Analyse | Soziale Bewegungen / Organisierung - Parteien / Wahlanalysen - Rosalux International - Südasien Nepals Gen Z erhebt sich

Die Jugendproteste haben den Himalaya-Staat in eine tiefe politische Krise gestürzt

Information

Demonstranten der «Gen Z» posieren für ein Foto vor dem brennenden Bundesparlament in Kathmandu (9. September 2025). Foto: IMAGO / NurPhoto

Die landesweiten Proteste, mit denen junge Demonstrant*innen am 8. September die politische Krise in Nepal weiter verschärften, richteten sich vordergründig gegen das Social-Media-Verbot, das die Regierung am 4. September verhängt hatte. Doch Medienberichte lassen darauf schließen, dass für die Protestierenden, die sich selbst als «Gen Z» bezeichnen, tieferliegende Probleme wie Korruption und Nepotismus innerhalb der politischen Klasse wohl die entscheidendere Rolle spielten.

Tauqueer Ali Sabri arbeitet als Projektmanager im Büro der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Neu-Delhi.

Mindestens 50 Menschen kamen bei den Demonstrationen ums Leben, nachdem die Polizei in Kathmandu und mehreren anderen Städten das Feuer eröffnet hatte. Das Parlamentsgebäude, der Oberste Gerichtshof und die Wohnhäuser mehrerer Minister*innen wurden in Brand gesetzt und letztere öffentlich gedemütigt, verfolgt und angegriffen. Der viermalige Premierminister K. P. Sharma Oli, diesmal an der Spitze einer Koalitionsregierung aus seiner Kommunistischen Partei Nepals (Vereinigte Marxisten-Leninisten) und der Nepalesischen Kongresspartei (NC), sah sich angesichts des wachsenden öffentlichen und politischen Drucks am 9. September 2025 zum Rücktritt gezwungen.

Nepal am Siedepunkt

Die Gen-Z-Aufstände in Nepal knüpften an frühere Bewegungen an, waren jedoch zugleich von eigenen Vorstellungen einer besseren Zukunft für die nepalesische Bevölkerung getragen. Der Aufstand schreibt ein neues Kapitel in der Geschichte des Landes und ist gleichzeitig Widerhall jüngerer Entwicklungen in Südasien, wo Proteste gegen Korruption, Nepotismus und wirtschaftliche Notlagen schon 2022 in Sri Lanka und 2024 in Bangladesch den politischen Status quo ins Wanken gebracht haben. 

Das nepalesische Militär konnte schließlich die Kontrolle wiedererlangen und leitete Schritte ein, um Frieden und Normalität im Land wiederherzustellen. Armeechef Ashok Raj Sigdel nahm mit Vertreter*innen der Gen Z und weiteren politischen Akteur*innen Gespräche über die Bildung einer Übergangsregierung auf, die sich jedoch in die Länge zogen, da die Ernennung der früheren Richterin am Obersten Gerichtshof Sushila Karki zur Übergangspremierministerin auf verfassungsrechtliche Hürden stieß: Ehemaligen Richter*innen dürfen laut nepalesischer Verfassung kein Regierungsamt bekleiden. Viele Gen-Z-Gruppen argumentieren, dass diese Einschränkung nur für das politische Alltagsgeschäft gelte, nicht aber für Ausnahmesituationen.

In einer solchen Blockade des politischen Systems – in der parlamentarische Mechanismen unwirksam geworden sind, die Exekutive ihre Legitimität verloren hat und sich der Staat in einer existentiellen Krise befindet – wäre es in der Tat impraktikabel gewesen, sich strikt an die Verfassungsvorschriften zu halten. Die Ordnung muss im Sinne ihrer grundlegenden Funktion verstanden werden. Ziel einer Verfassung ist es nicht, Dysfunktionalität zu verfestigen, sondern die Kontinuität der Staatsführung zu sichern und die in ihr verankerten Bürgerrechte und Menschenwürde zu schützen.

