Nachricht | Erinnerungspolitik / Antifaschismus - Parteien- / Bewegungsgeschichte Odyssee durch die Lager

Maik Hamburger las aus dem Bericht seines Vaters Rudolf über dessen Zeit im Gulag

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Autor*innen

Matthias Ubl, Effi Böhlke,

Voll besetzt war der Salon der Stiftung  am 25. Juni. Zahlreiche Interessierte waren gekommen, um dem Dramaturgen und bedeutenden Shakespeare-Übersetzer Maik Hamburger zuzuhören. Er las aus dem Buch seines Vaters Rudolf Hamburger mit dem Titel: „Zehn Jahre Lager. Als deutscher Kommunist im sowjetischen Gulag“ - ein Bericht über die Odyssee durch mehrere Arbeitslager.

Bei der Lesung finden sich die ZuhörerInnen im Jahr 1943 in einem  Moskauer Gerichtssaal wieder. Der Architekt Rudolf Hamburger und weitere Angeklagte warten dort, nach einer fingierten Anklage, auf die Verkündung ihrer Strafurteile.  Fünf Jahre Arbeitslager  werden dem Deutschen aufgebrummt. Skurriler Weise beglückwünschen ihn die russischen Genossen - die meisten anderen Angeklagten erhalten bis zu 15 Jahre.

Grundlage für die Urteile war Paragraf 58 für politische Verbrechen: ein Sammelparagraf, welcher alles bedeuten konnte. „Und wer hat sie dir zugemessen, diese fünf Jahre Lagerhaft, welche geheimnisvolle Macht, die dich nicht erblickte, die irgendwo hinter verschlossenen Türen kaltblütig dein Urteil fällte?“, zitierte Maik Hamburger aus dem Buch. Vater Rudolf sah sich einer nicht greifbaren Macht gegenüber, welche ihn verurteilte, ohne Gerichtsprozess, ja ohne wirkliche Auskunft über seine Schuld. Ähnlich wie in Kafkas „Der Prozess“ - nur, dass dies die sowjetische Realität war. Die Macht brandmarkte Hamburger als „SOE“, als sozialgefährliches Element. Verurteilte wie er standen im offiziellen Ansehen noch unter den Kriminellen. Deren verbrecherische Gesinnung, so legte es die Ideologie nahe, sei ein Produkt vorrevolutionärer Zeiten und prinzipiell kurierbar. Der politische Feind jedoch sei nicht umzuerziehen.

Die zweite Passage, die Maik Hamburger las, skizzierte die letzten Tage seines Vaters in einem Arbeitslager. Neben den Schilderungen der harten Arbeit, des rauen Tons und der Kriminalität von Gefangenen und Wärtern, beeindruckten insbesondere die Episoden über den Freund und Leidensgenossen Alexander Stoll. Der Schriftsteller, der kaum noch Kraft zum arbeiten hatte, schrieb in dem Elend noch Gedichte, welche „fern in eine andere Welt hinüberreichen.“
Nach der Entlassung  der Aufnahme bei einer russischen Familie sind es die kleinen Freuden, die ländlichen Feste mit “Gesang, Tänzen, Besäufnissen, mit derbem Lachen und derber Liebe“, die dem Gemarterten langsam wieder neue Lebensenergie verschaffen. „Das Gewöhnliche wird zum Wunderbaren.“, mit dem letzten Satz des Buches endete auch die Lesung.

Im anschließenden Gesprächmit Hans Coppi stellte Hamburger die Art und Weise der Publikation des Berichts in den Mittelpunkt. Vater Rudolf hatte ihn lange Zeit zurückgehalten. Nachdem Sohn Maik beschlossen hatte, diesen posthum zu veröffentlichen, gestaltete sich die Findung eines Verlages zunächst schwierig. „Die Zeiten sind vorbei“, so soll eine Reaktion auf die Anfrage Hamburgers gewesen sein. Später jedoch stritten sich sogar zwei Verlage um die Veröffentlichung. Das Rennen machte Siedler, wo das Buch vergangenes Jahr erschien.

Die Lesung war die erste von insgesamt vier Begleitveranstaltungen zur Wanderausstellung „Ich kam als Gast in euer Land gereist“, die bis 27. Juli im Foyer des Bürogebäudes am Berliner Franz-Mehring-Platz zu sehen war. Die Ausstellung beleuchtet Einzel- und Familienschicksale deutscher HitlergegnerInnen, die im russischen Exil Opfer des Stalinterrors wurden.