Nachricht | Westeuropa - International / Transnational - Globalisierung - Asien Europäische Krisenpolitik in Peking

Wenke Christoph und Lutz Pohle über eine wissenschaftliche Konferenz der Rosa-Luxemburg-Stiftung und der Zentralen Parteihochschule der Kommunistische Partei Chinas.

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Wenke Christoph, Lutz Pohle,

Knapp einen Monat vor der Wahl zum Europäischen Parlament waren die Eurokrise und die europäische Krisenpolitik Gegenstand einer hochrangig besetzen Konferenz an einem für das Thema eher ungewöhnlichen Ort: Die Veranstaltung fand in Peking an der Zentralen Parteihochschule der Kommunistische Partei Chinas (KPCh) statt. Sie war gemeinsam von der Schule und dem Büro der Rosa-Luxemburg-Stiftung (RLS) in China organisiert. Der Fraktionsvorsitzende der Fraktion DIE LINKE im Bundestag, Gregor Gysi, eröffnete die Konferenz und mehr als 100 Teilnehmer_innen beteiligten sich. Darunter aus Deutschland u.a. Heiner Flassbeck, renommierter Ökonom und Finanzexperte, Gudrun Wacker, China-Kennerin aus der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), wie auch die ver.di-Wirtschaftssekretärin und stellvertretende RLS-Vorstandsvorsitzende, Sabine Reiner. Von der chinesischen Seite waren Professor_innen und Dozent_innen der Parteihochschule die Diskussionspartner_innen und in erfrischender Weise auch sehr viele Studierende der Parteihochschule, die dort für künftige Führungsaufgaben in China vorbereitet werden. Es wurden unterschiedliche Perspektiven hinsichtlich der Ursachen und Folgen der Eurokrise diskutiert, vor allem aber auch die Herausforderungen, die die Krise für die künftige europäische und chinesische Entwicklung aufwirft.

In seinem Eröffnungsbeitrag sagte der Vizepräsident der Parteihochschule, Zhang Boli, dass die Globalisierung nur gemeinsam bewältigt werden könne und die europäisch-chinesische Zusammenarbeit, insbesondere bei der Regulierung der globalen Finanzwirtschaft, gestärkt werden müsse. In der Diskussion wurde dann deutlich, wie unterschiedlich einerseits die Perspektiven auf die aktuelle Krise sind und wie verschieden andererseits die politischen Herausforderungen in Europa und China aussehen: So wurde die deutsche Austeritätspolitik in der EU von den chinesischen Teilnehmer_innen als weitgehend erfolgreich eingeschätzt, wie die Arbeitslosenzahlen und das Wirtschaftswachstum Deutschlands im europäischen Vergleich beweisen würden. Das rief Widerspruch bei den Teilnehmer_innen aus Europa hervor: Unter dem Deckmantel der europäischen Strukturreformen treibe die deutsche Bundesregierung vielmehr Sozialabbau in bisher ungekanntem Ausmaß, massiven Abbau von Rechten von Arbeitnehmer_innen und eine langfristig unverantwortliche und unsolidarische Finanz- und Lohnpolitik voran.

Gleichzeitig stimmten viele Redner_innen darin überein, dass die Bedeutung der BRICS-Staaten und vor allem Chinas in der globalen Wirtschaft und Politik deutlich zugenommen hat. Wie China jedoch diese neue Rolle als globaler Akteur ausfüllen kann und will, sei noch sehr unklar. So räumte Guo Qiang, Fachbereichsleiter an der Parteihochschule ein, dass das bisher auf niedrigen Löhnen, Export und staatlichen Subventionen beruhende chinesische Wachstumsmodell nicht zukunftsfähig sei. Auch in China gebe es keine einheitliche Meinung über zukünftige Entwicklungsstrategien, da nicht nur die wirtschaftliche Entwicklung, sondern auch die sich verschärfenden Umweltprobleme, die wachsende soziale Spaltung und die Proteste dagegen die chinesische Politik herausforderten.

