Die Studie “Serbiens Arbeiterklasse in der Transition 1988-2013” ist wesentlich mehr als eine Analyse der Mobilisierung von Arbeiterinnen und Arbeitern in Serbien in den zurückliegenden 25 Jahren. In seiner Forschung zur Stellung der Arbeiter_innen in dieser Zeit behandelt der Autor Goran Musić einige der komplexesten sozialen und politischen Probleme in der serbischen Gesellschaft: Den Aufstieg des Nationalismus in den späten 80ern, den ökonomischen Zerfall und die Deindustrialisierung während der Kriege in den 90ern und in der anschließenden Periode der „Transition“ sowie die Durchsetzung der neoliberalen Ideologie als hegemoniales Paradigma in der serbischen Politik. Eine Schlüsselfrage in der Studie ist, wie diese Entwicklungen sich auf das Bewusstsein der Arbeiter_innen und die Artikulation ihrer Überlebenskämpfe auswirkte.
Die Ergebnisse der Studie von Goran Musić basieren zum Teil auf seinen Forschungen zur Erlangung des Doktortitels an der Universität Florenz (Italien), die sich mit der Arbeiter_innenbewegung im früheren Jugoslawien Ende der 80er Jahre beschäftigen.
Die Studie ist eine der wenigen analytischen Texte, die sich mit der Position der Arbeiter_innen in der heutigen Gesellschaft Serbiens auseinandersetzt. Sie soll weitere Diskussionen anregen. Andere Sichtweisen sind selbstverständlich möglich und sollten in die Debatte eingebracht werden.
Die Debatte zur Position der Arbeiter_innen, der Artikulation ihrer sozialen und politischen Interessen, sowie ihrer Organisationsformen ist heute von großer Relevanz. Die weltweite soziale und ökonomische Krise zeigt auch in Südosteuropa verheerende Auswirkungen. Die Wirtschaft befindet sich in den Ländern der Region seit 2008 in einer fortwährenden Rezession beziehungsweise in der Stagnation. Fabriken und Unternehmen sind insolvent oder werden geschlossen. Die Arbeitslosenrate erriecht einen historischen Höchststand. Die Region leidet unter den ihr aufgezwungenen Sparmaßnahmen. Eine neoliberale Privatisierungspolitik der vormals staatseigenen Unternehmen und die Flexibilisierung der Arbeitsverhältnisse zu Ungunsten der Arbeitnehmenden wird durchgesetzt.
Die wirtschaftliche Anatomie und die sozialen Auswirkungen der Krise in Südosteuropa sind synonym zu der Situation in anderen Ländern der europäischen Peripherie, sei es Griechenland, Spanien, Portugal oder die baltischen Staaten. Dabei zeigen sich aber starke Unterschiede in der politischen Reaktion auf die Krise in den einzelnen Ländern. Besonders in Griechenland, Spanien und Portugal regt sich großer Protest in den Bevölkerungen.
Im Gegensatz dazu herrscht in Serbien und den meisten anderen Ländern des ehemaligen Jugoslawien Stille. Die Studie erklärt in Ansätzen warum. Sie soll gleichzeitig zur Bildung einer neuen Arbeiter_innenbewegung beitragen, die in der Lage ist, auf die enormen Herausforderungen für die Gesellschaft in Serbien zu reagieren.
Boris Kanzleiter, Leiter des Regionalbüros der Stiftung in Belgrad
Die Studie steht zum Download auf englisch hier bereit.