Nachricht | Europa - International / Transnational - Ukraine Verworrene Wege der Linken: Zwischen regionalem Maidan und Anti-Maidan

Eine Analyse des Soziologen und linken Aktivisten Taras Salamaniuk vom Zentrum für Sozial- und Arbeitsforschung CSLR.

Aus der Perspektive linker AktivistInnen sind am Maidan zwei Besonderheiten zu erwähnen. Erstens war der Maidan beispiellos. Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion haben die ukrainischen Linken keinen vergleichbar massiven und kompromisslosen, ja nahezu revolutionären Volksprotest erlebt. Allerdings gab es noch ein zweites Merkmal, und zwar seine national-patriotische Ausrichtung. Letztere behinderte wesentlich mögliche politische Aktivitäten der «neuen Linken» und machte die soziale und politische Problematik des Maidan insgesamt deutlich komplizierter.

Wie auch immer man die Rolle der extremen Rechten beim Maidan beurteilt, dass sie sich sehr aktiv am Protest beteiligten, lässt sich nicht bestreiten. Im Rahmen des Monitorings nationaler und regionaler Internetseiten von AktivistInnen hat das Zentrum für Sozial- und Arbeitsforschung (CSLR) während der gesamten Zeit der Maidan-Proteste 817 Demonstrationen mit Beteiligung der Ultrarechten registriert, aber nur 14 unter Beteiligung der «neuen Linken». Davon fanden vier in den Regionen statt. Das bedeutet nicht, dass die «neuen Linken», insbesondere auf der regionalen Ebene, den Maidan ignoriert hätten. Viele Linke haben aktiv daran mitgewirkt, sind aber – das zeigen die genannten Zahlen – zumindest in den Medien nicht wahrgenommen worden und haben dort eher die Rolle von Statisten gespielt, unter anderem für die Ultrarechten.

So weit die Fakten. Ob die Teilnahme der Linken am Maidan politisch richtig oder falsch war, ist in der Ukraine heftig umstritten. Es gibt Anhänger des Maidan und andere, die ihm skeptisch gegenüberstehen, ja ihn sogar hassen. Ich möchte weder für eine Seite Partei ergreifen noch zwischen ihnen vermitteln. Stattdessen will ich versuchen, die bisher wenig berücksichtigten Gewinne und Verluste, die sich für die Linke aus der Teilnahme an den Maidan-Protesten ergeben haben, sowie ihre Beteiligung an Anti-Maidan-Aktivitäten zu beleuchten. Dabei wird es sich nicht um die Hauptstadt, sondern um die Regionen gehen, denn schließlich fanden linke Aktionen sowohl auf den Straßen von Charkiw, Lwiw, Odessa, Zhytomyr oder Dnipropetrowsk statt – und diese waren nicht weniger bemerkenswert als die in Kiew. Während die Geschichte der überwiegend erfolglosen Beteiligung der Linken am «Haupt-Maidan» in Kiew allgemein bekannt und bis zum Überdruss in der Linken diskutiert worden ist, sind die regionalen Maidan-Bewegungen noch unerforscht. Diese Terra incognita will ich im Folgenden erkunden.