Am gestrigen Mittwoch waren 12,6 Millionen Niederländer aufgerufen ein neues Parlament zu wählen. Die Wahlen zur zweiten Kammer waren vorgezogene, wie immer, in den letzten zehn Jahren. Stattliche fünf Mal mussten aufgrund instabiler Koalitionsverbindungen oder nicht übersichtlicher Mehrheitsverhältnisse die Wahllokale geöffnet werden. Nun aber, so scheint es, ist nach Jahren eine stabile Regierungsbildung möglich. Das mag eine gute Nachricht sein. Eine wirkliche, gute Nachricht ist, dass mit den Stimmenverlusten für die „Partei der Freiheit“, des Rechtspopulisten Geert Wilders (Minus fünf Prozent), dieser so schnell nicht wieder in die Rolle des Regierungsmachers kommen dürfte.
Die schlechte Nachricht ist, dass aus dem noch vor wenigen Wochen möglichen bis wahrscheinlichen Wahlsieg der Sozialistischen Partei (SP) nichts wurde. Im Gegenteil. Noch im August als stärkste Kraft gehandelt, mit einem Anteil von 37 Sitzen von insgesamt 150 Parlamentsmandaten, kann die SP sich nun glücklich schätzen, wenn sie ihre 15 Parlamentssitze aus der Wahl 2010 halten könnte. Was waren die Gründe für dieses dann doch enttäuschende Abschneiden der – liebevoll genannten – Tomatenpartei?
Eine Erfolgsgeschichte
1964 aus kleinen maoistischen Zirkeln gegründet, legte die Partei vor allem in den vergangenen 20 Jahren eine wahre Erfolgsgeschichte aufs Parket. 1991, nach dem Zusammenbruch des Ost-West-Gegensatzes, reformierte sich die Partei, wandte sie sich vom Marxismus-Leninismus ab, schaffte Platz für ein Höchstmaß an innerparteilicher Demokratie und avancierte so zur fünfgrößten Partei des Landes. 1993 folgte dann die Umbenennung in „Sozialistische Partei“ und 1994 zog sie erstmals mit zwei Abgeordneten in die zweite Kammer des Parlamentes ein. 2006 verfügte sie bereits über 25 Mandate und wurde sogar zur drittstärksten Partei. Die SP ist eine Partei, die sich vor allem dadurch auszeichnet, nah an der Basis Politik zu entwickeln und zu gestalten – mit den Menschen, Sympathisanten und Mitgliedern. Besonderen Wert legt die Partei seither auf den Ausbau der Mitgliedszahlen. 2002 waren es bereits über 28.000 Mitglieder, Ende 2011 schon 47.000 Mitglieder. Kurzzeitig, zwischen 2007 und 2009 konnte sogar die 50.000er-Marke durchbrochen werden. Allerdings gingen in den letzten Monaten die Mitgliedszahlen wieder um über 2.000 zurück. Die Kernkompetenz der Partei war es immer, auf eine Demokratisierung des Landes hinzuarbeiten. Dies begeisterte viele.
Beispiele, die auch in der deutschen LINKEN aufmerksam und positiv, manches Mal sogar als vorbildhaft beobachtet wurden. Zu Recht!
Die Europakritiker
Im Zuge aber der europäischen Wirtschafts- und Finanzkrise paarten sich Programmatik und Äußerungen der Parteioberen mit europakritischen bis europaablehnenden Tönen. Emile Roemer, Spitzenkandidat der SP, meinte etwa im August: „Europa ist groß und stark geworden, weil wir nach dem Zweiten Weltkrieg mehr und mehr zusammengearbeitet haben. Das fand ich immer wichtig, das finde ich wichtig und das wird auch wichtig bleiben. Aber das heißt nicht, dass wir alle unsere Kompetenzen an Brüssel übertragen und selbst nichts mehr zu sagen haben.“[1] Sein Parteivorsitzender, Jan Marijnissen, wird noch deutlicher: „Den meisten Friesen sind die Griechen ziemlich egal.“ Die Begeisterung für die EU, die die meisten Deutschen pflegten, nannte er gegenüber der deutschen FAZ „lächerlich“ und hält es für einen großen Fehler anderer linker Parteien in Europa, „pausenlos europäische Solidarität einzufordern“.[2]
Marijnissen ist kein Nationalist. Und die SP keine nationalistische Partei. Dagegen sprechen sowohl Programm als auch Engagement für Frieden, soziale Gerechtigkeit, mehr Entwicklungshilfe und eine andere Umweltpolitik. In ihrem Wahlprogramm formuliert die SP beispielsweise: „Internationale Solidarität muss Grundlage der Außenpolitik sein“. Oder: „Die Niederlande sind keine Insel und Europa ist keine Festung“. Die SP ist eine linkssozialistische Partei!
Gleichzeitig aber, so scheint ist, ist der europakritische Kurs nicht sonderlich bei den Niederländern angekommen. Denn dieser geht - so könnte man vermuten -, anders als bei der deutschen LINKEN, weit über die Formel „Wir wollen ein anderes Europa“ hinaus. So spricht die SP zwar von „der Förderung des gemeinsamen Wohlstandes“ betont aber auch den „Erhalt der staatlichen Einheit von Ländern“. Wie weit diese reichen muss, lässt sie offen. Einer Erweiterung der EU um die Staaten des Balkans begegnet die Partei mit Skepsis.[3]
Warum ist ein weiteres, genaues Analysieren des Wahlergebnisses der SP für DIE LINKE so wichtig? Nun, Programmatisch gleicht die SP den deutschen Sozialisten in den meisten Punkten. In Bezug auf die Kampagnenfähig und die Mitgliederwerbung bzw. –einbeziehung können die deutschen GenossInnen noch vieles von ihrer Partnerpartei lernen. Eine Warnung – so die These – aber sollte uns das europapolitische Profil der SP sein, besonders im Hinblick auf die bevorstehenden Europawahlen 2014 und den Wahlkampf der LINKEN. Denn das Ergebnis der Parlamentswahlen in den Niederlanden zeigt vor allem eines: Europakritiker haben keine Erfolge zeitigen können.
Wahlergebnis der SP im Einzelnen (Vergleich zu 2010):
2010 2012
Stimmen 924.696 899.319
Prozent 9,8 % 9,6%
Sitze 15 15
[1]Vgl. Interview auf taggesschau.de vom 21. August 2012
[2]Vgl. Die Kunst des Möglichen, in FAZ vom 10. September 2012
[3]Vgl. Wahlprogramm der SP 2012, in: www.sp.nl