Nachricht | International / Transnational - Europa Sturm vor der Sommerpause

In Russland wurde bis zum Freitag, den 13. Juli, eine Reihe von Gesetzen angenommen, die versprechen, dem Unglücks-Stempel gerecht zu werden.

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Autorin

Tiina Fahrni,

In den letzten Tagen vor der parlamentarischen Sommerpause wurden mehrere Gesetze durch die Staatsduma gepeitscht, aus denen deutlich hervorgeht: Die Schrauben werden angezogen. Präsident Putin schlägt mit der Machtpartei Edinaja Rossija (Einiges/Einheitliches Russland)  einen restriktiven Kurs ein, wie er noch vor wenigen Wochen nicht vorauszusehen war. An weichen Fronten werden Kontrollinstrumente in Position gebracht, mit denen bei Bedarf in der (Zivil-) Gesellschaft hart durchgegriffen werden kann.

1.      Nichtregierungsorganisationen (NROs)

Das Gesetz „Über Nichtregierungsorganisationen in der Funktion ausländischer Agenten“ besagt, dass NROs, die a) Geld von ausländischen Gebern erhalten und b) sich politisch betätigen, den Titel „Ausländischer Agent“ tragen müssen. Vorgesehen sind eine eigens dafür geschaffene Kategorie der Registrierung beim Justizministerium und daraus folgende häufigere Kontrollen der Abrechnung, angekündigt und unangekündigt. In der zweiten und dritten Lesung wurden Änderungsvorschläge angenommen,  die die Bestimmung des Begriffs „politischer Tätigkeit“ sowie den Ausschluss bestimmter Organisationstypen aus dem Gültigkeitsradius des Gesetztes – namentlich religiöser Zusammenschlüsse, staatlicher Vereine, kommunaler und staatlicher Behörden und Ämtern sowie haushaltsplangebundener Einrichtungen –betreffen. Dieser Vorschlag kam vom Präsidenten höchst selbst. Weitere Änderungsvorschläge aus den Reihen der Kommunisten und der Abgeordneten von Spravedlivaja Rossija (Gerechtes Russland, SR) wurden nicht angenommen. Der KPRF-Abgeordnete Oleg Smolin hatte vorgeschlagen,  die Bezeichnung „Ausländischer Agent“ durch „Ausländischer Repräsentant“ zu ersetzen, was mit der Begründung abgelehnt wurde, „Agent“ sei sehr wohl zutreffend für die Beschreibung von NROs, die in Russland mit ausländischem Geld Politik betreiben. Irina Jarovaja, Vorsitzende des Komitees für Sicherheit und Korruptionsbekämpfung sowie glühende Verfechterin des neuen Gesetzes, fügte hinzu, es sei das Recht der Bürger, verlässlich über das Treiben der Organisationen informiert zu werden,  trojanische Pferde seien nicht erwünscht.

Als nicht-politische Tätigkeitsfelder wurden eingestuft: Wissenschaft, Kultur, Kunst, soziale Unterstützung und Schutz von Bürgerinnen und Bürgern, Gesundheitsprophylaxe, Schutz von Mutter und Kind, soziale Unterstützung von Menschen mit Behinderungen, Kampagnen für gesundes Leben, Bewegung und Sport sowie Tier- und Pflanzenschutz. Trotzdem bleibt die Einordnung eine Frage der Interpretation und somit nebulös. Für Organisationen, die Bildungsarbeit betreiben, welche als Einflussnahme auf die öffentliche Meinung ausgelegt werden kann, ist das Prädikat „politisch“ zu erwarten. Das Gesetz gilt jedoch in erster Linie als anti-amerikanisch und wird als Antwort auf die massive Ausstattung von NROs,  die sich seit den Duma-Wahlen im letzten Dezember in der  Protest- und Oppositionsbewegung engagieren,  mit US-grants gelesen.

