Nachricht | Asien Internationale Konferenz in Peking: Die globale Linke und Perspektiven des Sozialismus in der Welt

Ein Bericht von Ingar Solty

Am 7.und 8. November hat in Beijing eine internationale Konferenz unter dem Thema “New Developments of the Global Left under the International Financial Crisis and the Prospect of World Socialism” stattgefunden, die gemeinsam vom China Center for Contemporary World Studies bei der Internationalen Abteilung des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Chinas (IDCPC) und des Pekinger Regionalbüros der Rosa-Luxemburg-Stiftung veranstaltet wurde.

In seinem Eröffnungsbeitrag verwies der Vize-Präsident des IDCPC, Ai Ping auf drei Veränderungen im globalen Kapitalismus. Diese seien (1.) die „erste wirkliche Globalisierung des Kapitalismus“ mit der Integration des postkommunistischen Ostblocks und der Weltmarktöffnung Indiens und Chinas in den 1990er Jahren, (2.) der Aufstieg der BRICS-Staaten und (3.) die geografische Verschiebung der Krisen von Afrika in den 1970er Jahren über Lateinamerika in den 1980er Jahren über Ostasien in den späten 1990er Jahren in die kapitalistische Zentren heute. Dabei betonte Ai, dass der Marxismus „unser nützlichstes Werkzeug zur Analyse der Welt sei“ und der Sozialismus auf dem Weg probierter Ideen entstehen werde. Die Frage sei, welche Auswirkungen diese Krise auf die BRICS-Staaten, das linksorientierte Lateinamerika und den globalen Süden insgesamt haben werde. Dabei prognostizierte Ai ein sich stark entwickelndes Afrika.

Wulf Gallert, Fraktionsvorsitzender der Partei DIE LINKE und Oppositionsführer im Landtag von Sachsen-Anhalt argumentierte, dass es in den kapitalistischen Zentren keine Linkswende gegeben habe, sondern stattdessen die Entmachtung politischer Institutionen durch international agierende Finanzmärkte. Die Perspektive sei leider nicht hoffnungsvoll.

Fausto Sorini, Mitglied des Nationalbüros und Generalsekretär der International-Abteilung der PCI, betonte in seinem Vortrag, dass Europa größer sei als die EU und die Linke in Europa größer sei als die in der Europäischen Linkspartei zusammengeschlossenen Parteien. Er würdigte die Entwicklungen in der Ukraine, in Russland und in Belarus sowie in China. In Europa gebe es keinen zwangsläufigen Niedergang der kommunistischen Bewegung; hier sei man allgemein stärker als noch 3-4 Jahre nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion. Allerdings kritisierte Sorini auch die KKE, die „den Kampf gegen Revisionismus und Opportunismus, d.h. den ideologischen Kampf, an den Beginn ihrer politischen Strategie und über die notwendige ‘Einheit in Vielheit’“ (mit der Europäischen Linkspartei sowie mit SYRIZA) stelle. Nötig sei eine Debatte über ein gemeinsames Minimalprogramm – jenseits der spaltenden Europa-Frage.

Phillip Cordery von der französischen Jean-Jaures-Stiftung, stellvertretender Sekretär der Sozialistischen Partei und als Parlamentsangehöriger Mitglied im Außenpolitik-Ausschuss, diskutierte die Frage, wie „Internationalisten eine Globalisierung befürworten können, die soziale Ungleichheit und Disparitäten“ befördere und plädierte für eine Harmonisierung von Sozialstandards auf globaler Ebene, z.B. als Teil von Freihandelsabkommen. Dabei bekannte er sich zur kapitalistischen Privatwirtschaft und zum Wachstumsparadigma („Social justice will only be possible if we have growth and if we have something to share”, „What serves the economy – and not speculation?“, “We’re not a party against business, we’re a party against finance“), die die Grundlagen linker Verteilungspolitik seien sowie zur Schuldenbremse. Das Ziel müsse sein, die Steuerbelastung von den Arbeits- auf die Kapitaleinkommen zu verschieben. Abschließend lobte Cordery das, was er als die Leistungen der Hollande-Regierung bezeichnete, wie z.B. die berufsgruppen-spezifisch gestaffelte Rentenreform, Rettung von 65.000 Arbeitsplätzen in Schlüsselsektoren, die den 2012 verloren gegangenen 600.000 verlorenen Stellen entgegenstünden. Darüber hinaus betonte er, dass seine Regierung die vom Obersten Gerichtshof abgelehnte Steuererhöhung für Reiche nun auf anderem, sicherem Wege verfolge und stellte die Forderung nach einer Finanztransaktionssteuer auf.

