Interview | Wirtschafts- / Sozialpolitik - Rosalux International - Europa - Demokratischer Sozialismus «Sozialismus ist keine Utopie – er ist voller Leben»

Pelle Dragsted von der dänischen rot-grünen Partei Enhedslisten spricht über sein neues Buch «Nordic Socialism»

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Pelle Dragsted, politischer Sprecher der Rot-Grünen Allianz, hält seine Rede während der Jahresversammlung der Partei im Mai 2024 in Kopenhagen, Dänemark.
Pelle Dragsted, politischer Sprecher der Rot-Grünen Allianz, hält seine Rede während der Jahresversammlung der Partei im Mai 2024 in Kopenhagen, Dänemark. Foto: IMAGO / Ritzau Scanpix

In den letzten Jahren wuchs das Interesse am Sozialismus wieder, oft genährt durch wachsende Ungleichheiten, die Klimakrise und das Scheitern neoliberaler Politik. Doch wie sieht Sozialismus aus, wenn er bereits in alltäglichen Institutionen existiert? 

Pelle Dragsted, Abgeordneter im dänischen Folketing für die rot-grünen Enhedslisten, sieht das nordische Modell als Antwort – und die demokratischen und gemeinschaftlichen Elemente, die es bereits beinhaltet. Sein 2021 veröffentlichtes Buch «Nordisk Socialisme» wurde in seinem Heimatland von der Kritik gelobt und regte eine öffentliche Debatte an, einschließlich einer zehnteiligen Diskussionsreihe in der Zeitung Information. Kurz darauf wurde das Werk ins Schwedische übersetzt; und nun wird es endlich auch auf Englisch veröffentlicht.

Pelle Dragsted ist Abgeordneter im dänischen Folketing und Sprecher der Linkspartei Enhedslisten – De Rød-Grønne. Er gilt als Vordenker seiner Partei.

In seinem Buch analysiert Dragsted anhand der wirtschaftlichen und politischen Erfahrungen in Dänemark die Strategie der Linken und interpretiert diese neu, was zu einigen unorthodoxen Schlussfolgerungen führt. Ihm zufolge hindert die Sichtweise, dass die Gesellschaft vollständig vom Kapitalismus durchdrungen sei, die Linke daran, wahrhaftige sozialistische Alternativen zum Kapitalismus zu schaffen, und verschleiert den Wert von Einrichtungen wie Mitarbeiterunternehmen und dem nicht der Marktlogik unterworfenen öffentlichen Sektor.

Dragsted betont, dass unsere Gesellschaften tatsächlich eine Mischung aus Kapitalismus und Sozialismus seien (je nach Land in unterschiedlichem Maß) und dass Bestrebungen, den Kapitalismus zu stürzen und durch Sozialismus zu ersetzen, kontraproduktiv seien und radikalen Reformen im Wege stünden, die die demokratischen und sozialistischen Aspekte der Gesellschaft stärken könnten. Auf Grundlage dieser Analyse schlägt er zehn Reformen für eine deutlich demokratischere Wirtschaft vor.

Mit Blick auf die Veröffentlichung seines Werks auf Englisch bei University of Wisconsin Press war der Autor jüngst mit Unterstützung der Rosa-Luxemburg-Stiftung auf Werbetour in den USA. Unterwegs sprach er mit Duroyan Fertl über sein Buch – darüber, was ihn dazu bewegt hat, und wie der Weg zu einer demokratischen Wirtschaft in Dänemark und anderswo aussehen kann.
 

Duroyan Fertl: Ihr Buch «Nordic Socialism», wie es in der neu erschienenen englischen Übersetzung heißt, befasst sich mit der wirtschaftlichen und sozialen Geschichte Dänemarks und anderer nordischer Länder sowie mit Projekten, die eine demokratischere Wirtschaft anstreben. Darüber hinaus greift es übergeordnete philosophische und politische Debatten rund um die Linke auf – Fragen wie Freiheit und Demokratie, aber auch sozialistische Strategie – und liefert konkrete Vorschläge zur Förderung des demokratischen Sozialismus. Was hat Sie dazu gebracht, dieses Buch zu schreiben, und was hoffen Sie damit zu erreichen?

