Nachricht | Linke Zeitschriften mit Schwerpunkten zu 100 Jahre „Erster Weltkrieg“

Ein Überblick - und ein Versuch einer ersten Bewertung - von Bernd Hüttner

Information

Mittlerweile haben viele linke Bewegungs- und Fachzeitschriften ihre Schwerpunktausgaben zum 100. Jahrestag des Ersten Weltkrieges veröffentlicht. Schon im Mai erschien die Ausgabe des 2/2014 des Jahrbuch für Forschungen zur Geschichte der Arbeiterbewegung, das zehn Artikel zum Thema Erster Weltkrieg, Arbeiterbewegung und Widerstand enthält. Ausgabe 3/2014, die ebenso wie die Nummer 2/2014 von der RLS finanziell gefördert wurde, setzt den Schwerpunkt fort und erscheint im September 2014.

Die linksradikal-antifaschistische Zeitschrift phase 2 hat ihre Ausgabe 48 dem Thema gewidmet. Neben einem lesenswerten Interview mit dem Hamburger Historiker Volker Weiß finden sich einige Beiträge, die sich Aspekten widmen, die sonst nicht so beleuchtet werden, etwa das Verhältnis von Dadaismus und Futurismus zum Ersten Weltkrieg.

Ein eher dogmatisch-traditioneller Ansatz ist den Ausgaben der Marxistischen Blätter (3/2014) und Z. Zeitschrift Marxistische Erneuerung (Heft 98/Juni) zu eigen. Die Marxistischen Blätter glänzen mit einem Artikel von David Salomon, während der Rest (von Ludwig Elm, Hans Hautmann und anderen alten Männern) eher dröge altbekanntes wiederkäut. Z., die eher dem Spektrum der (ehemaligen) ErneuererInnen des DKP-Spektrums zuzurechnen ist, enthält Beiträge von Stefan Bollinger (hier online), Kurt Pätzold (hier online) und Peter Scherer.

Einen Text von Bollinger enthält auch die vollmundig mit „Reichtum, Krieg und Propaganda“ übertitelte Ausgabe 50 der grundrisse. Bollingers Text (online) ist eine Auskopplung aus seinem Buch.

südlink das Nord-Süd-Magazin von INKOTA hat ein Heft zu den kolonialen und antikolonialen Aspekten des ersten Weltkrieges veröffentlicht (mehr). südlink weist z.B. darauf hin, dass auf französischer und britischer Seite alleine 650.000 Soldaten auf dem europäischen Kriegsschauplatz im Einsatz waren, insgesamt hätten vier Millionen nicht-weiße Soldaten am Ersten Weltkrieg teilgenommen, davon 1,5 Millionen aus Indien. Die Lektüre von südlink bringt wirklich neue Erkenntnisse und Perspektiven.

Die feministisch-sozialistische Zeitschrift wir frauen veröffentlicht in Heft 2/2014 ein Heft zum Schwerpunkt zum Thema „Krieg“ mit Beiträgen u.a. zu Journalistinnen und Kriegspropaganda, zu den Frauen von Oradour und enthält ein Interview mit der Düsseldorfer Historikerin Anke Hoffstadt, die entscheidend an der Vorbereitung der Tagung der RLS zum Ersten Weltkrieg in Wuppertal beteiligt ist (Langfassung des Interviews).Die erst 2011 gegründete und halbjährlich erscheinende Theoriezeitschrift emanzipation hat kürzlich auch ein sehr lesenswertes Heft zum hier in Rede stehenden Thema publiziert. Es enthält z.B. Texte von Gisela Notz (über die sozialistische Frauenbewegung und den Ersten Weltkrieg) oder von Wolfgang Uellenberg-van Dawen über die deutschen Gewerkschaften und den 1. Weltkrieg (hier online).

Ganz früh war "analyse & kritik", die wohl wichtigste linke Bewegungszeitschrift dran. Das Jubiläum ist Themen-Schwerpunkt in der Ausgabe 589 (Dez. 2013)  (AutorInnen: Renner, Hoffrogge, Luxemburg u. Liebknecht). In der Folgeausgabe gibt es dann einen kleinen Schwerpunkt "Frauen im Ersten Weltkrieg" im Gesellschaftsteil.

