
Das Public Distribution System (PDS) ist das größte staatliche Lebensmittelversorgungsprogramm der Welt und weit mehr als nur ein Sozialprogramm, das subventioniertes Getreide an einkommensschwache Haushalte verteilt. Es ist ein wichtiges Instrument, um den Getreidemarkt zu regulieren, Preise zu stabilisieren und Landwirt*innen zu unterstützen, während es gleichzeitig zur Ernährungssicherheit der breiten Bevölkerung beiträgt. Obwohl das PDS häufig als reines Hilfsprogramm für ärmere Bevölkerungsschichten wahrgenommen wird, ist es eng mit den staatlichen Beschaffungs- und Vorratslagerstrategien verknüpft. Im Zusammenspiel sorgen diese Mechanismen dafür, die Getreideversorgung zu steuern, Preise zu stabilisieren und Vorräte bereitzuhalten, um mögliche Angebotsschocks abzufedern.
Dipa Sinha ist Entwicklungsökonomin und eine prominente Stimme der indischen «Right to Food»-Bewegung. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind Ernährungssicherung und öffentliche Gesundheit.
Die Stärken des PDS zeigten sich insbesondere während der Covid-19-Pandemie. Als die indische Wirtschaft in wiederholten Lockdowns zum Erliegen kam und Millionen von Tagelöhner*innen über Nacht ihre Einkommensquelle verloren, verhinderte das PDS eine drohende Hungerkrise. Im Rahmen umfassender Pandemie-Hilfsmaßnahmen nutzte die Regierung das PDS, um etwa 800 Millionen Menschen, die bereits als Begünstigte des Programms registriert waren, kostenlose Getreiderationen zukommen zu lassen; eine Reihe von Umfragen belegt, dass der Großteil der anspruchsberechtigten Haushalte erreicht werden konnte. Da der Lebensmittelkonsum in Indien ansonsten anfällig für Angebotsschocks ist, war es vor allem das bestehende staatliche Beschaffungs- und Lagersystem, das es ermöglichte, die Getreidezuteilungen zu verdoppeln.
Dabei betrifft das PDS nicht allein die Sozialabsicherung der indischen Bevölkerung. In Indien, wo mehr als 40 Prozent der durchschnittlichen Haushaltsausgaben auf Lebensmittel entfallen, entscheiden das Preisniveau und die Erschwinglichkeit von Nahrungsmitteln über Lebensstandard, Realeinkommen und das allgemeine Wohlbefinden. Gleichzeitig arbeiten fast 45 Prozent der Erwerbstätigen noch immer in der Landwirtschaft. Die meisten von ihnen sind Kleinbauern und -bäuerinnen mit geringer Marktmacht und hoher Anfälligkeit gegenüber Risiken. Die Herausforderung liegt also darin, Produzent*innen zu unterstützen und gleichzeitig Verbraucher*innen zu schützen. Im Zusammenspiel mit dem staatlichen Beschaffungssystem bildet das PDS das Kerninstrument, mit dem Indien versucht, Ernährungssicherheit zu gewährleisten und zugleich einträgliche Preise für Landwirt*innen sicherzustellen.
Von der öffentlichen Beschaffung zur öffentlichen Verteilung
Die institutionellen Grundlagen des indischen Ernährungssystems entstanden in den 1960er Jahren als Reaktion auf Versorgungskrisen, die Lebensmittelimporte im Rahmen von Abkommen mit den USA erforderlich machten. Im Zuge der Maßnahmen der «Grünen Revolution», mit denen das Land seine Autonomie ausweiten wollte, gründete die Regierung 1964 die Food Corporation of India (FCI). Ihr Mandat umfasste drei Aufgaben: den Aufkauf von Getreide zu einem vorab festgelegten Mindestpreis (Minimum Support Price), um Landwirt*innen ein faires Einkommen zu sichern; den Aufbau von Vorratsbeständen, um Angebotsschocks abzufedern; sowie die Verteilung von Getreide an bedürftige Haushalte über das PDS. Die Mindestpreise werden von der ebenfalls in den 1960er Jahren gegründeten Kommission für landwirtschaftliche Kosten und Preise (Commission for Agricultural Costs and Prices) festgelegt, auf Grundlage von kostenbasierten Berechnungen, Schätzungen zu Angebot und Nachfrage sowie der Preisparität zwischen verschiedenen Anbaukulturen.