Seit 2015 gab es in Nepal acht verschiedene Regierungen. Die Anführer der drei einflussreichsten Parteien  wechselten sich dabei in einem regelrechten ‹Reise-nach-Jerusalem-Spiel› gegenseitig ab.

Am Freitag, dem 12. September, wurde Sushila Karki nach tagelangen Beratungen und intensiven Verhandlungen schließlich als Übergangspremierministerin Nepals vereidigt. Ihre Ernennung als erste Frau in diesem Amt markierte einen historischen Moment. Im Anschluss an die Amtseinführungszeremonie setzte Präsident Ram Chandra Poudel als Termin für Parlamentsneuwahlen den 5. März 2026 fest. Die Auflösung des bisherigen Parlaments erfolgte kurz nach Karkis Amtsübernahme. Trotz gegenteiliger Befürchtungen ist die Verfassungsordnung mit Unterstützung des Präsidenten bislang nicht zusammengebrochen. Allerdings verurteilte die nepalesische Anwaltskammer die Auflösung des Parlaments als verfassungswidrig und warnte, dass dadurch die demokratischen Grundsätze des Landes und das Vertrauen der Öffentlichkeit untergraben würden.

Allgemeine Ernüchterung

Seit 2015 haben sich die drei größten Parteien Nepals in rascher Folge an der Regierung abgewechselt. Insgesamt gab es in diesem Zeitraum acht verschiedene Regierungen. K. P. Sharma Oli von der Kommunistischen Partei Nepals (Vereinigte Marxisten-Leninisten), Pushpa Kamal Dahal von der Kommunistischen Partei Nepals (Maoistisches Zentrum) und Sher Bahadur Deuba von der Nepalesischen Kongresspartei, die ihre jeweilige Partei fest in der der Hand haben, wechselten sich dabei in einem regelrechten «Reise-nach-Jerusalem-Spiel» gegenseitig ab. In der Folge wuchs die Unzufriedenheit in der Bevölkerung, die sich zunehmend vom politischen System ausgeschlossen und durch die Machtpolitik der Eliten an den Rand gedrängt fühlte.

Arbeitslosigkeit, steigende Preise, Korruption und Nepotismus sind für die nepalesische Bevölkerung zu einer dauerhaften Belastung geworden. Die Enttäuschung über die politische Führung ist seit Langem spürbar. So erklärte etwa Mahesh, ein Taxifahrer in Kathmandu: «Die meisten hier sind unzufrieden mit unseren Politiker*innen und damit, wie sie unser Land regieren.» Diese Frustration zeigte sich auch bei vielen anderen Menschen, mit denen ich während meiner Reisen ins Gespräch kam. Besonders ausgeprägt war die Ernüchterung bei jenen, die an die maoistische Revolution von 2006 geglaubt und sie unterstützt hatten. Die nepalesische Linke leidet unter einem Mangel an klaren Prinzipien und Idealen. Selbst die großen kommunistischen Parteien entfernen sich zunehmend von ihren ideologischen Wurzeln, auch wenn ihre Rhetorik etwas anderes suggeriert.

Revolutionäre Bewegungen wie die Jhapa-Rebellion und die maoistische Revolution spielten eine historische Rolle bei der Schwächung der feudalen Machtstrukturen des Landes. Laut Dr. Khagendra Prasai, Leiter eines Think-Tanks in Kathmandu, «müssen die jüngsten Entwicklungen im Kontext einer sich wandelnden Weltordnung und geopolitischen Landschaft betrachtet werden, die einerseits substanzielle Chancen für ein Land wie Nepal bietet, es andererseits aber auch sehr verwundbar macht und großer Unsicherheit aussetzt. Wenn die demokratischen Kräfte hier keine Korrekturen vornehmen, steuert Nepal höchstwahrscheinlich auf eine gravierende Krise zu.»

Die Aufstände in Nepal sind Ausdruck einer revolutionären Forderung nach einer tatsächlichen Republik und der effektiven Bekämpfung der systemischen Armut, eine Forderung, die über eine bloße Wahldemokratie hinausgeht. 

