Nachricht | International / Transnational - Afrika Putsch in Mali

Ein Hintergrundbericht von Claus-Dieter König, Büroleiter des rls Regionalbüros Westafrika in Dakar vom 4. April 2012

Aus der Meuterei wird ein Putsch

In Mali meuterten am 21. März in der vor der Hauptstadt Bamako liegenden Kaserne von Kati untere Dienstränge des Militärs. Ein Ereignis, das schließlich zur Machtübernahme durch die Militärs unter der Führung von Hauptmann Amadou Sanogo führte.

Was ursprünglich eine Meuterei der Militärs war, wurde schließlich bis zur Absetzung des Präsidenten und Übernahme der Staatsmacht weitergeführt. Der Putsch begann mit Demonstrationen in Kati gegen die schlechte Ausrüstung und Versorgung der Soldaten im Kampf gegen die Rebellen im Norden. Der Verteidigungsminister besuchte am Mittwoch, dem 21. März, die Kaserne um zu vermitteln, doch die Ereignisse eskalierten. Der Minister wurde angegriffen und unter Arrest gestellt.

Im weitern Verlauf versorgten sich die Militärs in den Arsenalen mit Waffen, beschlagnahmten private Fahrzeuge als Transportmittel, besetzten zunächst den staatlichen Rundfunk und schließlich setzten sie den Präsidenten ab.

Erst am folgenden Morgen, Donnerstag, gegen fünf Uhr, wird die Deklaration des Nationalen Komitees für die Wiedererrichtung der Demokratie und Restauration des Staates (CNRDRE) verlesen. Der Sprecher des Komitees verliest eine Deklaration, die offensichtlich über Nacht zusammengestellt wurde. Die Regierung sei unfähig gewesen, angemessen auf die Rebellion im Norden zu reagieren. Regierung und Parlament seien bis auf weiteres aufgelöst und die Verfassung suspendiert. Eine Ausgangssperre werde verhängt. Die Militärs hätten nicht die Absicht, die Macht zu übernehmen und würden mit allen politischen und zivilgesellschaftlichen Kräften des Landes Kontakt aufnehmen um baldige Wahlen zu organisieren. Das Fernsehen zeigt etwa 50 bisher unbekannte Offiziere in einem kleinen Saal. Nach dem Sprecher ergreift der Vorsitzende des Komitees, Hauptmann Amadou Sanogo, mit heiserer Stimme kurz das Wort.

Am folgenden Donnerstag weitete sich der Putsch der jungen Offiziere auf die Garnisonen im ganzen Land aus. Generäle wurden abgesetzt und jüngere Offiziere übernahmen die Kontrolle. Es scheint, als sei dies ebenfalls spontan und nicht wohl vorbereitet geschehen, ein Indikator, dass die Unzufriedenheit der jüngeren Offiziere mit den hohen Führungsrängen, denen sie Beteiligung am Drogenhandel und Korruption vorwerfen, auf ein unerträgliches Maß angewachsen war. Doch es gelingt dennoch nicht, das gesamte Militär hinter den Putsch zu bringen. Auffällig ist vor allem das Fehlen höherer Dienstränge in den Reihen der Putschisten.

Der abgesetzte Staatspräsident Amadou Toumani Touré  befindet sich im Kreise loyaler Soldaten. Es gab nach wenigen Tagen Hinweise, auf einen versuchten Gegenputsch. Insbesondere soll der staatliche Rundfunk umkämpft gewesen sein. Wenn es diesen Versuch gegeben hat, blieb er jedoch erfolglos.

Noch in der ersten Putschnacht hört man in vielen Stadtvierteln Bamakos Schüsse. Militärs, die die Bevölkerung einschüchtern und zum Teil auch die Kassen von Restaurants und Geschäften plündern. In den folgenden Tagen gilt eine Ausgangssperre von 18 Uhr bis sechs Uhr, was die Plünderungen fast vollständig stoppt.