Ausländische Organisationen selbst – und dazu gehören auch die deutschen politischen Stiftungen, die ja ganz offiziell ausländisch sind – sind von dem Gesetz nicht betroffen. Wie es sich auf deren inländische Partnerorganisationen, die aufgrund von Verträgen Finanzmittel für die Durchführung von Projekte erhalten, auswirken wird, bleibt abzuwarten. Grundsätzlich ist neben der Sonderregistrierung vorgesehen, dass betroffene Organisationen alle ihre Publikationen und Stellungnahmen mit dem Etikett „Ausländischer Agent“ kennzeichnen. Die Strafe für Missachtung soll bis zu einer Million Rubel (rund 25.000 Euro) betragen.

In einer Mitteilung des russischen Menschenrechtsrates heißt es, das Gesetz  ziele darauf ab, die wichtigsten unabhängigen zivilgesellschaftlichen Organisationen zu diskreditieren und letztlich auszuschalten. Unterschrieben haben die Mitteilung  unter anderen die Vorsitzende der Moskauer Helsinki-Gruppe Ljudmila Alekseeva (die letzten Herbst mit zwei Kollegen von Memorial den Sacharow-Preis der EU erhielt), die Vorsitzende des Komitees „Bürgebeteiligung“ Svetlana Gannuschkina, der Leiter der Bewegung „Für Menschenrechte“ Lev Ponomarev und die Direktorin der Wahlbeobachtungsorganisation „Golos“ Lilija Schibanova. Es erstaunt nicht, dass diese Akteure nach der Präsidentschaftswahl am 4. März mit ihrer Unterschrift gegen die Anerkennung von Vladimir Putins Wahl protestiert hatten. Ljudmila Alekseeva hat verkündet, die Helsinki-Gruppe  würde nach Einführung des Gesetzes keine ausländischen Gelder mehr annehmen.  Ponomarev ist der Meinung, viele Einheitsrussen nutzten ihr Abgeordnetenmandat, um durch radikale Positionen und Gesetzesvorschläge Berühmtheit zu erlangen, worin sie von ihren zurückhaltenderen Kollegen nicht gebremst würden.

Initiator des Gesetzes ist denn auch Aleksandr Sidjakin, dem Russland auch die um das Tausendfache erhöhten Bußgelder bei gesetzeswidrigem Verhalten auf Demonstrationen und Kundgebungen zu verdanken hat:  Widersetzung gegen Befehle der Polizei, Überschreitung der angemeldeten Teilnehmerzahl, Mitführen von Alkohol oder Sachbeschädigung können mit dem Höchstmaß von einer Million Rubel (für juristischen Personen) bestraft werden. Auch dieses Gesetz war im Eiltempo durch die Instanzen gegangen, um am 12. Juni, dem jüngsten Höhepunkt der Protestbewegung, bereits angewandt werden zu können. An Demonstrationszug und Kundgebung am Unabhängigkeitstag nahmen zwischen 15.000 (offizielle Angabe) und 100.000 Menschen teil. Anwendung fand das Gesetz am 12. Juni nicht; Protestierende und Polizei hielten sich zurück.

Die Stellungnahmen aus der russischen Zivilgesellschaft fallen verschieden aus. Die Gesellschaft der Verbraucherschützer verkündete, bei Inkrafttreten des Gesetzes freiwillig die Bezeichnung „Ausländischer Agent“ anzunehmen. Der Direktor von WWF Russland gab an, dafür eintreten zu wollen, dass sich die Bezeichnung zu einer Qualitätsmarke entwickelt und ihren negativen Beigeschmack von Spionage und Kaltem Krieg schnell abtritt. Die Russische Manager-Vereinigung gab an, sich natürlich neu zu registrieren, wenn dies das Gesetz verlangt, räumte aber ein, dass der Nichtregierungs-Sektor die Angelegenheit als Anlass nehmen sollte, gemeinsame Positionen zu formulieren und auf Gesetzesebene voranzutreiben. Der Vorsitzende der Vereinigung Kleiner und Mittlerer Unternehmen Sergej Borisov hingegen warnte, das Gesetz könne zu einer teilweisen oder völligen Demontage von zivilgesellschaftlichen Zusammenschlüssen führen. 

Einige Einheitsrussen sprechen bereits davon, das Gesetz nicht nur auf NROs, sondern auch auf Medien anzuwenden, vordergründig mit demselben Argument: Die Bürger hätten das Recht zu wissen, welchem Land die Medien Dienste erweisen.

