Nachricht | Nordafrika - Staat / Demokratie - Parteien / Wahlanalysen Eine neue Ära für eine autoritäre Demokratie oder radikale Demokratisierung?

Am 10. August hat die Türkei mit den Präsidentschaftswahlen die zweite Etappe des Wahlmarathons überstanden. Die dritte folgt in 10 Monaten mit den Parlamentswahlen.

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Kadriye Karcı,

Bei den Kommunalwahlen am 30 März 2014 lag die Wahlbeteiligung bei 89%. Ca. 10 % der wahlberechtigten Bürger blieben damals  den Wahlurnen fern, obwohl es in der Türkei Wahlpflicht gibt und bei Nichtstimmabgabe sogar eine Ordnungsstrafe(1) droht.

Am 10. August wurde erstmalig der Präsident der Türkei direkt gewählt. Dennoch blieb die Wahlbeteiligung mit 75% der Wähler unter den Erwartungen. Jeder vierte  Wahlberechtigte – also 25% der Wähler  – haben ihre Stimme nicht abgegeben, darunter viele, die mit der Politik Erdogans nicht einverstanden waren, aber auch die Kandidaten der Opposition nicht als wirkliche Alternative sahen. So trug diese geringe Wahlbeteiligung u.a. auch dazu bei, dass Recep Tayyip Erdogan beim ersten Wahlgang zum künftigen Staatspräsidenten der Türkischen Republik gewählt werden konnte.

Bei seiner Ansprache am Wahlabend kündigte Erdogan an, dass mit seiner Staatspräsidentschaft in der Türkei eine neue Ära beginnen wird: die Ära „für soziale Versöhnung“. Diese Aussage widerspricht jedoch seiner Wahlrhetorik mit der Erdogan als Präsidentschaftskandidat eine permanente Politik der Ausgrenzungspolitik gepredigt und betrieben hat.

Dennoch gaben ihm über 50 % der Wähler ihre Stimme und selbstverständlich ist es ein demokratischer Akt, dass der Staatspräsident eines Landes durch Wahlen – sogar direkt gewählt wird. Wenn man jedoch  diese Wahl im Zusammenhang mit den neuesten historischen Entwicklungen in der Türkei betrachtet, kann festgestellt werden, dass hinter diesem Akt gerade nicht die Sorge der politischen Entscheidungsträger und insbesondere der Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) um mehr Demokratie steht. Es gab außerhalb der Parlamente kaum Diskussionen darüber, dass eine Direktwahl des Staatspräsidenten durch das Volk ein weiterer Schritt für den Demokratisierungsprozess in der Türkei sei.

Die Direktwahl vom 10. August ist vielmehr das Resultat eines Machtkampfes zwischen dem kemalistischen Lager (ein Teil der kemalistischen Republikanischen Volkspartei (CHP), dem Militär und der Justiz) und der AKP im Parlament aus dem Jahr  2007. Damals löste die Kandidatur von Abdullah Gül (AKP) zum Staatspräsidenten eine vermeintlich entmündigende Haltung des angeblich kemalistisch-laizistischen Lagers und des Hohen Verfassungsgerichtes eine innenpolitische Krise aus, die zu Neuwahlen führte und dazu, dass Abdulah Gül erst im dritten Wahlgang durch das neue Parlament zum Staatpräsidenten gewählt wurde.

Diese Krise nutzte die AKP und setzte im gleichen Jahr über eine Volksabstimmung eine Verfassungsänderung durch. Danach sollte der Staatspräsident künftig nicht mehr vom Parlament, sondern direkt vom Volk gewählt werden. Das neue Präsidentenwahlgesetz trat am 26. Januar 2012 in Kraft und wurde somit am 10. August 2014 erstmalig angewandt. Bereits in der  Verfassung aus dem Jahr 1982 – also nach dem Militärputsch 1980 –  wurde  die Absicht des Militärs und deren Anhänger deutlich, der Exekutive und insbesondere dem Staatspräsidenten mehr Befugnisse zu geben. Infolgedessen entstand ein Modell, bei dem der Staatspräsident zwar mehr Befugnisse hat, ohne jedoch dem Parlament gegenüber politische Verantwortung zu tragen. Danach trägt der Staatspräsident keine politische Verantwortung (gemäß Artikel 105 der türkischen Verfassung ist der Staatspräsident in einigen wenigen Fällen allein unterschriftsberechtigt, wie bei der Ernennung von Universitätsrektoren. Bei allen weiteren, den Staatspräsidenten betreffenden Angelegenheiten sind außerdem noch die Unterschriften des Ministerpräsidenten und der jeweils zuständigen Minister erforderlich und diese tragen dementsprechend für die Handlungen der Exekutive die politische Verantwortung. Der Staatspräsident hat die Befugnis, den Ministerpräsident zu ernennen. Darüber hinaus kann er eigentlich nur mit seinem Vetorecht z.B. Gesetze, die Ernennung von hohen Beamten und Regierungserklärungen per Gesetzeskraft verhindern. Allerdings kann sich auch dieser Umstand durchaus problematisch für eine wiederum gewählte Regierung auswirken, indem Entscheidungen des Parlaments blockiert werden und somit sowohl die Rolle des Präsidenten als auch die Rolle des Parlaments verändert wird.  Bei dem jetzt geschaffenen Hybridsystem – einem präsidial-parlamentarischen System besteht die Gefahr, den Ministerpräsidenten wie auch das Parlament zur abhängigen Instanz des Präsidenten zu machen und hierzu die Direktwahlen zur Legitimation seines Handelns zu benutzen. (2)

