
Wie erwartet gewann die regierende «Partei Aktion und Solidarität» (PAS) am 28. September die moldauischen Parlamentswahlen. Das Endergebnis war jedoch überraschend: Mit 50,17 Prozent der Stimmen behält die PAS die absolute Mehrheit im Parlament. Damit erhält sie etwa 55 der 101 Sitze – acht weniger als in der letzten Legislaturperiode – und kann weiterhin den Ministerpräsidenten stellen sowie mit einer breiten Mehrheit regieren.
Vitalie Sprînceană ist Soziologe und Aktivist und schreibt regelmäßig für Platzforma, ein sozialistisches Online-Medium aus Moldau.
Lilia Nenescu ist Anthropologin, Künstlerin und Aktivistin bei der moldauischen NGO Active Communities for Participatory Democracy.
Der Erfolg beruhte auf einem entschieden proeuropäischen Programm und einem Wahlkampf, der ausschließlich von Geopolitik, Ängsten um den EU-Beitrittsprozess und Warnungen vor russischer Einflussnahme oder gar einer bevorstehenden Invasion geprägt war. Den Moldauer*innen wurde vermittelt, ihre Stimme sei ihre Waffe – die einzige Verteidigung gegen russische Panzer.
Der Wahlerfolg wurde nicht als Sieg in einem demokratischen Wettbewerb gefeiert, sondern als gewonnene Schlacht. Der PAS-Vorsitzende Igor Grosu erklärte: «Moldau hat der ganzen Welt gezeigt, dass Russland besiegt werden kann.» Lokale Kommentator*innen, PAS-Anhänger*innen und selbst die internationalen Medien deuteten das Ergebnis als Sieg über Russland.
Diese Rhetorik bleibt nicht folgenlos. Das Framing von Wahlen als Krieg verändert die Politik selbst: Abstimmungen werden zu Schlachten, aus demokratischer Rivalität wird tödliche Feindschaft. Wo Politik zum Krieg wird, verlieren Verhandlung, Kompromiss und gesellschaftliche Teilhabe an Bedeutung. Die eigentliche Gefahr liegt nun darin, dass sich diese Haltung über den Wahlkampf hinaus in die Regierungsführung überträgt – während Moldaus drängende soziale und wirtschaftliche Probleme ungelöst bleiben.
Angst als politisches Werkzeug
Europäische Politiker*innen wie die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen deuteten die Wahlen als Triumph demokratischer Widerstandsfähigkeit. «Kein Versuch, Angst oder Spaltung zu säen, konnte eure Entschlossenheit brechen. Ihr habt eure Wahl klar getroffen: Europa. Demokratie. Freiheit», sagte sie an die moldauische Bevölkerung gerichtet. Die Botschaft war eindeutig: Die Menschen hätten sich den Spaltungstaktiken der Opposition widersetzt und für Europa abgestimmt. Vor Ort zeigte sich jedoch ein anderes Bild. Der Wahlkampf war von einer Stimmung der Angst, Kriegsrhetorik und geopolitischen Dramen durchzogen – und dazu haben beide Seiten beigetragen. Auch die Regierungspartei setzte auf eine Rhetorik der Angst und warnte vor Chaos, Krieg und einem Stillstand der EU-Beitrittsverhandlungen, sollten sich die Wähler*innen von ihr abwenden.
Die Diskrepanz zwischen dem lokalen und dem internationalen Narrativ ist vielsagend. Von Brüssel oder Berlin aus betrachtet, erscheint die Wahl eindeutig als Wettstreit der Werte: Demokratie gegen Spaltung, Europa gegen Moskau. In Moldau selbst stellte sich die Lage jedoch weit komplexer dar. Der Wahlkampf drehte sich weniger um Reformideen oder praktische Lösungen für Alltagsprobleme, sondern darum, die Ängste der Bevölkerung am wirkungsvollsten zu kanalisieren.
Angst ist in der moldauischen Politik kein neues Phänomen, 2025 wurde sie jedoch zum zentralen Thema. Zwar gelang der PAS der Machterhalt, doch ihr Regierungsmandat unterscheidet sich deutlich von jenem aus dem Jahr 2021.
Eine auf Angst basierende, militarisierte Politik mag kurzfristig zu Wahlsiegen führen, langfristig untergräbt sie allerdings die Grundlagen der Demokratie.
