Die hier besprochene Publikation bringt zwei aktuelle Themen der Zeitgeschichte zusammen. Zum einen ist dies die Frage nach „Ordnungsmodellen“ oder Zäsuren in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts und zum anderen ist es die Arbeitsgeschichte, die als Forschungsthema in der Geschichtswissenschaft wieder stärker etabliert zu sein scheint.
Der Untertitel des neuen Sammelbandes, Arbeitsbeziehungen und Arbeitswelt(en), zeigt, dass sich die Inhalte der Arbeitsgeschichte verändert haben. Es soll, wie etwa Marcel van der Linden betont, nicht mehr „nur“ um Arbeitsbeziehungen gehen, sondern auch um „Arbeitswelten“. Der Begriff „Arbeitswelt(en)“ kommt aus der Soziologie und ist in der Arbeitsgeschichte bisher noch nicht gebräuchlich. Der Ausdruck hat aber durchaus Potential in die Geschichtswissenschaften aufgenommen zu werden, etwa in Anlehnung an das akteurszentrierte Lebenswelt-Konzept (vgl. dazu Heiko Haumann). Allerdings muss angefügt werden, dass diese Erweiterung der Perspektive im hier besprochenen Sammelband noch nicht gelungen ist. Der Band nimmt hauptsächlich gewerkschaftliche und arbeitspolitische Interessenvertretungen in den Blick (S. 18). Insofern ist der Titel etwas irreführend, da der Wandel der „Arbeitswelt(en)“ nur sehr marginal vertreten ist. Hingegen ist der alte, etwas verdorrte Begriff der „Arbeiterbewegung“ in der Arbeitsgeschichte heute fast verschwunden. Das ist zum einen gut, da die Geschichte der Arbeiterbewegung einige Mängel aufweist. Beispielhaft zu nennen wären hier die Konzentration auf eine männliche, meist europäische Arbeiterschaft, der Schwerpunkt der Organisations- und Parteigeschichte und die teleologische Ausrichtung vieler Beiträge. Zu Bedauern ist allerdings, dass mit dem Verschwinden des Begriffs „Arbeiterbewegung“ auch deren politischen Absichten innerhalb der Wissenschaft in den Hintergrund gerückt sind.
Der Sammelband gliedert sich in vier Teile. Im ersten Teil werden die ökonomischen, politischen und sozialen Veränderungen diskutiert, sprich die Rahmenbedingungen für die Arbeitswelt(en) und Arbeitsbeziehungen seit den 1970er Jahren skizziert. Der zweite Teil beinhaltet drei Fallbeispiele zur Arbeitswelt im Wandel. Im dritten und längsten Teil wird schließlich der Frage nach Brüchen und Kontinuitäten in der Interessenvermittlung nachgegangen. Als gelungener Abschluss gehen Winfried und Dietmar Süß der Frage nach, ob die 1970er Jahre als epochale Wende zu verstehen sind und geben einen Ausblick über zukünftig lohnende Forschungsfelder für eine Zeitgeschichte der Arbeit.
Der Sammelband verfolgt insgesamt das Ziel, „die veränderten Arbeitswirklichkeiten mit einem interdisziplinären Ansatz, der aktuelle sozialwissenschaftliche Arbeiten mit historischen Quellenbezügen verknüpft, vorzustellen und einzuordnen“ (S. 10). Das Buch bezieht sich hier auf die von Anselm Döring-Manteuffel und Lutz Raphael herausgegebene, viel rezipierte und kontrovers diskutierte Schrift Nach dem Boom? Perspektiven auf die Zeitgeschichte seit 1970. In Fallstudien wird der Frage nachgegangen, ob es sich in den Arbeitsbeziehungen der 1970er Jahren tatsächlich um einen „sozialen Wandel von revolutionärer Qualität“ gehandelt habe. Dabei kommen in der Einleitung sowohl die HerausgeberInnen des Bandes als auch die Vertreter der „Strukturbruch“-These zu Wort. Letztere spitzen ihre These so zu: „Der Strukturbruch in der Epoche nach dem Boom erweist sich als eine Multiplizität von Abbrüchen und Umbrüchen, die oftmals von Kontinuität in bestimmten Strukturen, zum Beispiel denen des Sozialstaates, oder von Kontinuität in gesellschaftlichen Verhaltensweisen überdeckt wurden. Es gab keinen glatten Bruch, keinen Abriss, keinen Neuanfang, sondern Brüche und Verwerfungen, Niedergang hier und dort und demgegenüber hoffnungsvolle, nicht selten mitreißende Neuanfänge und hochgespannte Zukunftserwartungen“ (S. 38).
