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Regionales Treffen der «Neuen Linken» in Südosteuropa in Baška (Kroatien)

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Vier Tage und Nächte voller Diskussionen. Die knapp hundert TeilnehmerInnen des Beratungstreffens «Building the Left in Southeast Europe» nutzten die Gelegenheit zum Meinungsaustausch und um sich besser kennenzulernen. Während der Konsultationen im pittoresken Küstenort Baška (Kroatien) wurde deutlich, dass sich auf dem Balkan eine «Neue Linke» konstituiert. Trotz vieler Widerstände und Probleme entwickelt sich in Mitten der seit sechs Jahren andauernden Wirtschaftskrise in der Region ein neuer politischer Akteur. Das gemeinsame Ziel der meist jungen TeilnehmerInnen aus allen Ländern der Region: Die Etablierung eines neuen «sozialistischen Projektes» in der Transitionsgesellschaft.

In der ersten Plenardiskussion unter dem Titel «Mapping Left organizational forms, scopes of action, tactics and strategies” erfolgte eine Bestandsaufnahme der Entwicklung der «Neuen Linken» in den vergangenen Jahren. Ausgehend von den Studierendenprotesten seit 2006 entwickelt sich eine neue politische Strömung. Die Studierendenproteste waren die erste soziale Bewegung nach dem Ende der Kriege im ehemaligen Jugoslawien, die einen sozialen Inhalt in den Vordergrund rückten. Unter dem Motto «Bildung ist keine Ware» richteten sie sich gegen die Kommerzialisierung und Kommodifizierung des Universitätssystems und flammt an unterschiedlichen Orten immer wieder auf, zuletzt in Albanien, Kosovo und Mazedonien. Mit dieser antikapitalistischen Perspektive eröffnen sie eine grundsätzliche Kritik am neoliberalen Transitionsmodell, das von den herrschenden Eliten und internationalen Akteuren wie der EU und dem IWF als alternativlos bezeichnet wird.

Ausgehend von den Protesten an den Universitäten entwickeln sich in den vergangenen Jahren zahlreiche Initiativen, Nichtregierungsorganisationen und Medien, die auf unterschiedlichen Feldern zu ganz unterschiedlichen Themen aktiv sind. Die Strömung der «Neuen Linken» ist ein neues politisches Subjekt, das sich in verschiedenen Ländern der Region mehr oder weniger stark verankern konnte. Mit einem Wahlergebnis von sechs Prozent konnte die Initiative für Demokratischen Sozialismus (IDS) im Juli vergangenen Jahres im Verbund mit der Listenkoalition Vereinigten Linken sogar den Sprung in das Parlament schaffen. Auch Solidarnost in Mazedonien kann sich in den vergangenen Monaten als ein politischer Akteur profilieren, der zunehmend von der breiten Öffentlichkeit wahrgenommen wird. In Serbien ist mit dem Levi Samit Srbije (LSS) eine Koalition aus aktivistischen Gruppen, der Grünen Jugend, einem Roma-Netzwerk und lokalen Gewerkschafsorganisationen entstanden. Vor allem in Kroatien entstanden eine Reihe von linksorientierten Medienprojekten wie die kroatische Ausgabe von Le Monde Diplomatique oder das Internetprotal Bilten.org.

Neu an der «Neuen Linken» auf dem Balkan sind vor allem drei Aspekte: Es handelt sich um eine junge Generation von politischen AktivistInnen, die sich erst im Kontext von Transition und Restauration des Kapitalismus sozialisierte und nach dem Ende der Kriege politisch aktiv wurde. «Sozialismus» ist für sie kein Fremdwort sondern der politische Horizont. Überraschend viele AktivistInnen sind 1983 geboren und waren im Jahr 2000 – dem Ende der Regime von Franjo Tudjman und Slobodan Milošević – 17 Jahre alt.

