Nachricht | Migration / Flucht - Amerikas Wer geht – wer bleibt?

Migration und soziale Ungerechtigkeit in der Klimakrise

Überschwemmung nach extremen Regenfällen in Porto Alegre, Brasilien, April 2024.
Überschwemmung nach extremen Regenfällen in Porto Alegre, Brasilien, April 2024.  CC BY-NC 2.0, Foto: Maí Yandara / Mídia NINJA

In schweren Dürren, Fluten und Bränden zeigen sich bereits heute die Folgen des Klimawandels in Lateinamerika. Die Entscheidung, zu migrieren oder zu bleiben, ist angesichts der sozio-ökologischen Katastrophe keine wirklich freie. Sie ist ein Privileg, das nur wenige genießen. Dieser Beitrag lädt dazu ein, das Phänomen der Klimamigration unter dem Blickwinkel der Gerechtigkeit zu betrachten: Wer hat das Recht, sich zu bewegen, und wer bleibt in der Unsicherheit gefangen?

von Jorge Enrique Forero

Vor einigen Monaten erschien in einer renommierten Fachzeitschrift für sozial-ökologische Fragen ein Artikel, der unter Forscher*innen, die sich mit Migration beschäftigen, für Diskussion sorgte. Das zentrale Argument des Beitrags war so simpel wie alarmierend: Prognosen zum Klimawandel zeigten demnach, dass sich die Lebensbedingungen in vielen Regionen der Welt derart ändern werden, dass sowohl Migrationsbewegungen als auch Verlagerungen von Eigentum in andere Weltregionen unvermeidlich seien. Aufgrund einer übermäßigen Erwärmung der Tropen und einer gleichzeitigen Abmilderung des Klimas in den nördlichen Breiten sagt der Artikel in etwas vereinfachender Weise massive Migrationsbewegungen aus dem Globalen Süden in den Norden voraus.

Solche Prognosen lassen meist außer Acht, was jahrelange Forschung zur Beziehung zwischen Klimawandel und menschlicher Mobilität bereits gezeigt hat. Die wichtigste Erkenntnis ist, dass veränderte Umweltbedingungen tatsächlich Migration als Anpassungsstrategie begünstigen können. Aber es hängt von einer Vielzahl ökonomischer, politischer, sozialer und kultureller Faktoren ab, ob es tatsächlich dazu kommt. Die Berücksichtigung dieser Faktoren erlaubt uns, die Debatte nuancierter zu führen. Nehmen wir etwa den Groundswell-Bericht der Weltbank von 2021 als Beispiel. Er geht davon aus, dass die Zahl klimabedingter Binnenmigrationen in Lateinamerika bis 2050 zwischen 2,2 und 17,1 Millionen Menschen liegen könnte.

Ob sich die endgültige Zahl eher dem einen oder dem anderen Szenario annähert, hängt im Wesentlichen von politischen Entscheidungen ab, insbesondere davon, welche Maßnahmen zur sozialen Teilhabe, zum Klimaschutz und zur Anpassung an die Folgen des Klimawandels ergriffen werden.

Vereinfachende Narrative

Die Diskussion ist hochbrisant, weil hier zwei der politisch kontroversesten aktuellen Themen aufeinandertreffen: Klimawandel und Migration. Vereinfachende Narrative können verhindern, dass Entscheidungen getroffen werden, die auf wissenschaftlicher Evidenz, Gerechtigkeit und Solidarität basieren. Gleichzeitig können Vereinfachungen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus verstärken.

Jorge Enrique Forero ist Doktor der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften. Er forscht zurzeit in der Abteilung für Soziologie und Gender Studies von FLACSO-Ecuador (Facultad Latinoamericana de Ciencias Sociales), wo er das Projekt «Klimakrise und Migrationsgovernance in der Andenregion» koordiniert. 

Dabei wird ausgeblendet, dass der Grad der persönlichen Betroffenheit entscheidend dafür ist, ob Menschen angesichts einer Klimakatastrophe gehen oder bleiben. Das Ausmaß an Betroffenheit hängt wiederum von ihrem Zugang zu materiellen Ressourcen und ihrer gesellschaftlichen Marginalisierung ab, also von Faktoren, die eng mit Geschlecht, rassistischer Diskriminierung und sozialer Klasse verbunden sind. Zudem wird übersehen, dass nicht nur Menschen aus dem Globalen Süden gezwungen sein könnten, zu migrieren. Auch im Norden trifft dies auf diejenigen zu, die nicht über die nötigen Ressourcen verfügen, um die durch die Katastrophe verursachten Verluste und Schäden auszugleichen oder sich anzupassen. Damit wird deutlich, dass der Zusammenhang zwischen Klimawandel und menschlicher Mobilität untrennbar mit dem Problem der sozialen Ungleichheit zusammenhängt.