Zwar wurden Mindestpreise für insgesamt 23 Feldfrüchte festgelegt, doch in der Praxis konzentriert sich die staatliche Beschaffung fast ausschließlich auf Reis und Weizen. 2019 bis 2020 kaufte der Staat rund 30 Prozent der nationalen Weizenproduktion und 40 Prozent der Reisproduktion auf – über 60 Millionen Tonnen Getreide jährlich, die in Lagerhäusern der FCI eingelagert und über fast 500.000 Fair-Price-Shops im ganzen Land an die Begünstigten verteilt wurden.
Neben der Bereitstellung der für das PDS und weitere Sozialprogramme wie Schulmahlzeiten vorgesehenen Mengen dienen die Vorratslager dazu, Marktschwankungen auszugleichen und auf Krisensituationen reagieren zu können. Mit dem Open Market Sale Scheme (OMSS) verfügt die Regierung über ein Instrument, um bei stark steigenden Preisen Getreide freizugeben oder bei Preisrückgängen unterhalb des garantierten Mindestpreises zusätzliche Bestände aufzukaufen. So kündigte die Regierung im Februar 2023 die Freigabe von drei Millionen Tonnen Weizen im Rahmen des OMSS an, um die durch den Ukrainekrieg ausgelösten Preissteigerungen einzudämmen. Medienberichten zufolge sanken daraufhin die Großhandelspreise in wichtigen Märkten um mehr als zehn Prozent.
Öffentliche Beschaffung und öffentliche Verteilung bilden somit zwei eng verzahnte Zweige eines Systems, das zugleich die Einkommen der Landwirt*innen absichert und die Preise für Verbraucher*innen stabilisiert. Indiens Erfahrungen können für andere Entwicklungsländer als Orientierung dienen, denn sie widerlegen das gängige Narrativ, wonach Lebensmittelmärkte ausschließlich in privater Hand sein müssen, um effizient zu funktionieren.
Lehren aus der Pandemie
Die Covid-19-Pandemie hat die Leistungsfähigkeit des indischen Systems bewiesen. Als im März 2020 Ausgangssperren verordnet wurden, waren sowohl Lebensmittelketten als auch Haushaltseinkommen stark beeinträchtigt. Die Regierung war jedoch in der Lage, die PDS-Verteilungen rasch auszuweiten. Bereits 2013 waren die Leistungen des PDS mit dem Nationalen Gesetz zur Ernährungssicherheit (National Food Security Act) zu einem gesetzlichen Anspruch geworden: 75 Prozent der ländlichen Bevölkerung und 50 Prozent der städtischen Bevölkerung hatten seither Anspruch auf subventioniertes Getreide (Reis, Weizen oder Hirse) in Höhe von fünf Kilogramm pro Person und Monat. 2020 waren somit 67 Prozent der indischen Bevölkerung durch das PDS abgedeckt. Im Rahmen des Pradhan Mantri Garib Kalyan Anna Yojana – einem Lebensmittelhilfsprogramm des Premierministers für Bedürftige – erhielten alle 800 Millionen Begünstigten des Nationalen Gesetzes zur Ernährungssicherheit kostenlos zusätzlich fünf Kilogramm Getreide pro Person und Monat. Diese Notfallverdopplung der Getreidezuteilungen wäre ohne die bestehenden großen Vorräte nicht möglich gewesen. Im Juli 2021 verfügte Indien über fast 90 Millionen Tonnen Reis und Weizen im staatlichen Zentrallager – mehr als das Doppelte der vorgesehenen Vorratsbestände von 41 Millionen Tonnen. Diese über zwei Jahrzehnte kontinuierlicher staatlicher Aufkäufe aufgebauten Überschüsse ermöglichten es der Regierung, ein derart umfassendes Hilfsprogramm umzusetzen, ohne auf zusätzliche Marktkäufe oder internationale Hilfe zurückgreifen zu müssen.
