Nachricht | Geschichte - Parteien- / Bewegungsgeschichte In Ost und West zu Unrecht vergessen: Werner Scholem

Eine Ausstellung und zwei Biografien erinnern an den Kommunisten und Hitlergegner Scholem (29. Dezember 1895 – 17. Juli 1940)

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Mitte der zwanziger Jahre war Werner Scholem einer der bekanntesten Führer der KPD. Doch dann geriet er mit der Partei in Konflikt und wurde ausgeschlossen. Nach Hitlers Sieg verhaftet, wurde er im KZ ermordet. Nach 1945 war er in beiden deutschen Staaten ein Unbekannter, allenfalls brachte man ihn mit seinem Bruder Gerschom, dem bedeutenden jüdischen Religionshistoriker, in Verbindung. Das hatte damit zu tun, dass Werner als lebenslanger Kommunist und zugleich Antistalinist weder im Westen noch im Osten ins Bild passte. Erst nach der Wende wurde er in der DDR mit einem Artikel im Neuen Deutschland vom 14. Juli 1990 rehabilitiert. Nachdem sein Name zuletzt auch noch in romanhafter Weise mit einer angeblichen Spionageaffäre zugunsten der Sowjetunion in Verbindung gebracht wurde, ist es erfreulich, dass nun auch noch zeitgleich zwei faktengestützte Biographien erschienen sind.

Im ausgehenden Kaiserreich wuchs er in einer gutsituierten jüdischen Familie auf. Sie war assimiliert und überidentifizierte sich gleichsam trotz des vorhandenen Antisemitismus mit Deutschland. Dagegen rebellierten der 1895 geborene Werner und sein jüngerer Bruder. Als Alternative erschien der Zionismus, das Beharren auf einer jüdischen Identität und einer neuen Existenz in Palästina. Während der Jüngere diesen Weg fortsetzte, seinen Vornamen hebräisierte und ein bedeutender Gelehrter wurde, wandte sich Werner dem Hier und Jetzt zu. Seit 1912 in der sozialdemokratischen Jugendbewegung aktiv, führte ihn dies zwei Jahre später in die Anti-Kriegsopposition. Seine Erfahrung in den Schützengräben, unterbrochen durch ein Jahr Gefängnis aufgrund seiner politischen Aktivitäten, verstärkte seine Einstellung.

Zunächst Mitglied der USPD, gehörte er zu den Wortführern der Vereinigung mit der KPD im Jahre 1920. Schnell machte er sich einen Namen, als Redner in der Öffentlichkeit wie vor allem im Parlament und wurde umgehend zur Zielscheibe heftiger Angriffe, die oft genug bis weit in die bürgerliche Mitte eindeutig antisemitisch waren. Gegen deren Plumpheit setzte er sich mit Schlagfertigkeit und intellektueller Überlegenheit zur Wehr. Das alles machte ihn für die rechte Presse zum Inbegriff des "jüdischen bolschewistischen Hetzers". Ohne sich verleugnen zu wollen, bestand er aber immer darauf, dass er Internationalist war. Seine jüdische Herkunft war eben das – seine Abstammung, die er nun in einer neuen internationalistischen Identität aufgehoben hatte.

Doch vor allem verband sich sein Name mit der politischen Position des linken Flügels in der Partei, der nach den revolutionären Nachkriegskämpfen einer jeglichen Einheitsfrontpolitik kritisch gegenüberstand. Anfang 1924 übernahm dieser Flügel die Partei. Die Mitgliedschaft hatte sich aus Enttäuschung über das Ausbleiben eines "deutschen Oktobers" in der Inflationskrise im Jahr zuvor radikalisiert. Scholem gehörte jetzt zum Politbüro und leitete den Parteiapparat, den er unter dem Schlagwort "Bolschewisierung" drastisch umbaute. Erfahrene Parteikader wurden systematisch abgelöst, eine Isolierung drohte. In Moskau war man über die Rückschläge der stärksten KP außerhalb der UdSSR besorgt und sorgte für einen Kurswechsel. Werner Scholem, der sich dabei besonders widerspenstig zeigte, wurde zum Hauptschuldigen erklärt und abgesetzt.