Die AutorInnen der Aufsätze sind sehr darum bemüht, in ihren Fallbeispielen auf diese These einzugehen, was dem Sammelband eine große Kohärenz verleiht und ermöglicht, einzelne Aufsätze als sich einander ergänzend oder auf einander beziehend zu lesen. Aber nur drei der 13 AutorInnen konstatieren tatsächlich den von Doering-Manteuffel und Raphael beschriebenen radikalen Strukturbruch. Ungefähr gleichviel AutorInnen setzen die Zäsur eher in den 1990er Jahren, also nach dem Zusammenbruch des Ostblocks und dem rasanten Anstieg von Privatisierung und Wirtschaftsliberalisierung. Die Mehrheit der AutorInnen behandelt die Strukturbruchthese eher kritisch. Sie alle konstatieren zwar die Verdichtung von Wandlungsprozessen in den 1970er Jahren, sprechen aber keineswegs von einem „revolutionären Wandel“. So kritisiert etwa Thilo Fehmel in seinem Beitrag über die „bruchlose Transformation der Tarifautonomie“ den inflationären Gebrauch des Wortes „Revolution“ bei Doering-Manteuffel und Raphael (S. 267). Dadurch würden beispielsweise die institutionellen und vor allem semantischen Kontinuitäten vernachlässigt, die für die benannte Zeit ebenfalls charakteristisch waren. Rüdiger Hachtmann bemängelt in seinem Aufsatz über „Gewerkschaften und Rationalisierung“ den etwas „ratlosen“ Begriff „nach dem Boom“. Er verdecke die bereits seit Mitte der 1960er Jahre aufkommende gesellschaftliche Aufbruchsstimmung
und Reformeuphorie (S. 181). Und Monika Mattes macht in ihrem Beitrag über „Frauen, Arbeit und das Ende des Booms“ darauf aufmerksam, dass eine als Verlust interpretierte Zäsur aus einer geschlechtsspezifischen Perspektive sehr viel weniger eindeutig ausfällt, wenn weibliche Erwerbstätigkeit und nicht männliche Industriearbeiter im Mittelpunkt der Untersuchung stehen (S. 139).
Anne Seibering geht in ihrem Aufsatz der Frage nach, ob die 1970er Jahre unter dem Blickwinkel der Humanisierung des Arbeitslebens (HdA) nicht eher als ein sozialdemokratisches beziehungsweise rotes Jahrzehnt verstanden werden können, anstatt von einem Zeitabschnitt „nach dem Boom“ zu sprechen (S. 108). Die Autorin kommt zu dem Schluss, dass beide Periodisierungen der Nachkriegszeit (abgeschlossenes „rotes“ Jahrzehnt versus „nach dem Boom“) im Hinblick auf ihren Untersuchungsgegenstand denkbar sind. Versteht man die HdA als ein genuin sozialdemokratisches und gewerkschaftliches Projekt, so gewinnen die Zuschreibungen der 1970er Jahre als sozialdemokratisches Jahrzehnt an Berechtigung. Versteht man die HdA allerdings als Symptom eines Wandlungsprozesses, der sowohl auf Flexibilisierung und Individualisierung als auch auf die beginnende Computerisierung antwortet, so ist die Strukturbruchthese durchaus sinnvoll anzuwenden (S. 125)
Der Aufsatz von Ingrid Artus gibt einen vergleichend angelegten Überblick über die Geschichte der betrieblichen Interessenvertretung in Deutschland und Frankreich. Artus charakterisiert die Entwicklung des deutschen Mitbestimmungssystems mit dem Begriff der Konversion: Institutionen wie etwa der Betriebsrat wurden in dieser Zeit in Deutschland ständig an neue Anforderungen angepasst, wohingegen in Frankreich bei Umbruchsphasen immer wieder neue Institutionen entstanden, um den neuen Herausforderungen gerecht zu werden (S. 214). Die Terminologie des „Strukturbruchs“ wird von der Autorin abgelehnt, da dieser die Gefahr berge, die Vorstellung einer zu scharfen Grenzziehung zu erwecken. Sie versteht die 1970er Jahre