Xu Shicheng, Ehrenmitglied und Research Fellow der Chinesischen Akademie der Sozialwissenschaften, betonte in seinem Vortrag die Dauerhaftigkeit der Linkswende und regionalen Integration in Lateinamerika und ihre sozialpolitischen Errungenschaften als Grundstein des Endes des „Washington Consensus“. Möglich geworden sei sie durch den Niedergang der USA und die Überwindung des Multilateralismus zugunsten der Multipolarität. In Venezuela und Bolivien werde nun der Sozialismus aufgebaut, in Cuba festige sich der Sozialismus; die Linke in der Region befinde sich immer noch in der Aufstiegsphase.

Roberto Regalado, Professor an der Universität Havanna, periodisierte in seinem Vortrag die Entwicklung der Sozialismusperspektiven in Lateinamerika. Der Zusammenbruch der Sowjetunion habe das 1959 mit der Kubanischen Revolution eingeleitete Kapitel des lateinamerikanischen Sozialismus auf dem Weg des bewaffneten Aufstands beendet und die Transformation des Staates auf dem Weg des „Sozialismus im 21. Jahrhundert“ geebnet. Der „vollständigen De-Legitimierung“ des Sozialismusbegriffs zwischen 1990 und 1993 und der Wiederbelebung der kritischen Analyse des Neoliberalismus zwischen 1994 und 2005 sei seit 2006 die Rückkehr des Sozialismusbegriffs gefolgt. Dazu gehören die „Einheit in der Vielheit“ und die Auflösung traditioneller Schismen im sozialistischen Lager. Im Gegensatz zu Xu vertrat Regalado jedoch die These, dass Cuba und Venezuela aufgrund von Ineffizienzen in einer politischen Krise steckten und unklar sei, in welche Richtung es weitergehen werde.

Lin Deshan, Research Fellow am Central Bureau for Compilation & Translation der KPCh warf die Frage auf, ob sich die europäische Sozialdemokratie von ihrer Neoliberalisierung im „Dritten Weg“, der die Legitimität der Sozialdemokratie untergraben habe, erholen könne und betonte, dass eine Rückkehr zur traditionellen Nachkriegsverteilungspolitik durch die globalökonomische Entwicklung ausgeschlossen sei. Der Sozialdemokratie mangele es an einer Vision, wie es im Kontext von wachsender sozialer Ungleichheit, ökologischer Nachhaltigkeitsprobleme und der Krise zu Verbesserungen für die Lohnabhängigen kommen könne. Immerhin hob er als positives Beispiel Ed Milibands Rolle innerhalb der Labour Party Großbritanniens hervor, der zu klassisch-sozialdemokratischen Positionen zurückkehren wolle. Unklar sei aber, ob er sich über den innerparteilichen Widerstand hinwegsetzen könne.

Jochen Weichold von der Rosa-Luxemburg-Stiftung und bis November 2013 Bereichsleiter in deren „Archiv und Bibliothek“ stellte in seinem Vortrag die Gemeinsamkeiten (aktive Arbeitsmarktpolitik etc.) und Unterschiede (Rente mit 67, Sondervermögenssteuer für die Bankenrettung, NATO und „Auslandseinsätze“ der Bundeswehr) zwischen der LINKEN und der SPD und den Grünen vor und die These auf, dass es eine gemeinsame Position der Parteien des linken Lagers sei, dass die Austeritätspolitik in den Krisenländern überwunden werden müsse. Das Projekt dieser drei Parteien sei der Green New Deal. Rot-rot-grün – entwickelt in der Oslo-Gruppe und ISM – sei allerdings 2013 nicht denkbar, da hierfür eine gesellschaftliche Mehrheit existieren müsse. Die Bundestagswahl habe allerdings eine konservative Mehrheit ergeben. Fraglich sei, was 2017 passiere, da die seit 1994 diskutierte „strukturelle linke Mehrheit“ in Deutschland schon heute nicht mehr existiere. Eine Klimaveränderung hänge von einem Aufschwung in den Gewerkschaften und anderen sozialen Bewegungen ab.

Ingar Solty schloss an die Green-New-Deal-Frage an. Er rekonstruierte das politische Scheitern des Green New Deals als Krisenmanagement-Projekt und den Übergang zur Austeritätspolitik in Nordamerika und Europa und die darin eingelagerten, neuen exportorientierten und auf innere Abwertung abzielenden Wachstumsstrategien. Davon ausgehend diskutierte er die Perspektiven der sozialistischen Linken im transatlantischen Raum und problematisierte insbesondere in Bezug auf die EU-Länder das, was er als die zwei Herausforderungen der Linken bezeichnete: die räumlich-zeitliche Ungleichzeitigkeit des europäischen Widerstands gegen die Austeritätspolitik und die doppelte Fragmentierung der europäischen Arbeiterklassen entlang internationaler und – in den EU-Zentrumsstaaten – auch intra-nationaler Grenzen (zwischen krisenkorporatisch integrierten typisch Beschäftigten einerseits und atypisch beschäftigten Prekären und Beschäftigten im öffenlichen Sektor andererseits).

