Nachricht | COP 21 Jenseits von COP21 | Klimagerechtigkeit im Ausnahmezustand: Runde 2

Die französische Regierung untersagt den Protest auf den Straßen von Paris und bietet stattdessen ein abgelegenes Stadion als Versammlungsort für den 12. Dezember an. Was ist die richtige Strategie im Ausnahmezustand?

Ein paar Tage hätte man fast vergessen können, dass sich Paris im Ausnahmezustand befindet: Die Menschenkette am Sonntag wurde - abgesehen vom dem kleinen Aufstand auf der Place de la République - durchaus als Erfolg wahrgenommen. Das Strategietreffen der Klima(gerechtigkeits)bewegung am Dienstag hat eine gewisse Aufbruchsstimmung transportiert. Selbst die französische Regierung hat in der vergangenen Woche zwischenzeitlich das allgemeine Demonstrationsverbot wieder aufgehoben. Die Planungen und Diskussionen zu 'D12', dem 12. Dezember, an dem die sozialen Bewegungen das letzte Wort zum Klimagipfel haben wollen, liefen wieder auf Hochtouren.

Seit Freitagmorgen aber drängt sich der Ausnahmezustand wieder in das Bewusstsein: Während des Treffens von VertreterInnen der Coalition Climat21 und dem französischen Innenminister Bernard Cazeneuve, die zurzeit täglich stattfinden, wurde die Aufhebung des allgemeinen Demonstrationsverbot für den 12. Dezember wieder zurückgenommen. Hatte es am Donnerstagnachmittag noch geheißen, dass die französische Regierung eine öffentliche Abschlusskundgebung tolerieren würde, hieß es nun, dass die Polizei eine derartige Veranstaltung auf einem öffentlichen Platz nicht ausreichend absichern könne. Die Regierung bietet der Coalition stattdessen nun ein kleines Sportstadion im Süden von Paris für die Abschlusskundgebung an.

Eingeschränkter Handlungsspielraum

Im ersten Moment mag das einigen nachvollziehbar und durch die Gefahr von Anschlägen begründet erscheinen. Extrem widersprüchlich ist aber, dass andere öffentliche Großveranstaltungen, wie zum Beispiel die Weihnachtsmärkte, ohne Einschränkungen auch weiterhin genehmigt sind. Der Verdacht liege nahe, dass die französische Regierung vermeiden will, dass das - angesichts des radikalen Handlungsbedarfs im Angesicht der Klimakatastrophe - absehbar lächerlich schwache Verhandlungsergebnis durch die sozialen Bewegungen gut sichtbar zu einem totalen Scheitern erklärt werden wird.

Am Freitagnachmittag zeigte sich, wie extrem eingeschränkt der Spielraum für öffentliche Meinungsäußerungen in Paris zurzeit ist. An diesem Tag wurde mitten im touristischen Zentrum von Paris, im Grand Palais auf der Champs Élysées, feierlich die "Solutions COP21"-Messe eröffnet. Diese Messe ist für die Wirtschaft der zentrale Ort für Greenwashing in Paris. Hier bessern fossile Energiekonzerne wie EDF oder Engie ihr Image auf, gerieren sich als Pioniere des Klimaschutzes, um zu verschleiern, dass sie alles dafür tun, ihre verheerenden Geschäftsmodelle noch möglichst lange am Leben zu halten.

Angestoßen von der kleinen, aber äußerst umtriebigen Brüsseler NGO Corporate Europe Observatory (CEO) und deren Klimareferenten Pascoe Sabido hatten sich AktivistInnen schon seit Monaten darauf vorbereitet, die Eröffnung mittels einer "Toxic Tour" zu stören. "Tour Guides" sollten BesucherInnen durch die Ausstellung führen und direkt vor den sauberen Messeständen über die dreckigen Fakten zu Fracking, Wasserverseuchung und Klimaschäden sprechen. Und es ging darum, gegen Marktmechanismen wie Emissionshandel, REDD und den Clean Development-Mechanismus zu protestieren, gegen die "False Solutions COP21". Die Botschaft: Der UN-Prozess setzt auf komplett falsche Lösungen mit absolut den falschen Verbündeten.

