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Präsident Poroschenko ist Brückenbauer allein für die Eliten

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Lutz Brangsch,

Auf bittere Art und Weise bestätigen sich in der Ukraine 100 Jahre nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs zwei Passagen aus dem Kommunistischen Manifest: «Die Arbeiter haben kein Vaterland. Man kann ihnen nicht nehmen, was sie nicht haben.» Und: «Vereinigte internationale Aktion ist eine der ersten Bedingungen der Befreiung des Proletariats.» Der Bezugspunkt der Analyse sollte also nicht in Kiew oder Moskau liegen, sondern in den Schächten, Stahlwerken, Betrieben, Büros, sozialen Einrichtungen und Landwirtschaftsunternehmen der Ostwie der Westukraine gleichermaßen. Niemand ist gleich ein «Putin-Versteher», nur weil er oder sie sich nicht umstandslos gegen den russischen Präsidenten positioniert und simplen Antworten verweigert. Der Verzicht auf die Bereitschaft zur Analyse, der mit der Beschimpfung zum Ausdruck kommt, ist beängstigend. Für eine fundierte Bewertung braucht es schlicht Verständnis für die beteiligten Seiten und ihre Interessen. Dies galt schon für die Kriege um Nagorny Karabach oder in Jugoslawien. Schon auf dem Kiewer Majdan ging es nicht um «prorussisch», «proukrainisch» oder «prowestlich». Dieser Kompass taugt zur Orientierung nicht. Die nationale Karte wurde von ukrainischer wie von russischer Seite gespielt, um die Grundlagen des Konfliktes zu verdecken. Der Konflikt sei Resultat fehlender Reformen unter allen Regierungen der Ukraine, erläuterte bereits vor geraumer Zeit der eher konservative ukrainische Wissenschaftler Oleg Soskin. Wie auch Russland war die Ukraine Anfang der 1990er Jahre einer «Schocktherapie» unterworfen, mit der auf einen Schlag die allseelig machende Marktwirtschaft durchgesetzt werden sollte. Die Art der Privatisierung ist die Wurzel der Macht der Oligarchen auf der einen Seite und des völlig unterentwickelten Sozialsystems sowie der fehlenden Handlungsfähigkeiten der Lohnabhängigen auf der anderen Seite. Wie auch für Russland entstand eine Verflechtung von Staat und Wirtschaft, die aus der alten Nomenklatura hervorging und durch spätere Reformen nicht aufgelöst werden konnte. 

Hinter einer möglichen Assoziierung mit der EU stand sicher die Hoffnung, durch eine engere Anbindung eine Stabilisierung und Verbesserung der sozialen Lage zu erzwingen. Der Internationale Gewerkschaftsbund zählt die Ukraine zu den acht Ländern mit dem geringsten Schutz von Lohnabhängigen. Die vergebene Note «5+» steht dafür, dass deren Rechte nicht garantiert sind. Mit den Auflagen des IWF ist eine Konservierung der potenziellen sozialen Spannungen programmiert. Die soziale Realität ist aber offiziell kein Thema. Kaum jemand fragt nach den Interessen derer, die in den gegenwärtigen Auseinandersetzungen nichts zu verlieren haben. Die linken Organisationen sind schwach und zersplittert. Es gibt praktisch keine institutionalisierten Beziehungen zu den Handelnden, so dass auch die Informationen aus den Aufstandsgebieten spärlich und unzuverlässig sind. Zudem werden sie in der angeblich neuen Ukraine verfolgt. So musste die Führung von Borotba dem Vernehmen nach das Land verlassen und ist bei Rückkehr von Sanktionen bedroht. Die Kommunistische Partei der Ukraine, die freilich nur bedingt zur Linken gezählt werden kann, steht kurz vor dem Verbot. So können die Oligarchen (und nur sie) einen Krieg führen, in dem die Grenzen zwischen Nationalstolz, Nationalismus und Faschismus längst verschwimmen und die Brutalisierung von Sprache und Verhalten auf allen Seiten beängstigende Ausmaße angenommen haben. Auch wenn bei den Präsidentschaftswahlen offen faschistische Organisationen weitgehend erfolglos geblieben sind, scheint ihr Gedankengut weitläufig in die Gesellschaft eingedrungen zu sein. Es habe zwar keine faschistische Erziehung gegeben, aber der verinnerlichte und alltägliche Nationalismus befördere sehr wohl rechtsextreme Tendenzen, reflektiert eine Journalistin im Internet ihre Kindheit und Jugend in einer kleinbürgerlichen ukrainischen Familie. Oft wird die Existenz faschistischer Strömungen überhaupt bestritten. Sie lassen sich aber nicht leugnen in einem Land, in dem ein Nationalist und Nazi-Kollaborateur wie Stephan Bandera nach 1991 höchste Ehren erfuhr. Ein weiteres Beispiel ist die Symbolik der neugeschaffenen Nationalgarde, die sich allzu deutlich am Hakenkreuz orientiert. In der Auseinandersetzung werden zudem Stereotype bedient, die aus Zeiten des Kalten Krieges stammen und diese noch übertreffen – etwa die Gleichsetzung von Putin und Hitler. Auf Facebook und in Blogs beschimpfen Intellektuelle die Aufständischen als «Lumpen», die dem Oberlumpen Putin folgen, und «Kartoffelkäfer» wegen der Symbolik der gelb-schwarzen Bänder. Oppositionelle Ansichten werden in die Nähe psychischer Krankheit gestellt, wohingegen von ukrainischen «gesunden Kräften» die Rede ist und der Ruf «Ruhm der Ukraine» ertönt. 

