Nelson Mandela vereint uns alle und sein Tod lässt uns gemeinsam trauern. In seinem unerschütterlichen Kampf gegen Rassismus haben er und seine Mitstreiter_innen nicht nur das Apartheidregime in Südafrika bezwungen, sondern auf Amnestie und Versöhnung gesetzt. Fernab jeglichen politischen Schlagabtauschs ist er heute ein weltweit anerkannter Held unserer Zeit. Doch das war nicht immer so.
Sein Kampf gegen die Apartheid in Südafrika traf international auf immensen Widerstand; der von ihm Anfang der 1960er Jahre angeführte militärische Arm des African National Congress (ANC) wurde lange Zeit im „Westen“ als terroristische Organisation geführt. Während die ehemalige Bundesrepublik neben den USA, der Schweiz und Großbritannien einer der wichtigsten Kreditgeber für das Buren-Regime in Südafrika war, unterstützte das Solidaritätskomitee der DDR bereits ab 1968 den anti-kolonialen Kampf gegen die Apartheid durch den monatlichen Druck der englischsprachigen ANC-Zeitung Sechaba.
Auch Nelson Mandela wurde nicht als Freiheitskämpfer geboren. Aufgewachsen in einem kleinen Dorf in der Transkei und als Anwärter des zukünftigen Beraterstabs der königlichen Thembu lernte Mandela zunächst die Geschichte des Xhosa-Volkes und die konsensorientierte Diplomatie seiner Anführer kennen. Neben dem Schul- und Collegebesuch half er bei der Viehhaltung. Als die von seinem Ziehvater vorgesehene Verheiratung bevorstand, flüchtete er nach Johannesburg. Als Referendar in einer Anwaltskanzlei knüpfte er die entscheidenden Kontakte zu Vertretern des ANC wie Walter Sisulu und Oliver Tambo, mit denen er sich in der Jugendliga des ANC engagierte und nach ersten Aktionen auch Bekanntschaft mit dem Gefängnis machte. Später eröffnete Mandela zusammen mit Tambo die erste schwarze Anwaltskanzlei in Südafrika. Das Verbot des ANC 1960 zwang die Freiheitskämpfer in den Untergrund; dort entstanden die Pläne für einen bewaffneten Arm der Organisation, dessen Oberkommando Mandela übernahm. Nach Bombenanschlägen und Sabotageaktionen gegen Regierungseinrichtungen, wobei mit Bedacht keine Menschenleben gefährdet wurden, verschärfte das Regime den Terror. Wenig später, 1962 wurde Mandela gefasst und dann im sogenannten Rivonia-Prozess zu lebenslänglicher Haft verurteilt. 18 seiner insgesamt 27 Jahre hinter Gittern verbrachte er auf der vor Kapstadt gelegenen Gefängnisinsel Robben Island.
Die alsbald entstandene internationale Solidaritätskampagne „Free Mandela“, die in Kirchenkreisen und der 68er Bewegung der damaligen Bundesrepublik sowie unter DDR-BürgerInnen weite Unterstützung fand, verstärkte den wachsenden internationalen Druck auf das Apartheidregime. Doch stand sie bis 1985 im Gegensatz zur offiziellen Politik der BRD, die die wirtschaftliche Kollaboration mit Apartheid-Südafrika stets fortführte. Allein in der Zeit von 1971-1993 erzielten deutsche Unternehmen und Banken aus ihren Geschäften mit dem verbrecherischen Apartheid-Regime rund 4,2 Milliarden Euro Profit.
Ab Mitte der 1980er Jahre und verstärkt durch die weltweite Berichterstattung über Wirtschaftssabotage-Aktionen des ANC, die den Widerstand gegen das Apartheidregime immer sichtbarer machten, erhöhte sich der Druck auf Südafrika. Nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis im Jahr 1990 reichte Mandela seinen Unterdrückern die Hand und bot ihnen Versöhnung an. Mit dem überwältigenden Wahlsieg des ANC wurde Mandela 1994 der erste Präsident eines neuen Südafrika und erreichte damit den Höhepunkt seiner politischen Karriere. Die von ihm 1996 eingerichtete Wahrheits- und Versöhnungskommission konnte trotz der relativ kurzen Zeit ihrer Arbeit zahlreiche Morde und Terroranschläge aus der Zeit der Apartheid aufklären. Bereits fünf Jahre später, gab Mandela – inzwischen 80jährig – den Staffelstab weiter und zog sich aus der Politik zurück.
Nun hat er uns gänzlich verlassen. Was bleibt? Sein Ableben wurde voyeuristisch verfolgt; seine Erben kratzen sich die Augen im Kampf um seinen Nachlass aus. Die Menschen in Südafrika jedoch haben sein politisches Erbe längst angetreten: nach dem von Thabo Mbeki vorangetriebenen Aufstieg einer kleinen schwarzen Elite bei weiterhin miserablen Lebensbedingungen für die Mehrheit der Bevölkerung kam es letztes Jahr anhaltend zu landesweiten Streiks. Die Bergwerke waren der Ausgangspunkt jener Proteste, die gewaltsam von der Polizei unterdrückt wurden. Weil sich der Widerstand nicht zuletzt gegen den neoliberalen Wirtschaftskurs wendet, sieht sich die Dreierallianz aus ANC, Kommunistischer Partei und dem Gewerkschaftsverband COSATU immer aufs Neue herausgefordert, das soziale, ökonomische und politische Erbe der Apartheid abzutragen.
Ohne Mandelas Traum von der politischen Freiheit aller Südafrikaner_innen, wäre der gegenwärtige Kampf für soziale und wirtschaftliche Rechte undenkbar. Mit ihren Forderungen nach Einlösung der Versprechen von 1994 zollen die Südafrikaner_innen dem Vater der Nation den größten Respekt: Sie haben seinen Traum zu ihrem eigenen gemacht.