Damals gewann die Partei 52,8 Prozent der Stimmen mit dem Versprechen, das Justizwesen zu reformieren, Korruption zu bekämpfen, das Leben der Menschen zu verbessern, die Wirtschaft anzukurbeln und den Staat nach Jahren oligarchischer Herrschaft unter Vladimir Plahotniuc neu aufzubauen. Es war ein Mandat der Hoffnung – darauf, dass Moldau unter der PAS zu einem besseren, gerechteren Land werden würde. Es zeigte sich jedoch, dass Regieren schwieriger als Opponieren ist. Neben dem (sehr realen) Widerstand durch oligarchische Strukturen stellten sich parteiinterne Probleme ein: Machtkämpfe zwischen verschiedenen Flügeln, mangelnde Wirtschaftskompetenz des eigenen Personals und Schwierigkeiten bei der Umsetzung von Reformen. Hinzu kam – vielleicht der wichtigste Aspekt – die zunehmende Instabilität in der Region, die in Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine mündete.
Im Vorfeld der diesjährigen Wahlen hatte die PAS hinsichtlich ihrer größten Versprechen kaum Erfolge vorzuweisen. Mangels greifbarer Resultate präsentierte sie sich daher im Wahlkampf als einzig verlässliche Partnerin der EU, mehr noch als einzige politische Kraft, die den EU-Beitritt garantieren könne und die Moldau vor Krieg und russischer Einflussnahme bewahrt habe. Diese Bedrohungen sind zwar in der Regel nicht aus der Luft gegriffen, wurden jedoch immer wieder übertrieben, um die eigene Position zu festigen.
Während des gesamten Wahlkampfs war die Botschaft der Regierungspartei klar: Sollte Moldau für eine andere Kraft votieren, würde der EU-Beitrittsprozess abrupt zum Stillstand kommen. Diese Warnung erhielt zusätzliche Glaubwürdigkeit durch die häufigen Besuche hochrangiger EU-Vertreter*innen im Land. Die PAS ging noch weiter und erklärte, bei einem Wahlsieg der Opposition würde Putin Moldau unweigerlich mit militärischen Mitteln in den Krieg gegen die Ukraine hineinziehen An die moldauische Diaspora im Westen erging sogar die düstere Warnung, eine Niederlage der PAS könne die EU zur Ausweisung tausender Migrant*innen samt ihren Familien veranlassen – eine weitere unbelegte Behauptung, die von europäischen Spitzenpolitiker*innen nicht dementiert wurde.
Doch auch die Opposition, allen voran der «Patriotische Wahlblock» (BEP), malte ihrerseits nationale Schreckensszenarien für den Fall des Machterhalts der PAS aus. Der ehemalige Präsident und BEP-Vorsitzende Igor Dodon behauptete allen Ernstes, die PAS wolle Moldau durch die Eröffnung einer «zweiten Front» in der seit 1992 von russischen Truppen kontrollierten abtrünnigen Region Transnistrien in den Krieg hineinziehen. «Wenn die PAS an der Macht bleibt», erklärte Dodon, «werden die Soros-Leute Sandu [die moldauische Präsidentin] zwingen, gemeinsam mit Selenskyj Transnistrien anzugreifen – zur Unterstützung der Ukraine und gegen Russland.»
Gleichzeitig konnte die moldauische Diaspora in Russland nur eingeschränkt an den Wahlen teilnehmen. Für über 100.000 ortsansässige Moldauer*innen standen dort lediglich zwei Wahllokale zur Verfügung. In Deutschland, wo eine ähnlich große moldauische Community lebt, gab es hingegen 36 Wahllokale, in Italien 76 und in Frankreich 26. Es gibt offensichtlich verschiedene moldauische Diaspora-Gemeinden, die von der derzeitigen Regierung nicht gleichbehandelt werden.
Als Geopolitik getarnte Wirtschaftspolitik
Der geopolitische Fokus des Wahlkampfs verdrängte jede Diskussion über Justizreformen, Wirtschaftspolitik, die Wohnungsnot in Chișinău (wo sich die Mietpreise in den letzten Jahren verdoppelt haben), oder Armutsbekämpfung. Keine*r der Kandidat*innen präsentierte konkrete Vorschläge, um die massiven Herausforderungen des Landes anzugehen: Bevölkerungsrückgang, stagnierendes Wachstum (0,1 Prozent im Jahr 2024, für 2025 werden 0,9 Prozent prognostiziert), Inflation (seit 2021 sind die Preise um rund 60 Prozent gestiegen), sinkende Kaufkraft und steigende Armut. Laut offiziellen Angaben lebten 2024 etwa 33,6 Prozent der Bevölkerung unterhalb der absoluten Armutsgrenze; in ländlichen Regionen fallen entsprechende Zahlen deutlich höher aus.
Der Mindestlohn in Höhe von 281 Euro reicht nicht aus, um grundlegende Bedürfnisse wie Wohnen, Ernährung, Gesundheitsversorgung oder Bildung zu befriedigen. Zwar ist das durchschnittliche Einkommen kontinuierlich gestiegen und liegt aktuell bei rund 800 Euro, doch Statistiken zufolge liegen zwei Drittel der Einkommen auf oder unter diesem Durchschnitt. Diese Zahlen verdeutlichen die Ungleichmäßigkeit des moldauischen Wachstums, das sich auf wenige Sektoren konzentriert und für die Mehrheit der Erwerbstätigen unerreichbar bleibt. Die Unterschiede zwischen den Branchen sind in dieser Hinsicht erheblich: In der IT- und Kommunikationsbranche liegen die Löhne 150 Prozent über dem Durchschnitt, während sie in der Landwirtschaft oder im Sozialwesen weit darunter liegen.
