Nachricht | Asien Landrechtsreform in Vietnam lässt viele Fragen offen

Ein Veranstaltungsbericht von Nadja Charaby

Am 7. und 8. März 2013 führte das Institut für Legislative Studien (ILS, eine Forschungs- und Informationseinrichtung der vietnamesischen Nationalversammlung) mit Unterstützung des Hanoier Büros der Rosa-Luxemburg-Stiftung (RLS) einen Workshop zur Kommentierung des aktuellen Gesetzentwurfes zu Landnutzungsrechten durch. RLS und ILS kooperieren seit 2011 im Bereich der Gesetzesreform und haben seither eine Serie von Veranstaltungen zu dem Thema durchgeführt. Das ILS hat die Funktion, die Abgeordneten des vietnamesischen Parlamentes mit Informationen zu versorgen und einen kritischen Austausch zwischen Abgeordneten, anderen staatlichen Institutionen, Wissenschaft und Zivilgesellschaft zu organisieren. Die Veranstaltungen des ILS bieten ein spannendes Forum, auf dem sich kontrovers und konstruktiv über Gesetzesreformen auseinandergesetzt wird.

Die vietnamesische Regierung hat sich auf die Fahnen geschrieben, das Land bis 2020 zu einem Industrieland zu entwickeln. Bisher lebt die Mehrheit der Bevölkerung jedoch im ländlichen Raum und erzielt ihr Einkommen in der Agrarwirtschaft. Einhergehend mit der Industrialisierung und zunehmenden Urbanisierung ist Land zu einer knappen Ressource geworden. Grundstücks- und Immobilienpreise, v. a. in den Zentren wie Hanoi und Ho-Chi-Minh-Stadt sind in den vergangenen Jahren in die Höhe geschnellt. In den letzten 20 Jahren sind die Preise für Immobilen um ein Hundertfaches gestiegen. Verkaufspreise werden zu ungefähr dem 25-fachen Wert des Durchschnittseinkommens angeboten. Ferner werden Grundstücke, v. a. ehemaliges Agrarland, zu günstigsten Konditionen an Investoren verpachtet oder für die Entwicklung von Industriezonen enteignet. In dieser Entwicklung ist es vor allem die Landbevölkerung, die zu den Verlierern gehört. Nach offiziellen Angaben geht es bei 70% der Beschwerden um Korruption oder Ungerechtigkeiten lokaler Behörden bei Landfragen. Regelmäßig finden in Hanoi oder auch an anderen Orten Proteste statt. Anfang 2012 machte der Fall eines Shrimps-Farmers aus Haiphong international Schlagzeilen, als dieser sich mit Waffen gegen die Enteignung wehrte. In Reaktion darauf wurde die Landfrage zwar zur „Chefsache“ erklärt, dennoch zeigt sich wenig Veränderung in der lokalen Praxis. Die vorgeschlagene Gesetzesnovellierung soll nun die bestehenden Probleme lösen. Doch sie lässt viele Fragen offen, bringt keine grundlegenden Änderungen und bietet weiterhin Schlupflöcher für Missbrauch seitens lokaler Entscheidungsträger_innen.

So forderte ein Teilnehmer der ILS-Veranstaltung die Abgeordneten auf, den Gesetzesentwurf in der kommenden Sitzung der Nationalversammlung im Mai nicht wie vorgesehen anzunehmen. Es werde mehr Zeit benötigt, um die Reform auf eine fundierte Grundlage zu stellen, die in erster Linie zum Schutz der Rechte der Bevölkerung dient. Der Präsident der Vietnamesischen Nationalversammlung hatte bereits in einem anderen Kontext geäußert, dass der derzeitige Reformvorschlag des Ministeriums für Umwelt und natürliche Ressourcen möglicherweise nicht weitreichend genug sei.