Die «Neue Linke» positioniert sich dabei kritisch gegenüber den neoliberal gewendeten sozialdemokratischen Parteien, die aus den ehemaligen Kommunistischen Parteien hervorgegangenen sind und oft an der Regierung beteiligt sind. Gleichzeitig positioniert sie sich auch kritisch gegenüber den etablierten linksliberalen Nichtregierungsorganisationen, die oft als unkritische «Mittlerorganisationen» der EU fungieren. Die Differenzen zu diesen beiden Akteuren bestehen in der grundsätzlich antikapitalistischen Ausrichtung der «Neuen Linken». Ihr internationalen Bezugspunkte sind die «Bewegungen der Plätze» – vom Taksim Platz über den Syntagma Platz bis zu den Indignados.

Nach der Auftaktdiskussion wurden in Workshops einige zentrale Probleme der «Neuen Linken» bei der Organisationsentwicklung diskutiert. Dabei ging es vor allem um das Problem der Diskontinuität der organisatorischen Infrastruktur. Die «Neue Linke» kann kaum auf vorhandene Strukturen zurückgreifen. Die Workshops dienten dem Erfahrungsaustausch über Formen der Finanzierung politischer Arbeit, dem Aufbau sozialer Zentren und anderen Formen räumlicher Infrastruktur, der Konzeption von Bildungsprogrammen für neue Mitglieder sowie dem Problem der Datensicherheit.

Das Plenum des zweiten Tages stand unter der Überschrift «Cooperation – Coalitions –Networks”. Hauptgegenstand der Diskussion war die Frage, wie Akteure der «Neuen Linken» zumindest punktuell hegemoniefähig werden können. Übereinstimmung bestand darin, dass sich zahlreiche potentielle Bruchpunkt in der Hegemonie der neoliberalen Transitionsideologie in der Region zeigen. Der «Volksaufstand» in Slowenien im Winter 2012/2013, die Massendemonstrationen gegen Strompreiserhöhung in Bulgarien 2013, spontane Sozialrevolten wie die ArbeiterInnnen-Rebellion in Tuzla (Bosnien-Herzegowina) im Februar 2014 oder die Proteste gegen das autoritäre Regime von Nikola Gruevski in Mazedonien im Frühjahr 2015 zeigen das Sprengpotential in der Region.

Die Frage ist allerdings, wie die schwachen linken Akteure im Kontext solcher oft konfuser und spontaner Protestbewegungen erfolgreich agieren können. Diese Frage betrifft auch langfristige Allianzen und Koalitionen mit anderen Akteuren, die nicht auf der Linken stehen, aber punktuell am selben Strang ziehen, etwa Gewerkschaften in Kampagnen gegen Privatisierung oder LGBT-Organisationen in Kampagnen gegen Diskriminierung aufgrund sexueller Orientierung. Entscheidend erschien, dass die linken Akteure sich einerseits als bündnisfähig zeigen müssen, auf der anderen Seite aber auch die eigene politische Agenda verfolgen und sich in der Öffentlichkeit als eigenständiger sozialistischer Akteur erkennbar machen.

Auch am zweiten Tag wurden diese allgemeinen Probleme in Workshops vertieft. Im Zentrum standen die Frage der Beziehung zwischen Sozialen Bewegungen und politischen Parteien, der Ansatz des «transformative Organizing» als Kampagnentechnik, die Herausforderungen bei der Arbeit in und mit Gewerkschaften sowie die Probleme der regionalen und internationalen Vernetzung und Koordination der Neuen Linken auf dem Balkan.

Dabei wurde der Akzent vor allem auf die Notwendigkeit der Verbesserung der regionalen Kooperation gelegt. Aufgrund der mangelnden materiellen Ressourcen der Neuen Linken auf dem Balkan und dem Unverständnis oder Desinteresse der europäischen Linken für die Situation in Osteuropa wurden Kooperationen auf gesamteuropäischer Ebene zwar als wünschenswert bezeichnet aber eher skeptisch beurteilt. Realistisch erscheint dagegen die engere Kooperation der Organisationen in der Region selbst. Ein großer Erfolg des Treffens war, dass erstmals eine größere Delegation aus Albanien und Mitglieder von studentischen Initiativen aus dem Kosovo an den Diskussionen der post-jugoslawischen Linken teilnahmen.