dagegen als „Scharnierjahre“, in denen etwas Neues beginnt, dessen revolutionäre Folgewirkungen jedoch erst in den späteren Jahrzehnten sichtbar werden (S. 242 f.). Zu ähnlichen Schlüssen kommt auch Rüdiger Hachtmann. Er bearbeitet mit seinem Aufsatz zu Rationalisierungsdiskursen in den bundesdeutschen Gewerkschaften ein bislang noch zu wenig behandeltes Forschungsthema: die kritische Aufarbeitung der gewerkschaftlichen Diskurs- und Handlungslogik zu den Themen Taylorismus, Fordismus, Rationalisierung. Hachtmann macht eine erstaunliche Kontinuität der Rationalisierungsbegeisterung in den Gewerkschaften aus. Die Begeisterung habe angehalten, seit der „bekennende Antisemit und Gewerkschaftsfeind Henry Ford Anfang der 1920er Jahre mit geschicktem Marketing und massenwirksam“ die Zauberformel „Fordismus“ als Antriebskraft für ewigen Fortschritt und Wohlstand angepriesen habe (S. 182). Diese „Zauberformel“ sei, so Hachtmann, bis Mitte der 1970er Jahre in den Gewerkschaften wirksam geblieben. Zwar habe sich die Diskussion seitdem langsam verschoben, gerade auch in Zusammenhang mit den Diskussionen um die „Humanisierung der Arbeit“ sowie durch den Einfluss der 68er-, Ökologie- und Frauenbewegung. Hachtmann resümiert aber, dass die vorhandene Kritik schlussendlich wenig praktische Wirkung gezeigt habe. Am Ende des Aufsatzes betont er, dass die Produktionsregime des Fordismus und Taylorismus heute wieder an Boden gewinnen. Er widerspricht insofern der These, dass von einem „Ende des Fordismus“ gesprochen werden kann, denn viele Großkonzerne greifen auch in Deutschland in den letzten Jahren wieder vermehrt auf das Fließband und einen hohen Anteil an billiger manueller Arbeitskraft zurück (S. 208). Die „Branchenführer“ beschränken sich dabei auf die Kontrolle der Schlüsselkomponenten der IT-Systeme und delegieren die eigentliche Fertigung an Zulieferer, in denen fordistische und tayloristische Produktionsformen en vogue sind (S. 207): ein „postfordistischer Fordismus“, wie Hachtmann ironisch bemerkt (S. 208).
In einer eher soziologisch fundierten Untersuchung beschäftigt sich Nina Weimann-Sandig mit der Entwicklung der Arbeitnehmervertretung bei kommunalen Energieversorgern. Hier hätten die Liberalisierung und Europäisierung sowie die damit verbundene Privatisierung der Energieunternehmen seit Mitte der 1990er ein verändertes ArbeitnehmerInnenbewusstsein hervorgebracht. Auf der Grundlage von qualitativen Interviews zeigt die Autorin, dass bei den ArbeitnehmerInnen in der Energieversorgung trotz einer zunehmenden Angst vor Arbeitsplatzverlust das Kollektivbewusstsein eher gering ausgeprägt ist. Eine Folge sei, dass die Betriebsräte ihre Funktion immer mehr verlieren. Weinmann-Sandig sieht einen Trend zum „individuellen bargaining“: „Im Zuge eines wirtschaftlichen und konkurrenzorientierten Geschäftsbetriebes wurden in den untersuchten Unternehmen Managementstile etabliert, die die Eigenverantwortlichkeit der Arbeitnehmer stark in den Vordergrund stellen“ (S. 153). An dieses Ergebnis hängt die Autorin die Frage an, welche Gestalt und Funktion die Betriebsräte heute haben müssen, um den veränderten Arbeitsverhältnissen gerecht zu werden. An dieser Stelle wäre ein historischer Blickwinkel interessant. So fragt man sich etwa, ob das Kollektivbewusstsein in den 1970er Jahren wirklich größer war, zumal die Arbeitsbeziehungen vor der Liberalisierung von der Autorin als sehr konfliktarm beschrieben werden.