Die Reform des Landnutzungsrechtes ist eng verknüpft mit der Reform der vietnamesischen Verfassung, die Ende 2013 abgeschlossen werden soll. Land gehört in Vietnam dem Volk, es besteht kein individuelles Eigentumsrecht auf Land. Der Staat kann Land im Falle von nationalem Sicherheitsinteresse oder militärischem Interesse enteignen. Stark kritisiert wird die Regelung, die auch im Entwurf der neuen Verfassung weiter Bestand hat, dass Land auch im Falle notwendiger sozio-ökonomischer Entwicklungsmaßnahmen enteignet werden kann. Zahlreiche Teilnehmende des Workshops bemängelten, dass diese Notwendigkeit unklar geregelt sei, stark der Auslegung lokaler Behörden unterworfen sei und somit großes Konfliktpotential in sich berge. Daher sei eine Streichung anzustreben. Ferner stelle die Regelung einen Konflikt mit der Regelung von Eigentumsrechten in der Verfassung dar, zu deren Schutz sich der Staat verpflichtet. Eine weitere Problematik stellen die Festlegungen von Landpreisen und Kompensationszahlungen dar. Ein Teilnehmender berichtete von Fällen in Gemeinden der ethnischen Minderheit Van Kieu, bei denen die Bäuer_innen Entschädigungszahlungen erhielten, die nicht einmal den Betrag zweier Ernteerträge ausmachten. Die Bäuer_innen verlieren nicht nur ihr Land, sondern auch ihre Einkommensquellen. Oftmals wird das Land anschließend als Bauland weitergegeben und lokale Beamte erzielen hohe Gewinnmargen, die in die eigene Tasche fließen. Auch diesbezüglich kritisierten mehrere Teilnehmende des Workshops den Gesetzesentwurf. Das lokale Volkskomitee habe zu viel Entscheidungsmacht in Bezug auf Enteignungen und Kompensationszahlungen, bzw. entsprächen die staatlich festgelegten Preise kaum dem eigentlichen Marktwert des Landes. Viele Lokalpolitiker_innen wären sehr leicht durch Investoren beeinflussbar. Auch die vorgesehene Änderung, die Landpreise auf fünf Jahre festzulegen, um mehr Planungssicherheit zu schaffen, wurde seitens eines Rechtsexpert_innen kritisiert, da dies noch weniger Möglichkeiten biete, die Landpreise an den Marktwert anzugleichen, der oftmals um ein Vielfaches höher sei. In mehreren Beiträgen wurde gefordert, dass die Landnutzungsübertragungen und die Festlegung von Landpreisen und Kompensationszahlungen durch zu schaffende unabhängige Agenturen erfolgen sollen. Kontrovers diskutiert wurde der Vorschlag, dass Landübertragungen durch einen auktionsartigen Prozess gehen sollen. Das größte Bedenken dabei war die Frage danach, wie dann die Landnutzungsrechte benachteiligter Gruppen geschützt werden sollen, bzw. wie dem vorgebeugt werden kann, dass nur Großinvestoren profitieren.

Der Workshop hat gezeigt, dass die Reform des vietnamesischen Landnutzungsgesetzes noch vor zahlreichen Herausforderungen steht. Die Landfrage ist eine zentrale Problematik der aktuellen Entwicklung Vietnams. Landkonflikte stellen eine langfristige Bedrohung für die soziale Stabilität und Gerechtigkeit des Landes dar. Der Gesetzesentwurf in seiner jetzigen Form scheint nicht weitgehend genug zu sein, um sich dieses wichtigen Problems anzunehmen. Bemerkenswert ist der offene und kritische Diskurs, der derzeit im Rahmen dieser Gesetzesreform und auch im Rahmen der Verfassungsänderung möglich ist. Nach wie vor ist die größte Herausforderung in Vietnam, gute Gesetze in die Praxis umzusetzen. Hier mangelt es bisher an vielen Stellen, v. a. bei lokalen Behörden an notwendigen Kompetenzen und Möglichkeiten. Die betroffene Bevölkerung ist oft zu wenig über ihre Rechte im Bilde oder in der Lage, diese einzufordern.