Nachricht | Staat / Demokratie - Parteien / Wahlanalysen - Partizipation / Bürgerrechte - Afrika Der ANC hat gewonnen – wie weiter in Südafrika?

Wahlanalyse von Armin Osmanovic, Büro Johannesburg.

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Südafrika hat gewählt. Der seit 1994 regierende Afrikanische Nationalkongress (ANC) hat die Wahlen zum nationalen Parlament gewonnen. 62,15 Prozent der WählerInnen (11,5 Millionen) haben am 7. Mai dem ANC ihre Stimme gegeben. Insgesamt waren 25 Millionen SüdafrikanerInnen als WählerInnen registriert, davon gingen über 18 Millionen zur Wahl. Gegenüber 2009 hat der ANC knapp vier Prozentpunkte verloren und 249 Sitze gewonnen. Das eigene Wahlziel, die Zweidrittelmehrheit, hat der ANC mit seinem Spitzenkandidaten und Staatspräsidenten Jacob Zuma jedoch verfehlt (siehe Abbildung 1).

Die Demokratische Allianz (DA) gewann 22,23 Prozent der Stimmen (4,1 Millionen; 89 Sitze) und konnte damit über fünf Prozentpunkte hinzugewinnen (1,2 Millionen Stimmen mehr als 2009). Südafrikas größte Oppositionspartei mit Helen Zille als Spitzenkandidatin konnte ihr selbstgestecktes Ziel von 30 Prozent nicht erreichen. Zille konnte aber als Premierministerin der Provinz Western Cape mit fast 60 Prozent ihre Mehrheit in der Provinz weiter ausbauen.

Als zweitstärkste Oppositionskraft konnten sich die Economic Freedom Fighters (EEF) etablieren. Aus dem Stand errang die im Jahr 2013 gegründete Partei mit ihrem jungen Spitzenmann Julius Malema (33), ehemals ANC-Jugendligapräsident, 6,35 Prozent der Stimmen (1,1 Millionen; 25 Sitze). Die ehemals drittstärksten Kraft COPE (Congress of the People) stürzte auf unter ein Prozent (drei Sitze) ab.

ANC-Verluste nach rechts und links

In allen Provinzen mit Ausnahme der Provinzen Western und Northern Cape verlor der ANC, wie schon 2009, bei den zeitgleich stattfindenden Wahlen zu den Provinzparlamenten an Zustimmung. In der bevölkerungsreichsten Provinz Gauteng, mit der Wirtschaftsmetropole Johannesburg, verlor der ANC sogar zehn Prozent und kam nur noch auf knapp 54 Prozent (2009: 64 Prozent) der Stimmen. In Johannesburg selbst liegt der ANC bei 53,6 Prozent (DA: 29,76, EFF: 10,15), in Pretoria sogar bei nur noch 51 Prozent. Gewinner in der Provinz Gauteng ist die liberale Oppositionspartei DA. Sie konnte ihren Stimmenanteil deutlich steigern und erreichte 28,52 Prozent (2009: 21,86).

Der DA gelang es in Gauteng, wie schon bei den Kommunalwahlen im Jahr 2011, mit ihrem schwarzen Spitzenkandidaten Maimane viele enttäuschte ehemalige ANC-WählerInnen für sich zu gewinnen. Misswirtschaft und Korruption im ANC sind neben der hohen Arbeitslosigkeit und den mangelhaften öffentlichen Diensten die Hauptgründe für die Wählerwanderung in Johannesburg und Umgebung. Wegen seiner Skandale (Korruption, Missbrauch staatlicher Gelder für den Umbau seiner Privatresidenz) ist der ANC-Spitzenkandidat Jacob Zuma auch innerhalb des ANC in der Provinz unpopulär, so dass die ANC-Führung in der Provinz es vorzog, mit dem ehemaligen Staatspräsidenten Thabo Mbeki Wahlkampf zu machen, solange bis dies das Luthuli-Haus (ANC-Parteizentrale) strikt untersagte.

Die im nationalen Vergleich stärkeren Zugewinne der liberalen Opposition sind aber auch auf die sozio-strukturellen Veränderungen zurückzuführen. Dazu gehören vor allem die zunehmende Urbanisierung und die wachsende schwarze Mittelklasse.

Die Politik des ANC seit Ende der Apartheid hat nach einer Studie der Universität Kapstadt die schwarze Mittelklasse von 1,7 Millionen im Jahr 2004 auf heute 4,2 Millionen Menschen anwachsen lassen. Ein Teil der neuen WählerInnen der DA kommt aus dieser wachsenden sozialen Gruppe. Die DA hat ihrerseits ihr Gesicht verändert und ist mit neuen schwarzen KandidatInnen und einem Programm, das mehr als in der Vergangenheit auf sozialen Ausgleich setzte, angetreten.

Die DA blickt nun auf die nächsten Wahlen im Jahr 2016. Dann wird in den Städten und Gemeinden Südafrikas gewählt und es könnte der DA in einigen Städten gelingen, die absolute Mehrheit des ANC zu verhindern. Der weitere Erfolg der DA hängt jedoch von Reformen ab. Noch ist das Parteiestablishment von weißen SüdafrikanerInnen bestimmt. Gelingt es der DA in den nächsten Jahren auch an der Spitze der Partei eine/einen schwarzen Südafrikaner/in zu wählen und in ihr Programm Maßnahmen zur Förderung der historisch benachteiligten Bevölkerungsgruppen aufzunehmen, wird sie an Attraktivität für schwarze WählerInnen gewinnen.

