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SPORT-GROSSEREIGNISSE Initiativen protestieren gegen die Folgen von Fußball-WM und Olympia in Brasilien

Nur noch ein Vierteljahr ist es bis zur Eröffnung der Fußballweltmeisterschaft der Männer in Brasilien. Die glitzernden Neubauten an den zwölf Spielorten überdecken die Narben eines höchst fragwürdigen Strukturwandels.

Das Jahr 2013 hat es gezeigt: Tausende BrasilianerInnen haben genug davon, dass auf Kosten der Allgemeinheit Millionensummen für protzige Großevents investiert werden. Die Parolen «Não vai ter Copa» (Es wird keine Fußball-WM geben) und «O Maracanã também é nossa casa» (Das Maracanã-Stadion ist auch unser Zuhause) begleiteten die Massendemonstrationen des vergangenen Sommers.

Doch inzwischen ist es ruhiger geworden in Brasilien: Es gibt weniger Protestaktionen – und wenn dann nur mit geringer Beteiligung. Einer der Hauptgründe ist die immense polizeiliche Repression gegen die Bewegung. Die Aktionen und Proteste auf Brasiliens Straßen wurden begleitet von einer Flut von Einträgen und Bildern auf Twitter und Facebook. Die Social-Media-Kanäle haben eine große Bedeutung als unabhängige Medien. Sie bilden das Gegengewicht zu den privaten Medien und ihrer kapitalfreundlichen Berichterstattung.

Zum Jahreswechsel kursierten auf den digitalen Plattformen unzählige Videos und Fotoreportagen, die an die Solidarität zwischen den Menschen, an die Dynamik und die Errungenschaften des Jahres 2013 erinnerten. Diese Kanäle können bei der Demokratisierung des Landes noch eine wichtige Rolle spielen. Eine wichtige Aufgabe wäre etwa die längst fällige Aufarbeitung der brasilianischen Militärdiktatur von 1964 bis 1985. Die Ausgrenzung der Ärmsten, der Staatspaternalismus und die Kriminalisierung von Protestbewegungen stehen gewissermaßen in der Tradition der Zeit der Militärdiktatur. Die (Re-)Militarisierung des öffentlichen Raums unter dem Deckmantel der Befriedung von Problemvierteln weckt bei vielen AktivistInnen dunkle Erinnerungen an vergangene Tage.

Die Fußball-WM startet im Juni, zum Jahrestag der Proteste. In den zwölf Spielorten gibt es inzwischen Initiativen, die Informationen über Menschenrechtsverletzungen im Zusammenhang mit der Weltmeisterschaft sammeln, aufbereiten und verbreiten. Zentraler Multiplikator ist das jeweilige Comitê Popular da Copa wie das Olímpidas no Rio de Janeiro, das Volkskomitee der Fußball-WM und der Olympischen Spiele in Rio de Janeiro. Ihre Arbeit koordinieren die Comitês in erster Linie über ein nationales Webportal, auf dem sie auch Videos und Artikel veröffentlichen.

Bereits im Jahr 2007, vor der Austragung der Panamerikanischen Spiele, gründete sich das Comitê, um auf Menschenrechtsverletzung im Kontext von Megaevents aufmerksam zu machen. Im Vorfeld der Fußball-WM von 2010 erarbeitete es ein erstes Dossier über die Missstände. Im Comitê engagieren sich neben Personen aus dem akademischen Bereich und Betroffenen der WM-Vorbereitungen auch Nichtregierungsorganisationen und Bewegungen wie Justiça Global, Amnesty International Brasil, aber auch nationale Gewerkschaften und Hausbesetzerbewegungen.

Neben der Publikation der Dossiers – im Mai 2014 soll ein drittes erscheinen – gehören auch zwei international bekannte Kampagnen zum Repertoire: «Rio Sem Remoções» (Rio ohne Räumungen), eine Kampagne, die auf die Zwangsräumungen und -umsiedlungen an den WM-Austragungsorten aufmerksam macht, und «O Maracanã é Nosso» (Das Maracanã gehört uns), die die Teilprivatisierung des Fußballstadions kritisiert. Das bekannteste und größte Stadion in Rio de Janeiro wurde für 316 Millionen Euro renoviert. Wie die beiden Kampagnen zeigen, steht Rio de Janeiro aufgrund der beiden Megaevents in den Jahren 2014 und 2016 im Fokus der Arbeit.

Eine brasilianische Besonderheit ist die enge Zusammenarbeit zwischen Universitäten und sozialen Bewegungen. In zahlreichen Arbeitsgruppen ist ein reger Austausch zwischen Theorie und Praxis zu beobachten. Zu diesen Strukturen gehört auch das Observatório das Metrópoles an der Universidade Federal do Rio de Janeiro, das seit mehreren Jahren zu den Negativauswirkungen von Großevents arbeitet. Ende Dezember 2013 organisierte es im Zentrum Rio de Janeiros ein Seminar mit landesweiter Beteiligung, das die Probleme und Folgen der Vorbereitungen der Fußball-WM und der Olympischen Sommerspiele 2016 ins Visier nahm. Hierbei ging es zum einen um die Wohnungsfrage und die Zwangsräumungen, den öffentlichen Transport und Fragen der urbanen Mobilität. Außerdem wurden die landesweiten Proteste analysiert und Überblicke über alle zwölf Austragungsstädte erarbeitet. Eine Besonderheit war der internationale Austausch über Erfahrungen mit Fußballweltmeisterschaften in Südafrika, Deutschland und Russland mit internationalen Gästen wie dem Stadtforscher Volker Eick.

Ende April ist nun in Rio de Janeiro ein weiteres Seminar geplant. Die Comitês planen viele Aktionen im Juni 2014 – die brasilianische Regierung rüstet sich aber ebenfalls. So beschloss sie bereits im Januar, dass während der Fußballweltmeisterschaft keine Demonstrationen erlaubt sind. Zudem rüsten Polizei und Armee massiv auf. Angesichts der intensiven und kreativen Proteste im vergangenen Jahr ist auch mit einigen Überraschungen seitens der BrasilianerInnen zu rechnen.

Dieser Text ist Teil eines Blickpunktes zu sportlichen Großereignissen in der RosaLux 1-2014.