Nachricht | GK Geschichte AK gegen den kärntner Konsens (Hg): Friede, Freude, deutscher Eintopf. Rechte Mythen, NS-Verharmlosung und antifaschistischer Protest; Wien 2010

Das erste Treffen auf dem kärntner Ulrichsberg fand 1958 statt; seither wurden die jährlichen Ulrichsbergfeiern zu einem Treffpunkt für rechte bis rechtsextreme Gruppen aus ganz Europa. 1997 begannen sich erste Proteste zu regen, seit 2005 finden regelmäßig Demonstrationen und Gegenveranstaltungen statt, in deren Rahmen der Arbeitskreis gegen den kärntner Konsens eine kritische Auseinandersetzung mit der Geschichte des österreichischen Nationalsozialismus vorantreibt und dabei ein Große Menge an Wissen und Material zusammen getragen hat, das mit der Herausgabe dieses Buches erstmals einer breiten Öffentlichkeit zur Verfügung steht.

Der erste Teil behandelt die Wendungen und Verdrängungsprozesse in der österreichischen Erinnerungskultur. Entsprechend der "Opferthese", die besagt, dass Österreich das erste Opfer des Faschismus war, galt das Gedenken in den Jahren unmittelbar nach Kriegsende in erster Linie den Opfern des Nationalsozialismus. Nach der Unterzeichnung des Staatsvertrags ging man jedoch schnell dazu über, die im nationalsozialistischen Eroberungskrieg Gefallenen ebenso wie die sogenannten "Heimatvertriebenen" als "Helden der Pflichterfüllung und der Tapferkeit" zu feiern und zu idealisieren. Der Austrofaschismus wurde aus der Gedenkkultur ausgeklammert und dementsprechend konnten die Täter_innen bald wieder in ihre früheren Positionen zurückkehren. Das war die Zeit, in der Gedenkstätten wie der Ulrichsberg entstanden. Die Besonderheit der Ulrichsbergtreffen ist jedoch, dass sie nicht nur rechte Gruppierungen anziehen, sondern bis weit in die gesellschaftliche Mitte hinein akzeptiert sind. So spielte bis vor wenigen Jahren das österreichische Bundesheer eine aktive Rolle in der Vorbereitung und Durchführung der Feierlichkeiten und hochrangige Politiker hielten Eröffnungsreden.

Möglich wurde das durch die Existenz mehrerer paralleler Erzähltraditionen, in denen der Ulrichsberg jeweils verschiedene Bedeutungen annimmt und dadurch vielen Menschen Identifikationsmöglichkeiten bietet. In Kärnten setzte sich – in Rückbeziehung auf Auseinandersetzungen um die österreichische Südgrenze nach dem ersten Weltkrieg – zudem ein Geschichtsverständnis durch, das den faschistischen Eroberungskrieg und die Verfolgung der antifaschistischen Partisanen zu einem kärntner Abwehr- und Befreiungskampf umdeutet, und den Nationalsozialismus dabei ausblendet. Ein Denkmuster, das nach 1945 weitergeführt wurde, indem man die kärntner Grenze als Bollwerk gegen den Kommunismus hochstilisierte. So entstanden allgemein anerkannte "Geschichtsmythen", die für rechte Politik besonders anschlussfähig sind. Die Ulrichsbergfeiern wurden "zur jährlichen Re-Inszenierung eines geschichtspolitischen Konsenses, in dem das offizielle Kärnten/Koroska bzw. Österreich [...] die Botschaft dieses Vermächtnisses, wenn nicht akzeptierte, so doch tolerierte".
 
Im Anschluss an diese historischen und politischen Grundlagen, werden im zweiten Teil die verschiedenen Erzähllinien nachvollzogen, besonders in Hinblick auf die darin häufig anzutreffende "Täter_innen-Opfer-Umkehr“. Dieser Block wird durch einen Gastbeitrag des AK angreifbare Traditionspflege aus Bayern ergänzt. Weitere Kapitel widmen sich den Opfern der nationalsozialistischen Verfolgung, die in der allgemeinen Erinnerungskultur nicht präsent sind, wie kärntner Slowenen, Juden, "Zigeunern", den Insassen des KZ Loibl oder Zwangsarbeiter_innen.

Im letzten Teil schließlich wird auf aktuelle Entwicklungen eingegangen und auf die antifaschistischen Proteste und Aktionstage, die sich rund um die Ulrichsbergtreffen entwickelt haben. Obwohl die Teilnehmer_innen an den Protestveranstaltungen bis heute verunglimpft und bedroht werden, gab es erste Erfolge dadurch, dass die engen Verflechtungen der Ulrichsberggemeinschaft mit der rechtsextremen Szene publik gemacht werden konnten und als Konsequenz das österreichische Bundesheer und Regierungsmitglieder seit 2008 nicht mehr als "offizielle" Repräsentanten der Republik Österreich teilnehmen. Die weiterhin engen Beziehungen zum Bundesheer sorgen jedoch dafür, dass durch den "Brückenschlag zwischen Soldatengenerationen" diese Art der Gedenkkultur nicht mit dem Tod der Beteiligten und Betroffenen ausstirbt. Dem gegenüber stellen die Herausgeber_innen die Frage, wie "angesichts des Ablebens vieler Zeitzeug_innen und Überlebender die Erinnerungen jener Menschen festgehalten werden können".

Die Herausgeber_innen konnten der Versuchung widerstehen, eine "richtige", kohärente Gegenerzählung zu liefern, sondern haben sich darauf beschränkt, die verschiedenen, manchmal einander widersprechenden, manchmal sich gegenseitig verstärkenden Erzähltraditionen mit ihren Widersprüchen und Auslassungen sichtbar zu machen, mit denen sich auseinanderzusetzen den Leser_innen nicht abgenommen wird. Ein wichtiger Beitrag zur Aufarbeitung österreichischer Zeitgeschichte mit einem bisher vernachlässigten Schwerpunkt.

Brigitte Kratzwald

AK gegen den kärntner Konsens (Hg): Friede, Freude, deutscher Eintopf. Rechte Mythen, NS-Verharmlosung und antifaschistischer Protest. Mandelbaum Verlag, Wien 2010

Brigitte Kratzwald lebt in Graz und ist u.a. Redakteurin von CONTRASTE. In der Ausgabe 1/2012 von CONTRASTE erschien dieser Text zuerst. Wir danken herzlich für die Genehmigung zum Nachdruck.