Ein Beispiel dafür ist die zunehmende Migration vom Land in die Städte in Lateinamerika. Ein großer Teil der Bevölkerung auf dem Land lebt von der Landwirtschaft. Infolge historischer Prozesse haben diese Menschen jedoch oft kein eigenes Land und es mangelt ihnen an Zugang zu Infrastruktur und Technologie. Das erschwert, sich an veränderte Regenzyklen, zunehmende Frostperioden und andere klimatische Phänomene anzupassen. Die Betroffenen zwingt dies, oft schrittweise, zur Migration in Städte, um dort nach Arbeit zu suchen. Doch auch hier ist die Frage, wer migriert und wer bleibt, stark von den individuellen Ressourcen abhängig: Wer über ein Minimum an ökonomischen Mitteln und sozialen Netzwerken verfügt, hat bessere Voraussetzungen, um zu migrieren. Andere hingegen, meist Frauen und ältere Menschen, bleiben zurück und müssen in zunehmender Prekarität ausharren.

Milliardäre als Klimaflüchtlinge

Ganz anders sehen die Strategien jener Milliardäre aus, die sich auf die möglichen Folgen des Klimawandels und andere globale Krisen vorbereiten. Bereits vor einigen Jahren machte der Multimilliardär Peter Thiel Schlagzeilen mit seinem Plan, für den Fall eines zivilisatorischen Kollapses für sich und andere Superreiche ein luxuriöses Refugium in Neuseeland zu errichten. Thiel musste sich dabei nicht mit den Hürden auseinandersetzen, denen sich viele Migrant*innen normalerweise gegenübersehen. Obwohl er nur zwölf Tage im Land verbracht hatte, erhielt er ohne Schwierigkeiten die neuseeländische Staatsbürgerschaft und konnte große Ländereien für sein Projekt erwerben. Er ist nur einer von vielen Milliardären mit ähnlichen Vorhaben. Könnte man Thiel als Klimamigranten bezeichnen? Ich würde das bejahen, auch wenn er nicht dem gängigen Bild entspricht, das Schlagzeilen und vereinfachende Narrative zeichnen.

Laut Oxfam (2023) verursacht ein Multimillionär mehr CO2-Emissionen als 600 000 arme Menschen zusammen. Im Jahr 2024 war das reichste Prozent der Weltbevölkerung für 17 Prozent der globalen Emissionen verantwortlich, die ärmere Hälfte der Menschheit dagegen nur für zehn Prozent. Gewöhnlich sind es die Ärmsten, die gezwungen sind, zu migrieren oder in hochriskanten Klimazonen auszuharren. Dabei haben gerade sie am wenigsten zur Entstehung der Krise beigetragen. Die Hauptverursacher sind paradoxerweise diejenigen, denen die meisten Optionen offenstehen. Solche Verhältnisse müssen berücksichtigt werden, wenn wir über Antworten auf das Phänomen der sogenannten Klimamigration nachdenken. Das bringt uns zur Frage der Klimagerechtigkeit.

Wirksamste Maßnahme: Kampf gegen die Ungleichheit 

Wir Menschen haben sowohl das Recht zu migrieren als auch das Recht zu bleiben. Damit der Klimawandel diese Rechte nicht untergräbt, sind zwei Arten von Maßnahmen unerlässlich: Minderung des Klimawandels und Anpassung an seine Folgen. Beginnen wir mit der Anpassung. Ob Millionen Menschen ihre Heimat aufgrund des Klimawandels verlassen müssen, hängt davon ab, wie gut sie sich sowohl in individueller als auch in kollektiver Hinsicht an die Klimafolgen anpassen können. Die entscheidende Frage lautet dabei, wer die Maßnahmen zur Anpassung finanzieren soll. Die Antwort liegt auf der Hand, ökonomisch wie moralisch: die Hauptverursacher der Krise, die zugleich über die meisten Ressourcen verfügen. Ein Bericht des World Inequality Lab aus dem Jahr 2023 zeigte, dass bereits eine Steuer von 1,5 Prozent auf die Einkommen der Milliardäre ausreichen würde, um die gesamten Anpassungskosten der Entwicklungsländer zu decken. Auch die Maßnahmen zur Minderung des Klimawandels weisen in dieselbe Richtung.

Wie wir heute wissen, ist die wirksamste Maßnahme der Kampf gegen die Ungleichheit. Das bedeutet nicht nur, Armut zu bekämpfen. Noch entscheidender ist es, der obszönen Anhäufung von Reichtum entgegenzutreten – der größten Bedrohung, die unsere Freiheit, die Demokratie und den Planeten gefährdet.

Der Artikel ist als Teil eines gemeinsamen Dossiers der Zeitschrift ila, des FDCL und der Rosa-Luxemburg-Stiftung in der ila 489 «Migration» erschienen.