Pelle Dragsted: Dieses Buch entstand aus einem Gefühl der Dringlichkeit. Es wird immer offensichtlicher, dass wir nicht weiter zulassen können, dass der Kapitalismus unsere Wirtschaft dominiert – nicht nur, weil er ungerecht ist, sondern auch, weil er das Fundament der Demokratie selbst untergräbt, wie wir in den USA erleben. Die für den Kapitalismus typische Konzentration von Vermögen führt zu oligarchischer Macht. Dadurch beruht politischer Einfluss nicht mehr auf einem demokratischen Mandat, sondern auf der Kontrolle über Vermögen und Wirtschaft. Das ist nicht etwa ein Mangel, sondern vielmehr ein unvermeidliches Merkmal der kapitalistischen Eigentumsverhältnisse.

Sozialismus: von der Utopie zur Wirklichkeit

Aber es ist einfach, den Kapitalismus schlechtzureden. Darin war die Linke schon immer gut. Immer mehr Menschen stimmen zu, dass unser heutiges Wirtschaftsmodell nicht haltbar ist. Warum gibt es dann keine Mehrheit für einen Wandel hin zu einem Modell einer gerechteren, demokratischeren Wirtschaft, zu dem, was wir Sozialismus nennen würden? Das liegt unter anderem daran, dass die Linke sehr gut darin ist, Kritik zu üben und pauschale Aussagen über sozialistischen Wandel zu machen, aber weniger gut darin, eine gangbare Alternative anzubieten und Antworten auf die schwierigen Fragen zu geben, die rund um die Demokratisierung von Wirtschaft, Arbeit und Teilen des Marktes aufkommen.

Zu lange wurde der Sozialismus als Utopie betrachtet und nicht in unseren alltäglichen Kampf integriert – weder in Parlamenten oder Gewerkschaften noch in Volksbewegungen. Die Motivation für mein Buch war, den Sozialismus greifbarer, verständlicher und gangbar zu machen. Ich wollte ihn aus dem Reich der Utopien in unser tägliches Engagement bringen.

Ich freue mich sehr, dass das Buch jetzt auf Englisch veröffentlicht wird. Es ist der richtige Zeitpunkt. Die Welt braucht mehr denn je eine konkrete Alternative zum Neoliberalismus der Mitte und zum Populismus der Rechten. Derzeit bin ich in den USA, wo der demokratische Sozialismus durch den Sieg von Zohran Mamdani bei den New Yorker Vorwahlen [für die Bürgermeisterwahl am 4. November] erneut in den Vordergrund gerückt ist. Wenn mein Buch demokratischen Sozialist*innen in aller Welt dabei helfen kann, wirksamer für eine sozialistische Alternative zu werben, wäre das ein riesiger Erfolg.

Dank ihrer historisch starken Wohlfahrtsstaaten und relativ großen sozialen Gerechtigkeit gelten die nordischen Länder oft als fortschrittliche Referenz, allerdings üblicherweise als eine Art «freundlicherer» Kapitalismus. Ironischerweise ist der Ausgangspunkt Ihres Buchs ein Bericht der Trump-Regierung von 2018, in dem die nordischen Länder als «sozialistisch» bezeichnet werden. Hat Trump damit Recht? 

Das ist ein zentrales Argument in meinem Buch: Sozialist*innen können aus der Erfahrung der nordischen Länder lernen. Das wurde unter uns Linken nicht anerkannt und hat es uns unnötig schwer gemacht, uns für einen sozialistischen Wandel einzusetzen.

