Nachricht | Europa - Parteien / Wahlanalysen Tschechien hat gewählt. Und nun?

Der Erfolg populistischer Parteien verhindert die erwartete linke Mehrheit bei den vorgezogenen Parlamentswahlen. Insgesamt sieben Parteien im Abgeordnetenhaus erschweren die Regierungsbildung. Bericht von Cornelia Hildebrandt.

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David Cerny, sculpture A ten-metre purple middle finger (Prag, Moldau)

Die Parlamentswahlen am 26. Oktober waren nötig geworden, nachdem die bisherige Regierung unter Ministerpräsident Petr Nečas (ODS) nach handfesten Korruptionsskandalen im Juni 2013 zurücktreten musste, und es dem Parlament nachfolgend nicht gelang, eine regierungsfähige Mehrheit zu bilden.

Wegen der ungewöhnlichen Umstände der Parlamentsauflösung wurde lange Zeit mit einer deutlichen Verschiebung des Kräfteverhältnisses nach links gerechnet – die bisherigen bürgerlichen Regierungsparteien werden verlieren, die beiden oppositionellen Linksparteien ČSSD (Sozialdemokraten) und KSČM (Kommunisten) werden gewinnen. Bei den letzten Umfragen vor der Wahl kamen die CSSD noch auf 26 Prozent der Stimmen und die KSČM auf 18 Prozent. So gingen viele Beobachter von einer künftigen Mehrheit auf Seiten der beiden linksgerichteten Parteien aus, auch wenn aus unterschiedlichen und vielfach historischen Gründen keine Regierungskoalition daraus folgen sollte, aber eine von den Kommunisten tolerierte Minderheitsregierung der Sozialdemokraten wurde zumindest als ein mögliches Modell angesehen.

Insofern muss zunächst als erste Überraschung festgehalten werden, dass eine solche Mehrheit durch ČSSD und KSČM nicht erreicht wurde. Zusammengerechnet konnten beide Parteien nicht den lange erwarteten Nutzen aus dem Stimmenverlust der bisherigen bürgerlichen Regierungsparteien ziehen. Was das bisherige Regierungslager an Stimmen verlor – zusammengerechnet unglaubliche 2,5 Millionen Stimmen – kam entweder anderen Gruppierungen im bürgerlichen Spektrum zugute oder aber ging ins Nichtwählerlager. D. h. die beiden linksgerichteten Gruppierungen waren nicht in der Lage, diese Stimmen an sich zu binden; beide Parteien erhielten zusammen lediglich fast so viele Stimmen wie bei den Wahlen 2010. Allerdings ist die KSČM die einzige bisherige Parlamentspartei, die ihre Stimmenzahl deutlich erhöhen konnte und das bei einer leicht gesunkenen Wahlbeteiligung knapp unter 60 Prozent (2010: 62,6 Prozent).

Inwiefern sie dabei auch ihre strukturelle Schwäche bei jüngeren Wählerschichten wenigstens teilweise überwinden konnte, müssen genauere Wahlanalysen zeigen.