Wenn dann – wie im Wahlkampf durch Erdogan – die Ausgrenzung konkurrierender politischer Kräfte weiterhin anhält, kann dies in hohem Maße dazu beitragen, dass in diesen Prozessen der Konzentrierung von Macht und Ausgrenzung relevanter politischer Kräfte die Demokratisierung der Türkei, trotz der Direktwahl des Präsidenten, langfristig eher zurückgenommen und die politische Stabilität in der Türkei geschwächt wird. Eine solche Entwicklung würde auch direkt die wirtschaftliche Situation beeinflussen, dessen Wirtschaftswachstum seit mehreren Jahren beinahe nur auf ausländische Investitionen und innere Verschuldung stützt. Unter den Bedingungen politischer Instabilitäten, wäre die Türkei jedoch kein sicheres Land für Investoren.   

Die Verfassungsänderung ist also nicht das Ergebnis eines gesamtgesellschaftlichen Konsensus für mehr demokratische Beteiligung, Rechtsstaatlichkeit, Unabhängigkeit der Gerichte und mehr Rechte und Freiheiten, sondern Ausdruck politischer Machtkämpfe und Kräfteverhältnisse zwischen den verschiedenen Fraktionen der politischen Klasse bei dem Versuch, die zentrale Machtbasis eines formal  über den Parteien stehenden Präsidenten zu stärken und hierzu über Direktwahlen die Legitimationsbasis zu schaffen.  Und auf diese Legitimationsbasis kann sich nun Erdogan stützen. Wobei seine Befugnisse zurzeit noch jene sind, die in der Verfassung von 1982 festgeschrieben wurden.

Ein anderes Problem besteht darin, dass der Staatspräsident mehr Stimmen erhält als die ihn vorschlagende Partei, so dass der Ministerpräsident durch eine andere Partei gestellt wird. Doch dieses Problem gibt es bei diesen Wahlen nicht. Der Staatspräsident, der beim ersten Wahlgang 50% plus eine Stimme der abgegebenen gültigen Stimmen braucht, wird im zweiten Wahlgang mit der Mehrheit der abgegebenen gültigen Stimmen gewählt. Nach den Ergebnissen von 10. August wurde jedoch ein zweiter Wahlgang nicht benötigt. Erdogan hat bei einer 74-prozentigen Wahlbeteiligung 51, 7 % der abgegebenen gültigen Stimmen erhalten. Bei den letzten allgemeinen Wahlen 2011 hatte die AKP bei 84 prozentiger Wahlbeteiligung 49,8% der Stimmen erhalten, d.h. sie war und ist stärkste Partei, die derzeit den Staatspräsident stellt und zugleich regierende Partei ist.

Das Ziel von Erdogan und  seiner AKP ist es, mit diesem ersten Schritt der Direktwahl des Präsidenten ein Präsidial bzw. Semi-Präsidialsystem in der Türkei zu etablieren mit einer Konzentration der politischen Macht beim Präsidenten. Dabei dienen die USA, Russland sowie Frankreich der AKP als Vorbilder also Staaten, die über Wahlen hinaus bisher kaum für die Erweiterung partizipativer Demokratie stehen. Die Wahl des bisherigen Außenministers Ahmet Davutoglu zum Ministerpräsidenten, der im Vergleich zu anderen Kandidaten eher als  schwächerer Kandidat gilt, bestärkt diese Überlegung.

Was aber sind die Alternativen?

