Nachricht | Baberowski, Verbrannte Erde. Stalins Herrschaft der Gewalt, Köln 2012

Rezensiert von Frank Borris, Bremen

Das Buch Verbrannte Erde ist die Neufassung von der Der rote Terror (2003) und gleichzeitig eine inhaltliche Neupositionierung des Autors. Jörg Baberowski korrigiert seine frühere Orientierung an Zygmunt Baumans „Ambivalenz der Moderne“ und greift mit einem revidierten theoretischen Rüstzeug in die geschichtstheoretische Diskussion ein. Zum einen bringt er sich in die von Timothy Snyders Bloodlands (2010) ausgelöste Debatte um das Terrain der Massenvernichtung in Osteuropa ein, die beispielsweise im Diskussionsforum der Zeitschrift Contemporary European History geführt wird und bei der es unter anderem um die Frage der Interaktion von nazistischer und stalinistischer Barbarei geht. Zum anderen interveniert er in Debatten um Orientierungen der Stalinismus-Forschung, in denen statt der Gegenüberstellung von westlicher Demokratie und östlichem Totalitarismus zunehmend der Nord-Süd-Fokus dieser Angelegenheit in den Mittelpunkt gerät, also die Frage nach Entstehung und Entwicklung von Zonen der Gewalt im Zuge der Transformation von Agrargesellschaften. Welche Erkenntnisse lassen sich aus dem sozial gewalttätigen Zurichtungsterror des Stalinismus ziehen, der gleichzeitig städtische, agrarische und koloniale Zielgruppen hatte und zudem den nötigen Apparat der Zurichtung erst herstellen musste? Welche Forschungen zur Transformation sind nötig, um den unterschiedlichen „Repräsentationen sozialer Ordnungen“ im historischen Verlauf auf die Spur zu kommen? Wenn man bedenkt, dass der Kern des Stalinismus die Umwandlung einer Bauerngesellschaft in einen mehr oder minder modernen Industriestaat war, liegt die These eines kausalen Zusammenhangs zwischen Industrialisierung und Massenmord auf der Hand. In der bisherigen Modernisierungsforschung wurde dieser Zusammenhang jedoch kaum beachtet und schon gar nicht im globalen Vergleich analysiert. Dabei wären der Diskussion zur „Ökonomie der Endlösung“ möglicherweise wichtige Impulse für Fragestellungen zur „Ökonomie des Großen Terrors“ in der Sowjetunion zu entnehmen.

Baberowskis Text hat seinen Schwerpunkt jedoch in der bildhaften Darstellung konkreter Entscheidungsabläufe bei Stalin und seinem Umfeld, einschließlich der Ausmalung einer vorgeblich rein persönlichen Disposition zur Gewaltausübung. Fragen nach den Interessenlagen und Konflikten von Institutionen treten dagegen (abgesehen von der Frage nach der Rolle des Geheimdienstes) in den Hintergrund.

Die wohlgeordnete Gliederung folgt in fünf Hauptkapiteln der Chronologie: von der Vorgeschichte im Zarismus über die Revolution, den Bürgerkrieg, die NEP-Phase, den Krieg gegen die Bauern und die forcierte Industrialisierung bis zu dem im Hauptkapitel verhandelten Großen Terror mit all seinen Facetten. Im Mittelpunkt stehen Stalins Aufstieg und die Formen seiner Gewaltausübung, seine allumfassende Entscheidungsgewalt nicht nur im gesellschaftspolitischen Feld, sondern auch in der ganz unmittelbaren Umgebung seiner Gefolgsleute, die ihr Leben häufig durch Exekution verloren.

Es folgt ein Kapitel über die Zeit des Disziplinierungsterrors im zweiten Weltkrieg und die Fortsetzung der staatsterroristischen Reglementierung nach dem Krieg und bis zum Tod Stalins. Am Ende des Buches findet sich eine Bewertung der Entstalinisierung. Spannungsreich verwebt Baberowski die Ereignisse und Zusammenhänge, wobei Forschungsergebnisse aus verschiedenen Disziplinen verknüpft, abwechslungsreich erklärt und mit zahlreichen Einzelbeispielen veranschaulicht werden, um dem Leser / der Leserin eine Vorstellung vom unglaublichen Umfang der Tötungsaktionen und ihrer Grauenhaftigkeit zu vermitteln. Die neuere Forschung wird in einem umfangreichen Literaturverzeichnis aufgeführt. Dort sind vor allem auch die wichtigsten US-amerikanischen Forschungsarbeiten genannt.