Darüber hinaus hat sich das PDS in den vergangenen Jahren zunehmend inklusiver entwickelt. Vor Einführung des Nationalen Gesetzes zur Ernährungssicherheit erhielten Haushalte ihren Zugang meist über ein oft unzuverlässiges Verfahren mit sogenannten «ration cards» (Lebensmittelkarten), die auf einer Einstufung «unterhalb der Armutsgrenze» (Below Poverty Line) beruhten. Mit der gesetzlichen Verankerung des Nationalen Gesetzes zur Ernährungssicherheit und den einheitlichen Ansprüchen für «Prioritätshaushalte» wurde das PDS grundlegend umgestaltet und auf eine deutlich breitere Basis gestellt. Dies stärkte nicht nur die gemeinsame Versorgung, sondern trug auch zu einer spürbaren Verringerung von Verlusten bei. Zwar bleiben durch Korruption oder die Umleitung von Lebensmitteln verursachte Verluste ein Problem, doch aktuelle Daten der Haushaltsverbrauchserhebung (Household Consumption Expenditure Survey) sowie verschiedene Feldstudien zeigen, dass sie in der PDS-Belieferung im vergangenen Jahrzehnt deutlich zurückgegangen sind.
Mehr als nur Reis und Weizen
Indiens Beschaffungssystem ist im Bereich der Getreideproduktion und -versorgung, insbesondere Reis und Weizen, gut aufgestellt. Bei anderen grundlegenden Nahrungsmitteln, vor allem Hülsenfrüchten und Ölsaaten, ist seine Reichweite jedoch deutlich begrenzter. Dieser enge Fokus hat langfristige Folgen für Ernährung, Handelsabhängigkeit und Preisschwankungen. Für Millionen indischer Haushalte stellen Hülsenfrüchte die wichtigste Proteinquelle dar, insbesondere für einkommensschwache Familien, die sich tierisches Eiweiß nicht leisten können. Ölsaaten wiederum sind sowohl für den häuslichen Konsum als auch für die Lebensmittelindustrie von großer Bedeutung.
Trotzdem bleibt Indien in beiden Bereichen importabhängig. Im Jahr 2024 deckte das Land etwa 60 Prozent seines Speiseölbedarfs durch Importe und bezog rund zehn Prozent der konsumierten Hülsenfrüchte aus dem Ausland. Indien ist der weltweit größte Verbraucher und Importeur von Hülsenfrüchten, und die indischen Inlandspreise reagieren besonders empfindlich auf internationale Marktschwankungen.
So stiegen etwa die Preise für Sonnenblumenöl in der ersten Jahreshälfte 2022 infolge der russischen Invasion der Ukraine um über zehn Prozent. Als größter Importeur ukrainischen Sonnenblumenöls sah sich Indien mit einem drastischen Anstieg der Einzelhandelspreise konfrontiert – mit besonders gravierenden Folgen für einkommensschwache Haushalte.
Die Regierung griff zu unterschiedlichen Zeitpunkten ein, um diese Märkte zu stabilisieren. Ein prägnantes Beispiel war die Hülsenfrüchtekrise 2015/16, als schwache Monsune und Versorgungsengpässe die Preise für Straucherbsen auf über 200 Rupien pro Kilogramm (etwas mehr als zwei Euro) steigen ließen. Daraufhin erweiterte die Regierung die staatlichen Aufkäufe, importierte Hülsenfrüchte zur Entlastung des Marktes und begann in einigen Bundesstaaten, diese über das PDS zu verteilen. Zusammen mit besseren Erntebedingungen führte dies zu einer signifikanten Produktionssteigerung von rund 17 Millionen Tonnen im Jahr 2015/16 auf etwa 23 Millionen Tonnen im Jahr 2016/17.
