Nachricht | Geschichte - Jugendbildung Studienexkursionen zu historisch-politischer Jugendbildung

Beförderung neuer, gemeinsamer Bildungsprojekte mit interessierten Schulen.

Information

Seit einer Reihe von Jahren bietet die Akademie für politische Bildung/Historisch-biografisches Lernen Weiterbildungen für Lehrer_innen/Multiplikator_innen historisch-politischer Jugendbildung zu aktuellen Fragen von Erinnerungskultur und-politik, zur Gedenkstättenarbeit sowie zu innovativen Wegen und Methoden bei dieser Problematik für die Vermittlung am Lernort Schule an.

Dazu fanden Studienexkursionen in Polen, Tschechien, Deutschland und Österreich statt; KZ-Gedenkstätten, die sehr selten oder gar nicht besucht werden, hatten ebenso unsere Aufmerksamkeit wie der Austausch mit Kolleg_innen in unseren Nachbarländern.

Im besonders geschichtsträchtigen Jahr 2015 haben wir das beliebte Bildungsformat «Studienexkursion» inhaltlich und strukturell erweitert.

Mit «Berlin und Wien. Befreit, besetzt, geteilt, vereint. Ein Projekt mit Angeboten für den Lernort Schule» (4.-11.10.2015) im 70. Jahr nach der Befreiung vom Faschismus, im 60. Jahr nach dem österreichischen Staatsvertrag, im 25. Jahr nach der deutschen Einheit haben wir uns neben der Auseinandersetzung mit der NS-Zeit auch intensiv mit Fragen der deutsch-deutschen und österreichischen Nachkriegsgeschichte bis in die Gegenwart hinein auseinandergesetzt (hier ein ausführlicher Reisebericht).

Ganz bewusst fand eine enge Zusammenarbeit zwischen Akademie für politische Bildung/Historisch-biografisches Lernen und Institut für Gesellschaftsanalyse/Kulturforum statt. Die angebotenen Formate vom 4.-6.10.2015 in Berlin waren für einen breiten, historisch interessierten Teilnehmer_innenkreis konzipiert:

  • Tagesexkursion zur Erinnerungsstätte Notaufnahmelager Marienfelde, Besuch der Gedenkstätte Berliner Mauer, Dokumentarfilm über  und Zeitzeugengespräche mit Klaus Schulz-Ladegast am 4.Oktober, verbunden mit dem Angebot zu weiteren Zeitzeugengesprächen für interessierte Schulen;
  • «Mit der Schulklasse oder den Seminarteilnehmer_innen eine GPS-basierte transmediale Stadttour selbst erstellen? Die Touren-App Urban Playground bietet zahlreiche Möglichkeiten für die Bildungsarbeit», vorgestellt von Alexandre Froidevaux im Rahmen einer Abendveranstaltung des GK «Geschichte für die Zukunft» am 5. Oktober sowie zwei  inzwischen durchgeführten Stadtführungen, speziell zum Thema «DDR-Jugendopposition in den 1980er Jahren in Berlin Friedrichshain»;
  • Ausstellung «Der Tag der Befreiung vom Faschismus im Spiegel von DDR-Plakaten», eröffnet vom Kurator der Ausstellung, Tobias Bank, am 6. Oktober;
  • Szenische Lesung «Das rote Fahrrad» über das Leben von Eva Zsolt, die «ungarische Anne Frank», nach einem Drehbuch von Stefanie Kaluza (Theaterpädagogin), mit Schüler_innen der Wilhelm-von-Siemens-Oberschule in Berlin Marzahn am 6. Oktober;

  • Vorführung des Dokumentarfilms «Erschlagt mich, ich verrate nichts!» über Käthe Sasso (Widerstandskämpferin aus Wien, Überlebende von Ravensbrück, Schirmherrin Nationaler Gedenkstätten/Denkzeichen für die ermordeten Widerstandskämpfer_innen Österreichs, Zeitzeug_innenauftritte in Schulen Berlins, Brandenburgs und Sachsen-Anhalts während eines Lesereiseprojekts mit der RLS im Februar 2012) und anschließende Lesung mit Käthe Sassos Biografin, Evelyn Steinthaler (Wien), aus ihrem jüngsten Buch «Wien 1945».

Vom 7.-11.10.2015 begab sich dann eine Gruppe von zwei Dutzend Lehrer_innen/ Multiplikator_innen historisch-politischer Jugendbildung auf Studienexkursion nach Wien, Erlauf und Linz. Von Bestand blieben die bereits traditionellen Zielstellungen unserer Studienexkursionen:

  • Erinnerungskultur im internationalen Vergleich an Orten, die in der historisch-politischen Bildung sonst wenig Beachtung finden, zu fokussieren,
  • Eine Vernetzungsfunktion zwischen den Teilnehmer_innen zu befördern,
  • Die Entwicklung weiterer, gemeinsamer Projekte zwischen RLS und Schulen auf den Weg zu bringen.