Schon am Folgetag des Putsches sind die Folgen der geschlossenen Grenzen für die Wirtschaft Malis offensichtlich. Fast alle Tankstellen haben geschlossen und so werden Treibstoffe zur Mangelware. An Grundnahrungsmitteln mangelt es noch nicht, die Menschen beginnen aber das Wichtigste zu horten. Während eines morgendlichen Spaziergangs auf der Suche nach einer offenen Apotheke für einige wichtige Medikamente unserer kleinen Gruppe im Hotel gestrandeter Konferenzteilnehmer kommen wir an einer Tankstelle vorbei, in der ein Tankwagen steht, ein Zeichen, dass hier Benzin zu haben ist. Hunderte von Metern stauen sich die Fahrzeuge vor der Einfahrt in die Tankstelle. Eine große Menschentraube hat sich versammelt. Wir sind selbst noch weit entfernt, als wir einige Maschinenpistolensalven aus der Tankstelle hören. Aber selbst die Fußgänger flüchten nicht, so folgern wir, dass die Salven in die Luft abgefeuert wurden, um einem Militärfahrzeug Vorrang bei der Betankung zu sichern. Und hierin liegt vielmehr das Problem, denn nach Angaben der Importeure von Teribstoffen reichen die Vorräte im Land für ein bis drei Monate. Die Tankstellen bleiben wie viele Geschäfte aus Angst vor Vandalismus und Plünderungen –meist durch bewaffnete Soldaten – geschlossen. Entsprechend etabliert sich eine tendenziell ablehnende Stimmung in der Bevölkerung dem Putsch gegenüber, die baldige Rückkehr zu einem normalen Alltag in Bamako war notwendig, wenn die Militärregierung die Bevölkerung auf ihre Seite ziehen wollte. Als ich am Nachmittag wieder an der Tankstelle vorbeigehe, wird sie durch Militärs bewacht und Fahrzeuge werden problemlos betankt. Und so begann schon nach wenigen Tagen wieder der normale Alltag in Bamako und die Meldung von Agence France Press, die Straßen Bamakos sei noch am Sonntag weitestgehend leergefegt gewesen, haben mit der Wirklichkeit nach meinen eigenen Beobachtungen nichts zu tun. Folglich nehmen die den Putsch befürwortenden Stimmen in der Bevölkerung zu. Für die Meuterei gegen den Generalstab hat die Bevölkerung allemal Verständnis. Eine klare Ablehnung des Putsches ist selten zu hören. Präsident Touré hatte zwar lange starken Rückhalt in der Bevölkerung, dieser nahm allerdings seit Jahresbeginn und mit den Erfolgen der Rebellion im Norden rapide ab.

Rebellion im Norden

Die Rebellion im Norden besteht aus mehreren Milizen mit unterschiedlichen Zielen. Die wichtigste Gruppe ist die Nationale Bewegung für die Befreiung des AZAWAD (MNLA). Sie verfolgt die Unabhängigkeit des Nordens Malis, den sie Azawad nennt. Sie hat keine religiösen Ziele. Viele ihre Mitglieder waren an den bisherigen Rebellionen im Norden Malis beteiligt und zum Teil nach Libyen geflüchtet, wo sie in der Armee gedient und einige auf Seiten des Aufstandes gekämpft haben. Ihre Waffen stammen aus den Beständen der libyschen Armee, besonders hochwertiges Waffenmaterial wie Boden-Luft-Raketen haben sie zudem aus den Waffenabwürfen der NATO zur Unterstützung Rebellion in Libyen erworben. In ihr kämpfen auch 2006 nach der letzten Rebellion im Norden in die malische Armee integrierte Kämpfer, die inzwischen mit Waffenmaterial zur MNLA über gelaufen sind.[1]

Hinzu kommen andere, eher an reaktionär-fundamentalistischen Interpretationen des Islam orientierte Gruppen, wie Ansar Dine. Die Milizen haben seit Mitte Januar mehrfach Militärcamps überfallen sowie bereits vor dem Putsch mehrere Städte unter Ihre Kontrolle gebracht. Es handelt sich um Milizen, die nur geringe Unterstützung aus der Bevölkerung besitzen. Vielmehr schüchtern sie die Bevölkerung mit ihrer Gewalt ein und treiben sie in die Flucht. So waren bereits vor dem Putsch etwa 200.000 Menschen aus den von der MNLA und ihren Verbündeten eingenommenen Städten geflüchtet.