Die EFF konnte sich in allen Provinzen als dritte oder sogar zweite politische Kraft etablieren. In den Provinzen Gauteng (10,26 Prozent), Limpopo (10,27) und Nord-West (12,53) errang die EFF überdurchschnittlich gute Ergebnisse. Für die Heimatprovinz von Julius Malema, Limpopo, kam dies nicht unerwartet, da hier wie in den beiden anderen Provinzen die EFF in der kürze der Zeit seit ihrer Gründung tragfähige Organisationsstrukturen aufbauen konnte.

Der beeindruckende Wahlerfolg der EFF, die landesweit mehr als eine Million Stimmen gewinnen konnte, speist sich ebenfalls aus enttäuschten ANC-WählerInnen, die Julius Malema mit seinen Forderungen nach einem radikalen Umbau der südafrikanischen Gesellschaft, der Enteignung weißer Farmer und der Verstaatlichung der Bergbaukonzerne, beides nach zimbabwischen Vorbild ohne Kompensation, für sich gewinnen konnte. Die Unterstützung für die EFF kommt gleichermaßen von den Arbeitslosen als auch aus dem studentischen Milieu. Viele der studentischen Gruppierungen drängen auf eine „sozialistische Revolution“, eine Umwälzung der vom „weißen Monopolkapital“ beherrschten südafrikanischen Wirtschaft, mit der sich der ANC unter Mandela, Mbeki und Zuma abgefunden habe.

Das sehr gute Ergebnis der EFF in der Provinz Nord-West ist der besonderen Situation dort geschuldet. Im dortigen Platinbergbau ist es der EFF gelungen, sich nach Marikana, wo im August 2012 34 Bergleute von der Polizei brutal erschossen wurden, als Anwalt der Bergarbeiter und ihrer Familien zu darzustellen. Der ANC und die mit der Regierungspartei verbundene Bergarbeitergewerkschaft NUM haben sich durch ihre Nichtteilnahme an der Trauerfeier für die erschossenen Bergleute in den Augen der BewohnerInnen von Marikana diskreditiert. In Marikana und vielen anderen Bergbausiedlungen konnte die EFF über 40 Prozent der Stimmen gewinnen.

Die EFF hat mit diesem Wahlergebnis die Chance, sich als „linke“ Alternative zum ANC zu etablieren, sollte ihr Anführer Malema, gegen den diverser Verfahren u.a. wegen Steuerhinterziehung laufen, nicht aus der Politik ausscheiden müssen. Mit dem Erfolg der EFF wird es die Metallarbeitergewerkschaft NUMSA schwer haben, ihre Pläne für eine neue Labour Party in die Tat umzusetzen, ohne sich mit Malemas EFF zu vereinigen.

Mit Zuma weiter bis 2019?

Mit dem Wahlsieg im Rücken kann Jacob Zuma volle fünf Jahre als Präsident Südafrikas weiter machen. Die Kritiker in den eigenen Reihen, die ihm Korruption, Miss- und Vetternwirtschaft vorwerfen, werden erst einmal verstummen. Die innerparteilichen Gegner werden auf die Verluste in Gauteng blicken und auf die Kommunalwahlen 2016 schauen. Sollten dann viele Sitze in den Stadt- und Gemeinderäten und gar das Bürgermeisteramt in Pretoria oder Johannesburg an die DA verloren gehen, wird es erneut zu einer Diskussion um die Führung des ANC kommen, welche turnusmäßig erst 2017, zwei Jahren vor den Wahlen, ansteht.

Zumas eigentliches Problem ist juristischer Natur. Das im Jahr 2008 unter fadenscheinigen Gründen von der Staatsanwaltschaft eingestellte Verfahren wegen Korruption und Geldwäsche, weswegen er von Thabo Mbeki 2007 aus dem Amt des Vizepräsidenten entlassen wurde, droht wieder aufgenommen zu werden. Um einer Verurteilung im Amt zuvorzukommen, könnte der ANC den Präsidenten in den nächsten Monaten unter vorgeschobenen Gründen wie den Hinweis auf seine angegriffene Gesundheit abberufen. Auch eine Machtteilung zwischen ihm und einem möglichen Präsidenten Ramaphosa, welche Zuma das Amt des ANC-Präsidenten beließe, damit er von dieser Stelle die wirtschaftlichen Interessen seiner Familie und Freunde, die seit Beginn seiner Amtszeit 2009 ein weitverzweigtes Netz von Unternehmensbeteiligungen geknüpft haben, sichern kann, ist durchaus denkbar.

Mit dem derzeitigen ANC-Vizepräsidenten Cyril Ramaphosa oder der Ex-Frau Zumas Nkosazana Dlamini-Zuma, die derzeitige Generalsekretärin der Afrikanische Union, stehen Personen bereit, die das Format haben, die wirtschaftlichen und sozialen Probleme anzugehen und die unter Zuma dramatisch angewachsene Korruption und Vetternwirtschaft in Staat und Partei zurückzudrängen.

Ramaphosa wird auch zugetraut, dass er die zunehmenden Spannungen zwischen den Bevölkerungsgruppen und die Re-Traditionalisierung der südafrikanischen Gesellschaft, die mit dem konservativen und in Polygamie lebenden Zuma an Bedeutung gewonnen haben, abbauen kann. Schließlich war Ramaphosa der Lieblingsenkel Mandelas und der Ko-Vorsitzende der Verfassungskommission an deren Ende 1996 eine international anerkannte Verfassung für eine demokratische und offene Gesellschaft stand, welche die Machtbalance im Staat durch eine starke Judikative gewährleistet und die die Menschenrechte in vorbildlicher Weise schützt.