Nachricht | Geschichte - Deutsche / Europäische Geschichte - Afrika - International / Transnational «Deutsche Geschichte in Südafrika»

In vier Veranstaltungen diskutierten in Johannesburg knapp 300 Menschen mit einem der renommiertesten deutschen Historiker zu Fragen der jüngsten deutschen Geschichte.

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Im Rahmen der Veranstaltungsreihe «Reflections on 100 Years of War, Genocide and Mass Violence» hatte die Rosa-Luxemburg-Stiftung Johannesburg Professor Ulrich Herbert von der Universität Freiburg im Breisgau eingeladen. In vier Veranstaltungen diskutierten knapp 300 Menschen mit einem der renommiertesten deutschen Historiker zu Fragen der jüngsten deutschen Geschichte.

In Johannesburg am Goethe-Institut (16.11.) und in Kapstadt am dortigen Holocaust Centre (19.11.) sprach Herr Herbert anlässlich der «Reichskristallnacht» vor 76 Jahren. In seinen Vorträgen setzte er sich dem anfänglichen Zuspruch der Menschen zum nationalsozialistischen Regime auseinander. Auch erläuterte er das rassistische Gleichheitsversprechen der Nationalsozialisten und deren Idee der Volksgemeinschaft. Dabei stellte Herbert die diesem Versprechen innewohnenden Mechanismen des Ausschlusses der Juden und anderer, den Völkskörper belastenden Bevölkerungsgruppen, dar. Vor allem verwies Herbert auf die nach der Machtergreifung 1933 früh beginnende Tötung von Menschen mit Behinderungen durch die Nazis.

Ein weiterer zentraler Punkt in seinen Vorträgen in Johannesburg und Kapstadt bildete die Frage nach der Stabilität des Naziregimes und die Art der Beteiligung der Deutschen am Massenmord an Millionen von Juden in Europa. Neben den Beweggründen der ideologisierten Täter rückte Professor Herbert in seinen Vorträgen vor allem die Mittäterschaft jener Deutschen in den Mittelpunkt, die sich nicht als Nazis sahen. Anhand der Person von Franz Josef Schönigh, dem Mitbegründer der Süddeutschen Zeitung, erläuterte Herbert entscheidende Motive für die Mittäterschaft Tausender Deutscher am Holocaust. Das eigene Überleben wird angesichts der Brutalität des Naziregimes und des Krieges zum alles bestimmenden Faktor. Das Schicksal der Juden hingegen erschien so vorgezeichnet, ihre Verlorenheit als Gruppe so eindeutig, dass sich ein auflehnen gegen die Massenmorde offenbar als vollkommen unsinnig darstellte.

Den Krieg als radikalisierende Kraft, als notwendige Bedingung für den Massenmord macht Herbert damit ebenso verständlich, wie das schnelle Vergessen bzw. Verdrängen der Schuld vieler Deutscher nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges.

Nach den Vorträgen entwickelten sich lebendige Diskussionen mit den Zuhörern am Goethe-Institut in Johannesburg und am Holocaust Centre in Kapstadt. Einige der Gäste zählten zu den Überlebenden des Holocaust, die nach Südafrika emigriert waren.

Die Veranstaltung mit dem Titel «World War or Socialism? Socialist Political Thinking before the First World War» setzte sich am 17.11. mit der Rolle der Sozialdemokraten und Sozialisten in Europa vor dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges auseinander. Das damalige Scheitern der internationalen Solidarität der organisierten Arbeiterschaft stand im Mittelpunkt des Vortrages von Professor Herbert und der sich anschließenden Diskussion. Holger Politt (RLS Warschau) warf dabei einen besonderen Blick auf die Rolle von Rosa Luxemburg.

Die Vorlesung an der Witwatersrand Universität in Johannesburg am 18.11. trug den Titel «Land of Extremes: Germany in the 20th century.» Professor Herbert trug die Eckpunkte seines jüngst erschienenen und vielbeachteten Werkes zur Deutschen Geschichte vor . Die Diskussion bestimmte vor allem die Frage nach der Zukunft der deutschen Demokratie und den Herausforderungen denen sie gegenübersteht. Herbert verwies vor allem auf die Gefährdungen des europäischen Projekts. Dazu gehören für ihn das mögliche Ausscheiden Großbritanniens aus der EU, die Gefahr einer politischen Radikalisierung im wichtigsten Partnerland Frankreich sowie die großen Risiken, die aus dem entfesselten Kapitalismus hervorgehen können, wie die Wirtschaftskrise 2009 gezeigt habe. Doch Deutschland, so Herbert, sei heute keineswegs mehr das Land der Extreme, das Land des „Sonderweges“. Deutschland teile vielmehr als stabile Demokratie in Europa viele Probleme mit den anderen Ländern der Europäischen Union und darüber hinaus.

Programm der Veranstaltungsreihe