In der Einleitung stellt Baberowski sein Konzept des „Gewaltraums“ vor. Zur Erklärung bezieht er sich zwar beiläufig auf Barrington Moore, der bedeutendere Forschungshintergrund scheint jedoch die seit den 1990er Jahren geführte Diskussion zur „Soziologie der Gewalt“ zu sein, an der sich Wolfgang Sofsky, Trutz von Trotha, Peter Waldmann, Georg Elwert und andere beteiligt haben.

In dieser Debatte ist der dichten Beschreibung von Gewaltdynamiken eine grundsätzliche und neue Erklärungsfunktion beigemessen und eine entsprechende Darstellungsweise für unterschiedliche Kontexte – NS-Konzentrationslager, aber auch Warlord-Kriege und failed states – angeregt worden. Aktuell werden diese Neuorientierungen für die Historie des Stalinismus nutzbar gemacht. Das heißt auch, dass der Gegenstand im Wesentlichen kulturell und nicht sozial oder ökonomisch bestimmt wird, was weitreichende Folgen hat: Die Kulturgeschichte wird der Sozialgeschichte vorgeschaltet.

So auch hier. Der „neue Mensch“ wird als kulturrevolutionäres Ziel der Bolschewiki an die erste Stelle gesetzt, nicht die materialistisch begriffene Umstrukturierung der Ökonomie. Problematisch ist, dass die strategischen Verursacher der Vernichtung vorkapitalistischer bäuerlicher Selbstversorgung sowohl beim kulturhistorischen Vergleich als auch bei der Frage nach Kausalitäten unberücksichtigt bleiben. Verbrannte Erde kann insofern als Immunisierungsrede gegen ökonomische und an Interessenlagen orientierte Verortungen des Ursprungs der Gewaltgeschichte gelesen werden. Selbst bei neuen Aufschlüssen über die jeweils komplexen Verläufe, in denen sich Gewalt von unten und von oben konstituiert, sollten die zugrundeliegenden ökonomischen Verteilungs- und Machtkämpfe nicht einfach ausgeblendet werden, auch wenn sie für eine „dichte Beschreibung“ viel weniger greifbar sein mögen.

Baberowski sieht keinen kausalen Zusammenhang zwischen der Moderne und der monströsen Gewalt von Nationalsozialisten und Kommunisten. Die Moderne sei nicht Urheber des totalitären Vernichtungsterrors: „Der modernen Hybris blieb der Erfolg immer dann versagt, wenn sie sich gegen bürgerliche Sicherungssysteme durchsetzen musste. Seine tödlichen Wirkungen entfaltete das moderne Streben nach Eindeutigkeit vor allem dort, wo dem Machbarkeitswahn und dem Vernichtungswillen fanatisierter Ideologen keine Grenzen gesetzt wurden: in den staatsfernen, vormodernen Gewalträumen“ (S. 27). Was Zygmunt Bauman als Projekt der Moderne beschreibe, treffe „auf die Machtpraktiken in der stalinistischen Sowjetunion überhaupt nicht“ zu: „Die Gesellschaften des Vielvölkerimperiums waren ebenso wenig modern wie die Techniken, die das Regime zur Erreichung seiner Ziele einsetzte. Modern waren allenfalls sein Vorstellungen von übersichtlichen Ordnungen“ (S. 26).

Im zweiten Kapitel („Imperiale Gewalträume“) werden die Voraussetzungen der sozialen Revolution von 1917 sowie des bolschewistischen Putsches auf der Folie kulturgeschichtlicher Methoden