Der Begriff «nordischer Sozialismus» wurde tatsächlich von Trump geprägt. In seiner ersten Amtszeit veröffentlichte das Weiße Haus einen Bericht, der explizit vor dem «nordischen Sozialismus» warnte. Es war eine Antwort auf progressive US-Politiker*innen wie Bernie Sanders und Alexandria Ocasio-Cortez, die Dänemark und andere nordische Länder als Inspiration für ihre Vision des demokratischen Sozialismus nannten.

In Dänemark wurde dies über das gesamte politische Spektrum hinweg umgehend zurückgewiesen. Unser Außenminister bezeichnete es als «absurd». Selbst viele in der dänischen Linken lehnten dieses Etikett ab. Aber eine der Hauptbotschaften meines Buchs lautet: Fox News, Trump und selbst Bernie Sanders haben mehr Recht, als wir zugeben wollen, wenn sie die nordischen Länder mit Sozialismus verbinden. Aus meiner Sicht enthält das nordische Modell bereits starke sozialistische Elemente. Wenn wir die Wahrheit akzeptieren, können wir eine gerechtere, demokratischere Zukunft aufbauen.

Sozialismus im Hier und Jetzt

Was bedeutet «nordischer Sozialismus» für Sie, und wie unterscheidet er sich von anderen Formen des Sozialismus? 

Wenn wir Sozialismus als die Organisierung wirtschaftlicher Tätigkeiten auf Grundlage von Demokratie und Gemeinschaftseigentum definieren, dann sind die nordischen Länder näher am Sozialismus als beispielsweise die USA. Die nordischen Länder haben einen großen öffentlichen Sektor – für Pflege, Bildung, Gesundheitswesen –, der der Öffentlichkeit gehört und von ihr verwaltet wird statt von Kapitalist*innen. Der öffentliche Sektor wird durch Solidaritätsabgaben finanziert statt durch Marktgeschäfte. In den nordischen Ländern ist ein Drittel der Arbeitnehmer*innen im gemeinnützigen öffentlichen Sektor angestellt.

Aber demokratisches Eigentum beschränkt sich nicht auf den öffentlichen Sektor. Auch im Privatsektor gibt es eine lange Tradition von Genossenschaften, Gegenseitigkeitsgesellschaften und Vereinen, die sich im Besitz von Arbeitnehmer*innen, Kleinerzeuger*innen oder Verbraucher*innen befinden und von ihnen geführt werden. Zum Beispiel gehört unsere zweitgrößte Supermarktkette, Coop, den zwei Millionen Kund*innen. Wenn wir dort einkaufen, landet der Gewinn nicht in den Taschen eines Jeff Bezos. Viele von uns haben Kredite, Versicherungen oder Sparkonten bei Genossenschaftsbanken oder Gegenseitigkeitsgesellschaften, die allesamt in Kollektivbesitz sind. In Dänemark gehört jede fünfte Wohnung gemeinnützigen Wohnungsgenossenschaften.

Ich sage nicht, dass diese Sektoren eine sozialistische Utopie darstellen. Sie stehen vor großen Herausforderungen. Aber sie haben eine besondere Qualität: Sie werden demokratisch verwaltet, und der Gewinn wird unter den Mitgliedern verteilt, nicht von einer kleinen Elite angehäuft. Sie wirken oligarchischer Macht entgegen statt sie zu stärken.

Ich verwende den Begriff «nordischer Sozialismus» also deskriptiv und normativ. Deskriptiv gesehen sind die nordischen Volkswirtschaften sozialistischer als beispielsweise die USA. Normativ gesehen sind sie eine Vision für eine Wirtschaft der Zukunft, die noch sozialistischer ist, auf den nordischen Traditionen von öffentlichem, genossenschaftlichem Eigentum beruht und große Teile der Wirtschaft dekommodifiziert.

Die Bedeutung der Eigentumsfrage

Die meisten der vielversprechenderen historischen Vorschläge zur Ausweitung des bestehenden «nordischen Sozialismus» – wie die wirtschaftliche Demokratie in Dänemark oder der Meidner-Plan in Schweden – wurden nie gänzlich umgesetzt. Stattdessen hat der Neoliberalismus sich im Norden seit Jahrzehnten gefestigt und den Wohlfahrtsstaat sowie andere demokratische und soziale Institutionen untergraben. Wie steht es aktuell im Kampf zwischen Neoliberalismus und «nordischem Sozialismus»?