Überraschend für manche europäische Teilnehmer_innen war die offene, teils kontroverse Diskussion. Das wird verständlich vor dem Hintergrund, dass die Parteihochschule eine zentrale Rolle für mögliche Lösungen der aktuellen Probleme Chinas spielt. Dort wird an Strategien gearbeitet und darüber diskutiert, wie die Reformpolitik fortgesetzt werden kann. Der Rektor ist auch gleichzeitig Mitglied des Politbüros, des obersten Führungszirkels der KPCh. Der jetzige Präsident der Volksrepublik und Parteichef in Peking, Xi Jinping, war bis zu seiner Wahl 2012 ebenfalls Leiter dieser Hochschule in Peking.

Gregor Gysi forderte in Peking, dass der globalisierten Wirtschaft endlich auch eine «Weltpolitik» gegenübergestellt werden muss. Linke Politik müsse dazu beitragen, die Finanzmärkte zu kontrollieren und die Interessen der gesamten Gesellschaft zu vertreten. Der Austausch mit chinesischen Partnern über diese Fragen sei in den vergangenen Jahren immer wichtiger geworden. China sei eine neue Weltmacht, so Gregor Gysi, auch wenn es sich mitunter noch schwer tut, diese Rolle auszufüllen. Auf der Konferenz und in den Gesprächen zeigte sich implizit, dass der bisherige Entwicklungsweg an seine Grenzen geraten sei. Ein chinesischer Gesprächspartner machte deutlich, dass im Zentrum des neuen, ambitionierten Programms der chinesischen Partei die Ablösung der Herrschaft von Personen durch die Herrschaft des Gesetzes stehe. Dafür müsse sich die neue Parteiführung jedoch mit mächtigen Interessengruppen auseinandersetzen. In den Gesprächen von Gregor Gysi im Zentralkomitee (ZK) und im Nationalen Volkskongress, ging es weiter auch um die Ukraine-Krise und um Positionen der deutschen und europäischen Linken zu Europa und zur bevorstehenden Wahl. Es gebe Gemeinsamkeiten in der Haltung zur Ukraine, wie beispielsweise die Ablehnung der völkerrechtswidrigen Angliederung der Krim an Russland. Gleichzeitig artikulierten Gregor Gysi und seine chinesischen Gesprächspartner Kritik an der Politik des Westens, die in ihren Augen nicht dazu beitrage, die Krise zu beenden.

Am Rande der Konferenz gab es Gelegenheit, sich mit weiteren Partnern der Stiftung an führenden chinesischen Universitäten auszutauschen. So berichtete Professor Zhou Ke, Direktor der Abteilung für Umweltrecht an der Renmin-Universität in Peking, über die erfolgreichen Bemühungen, mehr Bürgerbeteiligung in Umweltfragen und höhere Strafen für Umweltvergehen im neuen chinesischen Umweltgesetz zu verankern. Experten wie Zhou agieren zunehmend als Vermittler in Umwelt- und sozialen Konflikten und werden eingebunden, wenn neue Gesetze wie das Umweltgesetz im Parlament verabschiedet werden sollen. In der Tsinghua Universität in Peking trafen die aus Deutschland angereisten Konferenzteilnehmer_innen einen der führenden Arbeitssoziologen Chinas, Professor Shen Yuan. Der zitierte während des Gespräches zu Arbeitsverhältnissen und Wanderarbeitern in China die Aussage von Marx von der Vereinigung der Proletarier aller Länder. Wie «sauschwer» das allerdings in einer transnational organisierten Weltwirtschaft sei, wüssten Gewerkschaften und Betriebsräte. Sie müssen transnational kooperieren, um z.B. die Selbstorganisierung von Arbeiter_innen zu unterstützen und deren Rechte durchzusetzen. Arbeiter_innen in China haben abgesehen von spontanen Protesten und Streiks allerdings bisher nur wenige Möglichkeiten, sich zu organisieren oder ihre Interessen zu vertreten, da die offiziellen Gewerkschaften eher wie eine staatliche Verwaltung agieren. Diese Lücke versuchten Nichtregierungsorganisationen und engagierte Wissenschaftler_innen zu füllen – allerdings sind deren Möglichkeiten angesichts der vielen tausend Arbeitsauseinandersetzungen pro Jahr in China Jahr eher begrenzt.