Die Tageszeitung Neues Deutschland hat auf ihrer Website ein Dossier zum Ersten Weltkrieg zusammengestellt, das im ND bereits erschienene Texte versammelt. Das Dossier Erster Weltkrieg der TAZ ist unter http://www.taz.de/100-Jahre-Erster-Weltkrieg/!t24287/ zu finden. Die Übersicht des "Friedensratschlags" enthält viele Artikel aus der Tageszeitung "junge welt" - und wird offenbar fortlaufend aktualisiert findet sich unter http://www.ag-friedensforschung.de/themen/1wk/Welcome.html.

Abschließend noch zwei Hinweise auf Titel, die nicht dem klassischen linken Kanon angehören. Die vom Forum Geschichtskultur an Rhein und Ruhr herausgegebene Zeitschrift Forum Geschichtskultur Ruhr hat den Titel 1914-2014 – Erinnerung an den Ersten Weltkrieg und ist komplett online.

Geschichte und Gesellschaft. Zeitschrift für Historische Sozialwissenschaft war in den 1970er und 1980 Jahren das Flaggschiff der sozialdemokratischen Struktur- und Gesellschaftsgeschichtsschreibung. Die Bedeutung dieser Zeitschrift ist durch den Aufstieg der Mentalitäts- und Kulturgeschichte stark gesunken. Ihr Heft 2/2014 titelt mit „Der Erste Weltkrieg in globaler Perspektive“ (Inhalt).

Am 15. August erscheint dann die Ausgabe des Mittelweg 36 (Zeitschrift des Hamburger Institut für Sozialforschung) mit dem Schwerpunkt "Der Erste Weltkrieg" (mehr).

Die Inhaltsverzeichnisse und Bezugsbedingungen sind auf den Website der einzelnen Zeitschriften nachzulesen.

Die Redaktion der emanzipation schreibt in ihrem Editorial, dass „im Vergleich zum bürgerlichen Feuilleton“ die „wissenschaftlichen und politischen Beiträge“ der Linken zum Ersten Weltkrieg „in der Summe blass“ blieben. Die Linke würde keine eigenen Fragen an den Weltkrieg stellen. Dieser These würde ich mich in dieser Absolutheit nicht anschließen wollen, kann aber den Eindruck der emanzipation verstehen. Dass „bürgerliche“ Medien und Institutionen zehntausendfach mehr Reichweite und einfach weit mehr Geld und Personal haben, als Einrichtungen einer kritischen Wissenschaft und Bildung, ist bekannt. Die für die Linken traditionsbildende, wenn nicht konstitutive Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg und die Shoa überformt aber die an den Ersten Weltkrieg, der Zweite Weltkrieg steht sozusagen im Rückblick im Weg. Weitere politische, wenn nicht tagesaktuelle Umstände – und da gibt es einige - erschweren den Umgang mit dem Jubiläumsthema. Ist z.B. Europa eine positiv zu besetzende Schlussfolgerung, wenn nicht Utopie, die für die Linke aus dem Ersten Weltkrieg resultiert? Wie ist die historische Rolle der SPD zu interpretieren, wenn gleichzeitig in der Gegenwart starke Kräfte in und außerhalb von Parteien flügelübergreifend auf eine Koalition mit eben dieser Sozialdemokratie hinarbeiten? Wie steht es um Antimilitarismus und Pazifismus?

Hinzukommen methodische und theoretische Differenzen und Probleme. Reicht die Betrachtung ökonomischer Tatsachen und Entwicklungen als Analyseinstrument wirklich aus? Welche Bedeutung haben Mentalitäten oder Bilder von Geschlechtern…? All diese Fragen sind ungeklärt und beeinflussen, ja man könnte fast sagen, hemmen die Beschäftigung mit dem 100. Jahrestag des Ersten Weltkrieges.

Bernd Hüttner

2. überarbeitete Fassung, Stand 5. August 2014