Gold-, Öl- und Uranvorkommen sind im Norden Malis nachgewiesen bzw. werden vermutet.

Viele behaupten, dass der französische Außenminister Alain Juppé eine Woche vor Beginn der Rebellion deren Führungspersonen empfangen habe, sei Beleg für eine Unterstützung durch Frankreich. Außerdem mussten die Waffen aus Libyen das Staatsgebiet Nigers passieren. Das sei gegen den Willen Frankreichs nicht möglich. Frankreich reagiert auf den Putsch zunächst im Vergleich z.B. zu den USA und der Afrikanische Union (AU) moderat und fordert lediglich schnellstmögliche Neuwahlen, schloss sich dann aber den Forderungen anderer Länder nach ‚Rückkehr zur verfassungsgemäßen Ordnung’ an.

Die MNLA und ihre militärischen Verbündeten sind bislang die einzigen Gewinner des Putsches. Sie nutzen die Regierungskrise und die Schwächung der Armee für eine Offensive, in der sie mit Kidal, Gao und Timbuktu, die drei im Norden gelegenen Regionalhauptstädte eingenommen haben.

Wahlen und geplante Verfassungsänderung

Für den 29. April 2012 waren Präsidentschaftswahlen vorgesehen. Der durch den Putsch abgesetzte Präsident Amadou Toumani Touré durfte nach zwei Amtsperioden gemäß der malischen Verfassung nicht mehr kandidieren. Ein Wahlsieg von Dioncounda Traoré war wahrscheinlich, denn neben seiner eigenen Partei, der Allianz für die Demokratie in Mali (ADEMA-Pasj) hatten sich 15 weitere Parteien für ihn ausgesprochen und auf eine eigene Kandidatur verzichtet. Es wäre dies ein Sieg der politischen Kräfte gewesen, die auch schon die Präsidentschaft des parteilosen Touré in der Nationalversammlung abgesichert hatten.

Im Vorfeld der Wahlen war die parlamentarische Opposition auf die linke Partei Afrikanische Solidarität für Demokratie und Unabhängigkeit (SADI) zusammen geschrumpft. Alle anderen in der Nationalversammlung vertretenen Parteien waren dem Regierungslager zuzurechnen. SADI bemängelt ein manipuliertes Wählerregister und dass die Wahlen intransparent und nicht fair verlaufen würden. Die Regularien sehen vor, dass die Opposition in der Unabhängigen Wahlkommission vertreten ist. SADI wurde jedoch eine Vertretung verweigert. Am Wahltag sollte die Bevölkerung auch eine neue Verfassung annehmen. Die Änderungen hätten eine deutliche Stärkung des Präsidenten zulasten der Nationalversammlung bedeutet und damit demokratische Errungenschaften von 1991 ausgehöhlt. Die Befürworter des Putsches stellen fest, dass Wahlen und Verfassungsreferendum wegen der Rebellion im Norden nicht hätten im gesamten Staatsgebiet stattfinden können. Insofern sei es zur Wahrung der Demokratie geboten, zunächst im Norden wieder Sicherheit herzustellen und dann die Wahlen und die Abstimmung durchzuführen. In der Frage des Verfassungsreferendums gibt ihnen die gültige Verfassung recht. Sie regelt in Artikel 118, dass kein Änderungsverfahren eingeleitet oder verfolgt werden darf, wenn nicht die Gesamtheit des Staatsgebietes einbezogen werden kann.[2]