analysiert. Die Reformen unter Alexander II. (ab 1861) werden im Atmosphärischen verortet, nicht wie im Großteil der Literatur als Folge der Niederlage im Krimkrieg, der Bauernrevolten und der Staatsfinanzkrise von 1859 erklärt. Baberowski verweist auf die kulturellen Differenzen, die es der Autokratie erschwert hätten, „die Untertanen erfolgreich zu bekehren. Denn auf eine Veränderung der Lebensumstände wird man sich gewöhnlich nur einlassen, wenn man die Seinen nicht verraten muss, um ein anderer zu werden“ (S. 36). Was den Zarismus betrifft, so lässt der Autor die herrschaftliche Gewaltausübung in den Hintergrund treten. Nicht behobene Kommunikationsprobleme zwischen oben und unten stehen im Vordergrund: „Eliten und Bauern fanden in ihrer Sprachlosigkeit nur selten zueinander“ (ebd.). Die erbarmungslose Ausbeutung, die ganze Struktur der Dorfabgaben als sozialstrukturelle Ursache der Revolution spielen in der Darstellung nur eine geringe Rolle, obwohl ihnen in den Massenrepressionen nach 1905 eine zentrale Bedeutung zukam. Im Krieg wird die Konstitution eines sozialrevolutionären Massensubjekts ebenfalls unter dem Kommunikationsaspekt begriffen: „Der Krieg eröffnete neue Kommunikationsräume und Möglichkeiten, sich in diesen zu bewegen. Unter den Umständen des Massensterbens […] machten die Bauern […] die Erfahrung, Teil eines großen Ganzen zu sein“ (S. 45). Die abstrakte soziologische Kategorie des „Gewaltraums“ wird als Erfahrung der Bauern ausgegeben: „Sie [die Bauern, F. B.] nahmen das Imperium als Gewaltraum wahr, in dem nur überleben konnte, wer mit dem Gewehr umzugehen verstand. Die Gesellschaften des Vielvölkerreichs verwandelten sich in Misstrauens- und Gewaltgesellschaften, in denen die Waffen- und Schutzlosen sich auf die Macht des Staates, sie vor den Folgen des Krieges zu schützen, nicht mehr verlassen konnten“ (S. 45). Wer ist mit den „Waffen- und Schutzlosen“ gemeint? Der Adel und die Ministerialbürokratie? Waren sie es nicht, die als Täter eines modernisierungsunfähigen Ausbeutungsregimes allererst den „Gewaltraum“ schufen, sei es über den Repressionsapparat, mit dem sie ihr längst überholtes Machtgefüge am Leben zu erhalten suchten, sei es über hilflose Großmachtpolitik im Weltkrieg und seinen staatlich angeordneten Massenschlächtereien? Was soll es bedeuten, dass man sich „nicht mehr“ auf die Macht des Staates verlassen konnte? Gab es in den Erfahrungen der Menschen mit dem Staat keine Kontinuität, erschien er ihnen nicht durchweg als fremde und feindliche, bedingungslos auf Seite der ausbeutenden Klasse stehende Macht? Es geht Baberowski in der Aufarbeitung der Gewaltgeschichte in Russland offenbar vor allem um den Anschluss an aktuell politisch benötigte Diskursbegriffe wie „Misstrauensgesellschaft“, „Gewaltgesellschaft“, „Anwesenheitsgesellschaft“ oder „staatsferner vormoderner Raum“ – Begriffe, die allesamt die ökonomischen Machtstrukturen aus dem Blick nehmen.

In Baberowskis Ausführungen zum russischen Bürgerkrieg wird aus der sozialen Interessenlage ein anthropologisches Spannungsverhältnis zwischen dem allgemein „Denkbaren“ und dem „Machbaren.“

An den im Bürgerkrieg entstandenen „Gewaltraum“ habe Stalin ab 1928 anknüpfen können. „Für Stalin und seine Freunde aber erfüllten sich im Krieg Lebensträume, weil sie ungestraft verletzen und töten durften. Wahrscheinlich waren sie niemals in ihrem Leben glücklicher gewesen als in den Jahren der Revolution und des Bürgerkriegs, als Schlachten geschlagen und Menschen getötet wurden. Die Gewalt war das Lebenselixier des stalinistischen Funktionärs, dessen Karriere in den blutigen Schlachten des Bürgerkrieges geschmiedet worden war“ (S. 80).

