Analyse | Partizipation / Bürgerrechte - Rosalux International - Ostafrika Unruhen nach den Wahlen in Tansania

Landesweite Proteste fordern Demokratie statt Dynastie. Von Kerstin Fuchs

Information

Autorin

Kerstin Fuchs,

Die tansanische Polizei treibt während gewalttätiger Proteste Demonstranten auseinander (Dar es Salaam, 29.10.2025). Die Unruhen waren eine Reaktion auf den Wahlausschluss der beiden führenden Oppositionskandidaten und anderer Repressionen. Foto: picture alliance / REUTERS | Onsase Ochando

In Tansania fanden am 29. Oktober 2025 Präsidentschafts- und Parlamentswahlen statt. Bereits im Vorfeld wurde spekuliert, ob es in diesem Zusammenhang zu Protesten kommen würde. Bisher hatte sich der Unmut über die demokratiefeindlichen Entwicklungen, die massiven Einschränkungen der Presse- und Meinungsfreiheit sowie das Verschwinden oppositioneller Kräfte vor allem in den sozialen Medien entladen. Nun ist landesweit ein Flächenbrand an Protesten entstanden. Damit hatte in dem als sehr friedlich und stabil geltenden Land kaum jemand gerechnet.

Am Wahlsieg der amtierenden Präsidentin Samia Suluhu Hassan und der Regierungspartei Chama Cha Mapinduzi (CCM) bestand kaum Zweifel. Mit massiven Wahlmanipulationen war zu rechnen – nicht nur im Vorfeld durch das Ausschalten oppositioneller Parteien, sondern auch durch Wahlfälschungen am Tag selbst. 

Innerhalb der Bevölkerung herrschte bereits seit Monaten großer Unmut und der Wille, diese «Fake-Wahlen» nicht zu akzeptieren. Die meisten meiner Gesprächspartner*innen wollten überhaupt nicht zur Wahl gehen. Nur wenige hatten die Absicht, für eine Oppositionspartei zu stimmen. Äußerst selten traf ich Menschen, die ihre Stimme der Präsidentin geben wollten. Dabei handelte es sich meist um Regierungsbeamte oder Frauen aus unteren Bildungsschichten, die Samia vor allem als «eine von ihnen» sahen. Die Kampagne «No reforms, no election» (Ohne Reformen keine Wahlen) der größten Oppositionspartei Chadema – die selbst nicht zur Wahl zugelassen wurde – fand vor allem im städtischen Umfeld Anklang und führte dort offenbar zu einer breiten Wahlverweigerung.

Landesweite Proteste trotz Internetsperre

Lange blieb unklar, ob es tatsächlich zu Protesten kommen würde. Dass sie bereits am Vormittag des Wahltages in vielen Städten ausbrachen, erscheint rückblickend kaum überraschend – verlässliche Informationen aus ländlichen Regionen sind derzeit allerdings nur schwer zu erhalten. Die Wut der Protestierenden richtet sich gezielt gegen Wahllokale, die Polizei, öffentliche Verwaltungseinheiten wie die Steuerbehörde und vor allem gegen hochrangige CCM-Mitglieder und deren Unterstützer*innen. So wurden in Daressalam die Busfuhrparks von CCM-Abgeordneten in Brand gesetzt. Demonstrierende versuchten, den neuen Prunkbau des Sohnes des ehemaligen Präsidenten Jakaya Kikwete zu stürmen, und im ganzen Land kam es zu Anschlägen auf Tankstellen, die als Eigentum von CCM-Mitgliedern galten. Selbst die Familie des Popstars Diamond Platnumz wurde angegriffen, nachdem sich dieser vor den Wahlen abfällig über Oppositionelle geäußert hatte – sie sollten sich lieber ihrer Arbeit widmen, statt sich mit Politik zu befassen.

Die politische Elite scheint entschlossen, an der Macht festzuhalten, die Proteste niederzuschlagen und das ökonomische Ausbluten des Landes zu ihrem eigenen Vorteil fortzusetzen.

Eine zentrale Rolle spielten dabei die sozialen Medien, in denen Informationen über Eigentums- und Wohnverhältnisse regierungsnaher Personen geteilt wurden. Um die Weitergabe solcher Informationen und die Vernetzung von Demonstrierenden zu verhindern, unterbrach die Regierung ab dem Wahltag landesweit sämtliche Internetzugänge. Kommunikation ist – meist ebenfalls eingeschränkt – nur noch telefonisch möglich. Dennoch gelingt es den Demonstrierenden offenbar weiterhin, sich zu organisieren. Immer wieder flammen Proteste auf, auch in als CCM-Hochburgen geltenden Regionen wie Tabora.