Trotz solcher Erfolge bleibt die Beschaffung von Hülsenfrüchten inkonsistent und institutionell schwach verankert. Im Jahr 2022 erhöhte der Wirtschaftsausschuss des Bundeskabinetts (Cabinet Comittee on Economic Affairs) die Beschaffungsobergrenze für Hülsenfrüchte wie Straucherbsen, Urdbohnen und rote Linsen im Rahmen des staatlichen Preisstützungsprogramms – von 25 auf 40 Prozent des vermarktbaren Überschusses. Die Bundesstaaten sollten damit mehr Spielraum erhalten, lokale Reserven aufzubauen und die Auswirkungen internationaler Preisschocks zu reduzieren. Die Umsetzung bleibt jedoch von Bundesstaat zu Bundesstaat höchst unterschiedlich. Zudem mangelt es an institutionellen Kapazitäten im Umgang mit den Hülsenfrüchten, insbesondere im Vergleich zur gut ausgebauten Getreideinfrastruktur.
Ähnliche Lücken bestehen bei der Beschaffung von Ölsaaten. Zwar fallen Erdnüsse, Sojabohnen und Senf ebenfalls unter das System der vorab festgelegten Mindestpreise, doch werden sie nur in einigen wenigen Bundesstaaten aufgekauft. Hinzu kommt, dass Produktion und Erträge von Ölsaaten in Indien generell niedrig sind. Ohne verlässliche staatliche Aufkauf- und Verteilungsstrukturen zögern Landwirt*innen wiederum, von Getreide auf nachhaltigere oder höherwertige Kulturen umzusteigen. Und ohne staatliche Beschaffung können auch keine Vorratslager zur Preisstabilisierung aufgebaut werden. Somit bleiben Produzent*innen und Verbraucher*innen weiterhin der Volatilität der Märkte für Hülsenfrüchte ausgeliefert.
Regionale Ungleichgewichte
Ein weiteres zentrales strukturelles Problem des Systems ist seine regionale Schieflage. Die nordindischen Bundesstaaten Punjab und Haryana allein stellen rund 70 Prozent der gesamten staatlichen Weizenbeschaffung. Dieses Ungleichgewicht ist sowohl ein Erbe der Grünen Revolution als auch das Resultat späterer Entwicklungen, die in diesen Regionen zu einer besonders starken staatlichen Infrastruktur und zu einem gesicherten Kauf durch zentrale Agenturen führten. In den vergangenen zwei Jahrzehnten haben jedoch auch Bundesstaaten wie Chhattisgarh, Madhya Pradesh und Odisha ihre Beschaffungsaktivitäten deutlich ausgeweitet. Dort wurden dezentrale Systeme eingeführt, bei denen bundesstaatliche Stellen direkt von Landwirt*innen einkaufen und das Getreide innerhalb des Bundesstaates für das PDS sowie für Ernährungsprogramme verwenden.
Ganz anders stellt sich die Situation in den östlichen Bundesstaaten Bihar, Jharkhand, Westbengalen und Assam dar, die eine große Agrarbevölkerung und hohe Armutsraten aufweisen. Hier sind sowohl die staatliche Beschaffungsstruktur als auch die Leistungsfähigkeit des PDS schwach entwickelt. In vielen dieser Bundesstaaten werden die Mengen an Getreide, die tatsächlich auf den Märkten ankommen, nicht einmal verlässlich erfasst. Das Fehlen lokaler Beschaffungsagenturen hält hier insbesondere Kleinbauern und -bäuerinnen, die bis zu zwei Hektar Land bestellen, sowie «marginale Bäuerinnen und Bauern», die weniger als einen Hektar bewirtschaften, von einer Teilnahme am System ab. Die Folgen in Zeiten steigender Inflation sind häufig Notverkäufe und ein unzureichender Zugang zu subventioniertem Getreide.