2.      Verleumdung als strafrechtliches Vergehen

Erst im Dezember 2011 war der Artikel über Verleumdung aus dem Strafgesetzbuch der Russischen Föderation auf Initiative von Noch-Präsident Medwedjew entfernt worden. Nun wird er nicht nur wieder aufgenommen, sondern verschärft: Das Strafmaß kann 500.000 bis zu fünf Millionen Rubel (ca. 12.500 bis 125.000 Euro) oder 480 Tage Pflichtarbeit betragen – im Vergleich zu den bis 2011 vorgesehenen Bußgeldern von 2.000 bis 3.000 Rubeln (unter 100 Euro) ist das eine Erhöhung von absurdem Maß. Das Gesetz wird in erster Linie als „Zensur um die Ecke“ gesehen – und steht somit im Widerspruch zum konstitutionellen Recht auf Pressefreiheit und zum  Zensurverbot. Es bietet die Möglichkeit, unerwünschten Medien die Arbeit zu erschweren. Kleinere nichtstaatliche Medien können sich die Zahlung solcher Bußgelder nicht leisten. Das Gesetz wurde von der Mehrheitsfraktion der Einheitsrussen angenommen, die drei anderen – Kommunisten, SR und die Zhirinovskij-Liberalen – stimmten dagegen.

3.      Internet

Unter der offiziellen Begründung des zweifelsfrei erstrebenswerten Schutzes von Kindern wurde ein Gesetz zum Verbot von Internet-Seiten vorgelegt, die Informationen enthalten, welche „Kinder zu Taten ermuntern, die eine Gefahr für ihr Leben und (oder) ihre Gesundheit darstellen“, aufgrund dessen solche Seiten auch ohne gesetzlichen Beschluss geschlossen werden können.  Ein Aufschrei ging durch die Internet-Community;  die russische Wikipedia stellte demonstrativ für einen Tag den Betrieb ein. Daraufhin wurden Änderungsvorschläge erarbeitet und angenommen, was dazu führte, dass sogar der netzaffine SR-Abgeordnete Ilja Ponomarev sich für das Gesetz aussprach. Die verbotenen Inhalte wurden genauer bestimmt: Anstatt der sehr frei auslegbaren „schädlichen Information“ wurden die Inhalte auf Kinderpornographie sowie Propaganda von Drogen und Selbstmordanleitungen festgelegt.  Was Drogen betrifft, ist das Verbot auf die Verbreitung von Angaben zu deren Herstellung, Anbau und Erwerbsmöglichkeiten eingegrenzt worden. 

Die Befürchtung, unter Drogen- und Suizid-Propaganda könnten auch literarische und künstlerische Werke fallen, kann nicht ausgeräumt werden. Die Internet-Community bezeichnet das Gesetz nach wie vor als Zensur-Gesetz.  Der Spielraum für die Schließung von Internet-Seiten ist zwar enger als im ersten Entwurf, jedoch ist nach wie vor nicht ausgeschlossen, mit dem Gesetz gezielt Zensur zu betreiben  - insbesondere des politischen Gegners, wenn im Nachhinein durch Gesetzesänderung die politische Sphäre mit ähnlichen Bestimmungen zu Extremismus und Terrorismus durch die Hintertür doch mit einbezogen wird. Das Gesetz tritt am 1. November in Kraft.

4.      Ehrenamtliche Tätigkeit

Nach der Flutkatastrophe im Gebiet Krasnodar vom 8. Juli wurden insbesondere zwei Dinge hervorgehoben: Einerseits die Unfähigkeit von Behörden und staatlichen Stellen, mit der Katastrophe und ihren Folgen umzugehen, andererseits der  Einsatz Freiwilliger, die aus den umliegenden Städten und Dörfern, aber auch aus ganz Russland anreisten, um die Opfer zu unterstützen. Während die Diskussion über das Versagen des Staates anhält, wird ein Gesetz vorbereitet, das ehrenamtliche Tätigkeit  an aufwendige bürokratische Prozeduren knüpft. Erreicht werden solle eine systematische und rechtlich erfasste Regulierung ehrenamtlichen Engagements, heißt es.

