Nachricht | J. Requate: Der Kampf um die Demokratisierung der Justiz, Frankfurt 2008

Wolfgang Form, Internationales Forschungs- und Dokumentationszentrum Kriegsverbrecherprozesse, Philipps-Universität Marburg rezensiert für H-Soz-u-Kult
Requate, Jörg: Der Kampf um die Demokratisierung der Justiz. Richter,
Politik und Öffentlichkeit in der Bundesrepublik; Frankfurt am Main 2008. 455 S.; EUR 45,00.

Er schreibt: "Mit dem Vergleich von zwei „Ohrfeigenprozessen“ beginnt Jörg Requate seine überaus interessante Habilitationsschrift zur Justizgeschichte der Bundesrepublik Deutschland: Beate Klarsfeld ohrfeigte Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger während des CDU-Parteitages 1968. In der ersten Instanz wurde sie zu einem Jahr Freiheitsentzug ohne Bewährung verurteilt. Zwar hatte das Urteil in der nächsten Instanz keinen Bestand, aber es wurde eine viermonatige Freiheitsstrafe auf Bewährung ausgesprochen. Dem
stellt der Autor ein ähnliches Geschehnis aus dem Jahr 1974 gegenüber.
Der konservative Fernsehautor Gerhard Löwenthal wurde vom Studenten
Horst Wesemann geohrfeigt. Dieser erhielt lediglich eine Geldstrafe von 150 DM. Während der erste Fall noch als symptomatisch für eine autoritätsgläubige und hart durchgreifende Justiz gelten kann, erscheint der zweite – wenige Jahre später – als Ausdruck einer veränderten Rechtspraxis, ja möglicherweise als Musterbeispiel einer von links unterwanderten Justiz. Was zunächst als illustrer Beleg für einen tiefgreifenden gesellschaftlichen Wandel der Bundesrepublik herhalten könnte, wird auf über 400 Seiten in komplexere Zusammenhänge eingeordnet – auf der Grundlage einer breiten Literaturanalyse, von Zeitungsauswertungen sowie archivalischen Quellen. Das übergreifende Thema sind die Voraussetzungen, Ereignisse und Folgewirkungen von „1968“.
Damit ist aber auch ein gewisses Problem angesprochen, dass sich im Laufe der Lektüre nicht wirklich auflöst: Der Titel impliziert deutlich mehr, als die Publikation ihrem Ansatz nach vermitteln will. Es geht mitnichten um eine Justizgeschichte der gesamten Bundesrepublik, sondern im Kern um die Justiz der 1960er- und 1970er-Jahre. 

(...)
Als Resümee wird ein mehrdimensionales Erklärungsgeflecht entworfen, das
von parallel existierenden restaurativ-konservativen wie progressiven Strömungen ausgeht. Eine Stärke der Arbeit liegt darin, sich nicht ausschließlich auf die Wirkung einer Seite festzulegen. Vielmehr zeichnet der Autor das Bild einer sich seit den frühen 1960er-Jahren wandelnden Justizpolitik, die sich von der „Vätergeneration“ deutlich absetzte und eine stärkere Demokratisierung der Justiz anstrebte.
Demgegenüber formierten sich Gegner dieses Ansatzes, die Grundfeste des
Staates in Gefahr sahen. Die Dynamik dieser Auseinandersetzung, so Requate, wurde in einem erheblichen Umfang durch fachinterne Auseinandersetzungen sowie öffentlichkeitswirksame Pressekampagnen ausgelöst."