Begleitet von Evelyn Steinthaler erhielten die Teilnehmer_innen schon bei der Einfahrt ins Wiener Zentrum eine erste historische Stadtführung über die neue, alte Reichsbrücke.

Teilnehmer_innen waren sowohl der erfahrene Studienrat als auch Neulinge in der historisch-politischen Jugendbildung, die erst kürzlich das Abitur abgelegt haben, in gemeinnützigen Vereinen selbst erste praktische Erfahrungen in der historisch-politischen Jugendbildung sammeln oder inzwischen ein Studium der Geschichte aufgenommen haben und Preisträger beim bundesweiten Jugendwettbewerb «Zivilcourage vereint» waren oder gerne werden wollen.

Der Zeitzeuge, Prof. Rudolf Gelbard (Jg. 1930) war in Wien unser erster Gesprächspartner. Er gehört zu den wenigen etwa 200 von 15 000 Kindern und Jugendlichen, die Theresienstadt überlebt haben. Unmittelbar nach der Befreiung zog es Rudolf Gelbard zurück in seine Geburtsstadt Wien, wo er zum antifaschistischen Aktivisten der ersten Stunde nach der Befreiung vom Faschismus wurde. Anlässlich seines 85. Geburtstages, am 4.12.2015, wurde Rudolf Gelbard durch die österreichische Bundesregierung hoch geehrt; und: Für die Teilnehmer_innen der Studienfahrt war es im Oktober 2015 eine große Ehre, Rudolf Gelbard zum Gesprächspartner zu haben. Einigkeit herrschte schnell darüber, ihn 2016 für Zeitzeugengespräche an Berliner und Brandenburger Schulen zu gewinnen.

Ein Besuch in der Friedensgemeinde Erlauf (Niederösterreich) – dem «österreichischen Torgau» – dem Studium einer Ausstellung «Befreit und besetzt. Oberösterreich 1945 – 1955» und dem Erfahrungsaustausch mit österreichischen Kolleg_innen, sozialdemokratischen Freiheitskämpfer_innen Oberösterreichs und dem Gewerkschaftsjugendsekretär von Linz boten sich eine Reihe von Möglichkeiten, bereits bestehende Kontakte zu vertiefen, neue herzustellen und Chancen für gemeinsame, künftige Projekte auszuloten. Anknüpfen konnten wir hier an die Ergebnisse der Studienexkursion von Mai/Juni 2014 in Berlin, Wien, Nieder- und Oberösterreich sowie Bayern/Flossenbürg  «zu aktuellen Fragen von Erinnerungskultur und –politik». So entwickelte sich z.B., initiiert von Lehrer_innen, eine enge Kooperation zwischen Schüler_innen der IGS Roderbruch Hannover, oberösterreichischen Schüler_innen und dem Museum Arbeitswelt Steyr. Ergebnisse werden während des Gemeinschaftsprojekts von RLS, RLS Brandenburg und Deutschem Mauthausen Komitee Ost e.V. am 13.2.2016 in der URANIA Potsdam vorgestellt.

Während der Studienfahrt vom 7.-11.10.2015 und des Aufenthalts in Wien haben wir neben dem Zeitzeugengespräch mit Prof. Gelbard die auch für den Schulgebrauch vorteilhaften Formate genutzt, wie:

  • thematische Filme und Dokumentarfilme als «rollende VHS» während langer Fahrtstrecken;
  • historische Stadtführungen;
  • Besuch der «Wiener Unterwelt» (eingedenk der Beliebtheit der «Berliner Unterwelten» während früherer Weiterbildungsprojekte;
  • eine Buchlesung;
  • Besichtigung neuer, im Stadtraum geschaffener Denkzeichen.

Den Erfahrungen, Vorschlägen und Kritikpunkten von 2014 folgend, wurde während der Studienexkursion 2015 ein Selbststudientag eingeführt. Mit einem zweiten, ergänzenden Handoutteil erhielten die Teilnehmer_innen dafür zahlreiche Vorschläge und Anregungen zu unterschiedlichen Themen. Gearbeitet wurde einzeln und/oder in Kleingruppen. Die abschließende Feedbackrunde war entsprechend lebhaft, inhaltsreich und enthielt interessante Vorschläge für die Fortführung unserer Diskussionen in Berlin. So wollen wir uns im Frühjahr dieses Jahres z.B. im GK «Geschichte für die Zukunft» dem Vergleich der Stolpersteinbewegung in Deutschland und Österreich widmen.

Bewusst aufgenommen in das Programm der Studienexkursion wurde die Vorstellung des jährlichen bundesweiten Wettbewerbs «Zivilcourage vereint» durch Anika Taschke und Tobias Bank.

Ein Reisetagebuch, erstellt von Martin Michalik (Geschichtslehrer an der Spree ~ OS Fürstenwalde, 2. Vorsitzender des DMKO und Enkel des ehemaligen Mauthausenhäftlings, Roman Rubinstein) bietet weitere Einblicke in das Programm der Studienexkursion vom 7.-11.10.2015.