogenannte Verbunddateien eingeführt werden, die Kriterien zu einer Person speichern und den Wiederabgleich in einem anderen Kontext erlauben. Laut Volkszählungsurteil darf keine Profilierung von Personen durch gesammelte Daten stattfinden – das ist bei der Verbunddatenspeicherung fraglich.
Der Datenschutz muss massiv aufgewertet werden, wenn man diesen Herausforderung gewachsen sein will.