Mali seit dem Putsch

Auf den Putsch folgten die Reaktionen im Land. Es bildete sich eine Vereinte Front für die Rettung der Demokratie und der Republik (FDR), die den Putsch verurteilt und die Wiederherstellung der verfassungsgemäßen Ordnung verlangt. Ihr gehören fast alle der Nationalversammlung angehörenden Parteien an, unter ihnen die großen Parteien PARENA und ADEMA. Eine von ihr organisierte Demonstration am 26. März konnte nur wenige (nach einigen Presseberichten bis zu eintausend) Menschen auf die Straße mobilisieren. Ihr entgegen steht die Volksbewegung des 22. März (MP22), angeführt durch die Partei SADI und unterstützt von knapp 70 weiteren Parteien und Organisationen. Sie befürwortet den  Putsch und stellt ihn in die Tradition des Putsches vom März 1991. Damals allerdings fanden zunächst Massendemonstrationen für die Demokratisierung statt, die von der damaligen Regierung blutig unterdrückt wurden. In dieser Situation übernahm Amadou Toumani Touré durch einen Militärputsch die Macht und leitete demokratische Wahlen ein. Es ist die aus dieser Massenbewegung geborene Verfassung, die jetzt geändert werden sollte.

Der Vergleich aber hinkt. 2012 finden vor dem Putsch lediglich Demonstrationen der Familien der Militärs gegen die schlechte Ausrüstung und Versorgung im Kampf gegen die Rebellion im Norden statt. Die Bevölkerung hat durchaus Sympathie mit deren Forderungen, aber die Demonstrationen weiten sich eben nicht zu allgemeinen Protesten gegen die herrschende Regierung aus. Ähnlich kann man auch die Frage der Unterstützung des Putsches durch die Bevölkerung beantworten. Sie hat durchaus Verständnis und Sympathie für die Meuterei der Soldaten und viele verurteilen deshalb auch nicht den Putsch. Das bedeutet aber nicht, dass sie hinter dem CNRDRE stehen oder in Massen mit der MP22 für dessen Unterstützung auf die Straßen gehen. An der Demonstration der MP22 am 28. März nahmen mehrere tausend Menschen teil, daraus lässt sich aber nicht folgern, dass die Bevölkerungsmehrheit den Putsch befürwortet. Ebenso wenig kann man aber behaupten, dass sie den Putsch ablehnt. Für sie hat Präsident Touré in den letzten Monaten durch das Fiasko im Norden deutlich an Legitimität verloren und sie fordert nicht mit aller Deutlichkeit seine Wiedereinsetzung. Ihre Haltung ist eher problemorientiert und wünscht sich vielmehr eine die nationale Einheit garantierende und die Demokratie wiederherstellende weitere Entwicklung. Die Bildung einer Übergangsregierung, die breit genug aufgestellt ist, sowie der Wiederherstellung der Handlungsfähigkeit der Armee angesichts des Vormarsches der Rebellen im Norden, würde sie nach meiner Einschätzung mehrheitlich befürworten.

Am 1. April geht der CNRDRE auf eine erste Forderung der ECOWAS ein, indem er die bislang geltende Verfassung wieder in Kraft setzt und verspricht, freie Wahlen durchzuführen, an denen er sich nicht beteilige. Eine Nationalversammlung werde einberufen, die eine Übergangsregierung für die Durchführung der Wahlen bilden soll.

Am Folgetag tagte die Nationalversammlung. In einer Entschließung begrüßt sie die schrittweise Wiederherstellung der verfassungsgemäßen Ordnung, verurteilt die Rebellion im Norden und verlangt von der internationalen Gemeinschaft Unterstützung bei der Wiederherstellung der territorialen Einheit des Landes, die absolute Priorität vor allen anderen politischen Zielen habe. Sie fordert alle Kräfte des Landes auf, an einer Lösung der Krise zu arbeiten, die den Bruch der Verfassungsordnung nicht verstetigt aber die momentane Realität in Betracht zieht.[3] Überraschend ist es, dass dieser Beschluss der gewählten Volksvertretung, der trotz aller Floskeln und Kompromissformulierungen auf die richtigen Schritte für einen Weg aus der Krise verweist, sowenig von der internationalen Öffentlichkeit wahrgenommen wird.