"Toxic tour with toxic facts"

Zwar tat die Polizei ihr Bestes, um zu verhindern, dass AktivistInnen - getarnt als normale AusstellungsbesucherInnen - in das Grand Palais gelangen konnten. Während draußen noch Hunderte warteten , schafften es aber geschätzte 150 KlimaschützerInnen, die "Toxic Tour" zumindest ansatzweise durchzuführen und den "toxic facts" eine große Medienaufmerksamkeit zu verschaffen.

Besonders schön: Die Polizei half dankenswerterweise mit, als sie Pascoe Sabido zunächst vor laufenden Kameras ein ausführliches Interview geben ließ, um ihn direkt im Anschluss publikumswirksam aus dem Gebäude zu zerren. Ein kleiner Erfolg für die Bewegung, wenngleich er deren begrenzte Handlungsfähigkeit in Paris demonstriert.

Auch am Freitagabend Ausnahmezustand: Beim täglichen Treffen des Koordinierungskreises der Coalition ging es um die schwierige Frage, wie mit dem Angebot der Regierung umgegangen werden soll. Das Problem: Lehnt man das Stadion ab, gibt es zunächst keinen Ort, an dem die verschiedenen Teile der Bewegung zum Ende des Gipfels zusammenkommen können, um sichtbar und laut das letzte Wort zu haben. Akzeptiert man den Vorschlag, unterwirft man sich allerdings der Regie der französischen Regierung und büßt extrem an kommunikativen Einfluss auf die Interpretation des Gipfelergebnisses ein. Vielen geht es auch darum, sich den Versuchen der französischen Regierung zu widersetzen, unter den Bedingungen einer durch die Paris-Anschläge geschockten Bevölkerung gegenüber verschiedenen kritischen Bewegungen einen zunehmend repressiven Politikstil  zu entwickeln. Historische Beispiele, wie so etwas aussehen kann, liefert Naomi Klein in ihrem Buch "Die Schock-Doktrin".

Der Protest muss sichtbar und "empowering" sein

Die Debatte innerhalb der Klimabewegung läuft heiß: Einige eher gemäßigte Organisationen wollen das Angebot akzeptieren, weil sie einen Raum jenseits der geplanten Aktion zivilen Ungehorsams "Red Lines" schaffen wollen - damit auch weniger konfrontationsbereite AktivistInnen das letzte Wort haben können. Die radikaleren Teile der Coalition hingegen wollen sich den - auch über den Kontext des Klimagipfels hinausgehenden - Repressionsversuchen widersetzen. Auf dem Spiel stehen die Handlungsmöglichkeiten von Bewegungen überhaupt, so der Eindruck vieler. Ein weiteres zentrales Argument ist, dass es für die Zukunft der Klimabewegung extrem wichtig ist, dass die Abschlusskundgebung von den TeilnehmerInnen als "empowering", als ermächtigend, wahrgenommen wird. Ob das auch innerhalb eines abgelegenen Stadions gelingen kann, ist fraglich. Viele sagen, dass es genau das jetzt braucht, damit die Klimabewegung aus Paris das mitnehmen kann, was sie braucht, um weiter zu wachsen.

Jetzt geht es der Klimabewegung darum, gemeinsam nach der richtigen Strategie in dieser Situation zu suchen, einer Strategie, bei der die radikalen AktivistInnen ihre Aktionspläne streichen, die sehr moderaten Organisation ihre Angst vor dem friedlichen Ungehorsam aufgeben und die (vor allem französischen) Gruppen in der Coalition ihre tiefen Spaltungen überwinden. Was viele jetzt wollen: eine gemeinsame abschließende Versammlung, friedlich, würdevoll - und ungehorsam.