Vor diesem Hintergrund werden die Rufe nach einer dezentralisierten Beschaffungsstruktur und der Aufnahme vielfältigerer Nahrungsmittel, die über Reis und Weizen hinausreichen, in das System immer lauter. Denn dies ist mit mehreren Vorteilen verbunden: Erstens lassen sich die Transport- und Lagerkosten durch eine stärker lokalisierte Verteilung senken. Zweitens stärkt eine dezentrale Organisation die Verwaltungskapazitäten in bislang schwächeren Regionen. Drittens schließlich – und das ist am wichtigsten – verschafft sie Landwirt*innen außerhalb von Punjab und Haryana einen Anteil am System und einen Anreiz zur Diversifizierung ihrer Anbaukulturen. Angesichts von Klimastress und sinkenden Grundwasserspiegeln, die den Monokulturanbau zunehmend untragbar machen, ist dies von zentraler Bedeutung.
Vorratslager-Management und die Rolle des «Open Market Sale Scheme»
Die indische Lagerpolitik zielt darauf ab, ausreichend Vorräte für die Verpflichtungen des PDS, Marktstabilisierungsmaßnahmen und Hilfeleistungen in Krisenzeiten bereitzuhalten. Da sie den landwirtschaftlichen Kalender und die Beschaffungszyklen berücksichtigt, variieren dabei die diesbezüglich etablierten Normen von Monat zu Monat. In der Praxis jedoch liegen die Bestände häufig weit über den vorgeschriebenen Normen, was zunehmend Fragen zu den hohen Kosten einer derart umfangreichen Lagerstruktur aufwirft. So umfasste der zentrale Vorrat im Juli 2025 mehr als 70 Millionen Tonnen Getreide, während die Vorratsnorm lediglich 41 Millionen Tonnen vorsah. Übermäßige Bestände verursachen erhebliche Kosten, darunter Lager- und Transportkosten, Verluste durch Verderb sowie Zinszahlungen.
Ein wichtiges Instrument zur Bestandsregulierung sind Verkäufe im Rahmen des eingangs erwähnten Open Market Sale Scheme (OMSS), demzufolge die Regierung bei stark steigenden Preisen Getreide freigibt und bei Preisrückgängen unterhalb des garantierten Mindestpreises zusätzliche Bestände aufkauft. Der Erfolg des OMSS variiert je nach Kulturpflanze und Zeitpunkt. Daher sollten auch andere, kostensenkende Maßnahmen – wie dezentralisierte Beschaffung, Lagerung und Verteilung – stärker in Betracht gezogen werden. Besonders umstritten ist eine aktuelle Initiative der Regierung, überschüssige Bestände für die Produktion von Ethanol freizugeben. Der Schritt wirft erhebliche moralische und ethische Fragen auf: Während Nahrungsgetreide zu niedrigen Preisen an Unternehmen verkauft wird, leiden im Land weiterhin Millionen Menschen an Hunger.
Stattdessen könnten die überschüssigen Vorräte strategisch für Ernährungsprogramme jenseits des PDS genutzt werden, etwa für Schulspeisungen, Heimrationen oder andere Initiativen, die auf Kinder unter sechs Jahren ausgerichtet sind. Auch jugendliche Mädchen und schwangere Frauen könnten von einer systematischen Verteilung zusätzlicher Lebensmittelkategorien wie Hülsenfrüchte und Öle profitieren. Auf diese Weise ließe sich der Überschuss an Getreide reduzieren und zugleich das Problem der weitverbreiteten Mangelernährung wirksam bekämpfen. Die staatlichen Lebensmittelsubventionen belaufen sich derzeit auf weniger als ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts und liegen, abgesehen von den Pandemiejahren, seit über 15 Jahren auf diesem Niveau. Die Befürchtungen, die Kosten könnten aus dem Ruder laufen, erscheinen daher überzogen.