Am Ende des Bandes fassen Wilfried und Dietmar Süß die Ergebnisse zusammen, zeigen Lücken auf und geben einen interessanten Ausblick auf zukünftige Betätigungsfelder von ZeithistorikerInnen, die sich mit Arbeitsgeschichte befassen. Es lohne sich danach zu fragen, was passiert, wenn Arbeit ihre Gestalt verändert, wenn sie neu verteilt wird und wenn Arbeitsverhältnisse sich wandeln und immer weniger Arbeitskräfte gebraucht werden. Der Band veranschauliche, dass man diese Veränderungsprozesse sehr unterschiedlich bewerten könne (S. 345).
Wie bereits in den einleitenden Sätzen erläutert, basieren die meisten Beiträge des Bandes auf der Untersuchung von institutionellen Prozessen, so etwa der gelungene Beitrag von Andrea Rehling zur „Konzertierten Aktion“. Ein weiterer Schwerpunkt des Buches liegt auf der Analyse der Entwicklung der Interessenvertretungen. Dagegen werden wichtige Impulse neuerer Arbeitsgeschichte, etwa der Global Labour History, leider nur sehr beschränkt aufgenommen. Dies wird auch im Fazit konstatiert. Winfried und Dietmar Süß begründen diesen Umstand damit, dass dies der Preis sei, der für eine Verbindung zeitgeschichtlich informierter Forschung mit der Industrie- und Gewerkschaftssoziologie zu zahlen sei. Sie umreißen vier wichtige Themenfelder, die im Band weitgehend fehlen und die in der weiteren Forschung berücksichtigt werden sollen: erstens inter- und transnationale Dimensionen in der Geschichte der Arbeit, zweitens Semantiken der Arbeit, drittens die akteurszentrierte Geschichte der Arbeitswelt(en) und viertens das Verhältnis von Wohlfahrtsstaat und Arbeitsgesellschaft (S. 348). Ein weiterer wichtiger Themenkomplex, der insbesondere bei der Untersuchung der Arbeitsverhältnisse in den 1970er und 1980er Jahren eine große Rolle spielt, ist die Veränderung des Produktionsprozesses durch die Einführung von neuen Technologien wie zum Beispiel der Mikroelektronik. Das Thema fehlt in der vorgestellten Publikation weitgehend. Zu diesem Themenkomplex gibt es einige zeitgenössische industriesoziologische Untersuchungen, deren Historisierung lohnend erscheint. Auch das Thema der Arbeitsprotestbewegung sucht man im Sammelband vergeblich, obwohl gerade die 1970er und 1980er Jahre eine „Hoch-Zeit“ von neuen Protestformen wie etwa der Betriebsbesetzung waren.
Was die Strukturbruchthese betrifft, so zeigt der Sammelband, dass die These weiterhin stark diskutabel bleibt, vor allem was ihren Deutungsanspruch als Ordnungsmodell der Periodisierung angeht. Die zeitlich weit gestreuten und jeweils ganz unterschiedlichen Ausschnitte historischer Wirklichkeit lassen die Deutung der Zeit seit den 1970er Jahren als sozialen Wandel revolutionärer Qualität nicht ohne weiteres zu.
Knud Andresen / Ursula Bitzegeio / Jürgen Mittag (Hg.): Nach dem Strukturbruch? Kontinuität und Wandel von Arbeitsbeziehungen und Arbeitswelt(en) seit den 1970er Jahren, Dietz: Bonn 2011. 400 Seiten. € 46,00
Sarah Graber Majchrzak ist Promotionstipendiatin der RLS und Mitglied des Gesprächskreises Geschichte der RLS.
Diese Rezension erschien zuerst in Sozial.Geschichte Online, Ausgabe 8 (2012). Wir danken der Autorin und der Redaktion für die Genehmigung zur Veröffentlichung.