In Gesprächen ist mir mehrfach die Meinung begegnet, dass sämtliche politischen Parteien und ihre Führungspersonen unehrlich seien. Mögliche Alternativen wurden entweder in einer Rückkehr zur Monarchie oder in neuen Parteien wie der Rastriya Swatantra Partei (RSP) gesehen. Ähnlich wie die Aam Aadmi Partei in Indien, die 2011 aus einer Antikorruptionsbewegung hervorging, hat die RSP bisher keine klare ideologische Position bezogen. Bei den Parlamentswahlen 2022 gewann sie 12,19 Prozent der Stimmen und wurde damit zur viertgrößten Partei im Parlament. Die etablierten linken Kräfte in Nepal erkannten dies jedoch nicht als Signal für notwendige Korrekturen – oder ignorierten es bewusst.

Monarchistische Gruppen sind seit dem 19. Februar 2025 in Kathmandu wieder sichtbar aktiv. Der ehemalige König Gyanendra Shah nutzte seine Ansprache zum Jahrestag der nepalesischen Revolution von 1951, um politische Instabilität und Korruption anzuprangern und zu Einheit und Opferbereitschaft aufzurufen. Seine Äußerungen wurden von einigen als Hinweis auf einen möglichen Aufschwung monarchistischer Strömungen im Land gedeutet und führten zu verstärkten monarchistischen Protesten und Aktivitäten.

Die monarchistischen Demonstrationen in Nepal sind zunehmend von hindu-nationalistischer Ideologie geprägt, die sich an Indiens Rashtriya Swayamsevak Sangh (RSS) und der regierenden Bharatiya Janata Partei (BJP) orientiert – ein Trend, der die gesellschaftliche Polarisierung verschärft und zu Diskriminierung von Minderheiten beigetragen hat. Der ehemalige indische Botschafter in Nepal, Ranjit Rae, betonte jedoch kürzlich in einem Interview mit dem Magazin Frontline, dass «Hindutva-Organisationen seit mehreren Jahrzehnten in Nepal aktiv sind. Dies ist keine neue Entwicklung.»

Im Korruptionswahrnehmungsindex 2024 von Transparency International belegt Nepal Platz 107 von 180. Die Wirtschaft des Landes ist stark von Heimatüberweisungen abhängig, die 2024 fast ein Drittel des Bruttoinlandsprodukts ausmachten. Laut Weltbank arbeiten schätzungsweise 82 Prozent der Erwerbstätigen in Nepal im informellen Sektor. Diese strukturelle Abhängigkeit von Heimatüberweisungen hat nicht dazu geführt, dass im Land qualitativ hochwertige Arbeitsplätze entstanden sind, sondern stärkt vielmehr den Kreislauf begrenzter inländischer Chancen und anhaltender Arbeitsmigration.

Jedes Jahr tritt etwa eine halbe Million junger Menschen in den Arbeitsmarkt ein, was den Druck auf die Schaffung neuer Beschäftigungsmöglichkeiten im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung zusätzlich erhöht. Die Jugend – also Menschen im Alter zwischen 16 und 40 Jahren – macht rund 43 Prozent der Gesamtbevölkerung aus, also mehr als 12 Millionen der insgesamt 30 Millionen Einwohner*innen Nepals.

In dieser Situation verhängte am 4. September die nepalesische Regierung eine umfassende Sperrung von 26 Social-Media-Plattformen, da diese angeblich den neuen Registrierungsauflagen des Ministeriums für Kommunikation und Informationstechnologie nicht nachgekommen seien – ein Schritt, den die nepalesische Bevölkerung weder nachvollziehen konnte noch sonderlich positiv aufnahm. Im Gegenteil: Das Verbot schien autoritäre Tendenzen widerzuspiegeln, die darauf abzielen, individuelle Freiheiten einzuschränken und Regierungskritik zu unterdrücken. In der heutigen Zeit sind soziale Medien nicht nur für die einzelnen zu einem festen Bestandteil des Alltags geworden. Sie sind auch Motor einer neuen Wirtschaft und ermöglichen es vielen Nepales*innen, mit ihren Familienmitgliedern im Ausland in Kontakt bleiben. Studierende und junge Influencer*innen sind auf soziale Medien angewiesen, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, sich weiterzubilden, sich politisch und gesellschaftlich zu äußern und den Kontakt zu Freund*innen und Familie zu pflegen.

