Nachricht | Europa - International / Transnational Für ein würdiges Leben

Internationale Konferenz in Warschau gegen Armut, soziale Ausgrenzung und Umweltzerstörung

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Am 26. November 2011 fand in Warschau die internationale Tagung „Ein würdiges Leben – gegen Armut und die Zerstörung der natürlichen Umwelt“ statt, die durch das Warschauer Büro der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Zusammenarbeit mit Gabi Zimmer, Abgeordnete der GUE/NGL-Fraktion im Europäischen Parlament, organisiert wurde. Partnerorganisation auf polnischer Seite war die Gesamtpolnische Gewerkschaftsverständigung OPZZ, die nach „Solidarność“ zweitgrößte Gewerkschaftszentrale des Landes. Eingeladen waren Akteure von Nichtregierungsorganisationen, GewerkschafterInnen, ExpertInnen auf dem Gebiet der Sozialpolitik und Armutsbekämpfung, PolitikerInnen und WissenschaftlerInnen aus Polen, Deutschland, Tschechien, Litauen und der Slowakei. Begrüßt werden konnten u.a. Wanda Nowicka, Vizepräsidentin des Sejm und Abgeordnete der Palikot-Bewegung, Robert Biedroń, ebenfalls Abgeordneter der Palikot-Bewegung, Gabi Zimmer sowie Wilfried Telkämper und Judith Dellheim von der RLS aus Berlin.

Nach Eröffnung der Tagung durch Wanda Nowicka, Gabi Zimmer und Wilfried Telkämper, Direktor des Zentrums für internationalen Dialog und Zusammenarbeit in der Rosa-Luxemburg-Stiftung, wurden dann auf einer ersten Sitzung Ergebnisse und Erfahrungen aus dem Europäischen Jahr gegen Armut und soziale Ausgrenzung bilanziert. Gabi Zimmer stellte einleitend übergreifende Probleme dar, die sich aus den einzelnen Länderreports und -analysen herausgefiltert haben. Dabei unterstrich sie die Notwendigkeit, für alle Länder verbindliche Indikatoren zu finden, um die Erscheinungen von Armut und sozialer Ausgrenzung im europäischen Kontext vergleichend beobachten und festhalten zu können. Das werde den Bestrebungen entgegenkommen, einen für alle EU-Mitglieder verpflichtenden sozialen Mindeststandard ausarbeiten zu können. Das gleiche gelte im übrigen auch für ökologische Mindeststandards, wobei hier in den letzten Jahren deutlichere Fortschritte erreicht worden seien. Als gravierende Erscheinungen von Armut und sozialer Ausgrenzung, die zugleich mit Umweltproblemen gekoppelt sind, nannte sie die Energiearmut und die zunehmende Wohnungsnot.

Józef Niemiec, Generalsekretär des Europäischen Gewerkschaftskongresses ETUC, berief sich auf Erfahrungen von Gewerkschaftern im Ringen um die Einführung von Mindestlöhnen auf der europäischen Ebene. Er reflektierte auch Erfahrungen des europaweiten Kampfes von Gewerkschaftern gegen Sozialabbau, der fast immer mit Argumenten der notwendigen Sparpolitik und Haushaltskonsolidierung begründet werde. Darauf ging auch der Vertreter der Bergarbeitergewerkschaft ZZG in Polen ausführlich ein.

Die Situation in Litauen analysierte Algirdas Davidavičius vom Institut Demos aus Vilnius. Eines der wichtigsten Probleme sei das Fehlen eines Monitoringinstruments für Armutserscheinungen auf der Regierungsseite. So sei es nicht verwunderlich, wenn der Bericht der litauischen Regierung zum Europäischen Jahr gegen Armut und soziale Ausgrenzung sehr viele inhaltliche Fehler enthalte. Auch das hätte mit dazu geführt, dass die Regierung keine geeigneten Schlussfolgerungen ziehen konnte, um eine zukunftsfähige Strategie zu entwickeln, die der Problemlage gerecht wird. Ein großes Problem sei die Auswanderung vor allem junger, zumeist gut ausgebildeter Fachkräfte aus Litauen. Den jungen Menschen gehe es vor allem um eine schnelle, spürbare Verbesserung ihrer materiellen Lebensumstände.