Zunächst muss daran erinnert werden, dass die Verfassungsänderungen von 2007 nicht automatisch ein Präsidialsystem in der Türkei zur Folge haben musste. Für einen Übergang zum Präsidialsystem ist eine neue Verfassung bzw. Verfassungsänderung mit der Festlegung von Befugnissen und Verantwortungen eines Staatspräsidenten notwendig. Dafür hatte die AKP-Regierung 2010 bis 2013 eine Initiative für eine neue Verfassung gestartet, in der alle zivilgesellschaftlichen Initiativen dazu aufgerufen waren, ihre Verfassungsvorschläge einzureichen. In der großen Nationalversammlung wurde dafür ein Ausschuss gebildet, in dem alle Parlamentsfraktionen ungeachtet der Zahl ihrer Sitze im Parlament, mit gleicher  Stärke im Ausschuss vertreten sein sollten.  Dieser Ausschuss bzw. diese Initiative wurde vom Parlamentspräsident 2013 als gescheitert erklärt, weil die Fraktionen, insbesondere Ausschussmitglieder von der republikanischen Volkspartei (CHP) und der Partei der nationalistischen Bewegung (MHP) nicht bereit waren, über einige Punkte einer Konsenslösung zuzustimmen. Zu diesen gehörten beispielsweise die Festlegung der Landessprache und die Definition der Nation und Staatsbürgerschaft. Damit wurde die Chance verpasst, der Türkei eine demokratische, gleichberechtigte, rechtsstaatliche Verfassung zu geben, zu der einerseits auch bürgerliche Rechte und Freiheiten gehörten und andererseits die Einschränkung der Rechte und Befugnisse des Militärs.

Die Gründe für dieses Scheitern liegen also auch bei CHP und die MHP, für die  - teilweise auch im gemeinsamen Handeln in dem Ausschuss,  - die Kriterien eines Rechtsstaates, die Freiheiten und Rechte jeder/jeder Bürger/innen offenbar nicht wichtig genug waren, um diese zu verteidigen. Beide Parteien haben nur das kurzfristige Ziel verfolgt, die AKP- Regierung irgendwie zu schwächen.  Diese perspektivlose Positionierung hat auch verhindert, dass die Vorschläge für eine partizipative demokratische Verfassung der zivilgesellschaftlichen Initiativen und die Bildung eines Präsidialsystems  in der Türkei weder im Parlament noch in der Öffentlichkeit genügend diskutiert werden konnten. Spätestens seit dieser Entwicklung schleudert die angeblich sozialdemokratische Partei CHP immer mehr ins rechte Lager.

Weder in der Gesellschaft noch  auf intellektueller Ebene fanden partizipative und breit angelegte Diskussionen über die Auswirkungen der Verfassungsänderungen statt. Es gab keine gesellschaftlich relevanten Diskussionen über individuelle Rechte und Freiheiten, die Struktur des Staates, Inhalt, Verwaltung und das Verhältnis  von Legislative, Exekutive und Judikative -   die Unabhängigkeit der Justiz, und über die Rolle der Justiz als Werkzeug bürokratischer Entmündigung oder, Diskussion darüber, wie die regionale und kommunale Selbstverwaltung  geregelt werden soll etc.. Solange es jedoch zu diesen zentralen Fragen keine  gesellschaftlich tragfähigen Mehrheitsverhältnisse gibt, in der sich die politische Pluralität wiederfindet oder gar ein Konsensus oder eben ein gesellschaftliches Gegengewicht entsteht, wird kein neuer Verfassungsprozess möglich sein. 

Bei der Wahl am 10. August hat die CHP wieder das gleiche politische Anti-AKP Konzept verfolgt, wie es seit Jahren erfolglos propagiert wird, ohne eine kritische demokratische Alternative zu entwickeln.  DIE CHP stagniert auf ihren bisherigen Positionen und stützt sich wie bisher auf eine pragmatische, konservative und nationalistische Politik.

Mit dem jetzigen Hybrid-Modell ist eine doppelköpfige Exekutive in der Türkei entstanden.  Die Türkei wird jetzt eine Exekutive mit einem gewählten Staatspräsidenten, der Befugnisse ohne Verantwortung hat, und  einem gewählten doch relativ schwachen Ministerpräsidenten Davutoglu mit Befugnissen und Verantwortung. In der jetzigen konkreten Situation wird Erdogan also versuchen, mit der Ernennung von Regierungsvertretern ein Team um sich schaffen,  dass ihm gestattet de facto die AKP wie auch die Regierung gleichzeitig zu leiten. Ob diese Haltung Erdogans von der Partei und der Gesellschaft jedoch mitgetragen wird, wird sich in den kommenden Tagen zeigen. Die AKP braucht für den Systemwechsel zum Präsidialsystem eine verfassungsändernde Mehrheit in der Nationalversammlung. Allein hat sie diese Mehrheit nicht. Sie braucht dafür Bündnisse.  So stellt sich die Frage, mit wem sie ein solches Bündnis bilden kann? Hier kommt der HDP eine Schlüsselrolle zu.