Das nordische Modell erreichte seinen Höhepunkt in den 1970er Jahren, als der Wohlfahrtsstaat florierte und der Genossenschaftssektor in der Wirtschaft eine wichtige Rolle spielte. Es gab sogar Pläne für einen radikalen Wandel des Eigentumsrechts durch einen Funds Socialism, im Zuge dessen große Unternehmen in den Besitz von arbeitnehmergeführten Fonds übergehen sollten. Doch seitdem läuft der neoliberale Gegenangriff auf den nordischen Sozialismus. Kapitalistisches Eigentum wurde durch Privatisierung und die Beschneidung von Teilen des Wohlfahrtsstaats ausgeweitet.

Eine der Hauptbotschaften meines Buchs lautet, dass die Sozialdemokratie deshalb gescheitert ist, weil sie das kapitalistische Eigentumsmodell nicht aggressiv genug infrage stellte. Zu viel wirtschaftliche Macht blieb in den Händen der besitzenden Elite, und als diese ihre Gelegenheit gekommen sah, schlug sie zu. Das ist eine wichtige Lehre: Wenn wir Sozialist*innen an die Macht kommen, müssen wir an erster Stelle die oligarchische Macht schwächen, indem wir das demokratische Eigentum in der Wirtschaft stärken.

Ohne Veränderung der Eigentumsverhältnisse stehen alle sozialen Reformen auf wackligen Beinen und sind leicht revidierbar.

Allerdings wurde das nordische Modell trotz vier Jahrzehnten neoliberaler Belagerung noch nicht völlig in die Knie gezwungen. Wir haben nach wie vor einen beträchtlichen dekommodifizierten Sektor, in dem Gesundheitsversorgung, Bildung und Pflege von der öffentlichen Hand gestellt werden. Und der Genossenschaftssektor ist bei Wohnen, Finanzen und Landwirtschaft weiter stark aufgestellt.

Das zeigt, wie schwierig es ist, diese Errungenschaften vollkommen ungeschehen zu machen. Die Erfahrung der nordischen Länder lehrt uns, dass das Verhältnis zwischen demokratischem (sozialistischem) Eigentum und nicht-demokratischem (kapitalistischem) Eigentum nicht fix ist. Es ist möglich, die Mischung und damit die Machtverhältnisse zu verändern.

Diese progressiven Errungenschaften wurden größtenteils unter sozialdemokratischen Regierungen der Nachkriegszeit erreicht. Neben dem Aufgeben dieses reformistischen Strebens seitens der Sozialdemokratie prangern Sie auch den Utopismus der revolutionären Linken als Grund für die Schwächung der demokratisch-sozialistischen Kräfte in den nordischen Ländern an. Sie gehen dabei noch weiter: Statt der altlinken binären Trennung zwischen reformistisch und revolutionär plädieren Sie für einen «gradualistischen» Ansatz, wie Sie es nennen. Können Sie das erläutern?

Zu Beginn des letzten Jahrhunderts war eine sozialistische Wirtschaft das erklärte Ziel der Sozialdemokrat*innen, und so erließen sie Reformen, um dies zu erreichen. Im Lauf der Jahrzehnte wurde dieses Ziel abgeschwächt, und heute haben die sozialdemokratischen Parteien jegliche Bemühungen zur Änderung des Wirtschaftsmodells aufgegeben. 

Doch nach den Finanzkrisen entstand ein neuer, transformativer demokratischer Sozialismus innerhalb der Linken, von Jeremy Corbyn über Bernie Sanders bis hin zu den Parteien Podemos in Spanien und Die Linke in Deutschland. Diese Bewegungen geben mir Hoffnung, weil sie den Gedanken tiefgreifender Reformen wieder zum Leben erweckt haben – nicht nur Umverteilung, sondern eine Veränderung der Eigentumsstrukturen. Sowohl Sanders als auch Corbyn brachten die Idee einer Art von Arbeitnehmerfonds-Sozialismus im Stile von Meidner ein, die ich in meinem Buch auch thematisiere.