Im Vergleich dazu, so Jiři Silny aus Tschechien, erscheine die Situation in seinem Land gar nicht so pessimistisch. Allerdings habe sich die Regierung trotz eines vergleichsweise guten Zustands des Staatshaushalts zu Einsparungen und Kürzungen entschlossen, die dann fast immer den sozialen Bereich – und hier vor allem die ärmeren Menschen – träfen. Kritisch bewertet werden müsse in diesem Zusammenhang auch die Situation der Minderheit der Roma in Tschechien.

Armut und soziale Ausgrenzung gingen, so Krzysztof Śmiszek von der Polnischen Gesellschaft für Antidiskriminierungsrecht PTPA, sehr oft einher mit offener oder versteckter Diskriminierung. Arme Menschen könnten sich eine angemessene rechtliche Betreuung nicht leisten, ihre unveräußerlichen Rechte würden oft nicht anerkannt, auch von vielen Arbeitgebern nicht.

Andrzej Radzikowski, stellvertretender Vorsitzender der OPZZ, unterstrich, dass Kürzungen und Einsparungen, die derzeit mit der Finanz- und Währungskrise verknüpft werden, die Absicherung öffentlicher Finanzen gefährden, was sich vor allem auf die Situation der ärmeren und am wenigsten verdienenden Menschen niederschlagen werde. Das Europäische Jahr gegen Armut und soziale Ausgrenzung habe leider wenig Änderungen in der Wahrnehmung des Problems bei führenden Politikern in vielen Ländern der EU bewirkt.

In der offenen Diskussion nahmen u.a. teil: Dr. Rafał Bakalarczyk vom Institut für Sozialpolitik, der eine eigene Untersuchung zur Armut in Polen vorgelegt hat, Prof. Jolanta Supińska von der Universität Warschau sowie der Wirtschaftstheoretiker Prof. Tadeusz Kowalik, der unterstrich, dass Kürzungen und Einsparungen die EU-Länder in den Teufelskreis von Stagnation und sogar Rezession treiben, wodurch sich vor allem die ohnehin zumeist schwierige Situation der Ärmeren weiter verschlechtern werde.

Katarzyna Kądziela von der Izabel-Jaruga-Nowacka-Stiftung berief sich auf die Erfahrungen der Namenspatronin, einer erfahrenen und sehr engagierten Sozialpolitikerin, dass die Armut in Polen vor allem eine feminisierte Armut sei. Die Frauen hätten in der Transformation die höchsten sozialen Kosten getragen. Dieser Aspekt aber sei im Europäischen Jahr der Armutsbekämpfung weitgehend ausgeblendet gewesen.

Die zweite Sitzung der Tagung konzentrierte sich auf konkrete Empfehlungen in der politischen Auseinandersetzung mit dem Armutsproblem. Ihre Überlegungen stellten u.a. vor: Prof. Ryszard Szarfenberg vom European Anti-Poverty Network-Polska, Dr. Judith Dellheim vom Institut für Gesellschaftsanalyse der Rosa-Luxemburg-Stiftung, Piotr Ikonowicz von der Kanzlei für Soziale Gerechtigkeit, Katarzyna Kądziela von der Izabel-Jaruga-Nowacka-Stiftung, Pierre Klein von der Gesellschaft ATD Vierte Welt sowie Joanna Garnier von der Stiftung La Strada.

Eine wichtige Reflexion aus der Tagung betrifft den Begriff des würdigen Lebens, der ein Gegengewicht zur Ideologie des Neoliberalismus darstellt, denn während dort Gewinnmaximierung und wirtschaftlicher Erfolg die alles entscheidende Messlatte für gesellschaftliche Prozesse sein sollen, werden hier sehr viel weitergehende Aspekte gleichberechtigt mit hinzugezogen. Er wird in den kommenden Auseinandersetzungen um Fragen der Krisenbewältigung und der künftigen Entwicklung auch in den Mitgliedsländern der EU bei vielen Menschen eine sehr viel wichtigere Rolle spielen als bisher. Eine der großen Herausforderungen, vor denen linke und linksorientierte, auf soziale Gerechtigkeit zielende politische Gruppierungen stehen. 

Joanna Gwiazdecka ist Leiterin des RLS-Büros in Warschau