Da insgesamt sieben Parteien in das Parlament einziehen werden, ist eine Regierungsbildung schwieriger als in früheren Jahren. Selbst Mehrparteienkoalitionen sind am Wahlabend eher nur rechnerisch möglich, da in den zurückliegenden Monaten zu viel politisches Geschirr zerschlagen wurde. Außerdem sind auf Anhieb zwei eher populistisch ausgerichtete bürgerliche Parteien in das Parlament eingezogen, die zumindest einen großen Teil der Verluststimmen bei den bisherigen Regierungsparteien auffangen konnten und künftig mehr als das Zünglein an der Waage sein könnten. Vor allem das sehr gute Abschneiden der Partei ANO 2011 (Aktion unzufriedener Bürger) mit fast einer Million Stimmen hat über die tschechischen Landesgrenzen hinweg für Aufsehen gesorgt. Die vom zweifachen Milliardär Andrej Babiš geführte und erst 2011 ins Leben gerufene Gruppierung wurde knapp hinter den Sozialdemokraten und noch vor den Kommunisten zweitstärkste Partei. Nur durch seinen Erfolg, so Babiš, habe er  einen Wahlsieg der linksgerichteten Kräfte verhindert. Tatsächlich ist das Abschneiden von ANO 2011 der wichtigste Grund für das insgesamt doch überraschend gute starke Abschneiden des bürgerlichen, also liberal-konservativen Lagers. Der Einbruch des bisherigen Zugpferds in diesem Lager, der ODS (Bürgerliche), konnte auf diese Weise aufgefangen werden. Dass das bürgerliche Lager mit nunmehr fünf Parlamentsparteien deutlich zersplitterter ist als in früheren Zeiten. Allerdings kann das angesichts der unter den Erwartungen liegenden Ergebnisse vor allem der  Sozialdemokraten nur ein schwacher Trost sein.

Insgeheim wurde auch damit gerechnet, dass die vom Staatspräsidenten Miloš Zeman einst gegründete Partei SPOZ diesmal den Einzug ins Parlament schaffen könnte, war sie doch 2009 nur relativ knapp daran gescheitert. Mit nur 1,5 Prozent blieb sie aber weit auch unter ihren eigenen Erwartungen. Von den anderen kleinen Parteien schnitten die Grünen (SZ) mit 3,2 Prozent und die Piraten (ČPS) mit 2,7 Prozent noch am besten ab.

Die Ergebnisse der künftigen Parlamentsparteien:

Sitze Stimmen-anteil Stimmen Stimmen-anteil 2010 Stimmen 2010 Stimmen-anteil Diff. Stimmen Differenz ČSSD 50 20,45% 1.017.000 22,08% 1.155.000 -1,63% -138.000 (Sozialdemokraten) ANO 47 18,65% 927.000 927.000 (Liste von Babiš) KSČM 33 14,91% 741.000 11,27% 589.765 3,64% 151.235 (Kommunisten) TOP 09 26 11,99% 596.000 16,40% 874.000 -4,41% -278.000 (Rechtsliberale) ODS 16 7,72% 384.000 20,22% 1.058.000 -12,50% -674.000 (Bürgerliche) Morgenröte direkte Demokratie 14 6,88% 342.000 (Liste von Okamura) KDU-CSL 14 6,78% 337.000 (Christdemokraten)

Die ČSSD wurde in 9 Regionen, ANO in vier Regionen und TOP 09 in der Hauptstadt Prag sowie im Ausland die stärkste Partei. Die KSČM schnitt in der Region Fusti mit 20,33 Prozent am stärksten, in der Hauptstadt Prag mit 8,52 Prozent traditionell am schwächsten ab.

 

Sitze

Stimmen-anteil

Stimmen

Stimmen-anteil 2010

Stimmen 2010

Stimmen-anteil Diff.

Stimmen Differenz

ČSSD

50

20,45%

1.017.000

22,08%

1.155.000

-1,63%

-138.000

(Sozialdemokraten)

ANO

47

18,65%

927.000

 

 

 

927.000

(Liste von Babiš)

KSČM

33

14,91%

741.000

11,27%

589.765

3,64%

151.235

(Kommunisten)

TOP 09

26

11,99%

596.000

16,40%

874.000

-4,41%

-278.000

(Rechtsliberale)

ODS

16

7,72%

384.000

20,22%

1.058.000

-12,50%

-674.000

(Bürgerliche)

Morgenröte direkte Demokratie

14

6,88%

342.000

 

 

 

 

(Liste von Okamura)

KDU-CSL

14

6,78%

337.000

 

 

 

 

(Christdemokraten)

Am Wahlabend waren beim politischen Spitzenpersonal fast ausschließlich Männer zu sehen, Frauen tauchten nur am Rande auf. Das betrifft alle künftigen Parlamentsparteien gleichermaßen.

Cornelia Hildebrandt