Angenommen wird, es gehe darum, den regierungsfreundlichen Freiwilligenorganisationen die Tätigkeit zu erleichtern und sie allen übrigen zu erschweren. Die Gegner befürchten eine abschreckende Wirkung der bürokratischen An- und Vertragsprozeduren auf potentielle Freiwillige und solche aufnehmende Organisationen. Insbesondere die zeitliche Nähe zum ehrenamtlichen Engagement in Krymsk erweckt Erstaunen. Der Regierung sei so ein großes Selbstorganisationspotential  nicht geheuer, meint ein Aktivist, der dort Freiwilligenaktionen koordiniert. Der selbständige Zusammenschluss mehrerer Tausend Bürgerinnen und Bürger, die effiziente Arbeit leisten und bei den Einwohnern des Überschwemmungsgebiets viel beliebter sind als die als unfähig betrachteten staatlichen Behörden, habe die Regierung aufgeschreckt, und nun ergreife sie Maßnahmen gegen unabhängiges zivilgesellschaftliches Engagement. Der Vorsitzende der Vereinigung ehrenamtlicher Organisationen und Bewegungen Vladimir Chromov befürchtet, dass eine Freiwilligen-Kartei angelegt wird und keine ehrenamtliche Arbeit mehr ohne Spezialausweis geleistet werden kann.

 

Am ihrem letzten Arbeitstag nahm die Staatsduma nicht nur ein verschärftes NRO-Gesetz an und führte den Strafbestand der Verleumdung wieder ein, sondern lehnte auch einen mit allen Fraktionen und der Kreml-Administration der vorgehenden Legislaturperiode  abgestimmten Gesetzesentwurf über die freie Nachbesetzung vakanter Mandate ab. In seinem Redebeitrag sprach Ilja Ponomarev vom Verleumdungsgesetz als Mittel für die  „Diebe und Betrüger“ – die von der Opposition geprägte Bezeichnung für die  Machthaber – zur Unterdrückung derjenigen, die die Wahrheit über sie sagten. Nicht nur berief der Duma-Vorsitzende Sergej Naryschkin die Ethik-Kommission zur Beratung über eine angemessene Maßregelung ein – Hampel-Nationalist Zhirinovskij schlug zudem vor, Ponomarev sein Mandat wegen Beleidigung des Parlaments zu entziehen. Und tatsächlich: Gemäß der Zeitung Vedomosti wird die Idee des außergerichtlichen Mandatsentzugs vom Kreml begrüßt. So könnte nach der Sommerpause aufgrund der schon länger vorliegenden Vorschläge des Einheitsrussen und Vorsitzenden der Ethik-Kommission (!) Vladimir Pechtin ein Gesetzesentwurf zum Mandatsentzug aus folgenden Gründen vorliegen: Fernbleiben von Sitzungen, Verbreitung diskreditierender und inkorrekter Angaben oder Aussagen staatsfeindlichen Inhaltes, Verweigerung von Angaben über das Einkommen,  Nutzung des Diplomatenpasses auf privaten Auslandsreisen. Eine solche Regelung wäre, wie der KPRF-Abgeordnete Vadim Solovev folgerichtig befürchtet, ein Instrument für die Machtpartei  zur Entledigung  von unliebsamen Abgeordneten.

Der spürbare Einfluss der Kirche, der Prozess gegen drei Frauen der Punkband PussyRiot, denen wegen einer als Punk-Andacht bezeichneten Aktion in der Moskauer Christ-Erlöser-Kathedrale mehrjährige Haft wegen Rowdytums droht, die Gesetze in St. Petersburg und Archangelsk, welche die „öffentliche Propaganda von Homosexualität“ zum Schutz von Minderjährigen verbieten – das alles vermittelt, gelinde gesagt, nicht das Klima einer offenen, pluralistischen Gesellschaft. Vergleiche mit den späten Dreißigerjahren werden nicht nur von Politologen angestellt. 

Referat Osteuropa