Diese Krise fiel zusammen mit dem innerparteilichen Machtkampf nach dem Tode Lenins, der zum Kampf Stalins um die Macht wurde, wobei zuerst Trotzki, dann der Vorsitzende der Kommunistischen Internationale, Sinowjew, ausgeschaltet wurde. Scholem erklärte sich nun für die Opposition, was zum Parteiausschluss führte. Doch die Bemühungen um eine Organisierung der "Linken Kommunisten" führten schnell zu weiteren Zersplitterungen. Neben der KPD war der politische Raum zu eng. Scholem war nun nicht länger Berufsrevolutionär. Er nahm sein Jurastudium wieder auf. Im Jahre 1933 hätte er als Rechtsanwalt anfangen können. Doch nach der faschistischen Machtübernahme wurde er verhaftet. Zwar konnte selbst ein Nazi-Gericht den Nachweis für seine angeblichen Hochverratsaktivitäten nicht führen, doch war er aufgrund seiner früheren Aktivitäten zu bekannt, als dass man ihn laufen ließ. Sein Leidensweg führte ihn schließlich nach Buchenwald, wo er 1940 umgebracht wurde.

Beide Biographien zeichnen diesen Lebensweg fundiert nach. Sie unterschieden sich aber nicht nur im Umfang. Ralf Hoffrogges Arbeit ist die bei weitem ausführlichere. Doch auch der Blickwinkel ist anders. Während Mirjam Zadoff als Judaistin Werner Scholem vor allem in der Wechselbeziehung zu seinem Bruder sieht und auch nicht unbedingt eine Kennerin der Kommunismusgeschichte ist, hat sich Ralf Hoffrogge dem Schicksal seines Protagonisten von seiner politischen Rolle genähert, auch wenn er durchaus die Gesamtheit seiner persönlichen Prägungen und Einflüsse im Blick hat. Dies bezieht sich nicht zuletzt auf die Familiengeschichte, die Beziehung zu seiner Frau Emmy, selbst Mitglied der KPD, und seinen Töchtern. Ihnen gelang es durch die Flucht, der Verfolgung zu entkommen. Bei Hoffrogge werden auch die komplizierten Verwicklungen der KPD-Politik in den zwanziger Jahren deutlich. Bei aller Sympathie für seinen Protagonisten lässt er deutlich werden, welche katastrophale Auswirkung die ultralinke Wende der KPD 1924 hatte. Schade ist, dass er einen Aspekt nicht weiter aufgeklärt hat. Scholem bekannte sich seit seinem Ausschluss aus der Partei zu Trotzki, was ihm im KZ mit manchen KPD-Mitgefangenen Probleme bereiten sollte. Auch wenn er aus persönlichen Gründen keine organisierte politische Arbeit mehr verfolgte, unterhielt er Kontakt zu ihm in dessen Exil ab 1929 über Mittelspersonen, wie der französische Historiker Pierre Broué herausgefunden hat. Auf jeden Fall kann man feststellen, dass nun Werner Scholem seinen Platz in der Geschichtssschreibung der Weimarer Arbeiterbewegung gefunden hat und damit auch eine Reihe von Mythen über angebliche Spionageaktivitäten ihr Ende finden.

 

 

 

 

Ralf Hoffrogge, Werner Scholem. Eine politische Biographie (1895 – 1940), UVK, Konstanz 2014, 495 S., 24,99 €

Mirjam Zadoff, Der rote Hiob. Das Leben des Werner Scholem, Hanser, München 2014, 383 S., 24,90 €

 

Eine gekürzte Fassung dieser Rezension erschien in der Allerheiligen-Ausgabe des ND am 1. November 2014.

Die Ausstellung zu Werner Scholem läuft noch bis 14. November. Dann findet auch die mit einer Buchvorstellung (mehr) verbundene Finissage statt.