Ich sehe mein Buch als Teil dieser Bewegung: eine Art radikaler demokratischer Sozialismus, der das Beste der klassischen Sozialdemokratie nimmt und es mit dem Streben nach tiefgreifenden Reformen kombiniert. Denn die Erfahrung der nordischen Länder zeigt uns: Ohne Veränderung der Eigentumsverhältnisse stehen alle sozialen Reformen auf wackligen Beinen und sind leicht revidierbar.

Die hybride Gesellschaft

Ein weiterer Kernaspekt Ihrer These ist, dass wir statt den zwei verschiedenen übergeordneten Systemen von Kapitalismus und Sozialismus tatsächlich eine «hybride» Gesellschaft haben, in der Elemente beider Systeme koexistieren. Sie beschuldigen die Linke – reformistische wie revolutionäre Kräfte –, ein fehlgeleitetes, unnützes Konzept des Kapitalismus als allumfassendes System zu verbreiten. Können Sie erklären, wie Sie zu dieser Erkenntnis kamen?

Die Inspiration für diese These war ein Artikel zweier Marxistinnen, den ich vor 25 Jahren gelesen habe, sie schrieben zusammen unter dem Pseudonym Gibson-Graham. In ihrem Artikel stellen sie infrage, wie die Linke üblicherweise Kapitalismus als organisches, allumfassendes, kohärentes System sieht, dem nur durch eine Revolution ein Ende gesetzt werden kann, im Zuge derer ein neues allumfassendes System seinen Platz einnimmt – der Sozialismus. Sie argumentieren, dass dieses Verständnis von Kapitalismus es fast unmöglich gemacht habe, sich einen schrittweisen sozialistischen Wandel vorzustellen und diesen umzusetzen.

Daher schlagen sie eine engere Definition von Kapitalismus vor, der zufolge dieser nur einen Teil der Gesellschaft umfasst, nämlich den Teil der Wirtschaft, der auf der Ausbeutung der Arbeitskraft basiert. Somit gibt es auch einen Bereich außerhalb des Kapitalismus, nämlich verschiedene Formen gemeinschaftlicher und demokratischer Wirtschaft. Dieser Bereich kann ausgeweitet werden und die Grundlage für den Sozialismus der Zukunft bilden. Seitdem habe ich darüber nachgedacht, und mir wurde immer klarer, dass gerade in den nordischen Ländern recht offensichtlich ist, dass man nicht einfach sagen kann, alles ist Kapitalismus.

Das war also meine erste Inspirationsquelle. Später entdeckte ich, dass der US-Soziologe Erik Olin Wright ebenfalls zu dem Schluss gekommen war, dass Gesellschaften Mischformen verschiedener Produktionssysteme sind und man darauf hinarbeiten kann, den Anteil des Sozialismus zu steigern.

Die Rolle des Genossenschaftssektors

Zu dieser Mischung gehört ein breiter Genossenschaftssektor, der in Dänemark historisch stark ist. Allerdings müssen die Genossenschaften nach wie vor in einem kapitalistischen Markt agieren – und konkurrieren –, und die Volkswirtschaften der nordischen Länder waren immer stark exportabhängig, was dieses Manko noch verschärfte. Wie können diese Teile der «demokratischen» Wirtschaft überleben oder gar wachsen, wenn sie im In- und Ausland dem herrschenden kapitalistischen Imperativ unterworfen sind?

Unsere Geschichte zeigt, dass der demokratische Teil der Wirtschaft wachsen und den Kapitalismus verdrängen kann. Etwa ein Jahrhundert lang war das der Fall, von den 1870er bis zu den 1970er Jahren, und das trotz großen Widerstands der Kapitalist*innen. Es gibt keinen Zweifel, dass die Globalisierung Drück ausübt auf den demokratischen Teil der Wirtschaft, gerade auf landwirtschaftliche Genossenschaften.