Schamlose Wahlmanipulationen und massive Gewalt

Polizei und Militär gehen mit äußerster Gewalt gegen die Demonstrierenden vor. Neben dem Einsatz von Tränengas wird auch scharfe Munition verwendet. Verlässliche Angaben zur Zahl der Toten liegen derzeit nicht vor. Mehrere meiner Gesprächspartner*innen berichteten von zahlreichen Toten und Verletzten in ihren Regionen. Ein hochrangiges Mitglied der Oppositionspartei Chadema sprach von 500 Toten im Land. Andere Schätzungen gehen von bis zu 800 getöteten Protestierenden aus.

Immer wieder kursieren Gerüchte, dass ugandische Soldaten an der Niederschlagung der Proteste beteiligt seien. Ihnen werden besondere Brutalität und ein schneller Gebrauch von Schusswaffen nachgesagt. Eindeutige Beweise liegen dafür nicht vor. Das tansanische Militär scheint indes nicht einheitlich vorzugehen. Es gibt Berichte, dass Militärangehörige Demonstrierende vor dem brutalen Vorgehen der Polizei geschützt hätten und sich Teile des Militärs mit der Protestbewegung identifizierten. Viele Tansanier*innen setzen große Hoffnungen in das Militär. Sie wünschen sich eine Machtübernahme durch die Armee, um das Land zu befreien und fairen Wahlen zu organisieren. Es ist anzunehmen, dass sich auch Teile des Militärs gegen die hochkorrupte Machtelite stellen. Allerdings gehören viele Militärführer selbst zu dieser Elite und gelten als enge Vertraute, etwa von Ex-Präsident Kikwete. Es bleibt daher abzuwarten, welche Kräfte sich innerhalb des Militärs durchsetzen werden.

Ungeachtet der landesweiten Proteste setzt die Regierung – gemeinsam mit der sogenannten Unabhängigen Wahlkommission – die vermeintliche Auszählung der Stimmen fort und veröffentlicht laufend Ergebnisse. In zahlreichen, vor allem städtischen Wahllokalen konnte nicht gewählt werden oder wurde überhaupt nicht gewählt. Wahlbeobachter*innen berichten von massiven Unregelmäßigkeiten, etwa von schon am Vormittag prall gefüllten Wahlurnen in leer stehenden Wahllokalen. Offensichtlich sind bei den Manipulationen sämtliche Schamgrenzen gefallen – oft wird nicht einmal mehr der Anschein einer echten Auszählung gewahrt. In mehreren Wahlkreisen wurden Ergebnisse mit 98 Prozent Zustimmung für Samia bei angeblich 87 Prozent Wahlbeteiligung verkündet.

Die Proteste sind auf internationale Hilfe angewiesen

Die politische Elite scheint entschlossen, an der Macht festzuhalten, die Proteste niederzuschlagen und das ökonomische Ausbluten des Landes zu ihrem eigenen Vorteil fortzusetzen. Demgegenüber sind zur Verkündung der «offiziellen Wahlergebnisse» weitere massive und landesweite Proteste zu erwarten. Die Bevölkerung will den dynastisch-autokratischen Wandel des ehemals sozialistisch geprägten Landes nicht hinnehmen.

Vertreter*innen der Opposition bitten dringend um unmittelbare und konkrete Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft. Ihr wichtigstes Anliegen ist es, die offizielle Bestätigung der Wiederwahl und den erneuten Amtsantritt zu verhindern. Aus ihrer Sicht ist es deutlich schwieriger, nachträglich gegen eine durch Wahlbetrug eingesetzte Regierung vorzugehen.

Auf Unterstützung aus den ostafrikanischen Nachbarländern kann die Opposition kaum hoffen. Ugandas Präsident stellt sich im Januar 2026 zur Wiederwahl und hofft dann selbst auf Unterstützung aus dem Nachbarland – gegebenenfalls auch auf militärische. Ruandas Präsident Paul Kagame hat mit seinen nahezu 100-prozentigen Wahlergebnissen im vergangenen Jahr gezeigt, wie wenig ausgeprägt sein Demokratieverständnis ist. Und in Kenia sieht sich Präsident William Ruto mit gegen ihn gerichteten Gen-Z-Protesten konfrontiert; er sich bei den 2027 anstehenden Wahlen nur schwer behaupten können.

Tansania steht vor politisch entscheidenden Wochen. Es bleibt abzuwarten, wie viele Opfer die derzeitigen Machthaber für ihren Machterhalt in Kauf nehmen. Das Land ist nach außen weitgehend abgeriegelt: Der Flugverkehr ist unterbrochen, viele wichtige Straßen sind blockiert, und in Daressalam gilt seit dem Wahlabend eine Ausgangssperre. Es ist ungewiss, wie lange die Kräfte der Demonstrierenden ausreichen, um ihren Protest fortzusetzen.