Nachricht | Parteien- / Bewegungsgeschichte Sternstein: Atomkraft - nein danke! Der lange Weg zum Ausstieg, Frankfurt/M. 2013

Das Buch des Friedens- und Umweltaktivisten Wolfgang Sternstein ist packend geschrieben, blickt aber nur in Schlaglichtern auf die Geschichte der Anti-Akw-Bewegung.

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Die Antiatomkraftbewegung ist eine der erfolgreichsten sozialen Bewegungen der jüngeren Geschichte, und ihre Forderungen werden heute von großen Teilen der Bevölkerung unterstützt. Wolfgang Sternstein zufolge ist sein Buch »Atomkraft - nein danke! Der lange Weg zum Ausstieg« eine »Analyse der Bürgerbewegung von Wyhl bis Gorleben, von Wackersdorf bis zum endgültigen Ausstieg aus der Atomkraft«. Die Lektüre legt eher nahe, dass es sich hier um die Beschreibung prominenter Konflikte (Wyhl, Brokdorf, Gorleben, Wackersdorf) - und eben nur dieser - handelt. Und das auch noch aus einer engen, dogmatisch »gewaltfreien« Perspektive.

Der 1939 geborene Sternstein ist seit über 40 Jahren in der gewaltfreien Bewegung aktiv, darunter die Pflugscharenbewegung, und war unter anderem mehrere Jahre Mitglied des Vorstandes des Bundesverbandes Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU). Im ersten Drittel des Buches geht es - packend geschrieben - um den erfolgreichen Protest gegen den geplanten Bau des Atomkraftwerks in Wyhl bei Freiburg im Jahr 1975 und danach. Einige Jahre später ist in Norddeutschland der Protest nicht mehr so einfach: Der Staat hat nun dazugelernt und Platzbesetzungen, etwa in Brokdorf oder Grohnde - werden verunmöglicht.

Sternstein blickt in Blitzlichtern auf die Geschichte: 1977 sind in der Bundesrepublik 14 Reaktoren in Betrieb und 17 weitere im Bau oder bestellt. Das Hüttendorf in Gorleben wird im Sommer 1980 nach 33 Tagen geräumt. Das Atomkraftwerk Brokdorf geht im Herbst 1986, einige Monate nach dem Unfall in Tschernobyl, ans Netz. Die Wiederaufbereitungsanlage im bayrischen Wackersdorf wird nicht gebaut.

Sternstein gibt die Schuld an Misserfolgen in der Regel den militanten Spektren der AKW-Bewegung, also den K-Gruppen (KB, KPD, KBW) in den 1970ern und den Autonomen in den 1980ern. Diese hätten es durch ihr Auftreten erschwert, in der Öffentlichkeit mehr Sympathie für die AKW-GegnerInnen zu erzeugen. Dass er dabei Jürgen Trittin statt dem KB falsch dem KBW zuordnet und die illegal agierenden Revolutionären Zellen als Teil der autonomen Bewegung ansieht (S. 202), darüber könnte man ja noch hinwegsehen.

Seine permanente, wenn nicht penetrante, aber falsche Unterstellung, die von ihm so titulierten Militanten wollten mit einer Eskalationsstrategie »unbeteiligte«, friedliche AKW-GegnerInnen den Knüppeln der Polizei ausliefern, weil sie sich erhofften, jene würden dadurch radikalisiert, ist dagegen sehr ärgerlich. Militanz denkt Sternstein nur militärisch - und damit verkürzt. Dass Militanz politischen Zwecken dienen kann, also Mittel statt Selbstzweck sein soll, kann sich Sternstein sichtlich nicht vorstellen. Dazu passt, dass er mehrmals prominente engagierte Vermittler zwischen gewaltfreien und militanten Spektren, wie etwa Enno Brand (Göttinger Arbeitskreis gegen Atomenergie und Buchautor) oder Wolfgang Ehmke (BI Lüchow-Dannenberg) wüst abkanzelt. Warum der von ihm als Erfolg angesehene BBU, immerhin einige Jahre der wichtigste Verband der Bürgerinitiativen »am Ende ist«, wie Sternstein selbst schriebt, als einige seiner »Führungsfiguren« (Jo Leinen, Roland Vogt, Petra Kelly) Anfang der 1980er Jahre zu SPD und Grünen wechseln, kann er nicht erklären.

Wer sich über die Geschichte der Anti-AKW-Bewegung informieren will, wird also weiterhin zu »...und auch nicht anderswo! Die Geschichte der Anti-AKW-Bewegung« (Verlag Die Werkstatt, 1997) greifen, oder den bisher drei Bänden »Lieber heute aktiv als morgen radioaktiv« (LAIKA Verlag, 2011 und 2012). Bücher, vor denen Sternstein ausdrücklich warnt (S. 220).

Bernd Hüttner

Wolfgang Sternstein. Atomkraft - nein danke! Der lange Weg zum Ausstieg. Verlag Brandes & Apsel, Frankfurt am Main 2013, 242 Seiten, 19,90 €.

Diese Rezension erschien zuerst am 22. Januar 2014 in der Tageszeitung "Neues Deutschland".