An solche Vorstellungen schließt auch der Begriff des „Ermöglichungsraums“ an. Die allgemeine Gewaltbereitschaft innerhalb der Gesellschaft, wie sie in Aufständen auf dem Land ebenso wie in städtischen Streiks zum Ausdruck gekommen sei, habe die Gesellschaft „kontaminiert“ (S. 104). Der Widerstand der FabrikarbeiterInnen gegen die Etablierung einer neuen Managerschicht wird auf diese Weise interpretiert. Zur Auseinandersetzung um Arbeitsunfälle, die den von dieser Managerschicht ausgegebenen Vorgaben angelastet wurden, schreibt Baberowski: „Arbeiter und Kommunisten fanden so zu einer gemeinsamen Sprache. Die einen übten Rache und Vergeltung und lebten ihr Ressentiment aus, die anderen gaben sich ihren Obsessionen hin“ (ebd.). „Rache und Vergeltung“ von Arbeiterinnen, die sich gegen die Einführung des Taylorsystems und Hungerlöhne wehrten? „Obsessionen“ von Kommunisten, die sich solidarisierten? Der Kontext der Übernahme von ArbeiterInnenforderungen durch Staatsorgane war in den 1920er Jahren die (bereits in den 1930er Jahren nicht mehr gegebene) Stärke weltweiter ArbeiterInnenbewegungen, die sich gegen die neuen Rationalisierungsstrategien wandten. Mit dem Taylorsystem sollten auch in der frühen Sowjetunion die traditionelle Facharbeiterrenitenz und die Selbstorganisation in den artels gebrochen werden.

Anders als bei Baberowski wäre zu fragen, inwiefern sich in der NEP-Zeit die autonome Marktmacht der Bauern mit den ArbeiterInnenkämpfen in den Städten verband, und inwiefern beide als die tieferen Ursachen für die NEP-Krisen und den stalinistischen Angriff durch Fünf-Jahres-Plan und Zwangskollektivierung zu begreifen sind. Solche Fragen werden durch die Behauptung eines kulturell bestimmten „Ermöglichungsraums“ vorschnell ausgeblendet.

Die Darstellungen im Kapitel zum Großen Terror beruhen auf Forschungsergebnissen, die erst in den letzten Jahren Aufschluss über die groß angelegte „soziale Säuberung“ von Städten, Regionen und Betrieben gegeben haben. Das macht sie lesenswert. Doch auch in diesen Darstellungen neigt Baberowski stark zur Personalisierung: „Für Sadisten und manche Psychopathen ist der Ausnahmezustand das Paradies, weil er Normalität umdefiniert und auch ‚normale‘ Menschen dazu verleitet, zu tun, was sie unter anderen Umständen nicht tun würden. Stalin war ein solcher Psychopath“ (S. 218). Baberowski unterstellt eine Eigendynamik der Ereignisse, die Bemühungen um weitreichendere Erkenntnisse den Weg verstellt: „Was auch immer ein Motiv für die stalinistischen Täter gewesen sein mag – im Vollzug der Gewalt wurde es bedeutungslos.

Denn in der Logik despotischer Machtsysteme entfalten Gewalthandlungen Anschlusszwänge, die auf Gründe und Legitimationen überhaupt keine Rücksicht nehmen“ (ebd.).

Der Befehl Nr. 00447 vom Juli 1937, der die sogenannten „Massenoperationen“ des Großen Terrors einleitete, hatte eine Vorgeschichte. Im Jahr 1932 war ein Passgesetz verabschiedet worden, mit dem auf die Massenflucht aus den Hungergebieten sowie auf Streikwellen und Hungeraufstände reagiert werden sollte. Mit dem neuen Passsystem stand nun ein entscheidendes Selektionsinstrument zur Verfügung, durch das Bevölkerungsrationalisierungen zur Durchsetzung der Industrialisierung organisiert werden konnten.

Es liegt nahe, unterbleibt jedoch bei Baberowski, den Terror als gewaltsame Bevölkerungspolitik und Form gesellschaftlicher Rationalisierung mit der bekannten Produktivitätskrise in Verbindung zu bringen. Diese ging ja nicht zuletzt auf die trotz Passsystem weiter ausufernde Mobilität der  Bevölkerung sowie auf einen noch nicht industriell geprägten, sondern ländlichen Arbeitsrhythmus zurück.

Darüber hinaus gab die Produktivitätskrise innerhalb des Regimes zu Vermutungen Anlass, die Unzufriedenheit der Bevölkerung könne sich politisch organisieren, was sich die Bolschewiki aufgrund ihrer eigenen Untergrunderfahrung leicht vorstellen konnten.

