Nachricht | GK Geschichte Der Betrieb als sozialer und politischer Ort. Neue Perspektiven auf die Gewerkschaftsgeschichte III (Tagungsbericht)

Jenseits wichtiger Einzelstudien dauerte es in Deutschland allerdings bis in die späten 2000er-Jahre, ehe eine kultur- und sozialgeschichtliche Wiederbelebung des Forschungsfeldes erkennbar wurde. Die aktuelle Diskussion kennzeichnet dabei nicht nur ein Perspektivwechsel weg von der Arbeitergeschichte hin zur Geschichte der Arbeit, sondern auch eine Verlagerung des Untersuchungszeitraums auf das 20. Jahrhundert, hier nicht zuletzt auf die jüngste Zeitgeschichte der 1970er- und 1980er-Jahre.

Henning Borggräfe, Ruhr-Universität Bochum, berichtet auf HSozKult über die Tagung

Der Betrieb als sozialer und politischer Ort. Neue Perspektiven auf die Gewerkschaftsgeschichte III

der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) und Hans-Böckler-Stiftung (HBS) am 15. und 16.11.2012 in Bonn.

Borggräfe schreibt: "...scheinen die größten Chancen für die anvisierte und notwendige Neuorientierung der historischen Forschung zu gewerkschaftlichen Themen gerade darin zu liegen, den Untersuchungsgegenstand etwas weiter zu fassen und neue Ansätze und Perspektiven, die derzeit auf dem Feld der Geschichte der Arbeit entwickelt werden, sehr viel stärker aufzugreifen, als dies bisher geschehen ist. In diesem Sinne hatten auch einige Anregungen aus der Abschlussdiskussion ihre Berechtigung, die für eine stärkere Berücksichtigung der Technikentwicklung, eine Ausweitung der verengten Perspektive auf Großbetriebe der Metallindustrie, mehr Sensibilität für verschiedene Gruppen von Arbeitnehmern oder eine Überwindung nationaler Grenzen plädierten. Für das Beschreiten neuer Wege bot die insgesamt sehr interessante Tagung jedenfalls zahlreiche Anregungen."


Konferenzübersicht:

Panel 1: Historisch-sozialwissenschaftliche Verortungen

Thomas Welskopp: Produktion als soziale Praxis. Praxis-theoretische
Aspekte der Geschichte der Arbeitsbeziehungen.

Morten Reitmayer: Das ökonomische Feld - Sozialraumanalyse und Betrieb.

Timo Luks: Heimat, Umwelt, Arbeitsplatz. Diskurse um den
Industriebetrieb (1920-1970).

Panel 2: Die 1970er-Jahre als Konfliktjahrzehnt gewerkschaftlicher
Betriebspolitiken?

Jörg Neuheiser: Postmaterialismus am laufenden Band? Mitbestimmung,
Demokratie und die "Humanisierung der Arbeitswelt" in den Konflikten
zwischen "plakat-Gruppe" und IG-Metall bei Daimler-Benz in
Untertürkheim.

Felix Heinrichs: Der "Pierburg"-Streik von 1973 - Indiz für den Umbruch
der Gewerkschaftspolitik.

Dimitrij Owetschkin: Die Wandlungen der betrieblichen Mitbestimmung in
den 1970er-Jahren. Das Beispiel der Automobilindustrie.

Panel 3: Machtaushandlung im Betrieb

Werner Milert: Der steinige Weg in die Konfliktpartnerschaft.
Sozialbeziehungen bei Siemens nach Inkrafttreten des
Betriebsverfassungsgesetzes.

Karolina Mikolajewska: Privatization and the "new Polish capitalism"
from the viewpoint of the director and the leader of a trade union of a
privatized Polish company.

Panel 4: Gesundheit, Körper und Macht im Betrieb

Hasso Spode: Branntwein, Industrie und Mäßigung. Zur Ernüchterung der
Arbeitswelt im Kaiserreich.

Anne Klein: Ein normaler Betrieb? Erschöpfte Arbeiter im
(Post-)Fordismus.

Hannah Ahlheim: Die Geschichte von Schlaf und Arbeit in der
Bundesrepublik Deutschland (1958-1985).

Panel 5: Konfliktkommunikation im Betrieb

Karsten Uhl: Humane Rationalisierung? Raum, Macht und Geschlecht in der
fordistischen Fabrik.

Christian Testorf: Die Betriebs- und Unternehmensmitbestimmung im
sozialwissenschaftlichen Diskurs.