Am 10. August lag die demokratische Partei der Völker (HDP) mit ihrem Kandidat Selahattin Demirtas bei fast zehn Prozent und hat somit gezeigt, dass sie für jene eine politische Alternative darstellt, die den Demokratisierungsprozess der Türkei vorantreiben möchten. Selahattin Demirtas hat bei seinem Wahlkampf immer wieder betont, dass der Friedensprozess vorangetrieben werden sollte und dass die Türkei hierzu eine radikale Demokratisierung braucht. Sein Wahlkampf war dadurch gekennzeichnet, dass er die Probleme der Türkei klar und deutlich benannte, Lösungen anbot und Perspektiven aufzeigte. Mit einem Aufruf „Für ein neues Leben in der Türkei“ hat Demirtas alle Unterdrückten, Diskriminierten, Armen und Benachteiligten aufgerufen, den Demokratisierungsprozess der Türkei gemeinsam zu bewältigen. In dem Aufruf  heißt es, dass der Demokratisierungsprozess und die friedlich demokratische  Lösung der Kurdenfrage in der Türkei gleichzeitig passieren werden. Dazu müssten mehr demokratische Selbstverwaltungsstrukturen und auch eine demokratische Verfassung beschlossen und umgesetzt werden.   Alle diese Forderungen hat Demirtas nicht polarisierend formuliert, sondern in einer, verschiedene Strömungen integrierende Sprache. Vor allem diese brachte ihm hohes Ansehen und Anerkennung bei den unterschiedlichen Bevölkerungsschichten. Mit einem solchen offenen und einladenden Ansatz und einer Politik der Demokratisierung der Gesellschaft kann die HDP in der Lage sein, sowohl im Parlament als auch außerhalb des Parlaments die demokratischen und oppositionellen Kräfte zu einigen.

Während des Wahlkampfs hat Erdogan, wie in dem Bericht der Beobachtergruppe der OSZE festgestellt wurde, alle ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeiten genutzt als Ministerpräsident die Medien zu dominieren. Diese Möglichkeiten hatten die beiden anderen Kandidaten nicht. Man kann deshalb nicht von einem Wahlkampf sprechen, bei dem alle Kandidaten real die gleichen Möglichkeiten hatten, auch wenn sie in ihren Wahlkämpfen außer türkisch auch andere Sprachen nutzen konnten, wie der OSZE-Bericht positiv hervor hob wie auch die Möglichkeit der im Ausland lebenden türkischen StaatsbürgerInnen in jeweiligen Ländern ihre Wahlstimme abzugeben(3). Diese Entwicklung wurde auch unter den linken Organisationen grundsätzlich positiv bewertet.  Der Anteil der Stimmen im Ausland für Erdogan lag allerdings über 62 Prozent.

Allerdings war die Möglichkeit zur Stimmenabgabe im Ausland zum Teil mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden.  Wer wählen wollte, wurde mit einem Terminverfahren konfrontiert, das eine Stimmabgabe eher erschwerte. Vor allem auch dieser Umstand trug dazu bei, dass die  Beteiligung an den Wahlen in Ausland noch nicht Mal bei 10 % lag.

Nach der Bekanntgabe der offiziellen Wahlergebnisse des hohen Wahlamts hat  Ministerpräsident Erdogan  51.79 Prozent (21.260.000 Stimmen); der HDP Kandidat Selahattin Demirtas  9.76 Prozent (3.958.510 Stimmen); der Kandidat der CHP-MHP Ekmeleddin İhsanoğlu  38.44 Prozent (15.587.132 Stimmen) erhalten(4). Entsprechend diesem Ergebnis haben 15 von 55 Millionen Stimmberechtigten ihre Stimme nicht abgegeben. Knapp 800. 000 Stimmen waren ungültig. Dieses  Ergebnis kann nicht nur damit erklärt werden, dass die Wahl in der Urlaubszeit, den Schulferien und der Erntezeit stattgefunden hat. Dies ist auch Ausdruck von Unzufriedenheit mit der politischen Situation im Land, die auch die Opposition einschließt.