Die Militärregierung

Die Regierung des CNRDRE unter Führung des Hauptmanns Sanogo wirkt weitgehend konzeptlos. Diesen Eindruck hinterlassen ihre Deklarationen und Fernsehansprachen seit ihrer Machtübernahme. Sie hat bislang keine Handlungsfähigkeit demonstriert. Auf den Vormarsch der MNLA und ihrer Verbündeten im Norden hat sie bislang weder politisch noch militärisch reagieren können. Hauptmann Sanogo hatte versucht, in Verhandlungen mit der MNLA zu kommen. Diese hat als Voraussetzung für Verhandlungen verlangt, dass die Regierung stabil ist, die ‚politische Klasse’ hinter sich weiß und dass Verhandlungsergebnisse von den ‚großen Mächten Europäische Union, USA und Frankreich’ garantiert werden. Das Gegenteil ist der Fall. Die ‚politische Klasse’ als auch die ‚großen Mächte’ haben den Putsch verurteilt.

Durch kein Anzeichen hat das CNRDRE zu Erkennen gegeben, dass es eine tiefgreifende soziale Veränderung Malis oder gar eine revolutionäre Perspektive einleiten möchte, wie bei einigen Wortbeiträgen der Köpfe des MP22 anlässlich der Pressekonferenz zur Vorstellung ihrer Gründungsdeklaration glauben könnte.

Die linke Partei SADI und der Putsch

Die linke Partei Afrikanische Solidarität für Demokratie und Unabhängigkeit (SADI) hat den Putsch seit dem ersten Tag begrüßt und die Militärregierung um Hauptmann Sanogo unterstützt. Sie ist der Motor hinter der Volksbewegung des 22. März (MP22).

Man habe schon lange die Forderung gehabt, Präsident Touré solle zurücktreten. Seit Januar sei das Land im Kriegszustand (zum Teil wird gesagt 'gegen imperialistische Mächte, da SADI sicher ist, dass Frankreich die Rebellen im Norden unterstützt). Wahlen seien nicht auf dem gesamten Staatsgebiet durchführbar und deshalb sei es verfassungswidrig, diese durchzuführen. Außerdem seien diese ohnehin intransparent und so organisiert, dass sie ein einziger Betrug würden. Die Verbindung der Wahlen mit einem Referendum über eine neue Verfassung, die die Rechte des Parlamentes einschränken würde, käme einem konstitutionellen Putsch gleich. Die demokratischen Errungenschaften von 1991 wären mit der neuen Verfassung endgültig verloren gewesen. Aus all diesen Gründen habe man am morgen nach dem Putsch beschlossen, diesen zu unterstützen.

Hintergrund für diese Strategie von SADI sind mutige Einschätzungen, die sich wahrscheinlich als falsch herausstellen werden. Erstens ging man davon aus, dass der CNRDRE schnell militärisch handlungsfähig sein werde und dann eine Verhandlungslösung mit der MNLA und ihren Verbündeten erreichen kann, um die Rebellion im Norden zu beenden und die Einheit des Staatsgebietes zusammen zu halten. Richtig an dieser Einschätzung war wohl lediglich, dass es angesichts der Fortschritte der Rebellen im Norden notwendig war, schnell und konsequenter militärisch zu agieren als die bisherige Militärführung und die Regierung Tourés. Der CNRDRE hat aber bislang dem Vormarsch der Rebellen tatenlos zugesehen.

Zweitens glaubte man, dass die Unzufriedenheit mit Touré und dem bestehenden politischen System ausreicht, dass die Bevölkerung sich mehrheitlich auf die Seite des Putsches stellen würde und diese Unterstützung ausreichend auf der Straße demonstriere. Dann wäre SADI voraussichtlich eine führende Kraft in einer Übergangsregierung geworden.

Drittens überschätzte man wohl den Unmut der Bevölkerung gegenüber der Regierung Touré und glaubte an ein linkes Bewusstsein, das ausgereicht hätte, dass die Dynamik einer mobilisierten Bevölkerung zur Durchsetzung linker Ziele hätte genutzt werden können.