Diese Sprache und Argumentationsmuster werden auch von Russen verwendet, die den Konflikt benutzen wollen, um die Putinsche Politik in Russland selbst anzugreifen und ihre eigene Schwäche über die Dämonisierung ihres Kontrahenten zu kompensieren. Diese Seite ist nicht besser, wenn sie vom Schutz der Russen in der Ukraine spricht. In Russland selbst sind nationalistische Bewegungen im Aufwind. Mit dem Anschluss der Krim hat Russland einen geostrategischen Schachzug getan, der sich durch die Vorstöße des «Westens» erklären lässt. Gleichzeitig stellt er einen Bruch der Garantien dar, die der Ukraine im Gegenzug zum Verzicht auf Atomwaffen aus sowjetischen Beständen gegeben wurden. Die KrimFrage wäre bei der Auflösung der UdSSR zu diskutieren gewesen. In dieser Atmosphäre überlagern sich historisch nachvollziehbare Faktoren mit archaischen Elementen, gegenseitige Verletzungen, innere und äußere Interessen und Widersprüche zu einem immer schwerer zu entwirrenden Geflecht. Die wiederholten Ankündigungen der Kiewer Regierung, sie werde die Kriegshandlungen bis zur Niederwerfung der Aufständischen führen, vertiefen das Problem nur. Zumal der Stellenwert irregulärer Einheiten, der Nationalgarde und der Milizen gegenüber Armee und Polizei gestiegen zu sein scheint. Dazu kommen Einheiten, die Oligarchen wie Achmetov und Kolomenskij aufgestellt haben sollen, sowie offensichtlich auch Söldner privater Sicherheitsfirmen. Darüber hinaus zieht ein Bürgerkrieg auch Abenteurer an, die keine Beziehung zu den sozi- alen Konflikten haben. Die Berichte über das Einsickern russischer und tschetschenischer Kämpfer auf Seiten der Aufständischen sind völlig plausibel. Allerdings besagen wiederum die meisten Augenzeugenberichte, dass sie keineswegs das Geschehen dominieren. Auch die Liste der Regierungsmitglieder der Donezker Volksrepublik zeigt eher ein buntes Gemisch verschiedener Sozialisierungen statt institutionalisiertem Abenteurertum. Allerdings finden sich darauf keine ArbeiterInnen. Gleichwohl fokussieren Verfassungsentwürfe für Gebiete der Ostukraine auf die «soziale Frage». Welche Macht ihre ProtagonistInnen haben ist freilich unklar. Insofern es in der Debatte um die Überwindung einer sozialen Krise geht, wird die Eile verständlich, mit der Kiew sie durch Gewalt zu beenden sucht. Auf der Internetseite rabkor.ru hat Dimitrij Maschinikov den neuen ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko, der zuvor Minister in mehreren Regierungen war, als Brückenbauer zwischen dem Teil der Oligarchie bezeichnet, die mehr der EU und jenem, der mehr Russland zuneigt. Das ist machtpolitisch rational. Gewinner werden in dieser Konstellation rechte Politprofis sein – nach der Abrechnung, die dem Bürgerkrieg mit einiger Sicherheit folgen wird. Die Eskalation wird aufgrund der nationalistischen Komponenten des Konflikts in einen langanhaltenden Nichtfrieden führen und zugleich alle Seiten demoralisieren. Es gibt aber auch kleine Hoffnungszeichen: Mütter von Soldaten protestierten im Juni vor dem Parlamentsgebäude in Kiew gegen den Krieg, im Donbas soll es eine erste größere Demonstration von ArbeiterInnen für einen Frieden gegeben haben.

aus: RosaLux 2/2014