Der dritte Tag stand ganz im Zeichen der Diskussion der slowenischen Erfahrung. Hier gelang es den AktivistInnen der ehemaligen ArbeiterInnen und PunkerInnen Universität (DPU) aus Ljubljana im Kontext der Sozialproteste von 2012/2013 eine politische Plattform aufzubauen, die sich mittlerweile parlamentarisch etablieren konnte. Die Initiative für Demokratischen Sozialismus (IDS) hat gemeinsam mit der Listenverbindung Vereinigte Linke bei den Parlamentswahlen im Juli 2014 knapp sechs Prozent errungen. Aufgrund der erfolgreichen Arbeit im Parlament liegt die Vereinigte Linke bei Umfragen mittlerweile regelmäßig bei knapp zehn Prozent. Die Vereinigte Linke war unter anderem in der Lage, ein Referendum über die Anerkennung gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaften durchzusetzen und führt erfolgreiche Kampagnen gegen Privatisierung sowie für die Legalisierung von Marijanua.

Wie der VertreterInnen aus Slowenien betonten liegen in der erfolgreichen Parlamentsarbeit und dem schnellen Wachstum der Organisationen aber auch viele Gefahren. Vor allem die Verselbständigung der Parlamentsfraktion gegenüber den Parteiorganen wurde als potentielles Problem benannt. Ein weiteres Problem ist die Integration neuer Mitglieder, die oft über nur wenig Vorwissen und Erfahrung verfügen. Dennoch wurde während der Konsultationen das slowenische Beispiel als der Zielhorizont auch für viele andere Akteure in der Region benannt. Vor allem Solidarnost in Mazedonien führt eine Debatte über die Konstituierung als Partei. Angesichts der autoritären Herrschaftsmethoden des nationalistischen und neoliberalen Regimes von Nikola Gruevski wurde aber zur Vorsicht gemahnt.

Zum Abschluss des Beratungstreffens wurden am vierten Tag die Herausforderungen der politischen Kommunikation diskutiert. Vor allem im vergangenen Frühjahr öffnete sich im Kontext des Wahlerfolgs von SYRIZA in Griechenland ein «Window of Opportunity» für die Akteure der jungen «Neuen Linken» auf dem Balkan. In vielen Ländern wurden die linkssozialistischen Initiativen von den Medien als lokale Repräsentaten der europäischen Linken wahrgenommen. Zahlreiche Auftritte in Fernsehtalkshows und Interviews in führenden Medien wurden möglich. Dabei wurde die Kluft zwischen dem politischen Potential und den organisatorischen Kapazitäten der «Neuen Linken» deutlich. Im Tenor der Diskussion wurde vor einem naiven Umgang mit Massenmedien gewarnt. Der Aufstieg zu einem ernstzunehmenden politischen Akteure kann nicht über das Aufblasen einer medialer Seifenblase erreicht werden.

In Workshops wurden vier verschiedene Aspekte der Medienarbeit diskutiert. Ein Workshop behandelte den professionellen und kritischen Umgang mit den Massenmedien des Mainstreams. Ein zweiter Workshop vermittelte Schreibtechniken und professionelle journalistische Standards. Ein weiteres Thema war die Nutzung sozialer Medien im Internet sowohl für die Profilierung politischer Positionen als auch für die Integration von neu politisierten AktvistInnen. Im vierten Workshop wurde über den Zugang zu prekarisierten MedienarbeiterInnen diskutiert, die selbst als politisches Subjekt für die Linke zu gewinnen sind.

Die Konsultationen in Baška standen im Kontext von vier Sommerschulen und zwei regionalen Vernetzungstreffen in der Form der Balkanforen während des Subversive Festivals in Zagreb seit 2010, bei denen jeweils Akteure der «Neuen Linken» aus Südost Europa teilgenommen haben. Bei diesen von der RLS unterstützten regionalen Treffen nahm nicht nur die TeilnehmerInnenzahl in den vergangenen fünf Jahren deutlich zu. Auch die Repräsentativität der teilnehmenden Organisationen und die Qualität der Diskussionen hat sich deutlich verbessert. Auch bei der Party am letzten Abend, die zusammen mit den im selben Hotel untergebrachten Mitgliedern der kroatischen Gewerkschaft der EisenbahnfahrerInnen gefeiert wurde, zeigten sich die Mobilisierungspotentiale der «Neuen Linken» auf dem Balkan.

Boris Kanzleiter, Leiter der Regionalbüros der RLS für Südost Europa