Reaktionen des Auslandes

Um es vorweg zusammenzufassen: die Reaktionen des Auslandes und insbesondere der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS wirken gegenüber der akuten und erfolgreichen Offensive der Rebellen im Norden seit dem Putsch pharisäerhaft.

Die Afrikanische Union, ECOWAS, Frankreich und die USA haben den Putsch verurteilt und fordern ‚die Wiederherstellung der verfassungsgemäßen Ordnung’. ECOWAS hat dies am 30. März ultimativ binnen 72 Stunden gefordert. Es bleibt dabei aber offen, was dies genau bedeutet. Ist die Wiedereinsetzung von Touré als Präsident dabei ein unverzichtbares Element? Gemäß der Verfassung Malis übt der Vorsitzende der Nationalversammlung die Funktionen des Präsidenten aus, wenn dessen Posten vakant ist oder dieser seine Amtsgeschäfte aufgrund eines unvorhergesehenen Ereignisses nicht wahrnehmen kann. Könnte es also ausreichen, wenn mit Unterstützung der Nationalversammlung ihr Vorsitzender Dioncounda Traoré das Präsidentenamt im Rahmen einer Übergangsregierung ausüben würde? Der Beschluss der ECOWAS lässt diese Fragen unbeantwortet.

ECOWAS hat am 2. April ein wirtschaftliches, finanzielles und diplomatisches Embargo gegen Mali verhängt und beschloss ein 2000 Personen starkes Truppenkontinent für eine mögliche Intervention in Bereitschaft zu rufen.

Diese Reaktionen sind vielmehr geeignet, die Situation zu eskalieren und die Krise zu vertiefen. Durch das Embargo wird die Versorgungssituation in Mali verschlechtert, was für den Norden das Risiko einer Hungersnot bedeutet. Auf Grund einer sehr schlechten oder gar vollständig ausgefallenen Ernte 2011 war die Ernährungssituation im Norden auch ohne Rebellion und Embargo bereits prekär. Die diplomatische Isolierung spielt den Rebellen in die Hände und fördert ihren Vormarsch. Eine militärische Intervention von außen gegen den CNRDRE allein, ohne dabei gegen die Rebellen im Norden vorzugehen, würde die Position der Rebellen massiv stärken. Sie ist nur dann begründbar, wenn man die Teilung Malis herbeiführen will.

Schritte zu einer wirklichen Lösung

Als Schritt zu einer wirklichen Lösung wäre zunächst die durch den Putsch hervorgerufene Regierungskrise zu beenden. Am ehesten kann dies durch eine Übergangsregierung geschehen, die von der Nationalversammlung bestätigt wird. Mehr an formaldemokratischer Legitimierung ist angesichts der Unmöglichkeit, Wahlen durchzuführen, derzeit nicht möglich. Es erzeugt unnötige Blockaden, auf die Rückkehr Tourés in das Präsidentenamt zu pochen.

Unterstützt von der so gebildeten Regierung und ECOWAS müsste die Armee schnellstmöglich den Vormarsch der Rebellen stoppen und die unter Rebellenkontrolle stehenden Städte zurückgewinnen. Verhandlungslösungen sind dabei militärischen Lösungen vorzuziehen.

Zu vermuten ist, dass ein autonomer oder unabhängiger Norden Malis unter Kontrolle der Rebellen nur gegen die Bevölkerung und damit nur mit diktatorischer Gewalt möglich ist. Auch die Forderung einiger Rebellen nach Einführung eines auf einer reaktionären Interpretation des Korans beruhenden repressiven Rechtssystems (der Begriff Sharia wird hierfür inkorrekterweise meist genutzt) wird nicht mehrheitlich von der Bevölkerung im Norden Malis unterstützt. Eine langfristige Lösung sollte daher die Einheit des Staatsgebietes Malis erhalten und das Funktionieren demokratischer Strukturen auch im Norden gewährleisten.[4]