Als HDP-Kandidat hat Selahattin Demirtas insbesondere in Istanbul, Ankara und Izmir einen hohen Anteil der Stimmen von den CHP Flügel „ freiheitliche Linke“ geholt. In den CHP Hochburgen z.B. Tunceli und Kahramanmaras konnte die CHP jedoch die eigene Wählerschaft nicht mobilisieren. Offenbar war der Kandidat von der CHP-MHP selbst für die eigene Wählerschaft nicht überzeugend. Anders bei Demirtaş – dem Kandidaten der HDP, der die Zahl seiner Wähler nicht nur prozentual,  sondern auch quantitativ erhöhen konnte. Er hat  eine Millionen Stimmen dazugewonnen. Dieser Stimmgewinn hat sicher auch damit zu tun, dass er während seines Wahlkampfes eine Sprache angewendet hatte, mit denen er viele Menschen unterschiedlicher Milieus,  politischer, sozialer, kultureller oder religiöser Herkunft erreichte(5).

Als Fazit kann gesagt werden:

  • Das Ergebnis der AKP am 10. August bestätigte das Ergebnis der Kommunalwahlen am 30 .März 2014.
  • Die ca. 24 prozentige Zahl der Nichtwähler, darunter auch Kritiker und mit der AKP-Politik Unzufriedene und die im Vergleich zu Erdogan schwachen Kandidaten der Opposition haben dazu beigetragen, dass Erdogan beim ersten Wahlgang gewählt werden konnte,  wobei die Wahlenthaltung keine politische Aktion gegen die Wahl war.
  • Die AKP hat auch trotz erheblicher Stimmenverluste nicht die Unterstützung der breiteren gesellschaftlichen Unterstützung verloren. Immerhin hat die AKP 35 % StammwählerInnen.
  • Dieses Ergebnis bietet Erdogan und der AKP bisher nicht mehr Macht an als sie davor hatten. Denn bis zu den Parlamentswahlen im Juni 2015 hat Erdogan bzw. die AKP keine Möglichkeit, die Verfassung zu ändern, um das Präsidialsystem weiter zu entwickeln. Derzeit besitzt dafür die AKP nicht die notwendige Mehrheit im  Parlament.
  • Eine Verfassungsänderung hängt maßgeblich auch davon ab, ob die oppositionellen Kräfte, in erster Linie die HDP eine aktivere Rolle übernehmen kann als bisher; dies kann nur dann gelingen, wenn die oppositionellen Kräfte die Forderungen nach einer sozial-gerechten, demokratischen Gesellschaft stärken, die Interessen der Werktätigen, Armen, Unterdrückten und Diskriminierten im Parlament vertreten.
  • Dabei sollte nicht vergessen werden, dass außer denen, die für die HDP und die CHP ihre  Stimmen abgegeben haben, unter den 15 Millionen Nichtwählern auch jene zu finden sind, die mit der heutigen politischen Situation nicht zufrieden sind. Ob diese jedoch ihre Stimme künftig der Opposition geben, ist eine offene Frage. Hier tragen die Oppositionsparteien vor allem die Verantwortung, wählbare Alternativen zu entwickeln.
  • Es ist kein Erfolg der AKP 35 Prozent der Stimmen mit Hilfe der ihr nachstehenden bzw. ihr unterstehenden Medien zu holen und gleichzeitig andersdenkende Medien zu blockieren. Das ist der AKP bewusst.
  • Auf der anderen Seite kann das Ergebnis als politischer Erfolg bezeichnet werden, weil die Opposition in sich gespalten ist, somit keine homogene Gegenkraft darstellt. Die Erfolge der AKP sind letztendlich auch nur durch die fehlerhafte Oppositionspolitik der CHP möglich. Deshalb trägt sie für den Erfolg der AKP die Verantwortung.

Es ist also offen, ob  wirklich eine neue Ära in der Türkei beginnen wird? Die Beantwortung dieser Frage wird maßgeblich von der Rolle der HDP abhängen.

Kadriye Karci, Leiterin des Auslandsbüros in der Türkei (das Büro befindet sich in Aufbau)



(1)   http://www.radikal.com.tr/teknoloji/oy_kullanmama_cezasi_ne_kadar_2014_turkiye_cumhurbaskanligi_secimi-1205979

(2)   (http://www.ysk.gov.tr/ysk/docs/2011MilletvekiliSecimi/gumrukdahil/gumrukdahil.pdf); (http://www.milliyet.com.tr/tatilciler-boykotcular-kuskunler-gundem-1924319/)

(3)   (http://bianet.org/bianet/toplum/157758-agit-erdogan-makamini-kullandi-medya-tarafliydi).

(4)   http://www.radikal.com.tr/turkiye/ysk_resmi_sonuclari_acikladi-1206260

(5)   http://www.evrensel.net/haber/88334/selahattin-demirtas-secim-belgesini-acikladi.html