Die von der PAS hervorgekehrten wirtschaftlichen Kennzahlen zeugen daher nicht von allgemeinem Wohlstand, sondern verschleiern wachsende Polarisierung und soziale Ungleichheit. Hohe Einkommen konzentrieren sich in einer Handvoll Branchen, während ein würdiger Lebensstandard für die Mehrheit nach wie vor in weiter Ferne liegt.
Wie sich die zweite PAS-Regierung entwickeln wird, bleibt ungewiss. Doch vieles deutet darauf hin, dass sie der ersten ähneln wird – am Personal hat sich schließlich nichts geändert.
Im Wahlkampf fehlte es zudem an Visionen, wie Moldaus Wirtschaft resilienter gegenüber externen Schocks werden könnte. Es fanden keine Debatten darüber statt, wie die wirtschaftliche Entwicklung unabhängiger von ausländischen Direktinvestitionen und niedrigen Lohnkosten werden oder Arbeitnehmer*innenrechte ausgebaut werden könnten. Moldau gilt nach vielen Maßstäben als ärmstes Land Europas. Fakt ist jedoch: Keine der Parteien hatte ein politisches Angebot für eine alleinerziehende Mutter mit zwei Kindern, die in einer Textilfabrik in der Provinz arbeitet und die Preise steigen sieht, aber aus Angst vor Jobverlust nicht um eine Lohnerhöhung bittet, während ihre Kinder davon träumen, als Erwachsene im Ausland bessere Chancen zu finden.
Statt solchen Realitäten Aufmerksamkeit zu schenken, widmeten sich die Wahlkampagnen geopolitischen Themen, die zwar das Leben der Menschen in Moldau konkret betreffen, von der nationalen Politik aber nur begrenzt beeinflusst werden können. Dieser Trend betrifft nicht nur den zurückliegenden Wahlkampf. Über die Jahre hat die politische Klasse Moldaus fast alle gesellschaftlichen Debatten «geopolitisiert», so dass die Geopolitik nahezu den gesamten politischen Prozess absorbiert hat. Selbst bei Kommunalwahlen wird die Bevölkerung aufgefordert, in geopolitischen Kategorien zu denken und «geopolitische Entscheidungen» zu treffen. Daran wird sich aller Aussicht nach nicht allzu bald etwas ändern.
Der endlose Krieg der Narrative
Wie sich die zweite PAS-Regierung entwickeln wird, bleibt ungewiss. Doch vieles deutet darauf hin, dass sie der ersten ähneln wird – am Personal hat sich schließlich nichts geändert. Da die PAS mit militarisierter Sprache und geopolitischen Deutungsmustern die Wahl gewonnen hat, ist davon auszugehen, dass sie bei dieser Rhetorik bleiben wird.
Diese Kombination ist deshalb so gefährlich, weil die Kriegsrhetorik einen permanenten politischen Ausnahmezustand zu legitimieren droht, in dem abweichende Meinungen als Verrat und legitime demokratische Kritik als Feindunterstützung gilt. Anstatt die Demokratie zu stärken, vertieft diese Haltung Spaltungen und fördert Intoleranz.
Eine auf Angst basierende, militarisierte Politik mag kurzfristig zu Wahlsiegen führen, langfristig untergräbt sie allerdings die Grundlagen der Demokratie. Bürger*innen stimmen dann nicht mehr für Programme, die sie überzeugen, oder für echte Lösungen ihrer Probleme, sondern gegen mutmaßliche Bedrohungen, die sie fürchten sollen. Oppositionsparteien werden – unabhängig von ihren Verdiensten – als existenzielle Gefahr delegitimiert, während Regierungen ihre Unzulänglichkeit stets mit dem Hinweis auf äußere Bedrohungen entschuldigen, statt für schwache Leistungen zur Rechenschaft gezogen zu werden.
In Moldau sind die Folgen besonders deutlich. Die PAS kann zwar erneut regieren, doch ihr fragiles Mandat macht die Partei abhängig von den Ängsten, die sie selbst geschürt hat. Sollten diese sich nicht bestätigen, droht Enttäuschung. Schlimmer noch: Es könnte eine Demokratie entstehen, in der Wahlen nicht länger Momente der öffentlichen Beratschlagung sind, sondern ritualisierte Schlachten in einem endlosen Krieg der Narrative.
Übersetzung von Cornelia Gritzner und Maximilian Hauer für Gegensatz Translation Collective.