Nachricht | Nordafrika - International / Transnational - Krieg / Frieden Wiederaufbau des Gazastreifens

Interview mit dem palästinensischen Ökonomen Omar Shaban, Direktor des palästinensischen Think Tanks «PalThink» in Gaza, Dezember 2014.

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Autorin

Katja Hermann,

Der Wiederaufbau des Gazastreifens hat begonnen, kommt allerdings nur sehr langsam voran. Was ist bisher geschehen und wo sehen Sie die größten Herausforderungen? 

In den letzten drei Monaten sind nur zwei Prozent des für den Wiederaufbau benötigten Materials nach Gaza geliefert worden. Das ist zu wenig, um mit der riesigen humanitären Katastrophe, die der Krieg verursacht hat, umzugehen. Das größte Hindernis ist der Wiederaufbau-Mechanismus selbst (Gaza Reconstruction Mechanism – GRM), der von den UN entwickelt worden ist, um die Handhabung der importierten Baumaterialien zu überwachen. Dieser Mechanismus wird von lokalen und internationalen Akteuren und selbst von der Palästinensischen Autonomiebehörde stark kritisiert. Laut Schätzungen der Hilfsorganisation Oxfam wird der Wiederaufbau, wenn er auf diese Weise fortgesetzt würde, 20 Jahre dauern.

Woher kommen die Baumaterialien und welche Firmen beteiligen sich an dem Wiederaufbau? 

Alle Materialien für den Wiederaufbau kommen zurzeit von israelischen Firmen, meistens von der Firma Nesher, dem größten Zementproduzenten in Israel. Es wird davon ausgegangen, dass insgesamt mehr als 65 Prozent der für den Wiederaufbau versprochenen Hilfsgelder der israelischen Wirtschaft zugutekommen werden. Die Lieferungen in den Gazastreifen werden von palästinensischer Seite allein von Sanad, dem kommerziellen Arm des Palästinensischen Investment Fonds (PIF) getätigt. Ich habe gehört, dass Sanad Gebühren für jede Tonne Zement und Stahl erhebt, allerdings gibt es über die Höhe der Gebühren keine genauen Informationen. Kleinere Bauprojekte, wie der Aufbau von Häusern und Straßen, werden von lokalen palästinensischen Unternehmen durchgeführt, aber ich gehe davon aus, dass zu einem späteren Zeitpunkt internationale Firmen für Großprojekte engagiert werden.

Ich höre immer wieder, dass die Menschen in Gaza den Zement, den sie zur Reparatur ihrer Häuser brauchen, kaufen müssen. Was hat es damit auf sich?

Die Leute, die kleinere Schäden an ihren Häusern beheben müssen, müssen die Materialen selbst kaufen, da zum einen die Hilfsgelder noch nicht eingetroffen und zum anderen die Schäden gering sind. Jeder Sack Zement kostet regulär 26 NIS (ca. sechs Euro). Es heißt aber, dass Zement für 200 NIS (ca. 44 Euro) pro Sack auf dem Schwarzmarkt verkauft wird. Das hat folgende Gründe: Zum Teil haben die Leute bereits eigenständig die Schäden an ihren Häusern behoben, zum Teil brauchen sie andere Materialien, um ihre Häuser zu reparieren, die entweder nicht zu haben sind oder die sie sich nicht leisten können. Gerade arme Menschen ziehen es deshalb vor, etwas Geld zu bekommen, das sie so dringend benötigen. Keiner kann garantieren, dass die Materialien, die auf diese Weise auf dem Schwarzmarkt verkauft werden, nicht in die Hände militanter Bewegungen fallen.

Wie sind die Rollen und Aufgaben beim Wiederaufbau verteilt?

Eine wesentliche Rolle spielt die UN-Organisation UNOPS (United Nations Office for Project Services), sie ist verantwortlich für die gesamte Handhabung der Baumaterialien, sie wertet die Daten der Antragsteller aus und verteilt die Materialien. Das palästinensische Ministerium für öffentliche Arbeit und Wohnungsbau ist für die Aufstellung der Schadensfälle zuständig, sie wird dabei von dem UN-Entwicklungsprogramm (UNDP) sowie dem UN-Flüchtlingshilfswerk für Palästinaflüchtlinge (UNWRA) unterstützt. Das palästinensische Ministerium für Zivilangelegenheiten übermittelt die Namen und Daten der Antragssteller an UNOPS, diese wiederum gibt sie an die israelischen Stellen weiter. Die Baumaterialien werden von PIF beziehungsweise Sanad bereitgestellt, die sie von der israelischen Firma Nesher kaufen, finanziert mit internationalen Hilfsgeldern. Die Hamas ist in diesen Prozess nicht involviert.

Sie haben in Gesprächen wiederholt auf die Wichtigkeit der Einbeziehung der lokalen Bevölkerung sowie zivilgesellschaftlicher Akteure in den Prozess des Wiederaufbaus hingewiesen. Inwieweit wird dies berücksichtigt?

Kaum. Die lokale Bevölkerung war weder an der Begutachtung der Schäden beteiligt noch wurde sie über die Untersuchungsergebnisse der Zerstörungen informiert. Die Pläne der Palästinensischen Autonomiebehörde für den Wiederaufbau, die auf der Geberkonferenz in Kairo präsentiert wurden, waren der lokalen Bevölkerung nicht bekannt und es waren auch keine Vertreter der palästinensischen Zivilgesellschaft zur Geberkonferenz eingeladen. Der UN-Mechanismus GRM hat die lokale Bevölkerung ausgehebelt.

Worin sehen Sie neben den eher technischen Herausforderungen die politischen Implikationen des Wiederaufbaus?

Die internationale Gemeinschaft sollte sich klar und deutlich für Gaza engagieren, die Situation ist sehr gefährlich und die Wahrscheinlichkeit eines neuen Krieges ist hoch, sollten Erfolge beim Versöhnungsprozess sowie beim Wiederaufbau ausbleiben. Der UN-Mechanismus sollte beendet werden und die Vereinten Nationen sollten sich darauf konzentrieren, Israel zu bewegen, die Blockade aufzuheben, anstatt diese zu regulieren, wie es derzeit der Fall ist. Auf palästinensischer Seite sollte die Einheitsregierung in Gaza arbeitsfähig werden. Was mit den Menschen in Gaza geschieht, ist eine große Schande. Gaza kann die Aggressionen und die Achtlosigkeit seitens der UN, der internationalen Gemeinschaft und der arabischen Staaten nicht mehr ertragen. Was in Gaza passiert, ist eine Schande für die Menschlichkeit: sieben Jahre Blockade, drei Kriege, hohe Arbeitslosigkeit und Armut, eingeschränkte Bewegungsfreiheit, Fragmentierung, verschmutztes Trinkwasser, Radikalismus, Frustration, eine Zukunft ohne Hoffnung. Hoffentlich wird 2015 ein besseres Jahr!

Die Fragen stellte Katja Hermann, Leiterin des Regionalbüros Palästina der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Ramallah.