Zwischen den Fronten der Großmächte

Die internationale Gemeinschaft sowie Nepals Nachbarstaaten Indien und China verfolgen die jüngste Krise im Land mit großer Aufmerksamkeit. Das Verhältnis zu Indien, mit dem Nepal kulturell, wirtschaftlich und politisch eng verbunden ist, war traditionell jedoch häufig angespannt. Laut der Nepal Rastra Bank konnte Nepal im Jahr 2023 ausländische Direktinvestitionen (ADI) aus 58 Ländern anziehen. Den größten Anteil hielt Indien mit Investitionen im Wert von 103,5 Milliarden Rupien (knapp 1 Milliarde Euro), gefolgt von China mit 35,5 Milliarden Rupien (rund 340 Millionen Euro).

China bemüht sich zugleich, seinen Einfluss im Kathmandu-Tal weiter auszubauen. Die Zusammenarbeit mit Nepal im Rahmen der Neuen Seidenstraße war das meistdiskutierte Thema beim Besuch von Premierminister Oli in China im Dezember 2024. Sowohl Indien als auch China versuchen, in Kathmandu überproportional Einfluss zu gewinnen. Auch die USA sind in Nepal zunehmend aktiv und stellen ihr Engagement als Entwicklungshilfe und diplomatische Unterstützung beim institutionellen Aufbau des Landes dar. Programme wie die Millennium Challenge Corporation (MCC) sind Teil einer umfassenderen indopazifischen Strategie, die darauf abzielt, Chinas wachsenden Einfluss in der Region einzudämmen. Die politischen Turbulenzen in Nepal haben daher sowohl regionale als auch globale Bedeutung: Ihre Entwicklung ist nicht nur vom Wettbewerb zwischen den großen Mächten geprägt, sondern wirkt zugleich auf diesen zurück.

Die Gen-Z-Proteste sind alles andere als homogen. Junge Menschen aus allen gesellschaftlichen Schichten haben sich diesem politischen Kampf angeschlossen.

Die internationale Gemeinschaft hat Nepals neu gebildeter Übergangsregierung ihre Unterstützung ausgesprochen. Der indische Premierminister Narendra Modi gratulierte der neuen nepalesischen Premierministerin Sushila Karki in einem öffentlichen Beitrag auf X und bekräftigte, dass «Indien dem Fortschritt Nepals verpflichtet bleibt». Ebenso erklärte ein Sprecher des chinesischen Außenministeriums am 14. September: «China respektiert wie immer den von den nepalesischen Bürger*innen eigenständig gewählten Entwicklungsweg. Wir sind bereit, die Fünf Prinzipien der friedlichen Koexistenz zu wahren, den Austausch und die Zusammenarbeit in verschiedenen Bereichen zu vertiefen und die bilateralen Beziehungen weiter zu stärken.» Auch die Vereinigten Staaten begrüßten den friedlichen Übergang in Nepal und sagten der Übergangsregierung enge Zusammenarbeit zu.

Proben für die Revolution

Die moderne politische Geschichte Nepals ist von wiederholten Revolutionen und Konterrevolutionen geprägt. Die erste von Studierenden angeführte demokratische Bewegung war in der Lage, die Rana-Oligarchie zu stürzen und eine konstitutionelle Monarchie einzuführen. Bei den ersten nationalen Wahlen im Jahr 1959 wurde Bishweshwar Prasad Koirala von der Nepalesischen Kongresspartei zum Premierminister gewählt. Doch bereits ein Jahr später löste König Bir Bikram mit der Hilfe der herrschenden Eliten die Regierung Koirala wieder auf und führte das sogenannte Panchayat-System ein, ein parteiloses Regierungssystem, das in Nepal fast 30 Jahre lang herrschte. 

