Seit Anfang November 2011 hält das Thema NSU die bundesdeutsche Öffentlichkeit auf Trab. Jede Woche wird eine neue Geheimdienstsau durchs Dorf und die unterdessen vier Parlamentarischen Untersuchungsausschüsse (Bundestag und Landtage in Sachsen, Thüringen und Bayern) getrieben. Was mit dem spektakulären Doppelselbstmord zweier ertappter Bankräuber in einem brennenden Wohnwagen begann, hat sich zu einem gigantischen Abgrund behördlicher Verstrickung, gesellschaftlichen Versagens und aktionistischer Ratlosigkeit ausgewachsen. Schon beim vergangenen Gesprächskreis Rechts am 11. Mai 2012 in Kiel war versucht worden, sich mit der Hilfe kundiger Referenten dem Schlamassel zu nähern und das Thema „Rechter Terror“ in seiner historischen und aktuellen gesellschaftlichen Tiefe auszuleuchten. Die Ergebnisse dieses spannenden Tages in Kiel sind im Internet und als RLS-Paper für Interessierte verfügbar (Bestellung der Papierausgabe: malingriaux@rosalux.de).
Eines dieser Ergebnisse jedenfalls war der Wunsch der Teilnehmer_innen, das Thema weiter zu verfolgen und der Frage nachzugehen, wer diese Menschen sind/waren, die als neonazistische oder neofaschistische Massenmörder in Erscheinung treten. Was für Männer sind das, welche männlichen Selbstbilder und Körperkonzepte stecken hinter ihrer Mordbereitschaft, welche Rolle spielen Waffenaffinität, Militär-Fetischismus, Heroismus und Gewaltbereitschaft bei Ihrem Tun? Und welche Bedeutung haben Frauen als Gegenbild, Projektionsfläche oder Hassobjekt in den Vorstellungs- und Denkwelten dieser Mörder und Attentäter?
Natürlich waberte bei Äußerung dieses Wunsches sogleich der Name eines Altmeisters der „Männerforschung“ und seines all-time-Standard-Werkes zur psychischen Konstitution des soldatischen und faschistischen Mannes durchs Plenum: Klaus Theweleit und seine „Männerphantasien“. Er war nach Mainz zum Gesprächskreis gekommen und stellte sich mit einem Beitrag zum norwegischen Massenmörder Anders Breivik unter dem Titel „Wiederkehr der ‚Männerphantasien‘: Politische und Psycho-Analyse rechtsextremer Gewalttäter“ der Diskussion.
Weitere Referent_innen erweiterten im Laufe des Tages vor den rund 35 Teilnehmenden das Panorama der Betrachtung: Eine Einführung lieferte Juliane Lang unter dem Titel „Männlichkeiten in der extremen Rechten“. Die Erziehungswissenschaftlerin schreibt in ihrem Teaser: „'Hypermaskuline' Selbstinszenierungen und männliches Gewalthandeln sind immanenter Bestandteil der extremen Rechten (z.B. Waffenfetisch in seiner Funktionalität für männliche Unterbeweisstellung). Dabei dient rechte und rassistische Gewalt nicht nur der Abwertung 'Anderer', sondern ebenso der Demonstration eigener heterosexueller potenter Männlichkeit. Unter Einbeziehung der Konzepte der Kritischen Männlichkeitsforschung ergeben sich neue Perspektiven auf den extrem rechten Waffenfetisch sowie die mörderischen bzw. terroristischen Ausformungen der extremen Rechten.“
Danach vermittelte der Historiker und Politologe Yves Müller Einblicke in „Die Geschichte des Terrors“ mit dem Schwerpunkt auf „Kameradschaftsmythos, Körperideal und männlichem Habitus in der SA“. Zusammengefasst: „Die nationalsozialistische Bewegung war eine Männerbewegung. Kameradschaftsmythos, Körperideal und männlicher Habitus formten das Wesen der SA, ohne deren Gewaltsamkeit, die Politikstil und Selbstzweck zugleich darstellte, ein ‚1933‘ kaum möglich geworden wäre. Symbole dieser männlichen Gewalt waren das Braun der Uniform, die Märsche durch die urbanen Arbeiterviertel, die Waffe, das soldatisch-militärische Auftreten, die Spitznamen als Zeichen der Selbstzuschreibung. Der ‚rebellische‘ Charakter der SA und das Bild vom groben, aber ehrlichen SA-Mann wird in der Neonaziszene bis heute als Grundfolie für das eigene Selbstverständnis als ‚Bewegung‘ genutzt.“ (Siehe auch «Was ein rechter Mann ist ...», Texte 68)
Durch den Tag in Mainz führte die Düsseldorfer Historikerin Anke Hoffstadt als Moderatorin. Von ihr als Mitherausgeberin ist gerade der Band Peter Bathke/Anke Hoffstadt (Hg.): «Die neuen Rechten in Europa. Zwischen Neoliberalismus und Rassismus» bei Papyrossa erschienen.
Alle Audiodokumentationen: https://soundcloud.com/rosaluxstiftung/sets/gespr-chskreis-rechts