Globaler Kontext und Einschränkungen internationaler Regelwerke
Damit das indische Beschaffungssystem dauerhaft bestehen, auf weitere Regionen und Feldfrüchte ausgeweitet und auch in anderen Schwellenländern etabliert werden kann, müssen die globalen Handelsregeln angepasst werden. Nach den derzeitigen Bestimmungen der Welthandelsorganisation (WTO) gilt die öffentliche Beschaffung zu administrierten Preisen (wie den vorab festgelegten Mindestpreisen) als handelsverzerrende Subvention. Zwar schützt derzeit eine sogenannte Friedensklausel Indien und einige andere Länder vor Sanktionen, doch handelt es sich dabei lediglich um eine zeitlich befristete Regelung, nicht aber um eine gesicherte Ausnahmeregel.
Die WTO-Regeln begrenzen Agrarsubventionen aktuell auf zehn Prozent des Produktionswertes, berechnet auf Grundlage von Referenzpreisen aus den Jahren 1986–1988. Diese veraltete Berechnungsgrundlage bildet weder heutige Produktionskosten noch die Inflation ab und wird von Entwicklungsländern seit Langem kritisiert. Indien fordert deshalb immer wieder eine dauerhafte Lösung für die öffentliche Vorratshaltung im Dienste der Ernährungssicherung und argumentiert, dass Programme zur Verbesserung der Ernährungssituation von Subventionsobergrenzen ausgenommen werden müssten.
Indiens breit angelegte Beschaffung und Verteilung rücken das Land zwar regelmäßig ins Visier internationaler Handelsforen, eine Abkehr von diesem System oder dessen Einschränkung würde jedoch sowohl die Existenzsicherung der Landwirt*innen als auch den Verbraucherschutz massiv gefährden – insbesondere in Krisen wie Pandemien oder globalen Preisschocks. Umso notwendiger ist eine geschlossene Haltung der Länder des Globalen Südens, um das weltweite Narrativ über Ernährungssicherheit neu auszurichten: weg von einem marktorientierten Modell, hin zu einem öffentlich getragenen Versorgungsansatz. Ein Schritt in diese Richtung war die Initiative der G33-Staatengruppe, eine Friedensklausel in den WTO-Regeln zur öffentlichen Vorratshaltung zu verankern; allerdings braucht es noch zusätzliche, konzertierte und langfristige Anstrengungen.
Ein Modell von globaler Relevanz
Indiens Public Distribution System und die damit verbundenen Beschaffungsmechanismen sind keineswegs perfekt. Sie leiden unter einer einseitigen Fokussierung auf bestimmte Kulturpflanzen, regionalen Ungleichgewichten, fiskalischem Druck und digitaler Ausgrenzung. Dennoch ist es nur wenigen Entwicklungsländern gelungen, ein vergleichbares System aufzubauen, das Hunderte Millionen Menschen erreicht, Produzent*innen unterstützt und zugleich Märkte stabilisiert.
Während sich das globale Ernährungssystem zunehmend in den Händen multinationaler Agrarkonzerne konzentriert, bietet das indische Modell eine wichtige Alternative. Für Länder in Asien, Afrika und Lateinamerika, die mit Hunger, Lebensmittelinflation und klimabedingter Unsicherheit konfrontiert sind, bleiben die Lehren aus Indien aktueller und dringlicher denn je. Gleichzeitig muss das indische Modell selbst dezentralisiert und inklusiver gestaltet werden, damit Kleinbauern und -bäuer*innen von ihm profitieren können und eine umfassende Ernährungssicherheit erreicht werden kann.
Übersetzung von Charlotte Thießen & Claire Schmartz für Gegensatz Translation Collective