1990 begann eine als Jana Andolan bezeichnete neue Welle von Massenprotesten, mit denen die nepalesische Bevölkerung König Birendra zwang, eine konstitutionelle Monarchie mit einer Mehrparteiendemokratie zu akzeptieren. Darauf folgte zwischen 1996 und 2006 der sogenannte «Volkskrieg», der einen grundlegenden Wandel in Nepals politischer, gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Ordnung herbeiführen sollte. Die feudale, elitäre Herrschaft der Monarchie sollte einer egalitären Volksrepublik weichen. Ziel war es, den Staat daraufhin durch Föderalismus, Landreformen und die Ermächtigung bislang marginalisierter Gruppen – darunter Dalits, Janjati (indigene Bevölkerungsgruppen), Madhesis (verschiedene ethnische Gruppen in der Terai-Region) und Frauen – neu zu strukturieren. Im Kern verstand sich die Bewegung als Kampf gegen die Vorherrschaft der Eliten, das Kastensystem und die Abhängigkeit vom Ausland. Der «Volkskrieg» mündete 2008 in die Abschaffung der Monarchie und die Ausrufung der Republik. Dies markierte eine erfolgreiche Revolution und den am tiefsten greifenden politischen Umbruch in der modernen Geschichte Nepals.

Als die Anführer*innen der Bewegung jedoch selbst Teil der herrschenden Klasse wurden, schwand ihr revolutionärer Geist. Eigennutz und Machtstreben gewannen gegenüber einem Eintreten für die Anliegen der breiten Bevölkerung die Oberhand. Das Scheitern der linken Politik in Nepal hat ideologische Ursachen. Die politische Linke hat ihre ethischen Grundsätze verraten, weil die kommunistischen Parteien des Landes ihre marxistisch-leninistischen Prinzipien aufgegeben und sich stattdessen parlamentarischem Opportunismus und Korruption verschrieben haben, um die Macht gemeinsam mit den nationalen Eliten zu teilen. Dabei gingen sie so weit, Bündnisse mit der größten Oppositionspartei – der Nepalesischen Kongresspartei – einzugehen, nur um an der Regierung zu bleiben. Die Linke erwies sich zudem als unfähig, den Realitäten des Kastensystems und der ethnischen Vielfalt des Landes gerecht zu werden. Der Graben zwischen den revolutionären Versprechen und ihrer tatsächlichen Umsetzung blieb immer bestehen. Als die Linke an die Macht kam, führte sie im Wesentlichen das alte Regierungssystem fort und war nicht in der Lage, eine wirklich transformative, neue Staatsführung zu etablieren.

Die Aufstände in Nepal sind Ausdruck einer revolutionären Forderung nach einer tatsächlichen Republik und der effektiven Bekämpfung der systemischen Armut, eine Forderung, die über eine bloße Wahldemokratie hinausgeht. Doch die linken Parteien haben es versäumt, sozialdemokratische Prinzipien in Zusammenarbeit mit den basisnahen Massenbewegungen umzusetzen.

Damit die Gen-Z-Revolution einen tatsächlichen gesellschaftlichen Wandel herbeiführen kann, muss das politische System so reformiert werden, dass die Verfassung dem Interesse der gesamten Bevölkerung dient. 

Die Gen-Z-Proteste sind alles andere als homogen. Junge Menschen aus allen gesellschaftlichen Schichten haben sich diesem politischen Kampf angeschlossen – aus privilegierten Familien ebenso wie aus indigenen Gemeinschaften, Dalit-Gruppen, der muslimischen Bevölkerung, Jugend aus der Provinz Madhesh und anderen marginalisierten Gruppen des Landes. Fast alle Demonstrierenden richten ihre Wut gegen die alte politische Elite. Zu denjenigen, die ihre Solidarität mit den Gen-Z-Demonstrant*innen bekundet haben, gehören Balen Shah, der Bürgermeister von Kathmandu, und Sudhan Gurung, Direktor der NGO Hami Nepal. Hami Nepal ist eine von Jugendlichen gegründete Non-Profit-Organisation, die 2015 nach dem verheerenden Erdbeben ins Leben gerufen wurde. Damals spielte sie eine zentrale Rolle bei der Bereitstellung von Hilfsgütern und beim Aufbau direkter Verbindungen zwischen Spender*innen und Empfänger*innen. In der Folge wurde sie zu einem wichtigen Anlaufpunkt für Menschen, die sich der Bewegung anschließen wollten.