Aber in Bezug auf Genossenschaften ist es ein Mythos, dass sie nicht mit kapitalistischen Unternehmen konkurrieren können. Tatsächlich zeigen viele Forschungsergebnisse, dass sie konkurrenzfähig sind – und sogar produktiver und widerstandsfähiger –, während sie zugleich höhere Gehälter bieten. Und wir können politische Mittel nutzen, um den demokratischen Sektor zu stärken, zum Beispiel indem wir ihnen bei öffentlichen Ausschreibungen Vorrang geben.

Einige mag überraschen, dass Sie sich sehr skeptisch zeigen gegenüber dem traditionellen Fokus der Linken auf Nationalisierung, Planwirtschaft und die Rolle des Staates im Allgemeinen. Stattdessen bevorzugen Sie einen Fokus auf Genossenschaften, Sozialvermögenfonds und einen größeren demokratischen, zivilen Sektor für den Aufbau des Sozialismus. Können Sie das begründen?

Gerne; beginnen wir der Frage des Eigentums. Die Frage lautet: Wenn wir das kapitalistische Privateigentum durch das gemeinschaftliche Eigentum an den Produktionsmitteln ersetzen wollen, wem sollen dann die Unternehmen, Banken usw. gehören?

Das ist der Kern des nordischen Sozialismus: Nicht ferne Utopien, sondern Erfahrungen aus dem echten Leben, die wir nutzen können, um eine bessere Welt für die vielen zu schaffen.

Historisch gesehen gingen die Sozialist*innen von Volkseigentum aus. Doch die Erfahrungen mit dieser Art von Sozialismus waren, gelinde gesagt, nicht sehr gut. Sie führt unweigerlich zu einer enormen Zentralisierung. Zudem ist es eine sehr abstrakte Form des Eigentums. Die Fabriken in der DDR hießen «volkseigene Betriebe», doch die Arbeitnehmer*innen fühlten sich nicht als deren Eigentümer*innen. Das erklärt, warum es so wenig Protest gab, als die staatlichen Unternehmen in Osteuropa privatisiert wurden.

Direktere Formen des Eigentums – Genossenschaften, Arbeitnehmerfonds und andere Modelle – sind aus meiner Sicht attraktiver, da sie dezentralisierter sind und ihren Mitgliedern mehr Macht geben. Das heißt nicht, dass ich Volkseigentum ablehne – es sollte viel mehr Volkseigentum geben als jetzt. Aber ich lehne die Idee ab, dass der Sozialismus eine einheitliche Form von Eigentum bedeutet. Stattdessen bin ich für eine Mischung verschiedener Formen demokratischen Eigentums.

Eine Frage der Handlungsfähigkeit

Gleichzeitig sagen Sie, wir sollten manche Elemente des Marktes beibehalten, während wir den Sozialismus aufbauen. Können Sie das näher erläutern?

Ich denke nicht, dass ohne Preise und Märkte eine ressourceneffiziente Wirtschaft möglich ist. Aber die marktorientierten Bereiche der Wirtschaft sollten eingeschränkt werden, und die Teile, in denen wir Marktmechanismen nutzen, brauchen strenge Regeln, um die negativen externen Effekte des Marktaustauschs zu vermeiden.

Ein Aspekt, der in Ihrem Buch nicht ganz offensichtlich ist, ist die Handlungsfähigkeit: Wer kann die Kapitalist*innen dazu bewegen, ihre Macht und ihre Profite aufzugeben, und wie? Sie erwähnen beispielsweise kaum die Gewerkschaften als Treiber eines sozialen Wandels. Viele Ihrer Vorschläge scheinen hauptsächlich auf Gesetzesinitiativen oder parlamentarischem Schutz zu beruhen, was die Gefahr eines von oben diktierten, staatsgeführten Ansatzes für den sozialen Wandel birgt. Wie können die Reformen, die Sie vorschlagen, in der Praxis umgesetzt werden und dabei demokratisch und pluralistisch bleiben?

