Der totalisierte Krieg von 1914 bis 1918 hinterließ Menschen, die zutiefst traumatisiert und in Teilen brutalisiert waren. Töten und Todesgefahr waren nicht länger Bestandteile eines fiktiven, abstrakten Lebens. Nahezu alle hatten sie am eigenen Leib erfahren.
Wie «Schuld» und «Opfer» ist «die Ehre des deutschen Soldaten» ein Begriff, der schon nach Ende des Ersten Weltkrieges das Bild und Selbstbild vom Soldaten formte. Zu den deutschen Soldaten des Zweiten Weltkrieges haben HistorikerInnen viel über totalisierte Gewalt, Mord auf Befehl und über Handlungsspielräume geschrieben. Krieg wurde dabei oft als Ort mit eigenen Spielregeln der Gewalt interpretiert. In der Umkehr des Tötungsverbots oder etwa auch durch die Bindungskraft der «peer group» in der soldatischen Gemeinschaft habe der Zweite Weltkrieg die Soldaten brutalisiert und «kriegsbedingte» Gewalthandlungen in Exzesse kippen lassen.
Sozialpsychologische Erklärungen liegen aber nur scheinbar nahe. Fragen nach der ideologischen Grundausrüstung von Wehrmachtssoldaten auf ihrem mörderischen Weg vor allem an der Ostfront bleiben bis heute weithin ungestellt oder sind in der bürgerlichen Geschichtsschreibung die Ausnahme. Doch Ideologie fällt zumeist nicht vom Himmel. Sie hat Geschichte. Umso erstaunlicher ist, dass bislang eher selten gefragt wurde, wie denn der längerfristige Erfahrungs- und Erinnerungsrahmen eigentlich aussah, den die Kriegsteilnehmer des Zweiten Weltkrieges und ihre Angehörigen im Gepäck hatten. Denn der letzte Krieg, die «Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts» (George F. Kennan) war 1939 gerade einmal 21 Jahre her. Über dessen Ende hinaus empfanden sich vor allem die Frontsoldaten des Ersten Weltkriegs als Schicksalsgemeinschaft, die industrialisierte Schlachten und die Stellungskämpfe, Elend und Tod überwunden hatte. Sich nach Kriegsende nicht enttäuscht von diesem Gemeinschaftsmodell abzuwenden, sondern vielmehr verstärkt der «Nation» die Treue zu halten, wirkte wie Kitt und vermochte für einige Betroffene die Zeit rückwirkend mit Sinn zu füllen.
Der opferbereite, positive und nationalistische Bezug auf Deutschland – nicht: auf die Republik! – sollte sich durch den Versailler Friedensvertrag von 1919 verfestigen. In der Wahrnehmung der ZeitgenossInnen bürdete die von den Siegern diktierte vermeintliche «Schmach von Versailles» den Besiegten die Schuld am Weltkrieg auf. Ehrverlust und Demütigung waren die Schlagwörter der Stunde. Die radikal rechte, nationalistische Interpretation des verlorenen Krieges fand ihrerseits die Schuldigen für Kriegsniederlage und Novemberrevolution 1918: Sozialisten und Kommunisten. Für Konservative und Deutschnationale waren sie die Feinde, die als «vaterlandslose Gesellen» mit ihren internationalistischen Ideen der Nation endgültig den Garaus zu machen drohten. Sie hätten den Sieg der kaiserlichen Armee verhindert und die Demütigung der Kriegsverlierer ausgelöst – die Legende vom «Dolchstoß» war in der Welt. Antisozialismus und Antikommunismus erfuhren aber noch eine folgenreiche Erweiterung. Bei den «Vaterlandsverrätern» wollten die Rechten nur allzu häufig «jüdische Verschwörungen» erkannt haben. Sie weckten antisemitische Phantasien vom «Kriegsgewinnler» und «Drückeberger». Die nationalsozialistische Propaganda bediente schon bald alle diese Befindlichkeiten in Permanenz: Mit dem Versprechen, den Versailler Vertrag zu revidieren, sollten Gefühle von Schuld, Ehrverlust und Demütigung wettgemacht werden. Als höchstes Gut und Ideal galt die «Volksgemeinschaft». Die Feindbildstereotypien vom «Novemberverbrecher» und «jüdischen Bolschewisten» waren allgegenwärtig.
Die Schlaglichter zeigen, dass der Erste Weltkrieg für die Entwicklung des Nationalsozialismus eine kaum zu unterschätzende Bedeutung hatte. Noch 1943 argumentierte Heinrich Himmler mit dem Ersten Weltkrieg und dem «Stadium des Jahres 1916/17» für die Notwendigkeit der «Endlösung». In seiner Rede vor SS-Führern in Posen (heute Poznan) bezeichnete er den Mord an den Juden als ein «niemals geschriebenes und niemals zu schreibendes Ruhmesblatt» deutscher Geschichte, weil man nur so einen zweiten Dolchstoß durch «Geheimsaboteure, Agitatoren und Hetzer» verhindern könne. Mit überzeitlichen, sozialpsychologischen Motiven für die massenmörderische Gewalt der deutschen Wehrmachts-, SS- und Polizeieinheiten ist hierzu nichts hinreichend erklärt. Der Nationalsozialismus war kein Betriebsunfall, folgte auch keinem «Naturgesetz» oder betörte willenlos Verführbare.
Sicher: Nicht jeder Frontsoldat des Ersten Weltkriegs wurde Nationalsozialist. Der größte Veteranenverband der 1920er Jahre war das sozialdemokratische «Reichsbanner Schwarz Rot Gold». AntifaschistInnen traten den radikalen Rechten mutig entgegen und leisteten unter Lebensgefahr Widerstand. Auch sie hatten die Kämpfe im Schützengraben erlebt, waren aber zu ganz anderen Schlüssen gekommen. Dennoch: Der Erste Weltkrieg war, diesen antimilitaristischen Gegenmodellen zum Trotz, eine starke «Maschine zur Brutalisierung der Welt» (Eric Hobsbawm). Er nutzte der radikalen Rechten als anschlussfähige Großerzählung von soldatischer «Ehre» und «Unbesiegbarkeit im Feld». Wie Hobsbawm weiter schreibt, wurde ihr «Erfolg» auch von jenen nationalistisch eingestellten Soldaten und jungen Männern getragen, «die nicht vergessen konnten, dass man sie mit dem Ende des Kriegs auch ihrer Chancen zum Heroismus beraubt hatte».
Der Beitrag ist Teil des Titelthemas «Nachhall der Geschichte» der Ausgabe 1-2014 des Stiftungsjournals RosaLux. |
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