Tagawa Minoru, Mitglied des Sekretariats und der International-Kommission der Kommunistischen Partei Japans, stellte in seinem Referat die Krise der Demokratischen Partei Japans dar und die – hierdurch begünstigte und auch auf ihre Rolle in den Anti-Fukushima-Protesten zurückzuführende – positive Entwicklung der KPJ. Dabei betonte er, dass ein zukünftiger Sozialismus in Japan auf den Errungenschaften des Kapitalismus und der bürgerlichen Demokratie aufgebaut werden müsse.

Patricia Cervantes, Direktorin des Ministeriums für Wirtschaftliche und Soziale Inklusion Ecuadors, stellte in ihrem Vortrag – in Anwesenheit des ecuadorianischen Botschafters Jose M. Borja L. – das ecuadorianische Modell des “Sozialismus des Guten Lebens” vor. Dieses breche mit eng geführten Vorstellungen von Wirtschaftswachstum und ziele – in Anlehnung u.a. an Amartya Sen – auf alternative Fortschrittsbemessungsgrundlagen ab, wie z.B. die Erhaltung des Ökosystems, die Verbesserung der Lebensqualität und den Plurinationalismus. Dabei besprach sie auch Widersprüche im Kontext der gegenwärtigen Auseinandersetzungen um Extraktivismus in Ecuador, die gegenwärtig auch das Regionalbüro der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Quito beschäftigen und zu einer Debatte u.a. zwischen Uli Brand, Dieter Boris und Klaus Meschkat geführt haben.

Liu Shuchun, Direktorin der Forschungsabteilung „Internationale kommunistische Bewegung“ an der Chinesischen Akademie der Sozialwissenschaften, die als „führende Expertin der globalen sozialistischen Bewegung in China“ geehrt wurde, fokussierte in ihrem Vortrag auf die im engeren Sinne kommunistische Bewegung weltweit und stellte die These auf, diese habe sich in der Krise strategisch besser aufgestellt – auch durch internationale Vernetzungsprozesse und die diskursive Öffnung für grundlegende Kritik am Kapitalismus und seiner Krisenhaftigkeit. Positiv hob sie die KPF im Bündnis mit der Linksfront in Frankreich, die Wahlerfolge der KP Japans bei Lokalwahlen und in den Städten, die Legalisierung der KP in Ägypten, das starke Mitgliederwachstum der KP in Russland zwischen 2009 und 2012 sowie allgemein die effektive Nutzung sozialer Medien in der Verbreitung kommunistischer Stimmen hervor. Dabei betonte sie die Bedeutung von Volksfrontstrategien für die nationale Unabhängigkeit und Freiheit, gegen Hegemoniestreben und Imperialismus, gegen Umweltverschmutzung und Armut und Ressourcenverbrauch, Unabhängigkeit, Gleichheit und das Selbstbestimmungsrecht der Völker. Der „Sozialismus chinesischer Prägung“ sei „ein Teil des Weltsozialismus“ und könne „nicht ohne die aktive Auseinandersetzung mit den Kommunisten in anderen Ländern existieren“, müsse „den ‚Sozialismus chinesischer Prägung‘ den anderen kommunistischen Parteien erklären“, ohne ihn dabei zu exportieren. Stattdessen sollte er die „individuellen Pfade zum Weltsozialismus unterstützen.“

Die kommunistische Bewegung im engsten Sinne war schließlich auch das Thema von Wang Xinan, einem Assistenzprofessor an der Peking-Universität, der in seinem Vortrag die Position der KKE zur Eurokrise und ihre Strategie der „antihegemonialen und antimonopolistischen Front“ darlegte. Auch er folgte damit dem Muster, dass nicht sozialdemokratische Machtparteien, sondern kommunistische Parteien als natürliche Bündnispartner Chinas ausgesucht werden sollten und betonte den internationalen Austausch nicht zuletzt am Beispiel des internationalen „Kader-Austausch-Mechanismus“ Chinas mit Portugal, Indien und Venezuela sowie die Kooperation mit Cuba, Vietnam, Laos und Bolivien. Dass Wang über Griechenland sprach, jedoch SYRIZA im Grunde nicht erwähnte, führte im Anschluss zu Kritik und intensiven Debatten, die von den politischen, strategischen und auch kulturellen Grenzen zwischen dem breiten Spannungsfeld an linken Positionen von der französischen Sozialdemokratie bis hin zum parteikommunistischen Spektrum reichte. Darin bestand aber auch durchaus der Reiz der Konferenz, dieses breite Spektrum, das – insbesondere in Europa – selten bis nie sich an einem gemeinsamen Tisch setzen würde, zusammenzubringen und Gemeinsamkeiten und Unterschiede auszuloten.