Das sind sehr wichtige und schwierige Fragen. Es ist klar, dass die Reform, die ich vorschlage, eine breite Unterstützung durch die Gesellschaft und Arbeitnehmerorganisationen erfordert. Nicht nur, weil den Arbeitnehmer*innen eine Schlüsselrolle zukommt bei der Demokratisierung der Arbeit, sondern auch, weil es seitens der kapitalistischen Klasse großen Widerstand gegen diesen Umbruch geben wird. Das nordische Modell würde ohne starke Arbeiterparteien und Gewerkschaften nicht existieren.

Mit Blick auf den Widerstand durch die besitzende Elite plädiere ich für schrittweise Reformen. Durch jede Reform zur Verringerung des oligarchischen Einflusses der Elite wird es einfacher, die nächste, noch radikalere Reform durchzusetzen. Wenn wir beispielsweise öffentliche Investitionsbanken stärken oder demokratische Arbeitnehmerfonds schaffen, die über viel Kapital verfügen, sind wir weniger anfälliger für Kapitalflucht.

Ist Ihr «nordischer Sozialismus» wirklich Sozialismus? In Ihrem Buch steht nichts vom «Sturz» des Kapitalismus und nicht mal ein gemäßigter Aufruf zu seiner friedlichen «Überwindung». Stattdessen scheinen Sie sich damit zu begnügen, die «demokratischen» Aspekte der Wirtschaft zu stärken, während die kapitalistischen Aspekte zugleich weiter existieren dürfen. In der Debatte nach der Veröffentlichung Ihres Buches in Dänemark 2021 wurden Sie von manchen – und nicht nur von der Linken – beschuldigt, lediglich geringfügige demokratische Reformen, die teils schon erfolglos angestrebt wurden, an der kapitalistischen Wirtschaft vorzuschlagen. Was entgegnen Sie jenen, die bezweifeln, dass Ihr Projekt wirklich sozialistisch ist? Ist es das?

Ja. Auf jeden Fall – sofern wir Sozialismus als eine Wirtschaft definieren, in der das Eigentum demokratisiert ist und die Macht in Gesellschaft und Wirtschaft auf Demokratie basiert und nicht auf dem Vermögen einiger weniger.

Ich lehne die Idee ab, dass Sozialismus und Kapitalismus zwei vollkommen getrennte Systeme sind. Die räumliche Vorstellung, dass manche Reformen «innerhalb des Kapitalismus» erfolgen, ist aus meiner Sicht irreführend. Die Frage ist, wie man die Macht von den Kapitalist*innen auf das Volk übertragen kann – von oligarchischer zu demokratischer Macht. Das geht, indem das Eigentum an den Produktionsmitteln von den wenigen auf die vielen übertragen wird.

Es ist immer eine Mischung. Momentan haben wir – selbst in den nordischen Ländern – eine Wirtschaft, die durch kapitalistische Sozialbeziehungen geprägt ist. Ich schlage eine Wirtschaft vor, die durch sozialistische Sozialbeziehungen geprägt ist, durch demokratische Führung.

In meinem Buch mache ich zehn Vorschläge für tiefgreifende sozialistische Reformen, die ich in zwei Kategorien unterteile: Die erste betrifft die Demokratisierung und Verteilung von Eigentum. Die zweite bezweckt die Verringerung des Einflusses der Märkte und die Dekommodifizierung weiterer Wirtschaftszweige – Güter wie Zahnpflege, öffentlicher Verkehr und Kommunikation sollen zu sozialen Rechten werden und so die Menschen vom Druck des Marktes befreien.

Das ist der Kern des nordischen Sozialismus: Nicht ferne Utopien, sondern Erfahrungen aus dem echten Leben, die wir nutzen können, um eine bessere Welt für die vielen zu schaffen.