Die paranoiden Projektionen eines Stalin waren jedenfalls nicht grundlos, wie auch Baberowski konstatiert (S. 326). Es ging dem Stalinismus notwendigerweise darum, die Subsistenzstrukturen Alt-Russlands („Anwesenheitsgesellschaft“) zu zerschlagen. Bei Baberowski steht der Terror jedoch für sich selbst und wird als eine in ihrer Zielsetzung relativ unbestimmte Machttechnik der Unterwerfung verstanden. Die Politikformen des Regimes und ihre Hintergründe werden simplifiziert – auch diesmal durch Personalisierung:

„Der Terror vollzog sich in Wellenbewegungen, er nahm an Intensität zu, wenn Stalin entschieden hatte, die Gewalt sprechen zu lassen, und er verlor an Intensität, wenn er ihrer überdrüssig geworden war. Die Gewalt wurde weder vom System noch von sozialen Konflikten erzeugt. Denn wie ließe sich sonst erklären, daß der Massenterror nach dem Tod des Diktators als Instrument politischer Herrschaft verschwand, obwohl sich die sozialen Voraussetzungen kaum verändert hatten“ (S. 217). Dieser rhetorischen Frage ist entgegenzuhalten, dass sich die Bedingungen in der Nachkriegszeit elementar verändert hatten. Der soziale Krieg gegen das Dorf war – nicht zuletzt durch den Tod von Millionen Menschen im zweiten Weltkrieg – „gewonnen“; es gab eine Systemkonkurrenz, in der der Massenkonsum eine neue Rolle spielte; die Repression hatte ihre tragende Funktion bei der Durchsetzung staatskapitalistischer Inwertsetzung verloren, war dysfunktional geworden.

Im Schlusskapitel macht Baberowski eine Scheinkontroverse auf. Er führt den Massenterror auf die anthropologische Dimension der Veranlagung des Haupttäters zurück und weist eine ideengeschichtliche Begründung, wie sie zuweilen im Kalten Krieg vertreten wurde, zurück. Doch niemand wird heute angesichts globaler Mehrfachkrisen und einer neuen Transformationsagenda noch ideengeschichtliche Erklärungsmuster bemühen, in denen historisch rückblickend darauf abgestellt wird, dass Stalins Verbrechen auf seine Verkehrung des Marxismus zu einer Legitimationstheorie der Konterrevolution zurückzuführen seien. Sondern heute wird es darum gehen, den Terror materialistisch von der Produktivitätskrise des Transformationsregimes und vom Kampf für ein würdevolles Leben her aufzurollen.

Abgesehen von diesen kritischen Bemerkungen: Die souveräne Kenntnis der Quellenlage ist eindrucksvoll. Und bei allen Kontroversen gibt es eine gemeinsame Schnittmenge in der Empörung über die verbrecherische Energie von Modernisierungsregimes, die sich in der Nachfolge der Stalin-Herrschaft verschiedener Sozialtechniken aus den 1930er Jahren bedient haben oder bedienen. Interessanterweise kommt Baberowski am Schluss seines Buches auf die gescholtene „Ambivalenz der Moderne“ zurück, ohne es selbst recht zu bemerken. Er schreibt: „Noch heute wird das Imperium bejubelt und der Machtstaat gepriesen. Stalin ist wiederauferstanden, als Symbol verlorengegangener Größe. ‚Der Sieg ist die Stalin- Zeit‘, schreibt der russische Bürgerrechtler Arseni Roginski, ‚aber auch der Terror ist die Stalinzeit. Diese beiden Bilder der Vergangenheit zu verbinden war schlechterdings unmöglich – es sei denn um den Preis, dass eines von ihnen verdrängt oder erheblich modifiziert würde‘“ (S. 508).

Jörg Baberowski, Verbrannte Erde. Stalins Herrschaft der Gewalt, C.H. Beck: Köln 2012. 606 Seiten. € 29,95

Diese Rezension erschien zuerst in Sozial.Geschichte Online, Ausgabe 8 (2012). Wir danken Autor und Redaktion für die Genehmigung zur Veröffentlichung.