Nachricht | Europa Ende einer Epoche

Mit dem Wahlsieg der Nationalkonservativen kann in Warschau zum ersten Mal seit 1989 eine Partei allein regieren. Die Linke erlitt dagegen eine herbe Niederlage.

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Die ersten offiziellen Zahlen kamen von der Staatlichen Wahlkommission  erst am Montag um 23 Uhr, nachdem der Zeitpunkt mehrmals verschoben wurde. Noch immer balancierten drei  Wahllisten ziemlich dicht an den für sie gültigen Prozenthürden von fünf bzw. acht Prozent der abgegebenen Stimmen.  So etwas gab es nicht oft in der bisherigen Geschichte von Parlamentswahlen seit 1989.

Besonders spannend wurde es für das Wahlbündnis der Vereinigten Linken, das schließlich mit einem Ergebnis von 7,55 Prozent der abgegebenen Stimmen an der Acht-Prozent-Hürde scheiterte.  Eine solch hohe Hürde wird laut Wahlgesetz notwendig, wenn mehrere Parteien zusammen antreten und als Parteien erkenntlich bleiben wollen. Infolge dieses Scheiterns wird es künftig keine linksdemokratischen oder linksliberale Abgeordnete mehr im Parlament geben. Die linke Flanke, wenn man es so sagen darf, wird künftig von den Wirtschaftsliberalen markiert.

Noch am Wahlabend bekannte die Spitzenkandidatin Barbara Nowacka freimütig, mit einem besseren Resultat gerechnet zu haben, auch deshalb, weil die Umfragewerte vor der Wahl durchaus Anlass zu Optimismus gaben. Allerdings waren auch Warnsignale nicht zu übersehen, so dass das Ergebnis nicht ganz so überraschend kam, wie viele hinterher meinten.

Die Kandidatur von Magdalena Ogórek bei den Präsidentschaftswahlen im Frühjahr hatte sich deshalb als katastrophaler Fehler erwiesen,  weil erstens der Amtsinhaber verlor und zweitens die Kandidatin nicht in der Lage war, sich in der Öffentlichkeit tatschlich als Repräsentantin linksgerichteter Ideen und Werte zu behaupten. Das enttäuschende Ergebnis von 2,38 Prozent der abgegebenen Wählerstimmen signalisierte bereits einen hohen Verlust im traditionellen Wählerspektrum der Linksdemokraten. So half auch die ziemlich teure Wahlkampagne nicht mehr, verlorenes Vertrauen zurückzuholen.

Die Demokratische Linksallianz (SLD), die wichtigste und wohl entscheidende Kraft in der Vereinigten Linken, besitzt allerdings genügend starke lokale Strukturen, die bei einem Neuaufbau der nun am Boden liegenden Parteistruktur helfen könnten. Schwer vorherzusagen ist die Zukunft des Parteienbündnisses Vereinigte Linke. Ein Erfolg wäre tatsächlich eine grundsätzliche Neugründung, denn nur schwer vorstellbar ist eine völlige Rückkehr von SLD und der Struktur von Janusz Palikot zu einstigen Ufern.   

Unklar ist auch, ob und wie viele  Stimmen die Partei Razem (Zusammen) der Vereinigten Linken im Endspurt abgenommen hat. Hauptsächliche Wählergruppe von Razem waren Wähler in der Altersgruppe zwischen 30 und 39 Jahren, die über einen sehr guten Bildungshintergrund verfügen und in großen Städten wohnen. Für die Vereinigte Linke stimmten hauptsächlich Wähler von über 50 Jahren. 

Die Partei Razem erlangte urplötzlich eine erhöhte Medienaufmerksamkeit nach dem Auftreten von Adrian Zandberg in der Fernsehdebatte, bei der alle acht Wahllisten gleichermaßen zu Wort kamen. Hinterher meinten die meisten Beobachter nahezu einhellig, der Vertreter von Razem sei bei weitem der beste Kandidat gewesen.   

Ex-Staatspräsident  Aleksander Kwaśniewski, der einst die Partei der Linksdemokraten mitbegründet hatte, bezeichnete Razem als eine Partei recht radikaler Sozialisten, die einen phänomenalen Beginn hingelegt hätten, der bei einem Neuanfang linksgerichteter Kräfte in Polen nun zu berücksichtigen sei.     

Mitunter wird Razem auch als polnische Entsprechung von Podemos bezeichnet.  Die Partei schnitt mit einem Ergebnis von 3,62 Prozent der Wählerstimmen ab, was immerhin für die laufende Legislaturperiode eine steuergestützte Parteifinanzierung  garantiert, so dass in den Parteiaufbau investiert werden kann.

Eindeutiger Wahlsieger ist die nationaldemokratische PiS (Recht und Gerechtigkeit), die mit 37,58 Prozent der Wählerstimmen eine Mehrheit der Abgeordnetensitze im Sejm erreichte. 

Die bisherige wirtschaftsliberal ausgerichtete Regierungspartei  PO (Bürgerplattform) kam auf 24,9 Prozent der abgegebenen Wählerstimmen. Im Parlament sind außerdem noch die gegen das etablierte politische System gerichtete Liste von Paweł Kukiz  mit 8,81 Prozent der abgegebenen Wählerstimmen, die sich rein wirtschaftsliberal  verstehende Liste von Ryszard Petru (Die Moderne) mit 7,60 Prozent der abgegebenen Wählerstimmen und schließlich die Bauernpartei PSL mit 5,13 Prozent der abgegebenen Wählerstimmen vertreten. Ein Mandat fällt automatisch an einen Vertreter der deutschen Minderheit in Polen.

Viele Beobachter meinen, dass PiS schnell Abstand nehmen könnte von Vorstellungen, das Land radikal umzugestalten.  Die PiS-Regierung könnte eher den Versuch bedeuten, das rechte Zentrum auf der politischen Bühne zu stabilisieren. Wieweit das auch für die künftige außenpolitische Linie eintreten wird, bleibt abzuwarten. Immerhin gibt es genug Stimmen, die meinten, das sogenannte Nationalinteresse müsse sehr viel entschiedener und insbesondere  auf der EU-Ebene wahrgenommen werden.

Auffallend bei diesen Wahlen ist, dass PiS auch bei den besser Qualifizierten und in den großen Städten vorne liegt. In den letzten Jahren waren das uneinnehmbare Bastionen für die PO. Auch die traditionelle politisch-geographische Teilung  des Landes zwischen dem Westen bzw. Nordwesten und dem Süden bzw. Südosten des Landes ist aufgeweicht, bei diesen Wahlen nicht mehr signifikant nachweisbar.

Die Etappe, in der die beiden großen Parteien das Feld eindeutig beherrschten und bestimmten, ist abgeschlossen.  PO kann nicht mehr sicher sein, die von der künftigen PiS-Regierung enttäuschten Wählergruppen automatisch an sich zu ziehen. Das Feld der Möglichkeiten ist wieder viel offener als in den zurückliegenden zehn Jahren.

Offen bleibt auch die Frage, wie den handfesten wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen begegnet werden wird. Der durchgehende Sieg von PiS bedeutet paradoxerweise  zugleich, dass die gesamte politische Szene wieder offener und durchlässiger werden wird. Das wird auch politischen Initiativen eine Chance einräumen, die jetzt nicht mehr im Sejm vertreten sind.