Stefan Matysiak, Zentrum interdisziplinäre Medienwissenschaft, Universität Göttingen rezensiert für H-Soz-u-Kult den auch von der RLS geförderten Band
Burghard, Ciesla; Külow, Dirk: Zwischen den Zeilen. Geschichte der Zeitung "Neues Deutschland". Berlin: Das Neue Berlin 2009, 256 S.; EUR 24,90.
Wenn Tageszeitungen zum Gegenstand von Jubiläumsschriften werden, bildet
in der Regel ein runder Geburtstag den Hintergrund der zumeist üppig bebilderten Bücher. Mit der Ehre einer solchen Schrift hat sich nun auch das Neue Deutschland (ND) beschenkt, jenes 1946 nach der Vereinigung von KPD und SPD entstandene SED-Zentralorgan, das sich mit der Wende als sozialistische Tageszeitung in die vereinigte Bundesrepublik rettete. (..)
Ein runder Geburtstag war jedoch nicht der Anlass für das gemeinsam von
dem Zeithistoriker Burghard Ciesla und ND-Marketingleiter Dirk Külow vorgelegte Buch. Allerdings ist ein kleiner Hinweis auf einen möglichen Anlass für die Jubiläumsschrift dem Grußwort des Zeitungsherausgebers und Linken-Vorsitzenden Lothar Bisky zu entnehmen: Bisky nimmt Bezug darauf, dass es in diesem Jahr 20 Jahre her ist, dass aus dem Organ des ZK der SED im Untertitel jene sozialistische Tageszeitung wurde, als die die Zeitung sich heute dem Leser präsentiert.
Wie bei solchen Jubiläumsschriften üblich, wendet sich auch Zwischen
den Zeilen an eine breitere, historisch interessierte Leserschaft, die sich nicht nur am Text, sondern auch an vielen teilweise ganzseitigen Fotos erfreuen kann. Die Geschichte des Neuen Deutschlands ist in fünf große Kapitel eingeteilt, die die nach Auffassung von Ciesla und Külow zentralen Lebensabschnitte der Zeitung beschreiben. Das ND wird dabei jeweils in die innen-, deutschland- und weltpolitische Lage eingeordnet. (..)
Durchweg systemkritisch zeigt sich das letzte Kapitel, Vom Zentralorgan
zur sozialistischen Zeitung (1989 2009). Interessant zu lesen sind hier insbesondere die Schilderungen, wie sich mit der Wende die Zeitung
gegen ihre Partei stellte oder wie Treuhand, Reichsbahn und Kommission zur Überprüfung des Vermögens der Parteien und Massenorganisationen der DDR nach der Vereinigung versuchten, das ND auf kaltem Wege zu liquidieren. Ciesla und Külow machen hier insbesondere den damaligen Innenminister Wolfgang Schäuble und seinen Kollegen im Finanzressort, Theo Waigel, als Drahtzieher aus. Obgleich Zwischen den Zeilen eine Vielzahl interessanter Details enthält und die Geschichte der Zeitung durchaus auch kritisch beleuchtet
wird, verfügt das Buch doch über eine Reihe von Leerstellen, hinter denen sich traditionelle propagandistische Argumentationen aus dem Kalten Krieg verbergen. So wird etwa in einem Satz kurz angedeutet, dass die sowjetische Besatzungsmacht die Papierzuteilungen zur politischen Steuerung der Presse nutzte (S. 13). Indem dazu anschließend ein Beispiel aus der britischen (!) und nicht der sowjetischen Besatzungszone herangezogen wird, entsteht der Eindruck, in Ost und West sei ähnlich rigide vorgegangen worden. In der britischen Zone erhielt jedoch die KPD-nahe Presse 1946 wie die aller anderen Parteien einen Papieranteil entsprechend der letzten Wahlergebnisse des Jahres 1932 eine skurrile aber immerhin nicht völlig willkürliche Entscheidungsgrundlage. Dass dagegen zur selben Zeit in der Sowjetzone
die Benachteiligung bürgerlicher Parteizeitungen bereits so umfassend war, dass die SED mit 92 Prozent des Zeitungsdruckpapiers fast den Alleinzugriff auf diesen Rohstoff und zonenweit beinahe ein Zeitungsmonopol hatte, unterschlagen die Autoren. Solche Tatsachen hätten vermutlich zu sehr an dem Bild gekratzt, das Neue Deutschland und seine Partei hätten sich in einem vergleichsweise fairen Spiel der Kräfte durchgesetzt.
Den tatsächlichen pressepolitischen Ereignissen nicht wirklich gerecht wird auch die Aussage, zur Zeit der Luftbrücke im September 1948 habe der Westteil Berlins einen Zeitungskrieg losgetreten, der den Boykott Ostberliner Presseerzeugnisse zum Ziel hatte (S. 55). Die Aussage für sich kann durchaus korrekt genannt werden, der Konflikt hatte jedoch eine von den Autoren verschwiegene Vorgeschichte: Die sowjetische Besatzungsmacht hatte bereits zwei Jahre zuvor die Einfuhr der Westberliner Zeitungen Telegraf und Tagesspiegel in ihre Zone verboten. Auch diese Tatsache passt aber offenbar nicht in das Bild, wonach das ND eigentlich eine recht normale Zeitung gewesen sei.
Insgesamt steht Zwischen den Zeilen genau da, wo Ciesla und Külow den aktuellen Umgang des Neuen Deutschlands mit seiner Geschichte verorten: Wo es nötig ist, erinnert die Zeitung selbstkritisch an die Praktiken aus dem Zeitalter des Zentralorgans immer im Kontext der
Systemauseinandersetzung, die gerade zwischen den beiden deutschen Staaten besonders heftig tobte. (S. 225) Gerade von diesem Kontext der Systemauseinandersetzung scheint aber nur schwer loszukommen sein, was keine gute Ausgangsbasis für eine solide Aufarbeitung der deutsch-deutschen Mediengeschichte ist. Das Buch demonstriert auf diese Weise, wie schwer es dem Neuen Deutschland auch nach 20 Jahren noch fällt, im vereinten Deutschland anzukommen.