Nachricht | GK Geschichte Weltkrieg, "Urkatastrophe" und linke Scheidewege

Diskussionsbeitrag von Dr. phil. Stefan Bollinger (Berlin)

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Diskussionsbeitrag von Dr. sc. phil. Stefan Bollinger, Mitglied des Gesprächskreises Geschichte der RLS  auf der 19. Tagung der Historischen Kommission der Partei DIE LINKEN

Mit dem Niedergang des Ostblocks und des Realsozialismus wird die Geschichte neu geschrieben. Lückenlos. Verorteten einst Marxisten-Leninisten in der Oktoberrevolution einen Epochenanfang, dem nachhaltigsten und gewaltsamstem Ausbruch aus dem 1. Weltkrieg - was unter jäh eigenen Vorzeichen als Beginn eines Weltbürgerkriegs bis in die Rechte (siehe z.B. Nolte 1979) hinein akzeptiert wurde -, so wird nun das Gewäsch von der "großen Unübersichtlichkeit" der jüngeren Vergangenheit und Gegenwart weit in die Vergangenheit transferiert. Zugleich wird Eric Hobsbawms Diktum vom Zeitalter der Extreme (siehe Hobsbawm 1995) in diesem ideologischen Kampf um Geschichtsdeutung und Sicherung der heutigen kapitalistischen Politik verfälscht: Es sei ja eine linken wie rechten Totalitarismen geprägte Zeit. Die aber sei erst mit der assistierten "Selbstbefreiung" des Ostblocks 1989/91 so glücklich zu Ende gegangen.

Das Jubel- und Erinnerungsjahr 2014 wird so zur glücklichen Fügung, in der die Jahrestage von 1914, 1939 und 1989, dazu noch 2004 (als Jahr der EU-Osterweiterung) zusammenfließen. Die Stiftung Aufarbeitung der SED-Diktatur kann so das Konzept dieser Erinnerungspolitik rechtzeitig festschreiben: "2014 lässt sich somit aufzeigen, wie die Geschichte von Demokratie und Diktatur im Europa des 20. Jahrhunderts miteinander verflochten sind. Der Blick auf die europäische Zeitgeschichte vermag das Verständnis dafür zu schärfen, dass die ökonomischen Probleme der europäischen Gegenwart vor dem Hintergrund der unseligen gemeinsamen Vergangenheit lösbar sind und gemeinsam gelöst werden müssen. 2014 eröffnet zudem eine weitere Chance: Eine Perspektive auf die europäische Zeitgeschichte, die die Jahre 1914/1939/1989 verbindet, kann dazu beitragen, die europäische Erinnerungskultur zusammen zu führen, in der die Teilung Europas vor 1989 bis heute fortbesteht." (Ott/Mählert 2012, 1. 1) Entsprechend ihren herausragenden materiellen Möglichkeiten hat die Stiftung keine Kosten und Mühen gescheut, das Jahr 2014 mit einer Wanderausstellung zu begleiten und Drucke zu günstigen Preisen in großen Mengen anzubieten. Gemeinsam mit dem Münchener Institut für Zeitgeschichte versprechen die Verantwortlichen zu "zeigen, wie die 'Urkatastrophe' des 1. Weltkriegs mit ihrer Gewalterfahrung den Aufstieg der totalitären Bewegungen im 20. Jahrhundert begünstigt" habe. Letztlich erzählt die Ausstellung Diktatur und Demokratie im Zeitalter der Extreme "Europas 20. Jahrhundert als dramatische Geschichte zwischen Freiheit und Tyrannei, zwischen Demokratie und Diktatur" (Werbeflyer 2013, S. 2).


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