Übergangspremierministerin Sushila Karki hat bereits drei Ministerposten in ihrem Kabinett besetzt: Finanzminister Rameshore Khanal, Energieminister Kulman Ghising und Innenminister Om Prakash Aryal haben alle drei keinen politischen Hintergrund. Karki konzentriert ihre Bemühungen darauf, das nepalesische Regierungssystem wieder auf Kurs zu bringen. Diese gewaltige Aufgabe lastet allein auf ihren Schultern, denn die Übergangsregierung hat eine zutiefst zerrüttete politische und gesellschaftliche Struktur geerbt, in der zwangsläufig jede Seite ihre eigenen Ansprüche und Beschwerden geltend machen wird.

Die Regierung steht aktuell vor drei zentralen Herausforderungen:

  1. Stabilität wiederherstellen und das Regierungssystem neu in Gang setzen. Berichten zufolge wurden mehr als 300 lokale und föderale Behördenbüros in Brand gesetzt, offizielle Dokumente und Einrichtungen zerstört. Diese Ämter müssen wieder in ihrer vollen Funktionsfähigkeit aufgebaut werden.
  2. Den Dialog mit allen politischen Akteur*innen suchen, um das Vertrauen der Bevölkerung in die öffentlichen Institutionen wiederherzustellen, das durch Korruption und Nepotismus der bisherigen Regierungen stark erschüttert wurde. Der Austausch mit der Gen Z und anderen Akteur*innen muss fortgesetzt werden, und es sollten Mechanismen geschaffen werden, die Inklusivität und Repräsentation auf verschiedenen Ebenen sicherstellen. Gleichzeitig gilt es, auf die Wut einer jungen Generation zu reagieren, die sich durch Arbeitslosigkeit, Ungleichheit und das Versagen des politischen Systems hinsichtlich seines demokratischen Versprechens betrogen fühlt.
  3. Die Wahlen im März 2026 organisieren. Für die fragile Übergangsregierung stellt die Durchführung dieser Wahlen eine enorme Herausforderung dar. Die etablierten Parteien werden dabei ihre eigenen politischen Überlebensstrategien verfolgen. Der beste Weg nach vorn besteht darin, durch strukturelle Reformdialoge alle Beteiligten – auch die Parteien – einzubeziehen, um Korruption entgegenzuwirken und die Voraussetzungen für faire und transparente Wahlen zu schaffen.

Damit die Gen-Z-Revolution einen tatsächlichen gesellschaftlichen Wandel herbeiführen kann, muss das politische System so reformiert werden, dass die Verfassung dem Interesse der gesamten Bevölkerung dient. Die Demokratie des Landes muss gestärkt und öffentliche Institutionen müssen konsequent in den Dienst der Menschen gestellt werden. In einem aktuellen Interview mit BBC News Nepali bekräftigte Premierministerin Sushila Karki ihr Engagement und ihre Vision für ein gerechteres und inklusiveres Nepal. Sie kündigte an, Minister*innen aus den Reihen der Janjati (indigene Bevölkerungsgruppen), der Dalits, sowie Frauen und Angehörigen der benachteiligten Kasten in die Regierung zu berufen. In den kommenden sechs Monaten will sie ihre Vision einer neuen politischen Ordnung umsetzen, die auf den Prinzipien von Föderalismus, Inklusion, Demokratie und Republikanismus beruht – so, wie sie in der Verfassung Nepals verankert sind.

Übersetzung von Charlotte Thießen und Daniel Fastner für Gegensatz Translation Collective